21
Ich fuhr mit tränennassen Augen aus meinen Schlaf heraus, ein simpler Augenblick, um zu wissen, dass ich schlecht geträumt hatte. Ich setzte mich auf, fuhr mir durch das Haar und begann meine Gedanken zu sortieren, was war passiert? Es deutete alles auf einen Albtraum, doch meine Gedanken waren so wirr, dass kaum etwas einen genaueren Sinn ergab. Ich zog die Luft ring, kontrolliert auf meine Atmung, das Licht, welches durch die Vorhänge eindrang, verriet mir, dass der Morgen bereits angebrochen war. Ruhig, ich begann mich zu fassen, doch trotzdem erschien statt eines schlimmen Traums, der eigentlich vor dem puren Horror hätte spuken müssen, nur ich selbst, so als hätte man mich geklont. Konzentriere dich!, ermahnte ich mich selbst herrisch. Freya, sie war es gewesen, sie hatte mich zu sich geholt. Natürlich konnte man meinen, dass dies eine typische Reaktion meines Unterbewusstseins war, um ihren Verlust zu verarbeiten, doch es hatte sich eine Spur zu real angefühlt, um nicht wahr zu sein. Immerhin ergab es Sinn, sie in mir, jedoch war der Riss geheilt, sodass sie mich nur noch auf diesem Weg zu sich holen konnte.
Ich brauchte eine Pause, außerdem hatte ich wirklich großen Hunger, was vermutlich daran lag, dass ich nicht zu Abend essen durfte. War das denn überhaupt zu fassen? Ich war ein Mensch, Nahrung war also mit das Wichtigste, was ich zum Leben brauchte und diese entzog man mir einfach. Früher hätte mich so etwas nie so wütend gemacht, aber nachdem mir meine Mutter endlich einen halbwegs richtigen Essensrythmus gezeigt hatte, musste ich mich natürlich an diesen gewöhnen. Mit Glück würden Eric und Helena mich nicht sehen, wenn ich mir heimlich in der Küche etwas machen würde, wieso auch nicht? Tot brachte ich schließlich niemandem etwas, auch wenn ich Mirandas Plan noch immer nicht verstand, denn tot schien ich für ihren Plan besser, als lebendig.
Ich stand schnell auf und versuchte die Zimmertür so leise wie es mir möglich war zu öffnen, ich kam mir bei dem Versuch fast vor wie eine Diebin. Mit meinen müden Schritten und dazu noch in Gedanken, versuchte ich lautlos die Treppen hinunterzulommen. Zum Glück legte man hier Wert auf 'Ordnung', denn nicht eine der perfekt sauberen Stufen gab auch nur einen Mucks von sich, was mkr natürlich zum Vorteil war. Ich versuchte schon Laute zu erkennen, beinahe wie in auf der anderen Seite, wenn man wissen wollte, ob die Luft rein war, nur dass es hier nicht in erster Linie um Leben und Tod zu gehen schien, ich brauchte 'nur' Essen. Ich bereute es nun wirklich nicht kochen zu können, doch hier waren solche Dinge nie wichtig gewesen, denn schließlich hatte man für solche Dinge Bedienstete, die einem vermutlich sogar den... Ich sollte mich wirklich kontrollieren, immerhin war ich damals selbst nicht besser gewesen. Meine Augen schlossen sich automatisch und ich atmete ein und aus, ich musste es tun, mich auf Mr. Matthew verlassen, auch wenn ich es nicht wollte, Helena war sehr streng gewesen, wenn es um ihn ging. Ich durfte nicht mit ihm reden, es sei denn es waren Befehle, jedoch war ein Danke ebenfalls verboten, ich hatte mich schrecklich gefühlt ihn so behandeln zu müssen. Er verließ das Haus nur, um für uns einzukaufen, doch das Reden blieb ihm verwehrt. Ich hatte mich gefragt, wie man ein solches Leben leben konnte, ein Leben der vollkommenden Stille, ich wollte nicht wissen wie lange er diese Last schon tragen musste. Kaum zu fassen, er kannte mich fast seit meiner Geburt, also knappe zwanzig Jahre, in denen wir zusammen unter einem Dach gelebt hatten, aber dennoch kannten wir uns kaum.
Ich erreichte die Küche, nachdem ich mich sorgsam umgesehen hatte, fast so wie in der verbotenen Zone. Meine Vergleiche waren schlimm, ich war hier, auf der 'perfekten' Seite, auf der ich sicher sein musste, aber warum spürte ich dann die Angst so intensiv in mir, wie noch nie zuvor? Es schien die Angst vor dem Verlust zu sein, aber auch mich selbst erneut zu verlieren, immerhin war ich fast am Ziel gewesen, hatte die innere Freiheit gespürt, doch nun schien sie plötzlich wieder so fern. Ich versuchte meine Gedanken zur Ruhe zu zwingen und öffnete den Kühlschrank, der voller war, als erwartet. Sehnsüchtig suchte ich nach Resten oder zumindest etwas Fertigen, was man gefahrenlos zubereiten konnte, ohne die Küche in Brandt zu setzen, was natürlich alles andere als unauffällig sein würde. So leise wie möglich schob ich die kalt gestellten Zutaten beiseite, um eine größere Sicht zu haben. Etwas Käse, doch für nur ein Brot hatte ich zu großen Hunger. Am besten etwas Großes, was lange satt machte, immerhin kannte ich Helena's Angewohnheit mich ohne Essen in mein Zimmer oder zum Klavier zu schicken. Bei dem Gedanken an das Instrument wurde mir noch kälter, als mir ohnehin schon war, das perfekte Spielen...
»Ms. Price?«, hörte ich Mr. Matthew hinter mir fragen. Ich zuckte vor Schreck so stark zusammen, sodass sogar der Käse, sowie auch die Tomaten den Weg nach unten fanden.
»Warten Sie, ich mache-«
»Nein, schon gut, das ist meine Schuld, nicht Ihre, ich mache das.«, unterbrach ich ihn schnell und sammelte alles wieder ein. Ich betete innerlich, dass Helena und Eric uns nicht gehört hatten, was ziemlich unwahrscheinlich war.
»Was haben Sie gesucht?«, fragte er mich noch immer im Türrahmen stehend. Eine gute Frage, dich ich wusste auch, dass ich ihm vertrauen konnte. Natürlich war ich nie das perfekte Wunschkind gewesen, denn damals glaubte ich an Freya, zeichnete ihr Bilder, jedoch machte Helena und die rasend vor Wut, sie versuchte sie mir wegzunehmen, mir das Malen zu verbieten, doch Mr. Matthew hatte es geschafft viele Bilder zu retten, indem er sie mir abnahm, als die beiden nicht da waren und mir sagte, wo er sie hinlegen würde. Vielleicht war das sogar die Zeit, in der ich angefangen hatte ihn zu mögen, er war ein guter Mensch, hatte sogar versucht mir Essen zu bringen, bis ich gänzlich aufgehört hatte an Freya zu glauben und mir wünschte, dass sie mich verlassen würde.
»Ich hatte Hunger und... ich glaube wir wissen was Helena sagen würde.«, erklärte ich und schloss den Kühlschrank. Hoffentlich sagte er ihr nichts, auch wenn er mir damals geholfen hatte, es war über zehn Jahre her, er konnte sich wie ich verändert haben, was nicht auszuschließen war.
»Mr. und Mrs. Price sind außer Haus, wenn Sie wünschen, könnte ich Ihnen etwas Kochen, sie müssen nichts davon erfahren.« Ich atmete etwas auf, immer noch der Mann von früher, der mir abends das restliche Essen und sogar etwas Schokolade auf mein Zimmer gebracht hatte. Ich musste sogar etwas lächeln, bei den Gedanken an früher, meine Kindheit war gar nicht so schlecht gewesen, mit Freya, die mir zeigte, was es hieß geliebt zu werden, und ihm, der dafür gesorgt hatte, dass es mir an nichts fehlte, auch wenn es nur Essen und Schutz war, es klang nach wenig, doch für ein Kind, welches diese Dinge suchte, war es das größte aller Geschenke.
»Gern, danke, kann ich Ihnen helfen?«, fragte ich aus Höflichkeit, auch wenn ich seine Antwort bereits kannte. Früher, als ich ungefähr fünf war, hatte ich einmal nach dem Abendessen gefragt, ob ich ihm etwas in der Küche helfen könne, doch Helena und Eric hatten mich sofort auf mein Zimmer geschickt und führten später sogar noch extra ein Gespräch mit mir, in dem sie es mir verboten hatten überhaupt noch ein normales Wort mit ihm zu wechseln.
»Nein, wenn sie möchten, bringe ich Ihnen das Essen auf Ihr Zimmer.«, sagte er zu mir. Ich hatte beim Gespräch hinterfragt, wollte eine Antwort auf das Warum, doch die Neugier war nicht perfekt.
»Nein, ich leiste Ihnen etwas Gesellschaft, wenn Sie möchten.«, meinte ich und setzte mich sofort auf das Ecksofa, auf dem Helena gern mit ihren ebenso makellos perfekten Freundinnen redete, absolut grauenvoll, gerade wenn man sich dazusetzen und sich wie immer verstellen musste.
»Wenn es Ihnen lieb ist, dann gern.« Noch nie hatte ich so viele Worte auf einmal mit ihn gewechselt, doch das wollte ich nun endlich ändern. Es musste Gründe für die Verbote geben.
»Wie sind Sie eigentlich in diese Familie gekommen? Ich meine, es gibt durchaus bessere Familien als diese, vor allem werden Sie dort besser behandelt.«, fragte ich ihn, während er ein paar Eier aufschlug und leise seufzte. Ich versuchte in seinen Kopf zu schauen, mir all die Dinge auszumalen. Viele Familien hatten einen Butler, doch kaum einer sprach wirklich mit ihnen, jedoch wurden sie dort nicht so niederträchtig behandelt wie hier.
»Das ist eine lange Geschichte, wirklich lang. Bei meinem Standpunkt, den ich vor unseren Diktatoren vertrete, bleibt einem keine Freiheit. Jedoch bin ich gern hier, auch wenn es nicht gewollt war.«, erklärte er mir lückenhaft. Innerlich versuchte ich die Informationen in einem Puzzle zu ordnen, doch es fehlten zu viele Teile, um ein Bild zu erhalten.
»Was meinen Sie damit? Unsere Diktatoren geben uns doch die Wahl, wo wir arbeiten-«
»Nicht wenn man von der anderen Seite stammt, Ms. Adams.«, unterbrach er mich. Ein kleines Licht gibg mir auf, sie besaßen keine Rechte, jeder, der für uns die niedere Arbeit verrichteten waren gefangene aus den Slum, jeder einzelne, doch was war ihr vergehen? Außerdem wusste er meinen Namen, doch wie konnte er meine Eltern gekannt haben?
»Schickt man die Menschen der anderen Seite nicht lieber in die Labore, als sie ausgerechnet hier her zu bringen?«, fragte ich ihn verwirrt, doch er lachte nur leise, während er ein paar mehr Zutaten in die Schüssel gab.
»Nicht wenn sie Familie haben, mit denen man ihnen drohen kann.«, antwortete er verbittert. Ich empfand Mitleid für ihn, er war nun schon so lange hier, wie konnte er sich also sicher sein, dass seine Familie wirklich noch lebte? Es war ein Teufelskreis, wenn er sich gegen die Scotts wendete, riskierte er den Tod der vielleicht noch lebenden Familie, die höchst wahrscheinlich sogar schon bereits tot war, wie machte man so weiter?
»Sie kennen meine Eltern?«, fragte ich ihn als nächstes, da ich mir vorstellen, dass der Gedanke an seine Familie ihn verletzen musste.
»Ja, William jedoch mehr als Rosaly, sie lernte ich erst später kennen.« Ich biss mir auf die Unterlippe. Er wusste es, die ganze verdammte Zeit, dich was lief hier? Es erschien mir als ein etwas zu großer Zufall, dass der Bekannte oder vielleicht sogar Freund meines Vaters ausgerechnet dort angestellt war, wo ich leben musste.
»Was können Sie mir über ihn erzählen?", fragte ich ihn, wobei er leise auflachte.
»Fragen Sie ruhig direkt, wenn Sie wollen, immerhin sind Sie kein Kind und haben ein Recht diese Dinge zu erfahren. Wir kannten uns schon seit unserer Jugend und als der 'Krieg' so plötzlich ausbrach, war ich hier, auf der falschen Seite. Da man wusste, dass meine Familie auf der anderen Seite lebte, nahm man mich in Gewahrsam, doch Ihr Vater sorgte dafür, dass ich leben durfte, jedoch nicht ganz ohne Hintergedanken. Er wusste, dass man Sie ihrer Mutter genommen hatte und brachte in Erfahrung wo man Sie hinbringen würde. Er redete mit mir, immerhin kannte er die Grausamkeit von Mrs. Price, da sie oft Mrs. Scott besuchte, als er noch für ihre Großeltern arbeitete. Er bat mich ein Auge auf Sie zu werfen und Ihnen bei der Flucht zu helfen, die Sie eines Tages antreten würden, außerdem schickte ich ihm ab und zu Fotos, damit er wusste wie Sie aussehen, da er sich sicher war, dass Sie sich irgendwann begegnen würden.« Ich sah auf meine ineinander verschlungenen Finger, es war so verrückt, dass es schon wieder Sinn ergab... Hatten sie wirklich alles geplant? Meine Flucht von hier war reibungslos verlaufen, noch nicht einmal die Alarmanlage, die Eric abends immer anstellte, damit niemand den Vorgarten betrat, obwohl dies auf dieser Seite unwahrscheinlich war, war an dieser Nacht abgestellt. Es ergab auf einmal alles einen noch größeren Sinn. Mr. Matthew, der versucht hatte mich vor den beiden zu schützen und mir letztendlich bei der Flucht half, mein Vater, der mich zum Tunnel brachte, damit Tia mir meine Mutter zeigte, die wahrscheinlich fast genauso ahnungslos war wie ich. Wie konnte ich nur jemals denken, dass ich allein war? Meine wirklichen Eltern, die mich nur für so kurze Zeit hatten, hatten stets ein Auge auf mich geworfen, auch wenn ich es nicht einmal gemerkt hatte. Meine Mutter... sie war so ahnungslos, nahm mich aber einfach so auf, ob sie es vielleicht doch irgendwie gewusste hatte? Mein Vater, der sein Leben für mich aufs Spiel setzte, obwohl er mich kaum kannte... Ich hätte es wissen müssen.
»Wer ist ihre Familie?«, murmelte ich leise vor mich hin, obwohl ich eigentlich bereits genug Stoff zum Nachdenken hatte. Er seufzte wieder, während er die Masse aus der Schüssel in die Pfanne gab.
»Meine Verlobte, eigentlich wollten wir heiraten, doch unsere Tochter machte uns da einen Strich durch die Rechnung.«, erzählte er mir mir einem kleinen, liebevollen Lächeln auf den Lippen, wobei seine grau blauen Augen funkelten.
»Wie hießen die beiden denn?«, fragte ich ihn, wobei ich mir ebenfalls ein Lächeln abmühte, obwohl mein Kopf zu explodieren schien.
»Maria und Tia Anne Nancyne«
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