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Hey, ich wollte bevor ihr lest noch eine kleine Anmerkung machen. Es wird so sein, dass die Figuren ab und zu mal zu euch sprechen, zwar nicht direkt aber ein paar von euch wird es bestimmt auffallen. Es ist vollkommen gewollt, ihr werdet es am Ende verstehen, versprochen. Außerdem hoffe ich, dass euch das neue Cover gefällt. Aber jetzt viel Spaß beim Lesen! :)

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Ich hatte lange genug Zeit gehabt um mich mit dem Thema Freiheit auseinanderzusetzen. Es gab nicht immer die Mauer, sie wurde erst ein paar Jahre vor unserer Geburt gebaut. Sie sollte als Gefängnis oder gar Lagerplatz dienen, doch ich wich ab. Früher gab es sie, die Freiheit. Zwar wurde sie durch die Gesetze begrenzt, aber jeder Mensch durfte so sein wie er wollte, doch da kamen sie bereits, die 'perfekten' Menschen, die so waren wie alle anderen. Was wenn man ein einzigartiges Hobby hatte? Es war ihnen egal, denn sie sahen es als ihre Aufgabe dies ins Lächerliche zu ziehen und die Person auszugrenzen, denn so war die Menschheit schon immer gewesen. Es war vollkommen egal was man für ein guter Mensch man war, es zählte nur sich der Masse anzupassen und nicht aus der Reihe zu fallen. Madelyn übersah etwas so Offensichtliches, sie war nicht die Masse. Auf Seite der Mauer, in der wir lebten, gab es tausende von Massemenschen, doch genau zwei von ihnen sprangen aus der Rolle, ihre Anführer. Ich konnte mir denken dass sie schreckliche Dinge taten, doch ich wusste nicht genau was. Wieso sonst gab es dann wohl die andere Seite? Miranda und Bryan Scott hatten diese Seite nicht umsonst errichtet.

Ich schloss meine Augen um diese zum Kotzen perfekte Stadt nicht länger sehen zu müssen. Der Mensch war nicht dazu geboren perfekt zu sein, das war langweilig. Jeder hier war gleich, alle waren nett, höflich und besaßen Manieren. Außer Madelyn, ich sprach hier von mir selbst, aber ich fühlte mich nicht so als wären wir eins. Es war so als wären wir zwei verfeindete Seelen in einem Körper, nur dass eine die Oberhand hatte, doch das durfte mich nicht aufhalten. Madelyn konnte nicht so werden wie alle anderen, weil es ihrer Natur nicht entsprach, sie war wie viele andere ein Freidenker und gerade das machte sie so gefährlich. Nur wusste sie es nicht, sie klammerte sich noch an die Perfektion, doch sie würde bald verstehen was diese bedeutete.

Ich wandelte durch die Nacht hindurch. Die belichtete Straße hatte ich dabei längst verlassen. Nicht ein Wort hatte ich mehr mit ihr geredet, da ich hoffte dass sie mich hier nach endlich in Ruhe lassen würde. Aber was wollte sie mir zeigen? Sie hatte mir oft gesagt, dass es Dinge gab von dem keiner hier etwas wusste, doch woher wusste sie dann Bescheid? Ich musste endlich aufhören, ich musste aufhören ständig zu denken. Niemand hier machte sich Sorgen oder gar Gedanken, es war ein freies schönes Leben wenn man sich anpasste. Ich wollte nicht ausgegrenzt werden, also musste ich lernen so zu sein wie alle anderen...

Ich ertappte mich selbst dabei wie ich zweifelnd zu Boden blickte. So zu sein wie alle anderen. Hatte nicht einmal ein Dichter gesagt, dass es die Kunst der Menschen war sich zu unterscheiden? Gut, hier taten es alle irgendwie, zum Beispiel... Was denn? Es gab verschiedene Fähigkeiten, aber diese wurden erst gezeigt wenn sie perfektioniert worden waren, deshalb wusste auch niemand dass ich Klavier spielte. Aber was wenn... Genug davon! Das war doch alles ihre Masche, sie wollte mich genau dazu bringen, aber diese Denkweise war nicht gut. Sie war sogar per Gesetz verboten. "Gehorchet euren Führern, wisset dass ihr beobachtet werdet." Im ersten Moment schien dieses Gesetz verstörend-

'Das ist es auch.', meldete sie sich plötzlich wieder bei mir. Ich beschloss ihr einfach keinerlei Beachtung zu schenken, sie war die Böse in diesem Spiel. Dieses Gesetz war einfach rückzuführen. Vor über zwanzig Jahren gab es einen Krieg, einen furchtbaren Krieg voller Opfer. Unser Land wurde getrennt, da wir es an Miranda und Bryan Scott verloren hatten, doch sie waren im Recht gewesen. Man sagte uns, dass hinter der Mauer die Wunden unseres Kriegs klafften, denn die Natur war zerstört worden. Ich wich jedoch vom eigentlichen Thema ab.

Das Gesetz war simpel, die Führer verlangten von uns die Gehorsamkeit, dafür gaben sie uns mit ihren Soldaten Schutz. Ich hatte mich oft gefragt wovor sie uns schützen wollten, aber ich konnte die Soldaten nicht einfach fragen, vor allem weil viele gar nicht unsere Sprache sprechen konnten.

»Was jetzt?«, fragte ich als ich mich nur noch wenige Meter von der Mauer trennten. Ich war wirklich nervös, was wenn dies bereits als Regelverstoß galt? Ich hatte nie jemanden gekannt, der sich der Mauer auch nur so weit wie nun ich genährt hatte.

'Weil diese Leute geflüchtet oder gestorben sind.', erklärte sie mir in meinen Gedanken. Ich musste zugeben dass mein mulmiges Gefühl im Magen sich bloß noch verstärkt hatte. Was hatte ich dort denn auch gesucht? Ich hatte auf irgendeine Stimme in meinem Kopf gehört und setzte damit mein Leben aufs Spiel, obwohl ich mich besser darauf hätte konzentrieren sollen so zu werden wie alle anderen. Ich durfte es nicht in Frage stellen, denn so musste ich sein. Es war mein Schicksal oder gar meine Bestimmung wie alle anderen perfekt zu sein und mein Leben bis zum Ende zu leben.

»Weißt du was? Das ist mir zu gefährlich, ich möchte mein Leben gern behalten.«, sagte ich ihr leise, doch sie lachte nur auf.

'Das nennst du also Leben? Dir Tag für Tag diese strengen Blicke antun zu müssen? Dich jeden Tag selbst zu verleugnen? Das Klavier zu hassen, obwohl du es auf eine andere Weise liebst? Ich kenne dich Madelyn, du willst dieses Leben nicht so wie es jetzt ist, du würdest es innerlich am liebsten wegschmeißen, auch wenn es dir selbst noch nicht klar ist. Du willst für den Rest deines Lebens von all diesen Menschen unterdrückt werden? Dann geh einfach, dann weiß ich dass der letzte Funken deiner selbst erloschen ist.', antwortete sie mir.

Ich hielt inne, ihre Worte hatten mich getroffen. Hatte sie Recht? Ich spürte manchmal selbst die Wut in mir, wenn Mutter mich aufs Neue ermahnte oder Vater mich dazu zwang zu spielen, doch ich schluckte es hinunter, immer und immer wieder. Ich konnte nicht weiter über solche Dinge nachdenken, denn es verletzte mich so über meine Eltern zu denken, die Menschen die mich groß gezogen hatten. Aber was konnte ein Blick denn schaden? Ein einziger kleiner Blick hinter die Mauer, ich würde höchstens einer Stunde wieder zuhause sein.

»Was jetzt?«, fragte ich sie zweifelnd, wobei sie bereits leise zu seufzen begann. War es eindeutig? Ich musste blind sein, jeder andere hätte vermutlich etwas gesehen.

'Such die Mauer ab, du solltest ein paar Löcher finden, durch die du dann hindurchgehst.', klärte sie mich auf. Ich hoffte nur auf keinen Soldaten zu treffen. Was würden sie wohl mit mir tun? Wir wussten alle dass die andere Seite verboten war, aber wir durften uns der Mauer nähern.

Während ich die Mauer absuchte kamen mir immer mehr Dinge in den Sinn. Ich wusste nicht woran es lag, da ich versuchte meine eigenen Gedanken nicht so weit an mich heranzulassen. Was geschah mit den Menschen, die nicht perfekt waren? Konnte es denn wirklich jeder sein? Es musste doch Ausnahmen geben oder nicht? Wir hatten keine Gefängnisse, da wir angeblich sicher waren. Aber warum begann ich dann zu zweifeln? Wieso war ich nicht wie jeder anderer, der sein Leben einfach zu Ende lebte und sich keinerlei Gedanken über irgendetwas machte? Ich wollte doch nur perfekt sein.

'Das ist Wunschdenken, denn du bist nicht wie die, dass wirst du auch niemals sein.', redete sie wieder mit mir.

»Wie meinst du das?«, fragte ich sie und fasste sofort ins Leere. Ein Loch! Endlich hatte es ein Ende.

'Mein Wissen ist begrenzt, aber du wirst es bald verstehen, jetzt geh und lauf so schnell du kannst wenn du drüben bist.' Ich zog noch einmal scharf die Luft ein bevor ich hindurchschlüpfte. Warum sollte ich laufen? Sie konnte mich doch nicht direkt in die Gefahr locken, das wäre lebensmüde. Wenn ich starb, war sie ebenfalls tot. Der Gedanke an den Tod ließ in mir die nackte Panik aufkommen. Ich war nicht bereit, ich konnte nicht sterben.

'Dann lauf!', rief sie mir ins Gewissen, da ich bereits auf die andere Seite gekrochen war. Das ließ kein zweites Mal sagen, also rannte ich so schnell los wie ich nur konnte. Ich wünschte mir nun umso mehr ein paar flache Schuhe, doch dies war für Frauen nicht perfekt. Es betonte nicht genug.

Ich konnte gar nicht sagen wie es sich anfühlte. Tat ich denn etwas Verbotenes? Ich spürte ein komisches Gefühl tief in mir drin. Es fühlte sich fantastisch an, doch was war es? Je mehr ich mich von der Mauer entfernte, desto stärker wurde es. War das Freiheit? Ich war auf meiner Seit doch auch frei... Nein, das war ich nicht, das war ich nie. Allein mein Aussehen verriet dies. Frauen trugen langes Haar, da es feminin war, außerdem trugen wir Kleider, Röcke und Blusen, hinzu kamen dann noch die hohen Schuhe. Niemand hatte die jemals bestimmt, jedoch hatte es unsere Gesellschaft genauso festgelegt.

Ich spürte den freien Lauf meiner Gedanken, die sich immer mehr verstärkten. Ich hatte einerseits Angst vor ihnen, aber andererseits konnte ich die angestaute Wut in mir fühlen. Die Wut darauf stets einem Abbild zu entsprechen, welches die Gesellschaft uns vorschrieb, da wir sonst nicht dazugehörten. Aber wer hatte sich das denn ausgedacht? Wer hatte gesagt wie Männer und Frauen auszusehen hatten? Es war aus der Gesellschaft heraus entstanden, aber irgendwer musste doch angefangen haben oder nicht?

Ich beobachtete ihre Gedankengänge mit einem freudigen Lächeln. Endlich begann sie zu hinterfragen und auf die Hintergründe zu kommen. Es war auch Zeit. Ich versuchte sie schon seit unserem achtzehnten Lebensjahr hier rüber zuziehen, vorher war sie nicht bereit für dieses Abbild. Ich fragte mich nur wann wir endlich an unser Ziel gelangten, denn ich erinnerte mich nur noch dunkel an den Weg von damals. Doch es war egal, denn unser Herz würde uns leiten, uns beide. Sie kannte die anderen Gesetze noch nicht, deswegen musste sie schnell weg von der Mauer, da es hier nicht gestattet war sich ihr zu nähern. Ich hatte überlegt ihr zu raten sich etwas anderes anzuziehen, doch sie würde ohnehin auffallen. Ich hoffte nur dass die Nacht uns schützte und nur noch die Wenigstens den Weg nach draußen gefunden hatten.

Keuchend verlangsamte ich meine Schritte. Es hatte sich angefühlt als wäre ich schon Stunden gerannt, doch rein gar nichts war in Aussicht gewesen. Ich lehnte mich erschöpft gegen einen der Bäume, denn allmählich fing ich an zu glauben, dass das Alles nur ein einziger Witz gewesen war, um mich zu testen. Was wenn hier draußen gar nichts war und man mich bei meiner Rückkehr umbringen würde? Vielleicht war das hier ein Loyalitätstest gegenüber unserer Herrscher, den ich nicht richtig ausgeführt hatte. Aber wieso sollten sie sich um mich scheren? Ich war nur eine Bewohnerin und diente zu nicht mehr als die Erhaltung der Art. Ich war nur die Tochter eines Politikers, die eigentlich kaum existierte, da sie sich nicht wie andere zwanzig jährige auf Feiern betrank. Es war lange nicht mehr so schlimm wie damals, aber ich hielt diese laute Musik, die vielen Menschen und die stickige Luft einfach nicht aus.

Ich hatte keine Freunde, jedoch nicht weil ich vielleicht unsympathisch war, denn ich tat es bewusst, da ich mich einfach nicht so fühlte wie andere. Ich fühlte mich komisch, aber war das schlimm? Jeder auf meiner Seite der Mauer hatte alles. Man war erfolgreich, hatte viele Freunde, gesund und intelligent. Genau das was man nun mal brauchte. Doch wieso war ich dann nicht so? Man hätte meinen sollen, dass ich schon in der Schule ein Einzelgänger gewesen war, doch ich hatte private Lehrer gehabt. Jeder hätte sich mein Leben gewünscht, das Leben der Tochter eines reichen Politikers, die einfach alles geschenkt bekam, doch ich fand ermüdend und würde es gegen alles eintauschen.

'Du musst weiter, du bist fast am Ziel.', sprach sie auf einmal und holte mich aus meinen Überlegungen, die nur mal wieder zeigten, dass ich niemals perfekt werden würde, doch ich durfte nicht aufgeben, ansonsten würde ich nicht in die Gesellschaft gehören und gerade das war so wichtig.

»Das ist doch alles ein riesen Witz.«, murmelte ich und rieb mir über mein Gesicht.

'Bitte Madelyn glaube mir nur ein einziges Mal. Wieso sollte ich dich belügen? Wenn du stirbst, dann sterbe ich mit dir.', redete sie weiter auf mich ein. Ich zog scharf die Luft ein. Sie hatte ja Recht.

»Also gut, ich werde gehen.«, sagte ich entschlossen und stapfte weiter durch die scheinbar endlose Dunkelheit.

Nicht mehr weit, dann erfuhr sie die Wahrheit. Es gab keine Perfektion ohne Leid, doch dies würde sie erst glauben wenn sie es mit eigenen Augen sah. Die Menschen auf der anderen Seite dachten alle ihre Gesundheit käme einfach so, doch dies geschah nicht ohne das Leiden anderer, die zu gefährlich für die perfekte Gesellschaft waren, da sie etwas besaßen was den anderen genommen worden war, nämlich ihr Inneres. Doch ich hatte nicht aufgegeben, manchmal war ich ruhig gewesen, doch niemals still. Madelyn war einzigartig, sie scheiterte nicht umsonst an der Perfektion. Selbst wenn es mich nie gegeben hätte wäre sie so, denn sie gehörte nie auf diese Seite. Sie flehte beinahe endlich laut schreien zu dürfen, da sie die Perfektion fast noch mehr hasste als ich, doch das musste ihr erst einmal klar werden.

Ich beschaute das Leid, welches sich nur wenige Meter von mir entfernt war, mit Furcht in den Augen an. Ich hatte es erreicht, das wovon sie die ganze Zeit gesprochen hatte, denn nun lag es auf einmal direkt vor mir. War das das Leiden?

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