23
Wir saßen schweigend nebeneinander, was mir wirklich recht war. Diese Stille wirkte einmal erdrückend auf mich, schließlich versuchte ich noch immer den Plan sicherer zu gestalten, auch wenn es unmöglich erschien, immerhin wollte ich nicht einfach irgendwen mit dem Küchenmesser bedrohen, was mir Mr. Matthew gegeben hatte, damit ich zumindest etwas in der Hand hatte. Ethan würde mich ohne Zweifel schon beim Eintreten entdecken, dich dort kam Chris ins Spiel, er war meine Ablenkung, obwohl ich nicht wusste wohin ich mit ihm wollte, denn mitnehmen konnte ich ihn nicht, doch wenn er hier blieb, bei den Perfekten, würde man ihn für einen Verräter halten, da er mir unbewusst geholfen hatte. Ich sah aus dem Fenster, all diese ahnungslosen, vernebelten Menschen, es musste ein Ende haben, ich klang beinahe poetisch, doch die Erdrückung musste enden, die Demokratie musste wieder her, doch jemand musste aufpassen, dass diese sich nicht verfälschte.
"Weshalb sollte ich Mrs. Price nicht sagen, dass wir Ethan Scott besuchen?«, fragte er mich auf einmal, wobei er, so perfekt er war, seinen Blick nicht von der Straße abwandt. Gut, daran hatte ich wirklich nichts auszusetzen, schließlich sollte man sich beim Fahren nicht um solche Dinge kümmern, es standen immerhin Leben auf dem Spiel, wenn man so dachte. Doch seine Frage war schlau, doch was hätte ich tun sollen? Wir hatten Helena gesagt, dass wir in den Park fahren würden, sie schien glücklich gewesen zu sein, da ich anscheinend jemanden 'gefunden' hatte, doch wenn sie erfahren hätte, wo wir wirklich hin wollten, hätte sie es mir selbstverständlich verboten.
»Sie würde denken, dass ich Mr. Scott bedrängen würde, ich möchte ihn aber nur sehen, wirklich, außerdem bin ich beeindruckt von ihm, von der ganzen Familie. Wer hat es vor ihnen schon geschafft ein Land dermaßen zu ändern?« Ich musste gestehen, ich war stolz auf ich, denn gelogen hatte ich nicht. Die Frage am Ende konnte man immerhin positiv und negativ sehen, obwohl es selbstverständlich nicht gut gemeint war.
»Ich verstehe, du hast recht, sie sind großartig, was nur aus unserem Land geworden wäre, wenn sie es nicht übernommen hätten... unsere Politiker waren von Macht zerfressen, wie ich hörte.« Ich biss mir schnell auf die Lippen, um ein Lachen zu unterdrücken. Es war kaum zu fassen, es gab gefühlt tausend andere Geschichten, jedoch alle stellten die Scotts als Helden dar, doch wie sollte es denn schon anders sein? Die eigene Meinung war verboten und diejenigen, die sie äußerten, waren am nächsten Tag verschwunden, doch Fragen durften nicht gestellt werden, Neugier war nicht perfekt. Ein erneuter Blick aus dem Fenster, die perfekt sauberen Straßen machten mich verrückt. Stets hatten die Regierungen die Strafen geändert, da sie nicht funktionierten, das zog sich über Jahrhunderte zurück, doch dann kamen die Scotts und schafften es, aber was machte sie so besonders? Es gab offiziell keine Bestrafungen, doch trotzdem existierte die Angst vor dem Unbekannten. Menschen verschwanden, niemand stellte Fragen, doch man konnte nicht umhin sich seinen Teil zu denken, der einen zwang perfekt zu sein. Vielleicht war genau das die Lösung, die die Menschen von Straftaten abhielt, die Bestrafungen, von denen keiner etwas wusste, aber dennoch in dem Wissen war, dass es grausam sein musste. Aber nun war ich hier, die, die wusste was geschehen würde, aber trotzdem noch bereit war so ziemlich alle Regeln zu brechen. Ich atmete ein und aus, denn das Auto stand und ich hatte das Gefühl vor Angst vor dem Bekannten kaum stehen zu können.
Sie hatte meine Hilfe nicht gebraucht, wie ich es gesagt hatte, aber dennoch hätte ich alles dafür gegeben ihr nun Ratschläge zu geben, doch es lag nicht mehr in meiner Macht, denn sie war bereit, auch wenn sie es nicht wusste. Ich hasste es ihr ihren Weg verheimlichen zu müssen, doch das Wissen konnte ihr Angst machen. Ich hoffte, dass ich es ihr rechtzeitig sagen könnte, nicht schnell, sondern nach und nach, sodass sie es leicht verdauen konnte, sie darauf vorbeireiten, dass sie, wenn unsere Seele ein war, alles sehen würde, ohne es zu wollen. Die Erinnerungen oder gar das Wissen würden nicht auf einmal kommen, sondern nach und nach, fast als wären sie Geistesblitze. Ich hoffte nur, dass sie stark genug war, um diese zu verarbeiten.
Ich schielte immer wieder zu Ethan hinüber, wie er sich in der Nähe unseres Tisches angeregt mit der hübschen Blondine unterhielt. Sie hatte ihre Beine überschlagen und verfolgte seine Worte mit geraden Rücken. Ich zog die Luft ein, es war noch nicht der richtige Moment, außerdem hatten sich die Soldaten draußen versammelt, doch sie würden schon von uns ablassen, wenn alles gut laufen würde. Mein Herz schlug mir bis zu meinem Hals, fast als wolle es mich verlassen. Meine Augen schlossen sich, bis auf ein paar andere waren wir die Einzigen im Raum, wahrscheinlich wollte man sich nicht anmerken lassen, dass man dich neugierig war wer das Blondchen war. Widersprüche über Widersprüche, einerseits wollte man nicht neugierig sein, andererseits war man von Tratsch besessen.
»Willst du ihn weiter so anschielen oder wollen wir rüber und ihm hallo sagen?«, fragte Chris mich mit einem leichten Grinsen. Ich musste sagen, dass das wirklich mal sympathisch war und mich etwas zum Lachen brachte. Es ging nicht anders, es wäre unverantwortlich ihn auf dieser Seite zu lassen.
»Es tut mir leid, aber wie oft sieht man ihn schon? Wäre es nicht unhöflich ihm hallo zu sagen? Ich meine, er ist privat hier.«, erwiderte ich und sah wieder rüber, wobei ich sah, wie er die Frau annicjte, so als ob er sich verabschiedeten wolle. Ich musste sofort an den Messer denken, welches sich in meiner Tasche befand und ergriff es automatisch mit meiner rechten Hand.
»Nein, immerhin-«
»Guten Tag, ich hoffe ich störe nicht.« Ich musste nicht einmal aufsehen, um zu wissen weshalb dieser Drecksack ihr zugenickt hatte, denn er hatte sich keinesfalls verabschiedet. Wenn ich sagen würde, dass sich der Angstschweiß nicht ausgebreitet hatte, würde ich lügen. Die Panik ergriff mich, doch ich versuchte meine Atmung zu kontrollieren.
»Keinesfalls, wir haben gerade über dich geredet, Ethan.«, meinte ich und versuchte so viel Kälte wie nur möglich in meine Stimme zu legen, damit er ja nicht glaubte, dass meine Angst unermesslich war und schon fast weh tat.
»Wie ich sehe hast du dich gut eingelebt, Madelyn, darf ich fragen wer dein Begleitung ist?« Wollte er denn Bekanntschaft mit meiner Faust machen? Wenn er glaubte, dass nur er Spitzen verteilen konnte, hatte er sich geschnitten, doch das war meine Chance, denn Chris war in seinen Wahn bereits aufgestanden, um dem Monster die Hand zu reichen. Er schien abgelenkt, meine Ohren waren ganz taub und ich wusste nicht wie ich es geschafft hatte mitsammt meines Messers aufzuspringen und ihm die Messerspitze in zwischen die Schulterblätter zu drücken. Er lachte leise auf, so als hätte er gewusst was ich vorhatte. Ich sah zu den Soldaten, er schien sofort zu verstehen und gab ihnen ein Handzeichen mich nicht zu beachten. Die Blondine saß kreidebleich auf ihrem Stuhl und wagte es nicht sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Meine Augen erfasste die Pistole, welche an seinem Gürtel befand. Ich hatte sie natürlich sofort gegen das Messer eingetauscht, damit ich abdrücken konnte, falls die Soldaten uns angriffen.
»Ein falscher Schritt und ich schwöre dir die Soldaten können dich vom Boden aufkratzen. Wo ist Jayden Preston?«, fragte ich ihn mit harter Stimme und hielt dabei die Soldaten im Auge. Chris hingegen schien genauso die Panik erfasst zu haben, doch ich spürte nichts mehr von meiner Angst, mein Herz raste zwar immernoch, doch das Adrenalin ließ mich alles vergessen, es zählte nur der Moment.
»Da wo du ihn zurückgelassen hast, ich habe ihm erst heute Morgen noch einen Besuch-«
»Wenn er auch nur einen Kratzer hat, wirst du dir wünschen tot zu sein. Jetzt beweg' dich, Chris fährt!« Ich würde wirklich gern sagen, dass ich es nicht ernst gemeint hatte, doch es hatte mich ohnehin schon gewundert, dass noch nicht abgedrückt hätte, da mein Hass kaum in Worte zu fassen war. Mein zitternder Finger ruhte auf dem Abzug, doch er durfte nicht die Erlösung erfahren, da es sonst Jayden's sicherer Tod gewesen wäre. Ich hoffte nur, dass Ethan nicht gelogen hatte, ansonsten würde es die Lage erheblich unmöglicher machen.
Ihr Mut war bewundernswert, gerade wenn ihre Taten verglich, wurde klar wie stark ihre Veränderung war. Natürlich, manches Mal waren ihre Gedanken kindisch, doch sie hatte in vielen Dingen noch nicht genug Erfahrungen, um die Bedeutungen hinter den Schleiern wirklich zu enträtseln. Sie konnte durch die Erzählungen nur erahnen wie dieser 'Krieg' ausgebrochen war, denn selbst unsere Mutter verschwieg uns noch allerlei Dinge, doch genau das konnte man ihr nicht übel nehmen, schließlich fragte Lynn auch nicht. Ich kannte die Geschichte, sie hatte sich durch die fremden Erinnerungen unserer Mutter und unseres Vaters gezeigt, doch ich schwieg, aber nicht weil ich es ihr schwer machen wollte, im Gegenteil. Sie besaß nicht das ausreichende Vorwissen für die Bilder unserer Eltern, doch vielleicht gab es mich deswegen, vielleicht war dies ein weiterer Sinn meiner eigenen Existenz, die sich langsam auflöste.
Es war zu leicht gewesen, wieso hatte nicht einer der Soldaten auch nur versucht uns daran zu hindern mit ihm wegzufahren? Sie mussten gehorsam sein, selbst wenn Ethan ihnen sagte, dass sie uns in Ruhe lassen sollten, doch sprach das nicht gegen die Regel, in denen sie die Herrscher vor Leid schützen mussten, auch wenn sie dabei selbst ihr Leben lassen mussten? Ich konnte mir kaum vorstellen, wie mein Vater jemals ein Soldat werden konnte, es ergab keinen Sinn, genauso wie die Demokratie, die angeblich vor der Zerstörung herrschen sollte. War meine Heimat denn schon vor der Mauer so gespalten? Es machte alles keinen Sinn mehr, jeder gab mir andere Antwort, die angeblich wahr sein sollten, doch wann hatte ich die wirkliche Wahrheit gefunden, an die ich endlich festhalten konnte?
»Warum erschießt du mich nicht gleich? Dann bekommt dein jämmerliches Versprechen wenigstens etwas Ansehen, Mady.«, begann Ethan mich zu verspotten. Ich versuchte die Ruhe zu bewahren und warf einen kurzen Blick zu dem nervösen Chris, der uns langsam zu Jayden's Gefängnis fuhr. Er tat mir leid, doch was wenn ich ihn retten konnte? Es klang total bescheuert, aber was wenn er auch eine Stimme besaß, die er unterdrückte? Er musste eine Chance kriegen, um sich endlich selbst entfalten zu dürfen.
»Glaube mir Ethan, ich würde dir zu gern in die Eier schießen und dich dann für die nächsten Stunden liegen lassen, um dir dann den Gnadenschuss zu verpassen, doch das wäre unklug, immerhin bist du sowas wie unsere Sicherheit und tot bringst du mir rein gar nichts.« Konnte ich denn überhaupt abdrücken? Ich hatte schon einmal getötet, doch ich wollte diesen Schmerz nicht erneut erleben. Ich wollte nicht so sein wie sie, ohne Reue oder Schuld, wie sollte ich denn auch? Meine Gedanken schlugen sich immer wieder quer, ich hinterfragte mein ganzes Verhalten und fand selbst in einem Moment, in dem alles richtig zu sein schien, Fehler oder gar schlimme Wendungen, die alles zum Kippen bringen wollten. Ich schüttelte den Kopf, wollte mich auf den Moment konzentrieren, ohne von diesen Gedanken übermannt zu werden, denn es war nicht der richtige Zeitpunkt, um mich selbst zu hinterfragen.
»Hör mir zu Chris, du bist mitten drin, du musst-«
»Er muss nichts Ethan. Wenn er mich zu unserem Ziel gebracht habe, kann er gehen, doch wenn er bleibt, wird er erfahren, dass ihr drei die wirkliche Pest seit.«, sagte ich trocken, wobei Ethan nur trocken lachte. Ich konnte deutlich wahrnehmen, wie Chris begann zu überlegen, doch ich misste ihm Zeit geben, denn wenn es diese Stimme wirklich gab, würde sie ihm helfen, ihn leiten, so wie Freya mich.
»Wie poetisch du doch klingen kannst, wenn du mal die Oberhand hast. Keine Angst, es ändert sich bald oder denkst du, dass mir zuhause niemand helfen wird?« Er war noch dümmer als ich dachte, wenn er annahm, dass ich damit nicht rechnete. Wir würden uns reinschleichen, Jayden holen und dann über den Tunnel nach Hause gehen, doch wann waren unsere Pläne bis jetzt jemals gut gelaufen?
»Du wirst ruhig sein, wenn wir drinnen sind, wenn ich ein Mucks von dir höre, kannst du dich von deinen Eiern verabschieden, kapiert?« Vielleicht sollte ich es trotz allem machen, so konnte ich zumindest verhindern, dass weitere Scotts entstanden. Aber wie sollte ich denn schon abdrücken? Ich fühlte die bedrückende Schwere auf meinem Finger, doch versuchte es mir nicht anmerken zu lassen, denn genau dies war in diesem Moment einer der größten Fehler, die ich begehen konnte.
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