22
Sie hatte mir von ihren Eltern erzählt, doch um ehrlich zu sein hatte ich geglaubt, dass ihr Vater gestorben sein musste, immerhin war sein Standort nicht bekannt gewesen. Ob sie das gleiche geglaubt hatte? Wir befanden uns in einem Krieg, der sich bereits zwanzig lange Jahre hingezogen hatte, wann war endlich genug? Wie viele Leben mussten noch genommen, wie viele Familien zerrissen und verletzt werden? Ich konnte meine Gedanken kaum in Worte fassen, all die Wut, sogar die Trauer, schien mich von innen heraus zu zerfressen. Ich wollte so nicht leben, auch wenn ich es irgendwie mit Jayden schaffen würde nach Hause zu kommen, es war nicht die Welt, in der ich leben wollte. Nicht die Welt, in der Tias Vater sich erniedrigen lassen musste, ohne zu wissen, ob seine Familie überhaupt noch lebte. Ich hatte ihm den Tod seiner Verlobten, Tias Mutter, verschwiegen, noch nicht einmal von seiner Tochter hatte ich ein Wort verloren, ich brauchte erst einmal einen Plan. Wenn ich ihm sagen würde, dass ich Tia kannte, würde er sich auch nach Maria erkundigen und diesen Schmerz konnte ich ihm nicht geben. Das strenge Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken zurück in die ebenso grausame Wirklichkeit, die mir wie ein Käfig vorkam.
»Ja?«, fragte ich, obwohl es eigentlich herein heißen müsste. Mir kam sofort Helenas strenges Gesucht entgegen, wie sie mit ihrem geraden, makellosen Gang das Zimmer betrat, nur um mich mit diesen kalten Augen genau zu mustern. Ich wollte es kaum zugeben, doch ich verspürte Angst bei ihrem Anblick, wie auch schon früher, bevor ich auf Freyas geflüchtet war.
»Meine Freundinnen kommen in genau dreißig Minuten, du wirst dich bis dahin vorführbar machen, da der Sohn von Emely Bickson ebenfalls kommen wird, er heißt Chris, eine gute Partie für dich.« Ich hatte bei ihren Worten Mühe meine Kinnlade an ihrem Platz zu halten. Sie tat es wirklich, sie versuchte wirklich mir einen Mann aufzuzwingen, doch hätte ich mir darüber nicht im Klaren sein müssen? Immerhin versuchte man mich zu 'richten', obwohl es mir bis vor kurzem besser gegangen war, als jemals zuvor. Ich wollte diesen langweiligen, angeblich perfekten Mann nicht, natürlich war er fremd, doch ich hatte bereits ein Bild von ihm im Kopf, immerhin kannte ich seine Mutter. Ich wollte ihn nicht, ich wollte niemanden hier, war es denn zu viel verlangt mich einfach gehen zu lassen? Ich erinnerte mich an mein erstes bewusstes Zusammentreffen mit Miranda. Sie schien Angst vor mir zu haben, wer würde sonst ein Baby entführen? Ich hatte ihr jedoch nie einen Grund dazu gegeben, doch ich spürte etwas in mir, ich hätte es beinahe als Willen bezeichnet, doch ich wusste nicht was es war. Sie hatte noch vor ein paar Tagen vorgehabt mich in ein Labor zu schicken, doch warum hatte sie es nicht jetzt getan, wo sie mich so sicher hatte?
»Meinetwegen, zur Not kann ich ihm ja immer noch Steine in die Tasche stecken und dann in den See schubsen.« Ich musste gar nicht hinsehen, um zu wissen, dass sie wahrscheinlich roter als der Rubin, den sie um den Hals trug, damit jeder ihn sehen konnte. Höchst wahrscheinlich dachte sie, dass meine Drohung nicht ernst gemeint war, als sie wortlos den Raum verließ, doch sie irrte sich, wenn es Jayden, Mr. Matthew und mich wegbrachte, war es mir recht so. Ich musste Tias Vater mitnehmen, ich konnte ihn nicht einfach zurücklassen, außerdem brauchten wir Hilfe, wenn dieses Todesmanöver wirklich verantworten wollten. Ich verfluchte fast die viele Zeit, in der ich nun wieder meinen Gedanken freien Lauf lassen musste. Es war unklug über das Scheitern zu denken, doch wie sollte man positiv denken? Wir waren im besten Fall vielleicht hundert Leute, eine beachtliche Zahl, doch die Soldaten hingegen waren tausende, die die beste Ausbildung bekommen hatten. Der Tod von Bryan sollte der Anfang sein, dann wollten wir den Krieg beginnen, doch nun, nach genauerem Nachdenken, war dies nicht klug. Es reichte nicht einen zu töten, immerhin würden Ethan und Miranda bleiben, was vielleicht sogar noch schlimmer wäre, da sie ihre Wut nicht gerade sanft umsetzen würden. Wir mussten warten, sie von innen heraus auslöschen, zuerst Bryan, dann Ethan, die beiden waren schließlich wirklich unvorsichtig mit den vielen öffentlichen Erscheinungen, dich Miranda hingegen blieb versteckt.
Ich wollte mit ihr reden, ihr sagen, dass die Situation gar nicht so schlimm war wie sie dachte. Der Drang ihr den Ausweg zu zeigen stieg, doch sie musste es selbst schaffen, ich würde bald nicht mehr für sie da sein können, doch es gab Wissen, das Wissen, welches ich ihr absichtlich verborgen hatte. Ich selbst wusste nicht genau weshalb ich dieses in mir trug, vielleicht war es vererbt worden, jedoch existierte es nur im Unterbewusstsein, was klären würde, weshalb ich Bescheid wusste. Vielleicht sollte ich ihr zunächst die schönen Erinnerungen zeigen, wie die geheimen Treffen unserer Eltern, spät nachts, sodass keiner es erfahren konnte, doch dann blieben noch immer die düsteren Kapitel, wie die erste Begegnung zwischen unserer Mutter und Bryan, aber auch die Flucht. Ich hatte Bilder in meinem Kopf, Bilder, die mir das Innere des Labors zeigten, sie ließen mir keine Ruhe, kleine Kinder, die versuchten ihren blutüberströmten, sterbenden Eltern zu helfen, Menschen, die voneinander getrennt wurden und wussten, dass sie einander nie wiedersehen würden. Also, sollte dies das Glück der fortgeschrittenen Medizin sein, von der Bryan immer prahlte? Es gab so ziemlich immer eine gute und eine schlechte Seite, doch welche war erheblicher?
Man hatte mich gezwungen mich zu setzen, mir diese falsch gehütete Perfektion weiter anzusehen, damit ich meinen aufgezwungenen Wunsch die Perfektion zu erreichen, endlich erfüllen konnte. Es war unfassbar, hier saß ich nun, vor wenigen Tagen hatte ich den Tisch verlassen müssen, mit dem Wissen schlecht zu sein, ungehorsam, was nicht gut war. Ich musterte Helenas Freundinnen, alle waren sie gleich, nippten an ihrem Tee, der natürlich ungesüßt war, und redeten über Männer, wobei sie ab und zu auch lästerten, dann folgten Anspielungen wie gut ich wohl zu Chris passen würde, obwohl ich ihn jetzt schon hasste. Diese blonden, glatten Haare, hinzu kamen dann noch seine Augen, diese kalten, vernebelten, braunen Augen, die mich von oben bis unten musterten, so als würde er sich eine gute Kuh vom Markt kaufen würde, deren Wert er sich selbst suchte. Ich fühlte mich fast wie ein Sklave, dessen Körper nicht mehr sein war. Was wenn es keinen Ausweg gab und ich für immer hierbleiben müsste? Seine Frau werden, Kinder bekommen und stets meinen Mund halten, obwohl ich am liebsten schreiend wild um mich schlagen würde, in der Hoffnung, dass es etwas bringen würde.
»Nun, Madelyn, ich glaube wir sollten die Damen nun allein lassen und einen Spaziergang machen.«, begann Chris dominant zu reden, ohne mich dabei eines Blickes zu würdigen. Ich wollte nicht sagen, dass nur Frauen minderwertig behandelt wurden, km Gegenteil, Helena behandelte Eric immerhin auch wie Dreck. Ich ließ es mir für den Augenblick gefallen, denn, auch wenn ich es kaum zugeben wollte, hatte Helena mich gestern Abend eingeschüchtert. Ich nickte etwas und erhob mich dann so elegant wie möglich und strich mein weißes Kleid wieder glatt, um ihm dann in die Garderobe zu folgen. Es war verdammt kalt draußen geworden, schließlich befanden wir uns im Winter, jedoch galt diese Tatsache nicht für unsere Kleidung, ich hoffte nur, dass der Mantel mich wärmen würde. Ich hatte ohnehin nie wirklich verstanden, weshalb eine 'perfekte' Frau sich im Winter nicht anders anzog, dasselbe galt jedoch auch für Männer, schließlich waren die Hosen, die sie zu ihren Anzügen trugen, alles andere als dick.
Ich nahm ein paar Atemzüge von der kühlen Luft, wobei ich mein Frösteln ignorierte. Meine Atemwolken waren deutlich zu sehen, jedoch war dies, wie ich gestehen musste, für mich immer das Schönste an der Kälte gewesen. Es machte Spaß in die Luft zu pusten und dabei mit anzusehen, wie die kleinen Wölkchen sich langsam verzogen, doch dieses Mal riss ich mich zusammen. Chris war ungefähr in meiner Größe, was mir erst jetzt wirklich auffiel, wo wir nebeneinander hergingen, doch dies störte mich nicht, denn seine Art war viel schlimmer. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen ihn zu heiraten oder gar Kinder mit ihm zu bekommen, ich sah schon jetzt die kleinen, hochnäsigen Kleinen neben mir sitzen, wie sie über den Dreck an ihrer Kleidung meckerten. Klar, ich hatte keine wirklich 'normale' Kindheit, aber mir war es gelungen ein einziges Mal Dreck zu essen, immerhin musste ich ja erfahren, ob er schmeckte.
»Deine Mutter sagte mir, dass du die letzten Tage krank im Bett gelegen hättest.«, bemerkte er mit einer missbilligenden Stimme, da er die Lüge wahrscheinlich erkannt hatte. Ich musste das Lachen unterdrücken, Helena war witzig, immer wieder sagte sie mir wie unperfekt das Lügen war, doch nun tat sie es selbst, um ihren Arsch zu retten, der mächtig auf Eis geraten war, herrlich. Natürlich, lügen war nicht gut, aber es war doch schön mit anzusehen, wie selbst die, die einem diese Fakten gern immer und immer wieder sagten selbst dagegen verstießen.
»Ja, es war nur eine Erkältung, doch ich wollte keine Medizin.«, zog ich ihre Lüge mit bemüht ernster Miene weiter auf. Er nickte jedoch nur, wobei mir auffiel, dass er mich, seitdem wir allein waren, noch nicht einmal richtig angesehen hatte. Ich versuchte gar nicht erst Vergleiche mit Jayden aufzustellen, sie waren zwei komplett andere Personen und wenn hier einer heiratete, dann war es meine Faust und sein Gesicht, wenn er auch nur einen falschen Schritt machen würde.
»Interessant, was denkst du über die Scotts?«, fragte er mich weiter aus. Ich biss mir auf die Zunge, um einen bösen Kommentar zu verhindern, den ich wahrscheinlich bereut hätte.
»Ich liebe sie, ich glaube es gab noch nie jemand besseren, ich hoffe, dass Ethan das Amt seiner Eltern weiterhin so fantastisch führen wird.«, log ich, wobei ich wirklich stolz auf mich war, immerhin hatte ich diesen Satz gesagt ohne dabei brechen zu müssen.
»Gut gesagt... nun denn, ich habe große Erwartungen an ihn, schließlich sucht er sich momentan auch schon eine Frau.« Ich blieb vor Schreck wie angewurzelt stehen. Was? Es war klar, dass er sich jemanden holen müsste, doch einfach so? Gut, die Frauen musste ihm wortwörtlich zu Füßen liegen, aber was würden sie wohl tun, wenn sie plötzlich alles wüssten? Wenn sie dann nicht ihre Perfektion ablegten, mussten sie wohl die Richtige sein. Aber musste er es ihnen denn sagen? Immerhin war Neugier nicht perfekt, sowie man es mir all die Jahre gesagt hatte.
»Davon habe ich noch gar nichts gehört, erzähle mir bitte etwas darüber.«, bat ich ihn freundlich, in der Hoffnung es würden sich genug Informationen ansammeln.
»Nun ja, es wird von einer blonden Frau berichtet, mit der er oft gesehen hat, heute soll er wohl angeblich mit ihr essen gehen.« Ich blieb abrupt stehen, sofort schoss ein Plan in meinen Kopf, der Selbstmord glich, dich was sollte ich sonst tun? Nein, es musste andere Wege geben uns alle auf eine saubere Weise hier rauszuholen, denn Tia musste ihren Vater wiedersehen. Aber konnte ich denn länger warten? Ich musste hier raus, die andere Seite fehlte mir, die Seite, auf der ich wirklich ich sein durfte, nicht hier, wo es darum ging sich zu verstecken.
»Weißt du wann? Ich würde ihn wirklich zu gern einmal in echt sehen.«, versuchte ich ihm Weiteres zu entlocken. Was wenn es an dem Perfektionismus lag, der mir Freya nahm? Ich konnte das alles nicht ohne sie.
»Jetzt, denke ich, wollen wir gucken, ob er da ist? Ich habe mein Auto hier.« Ich biss mir ruckartig auf die Unterlippe, es würde wirklich losgehen, aber wie? Ich hatte keinen Plan, lief ziellos los, ohne es mit Freya abzusprechen, die mir sogar noch Ratschläge gegeben hätte. Ich war auf mich gestellt, doch wo sollte ich beginnen? Ich wollte nicht ohne Tias Vater gehen, er sollte nicht länger in diesem Gefängnis leben, das hatte er nicht nicht verdient.
»Gut, aber ich muss noch einmal kurz in mein Zimmer, ich komme dann runter.«, meinte ich lächelnd. Irgendwie musste es möglich sein ihren Vater aus dem Haus zu holen, ohne dass es auffiel, vielleicht wegen eines Einkaufs, von dem er nicht wiederkommen würde, außerdem könnten wir Chris' Auto mitnehmen, um Jayden abzuholen. Aber was sollte ich tun, wenn er nicht mehr da war? Ich konnte mir gut vorstellen, dass Bryan ihn ins Labor gebracht hatte, doch das hielt mich nicht ab, keiner durfte zurückbleiben, niemand sollte sterben.
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Tut mir echt leid, dass so lange nichts kam, aber die Schule ist momentan echt stressig. Gegen Ende oder Mitte Mai wird vielleicht auch erstmal nichts kommen, weil dort die Prüfungen kommen. Wer auf dem Laufenden bleiben will, kann mir auf Twitter folgen, ich heiße dort genau wie hier. Ich hoffe euch gefällt das Buch bis jetzt noch und ihr kommt hinterher, denn irgendwie kommt es mir so vor, als ob das Geschriebene kaum noch Sinn macht :'D
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