16
»Wie war das nochmal?«, fragte er verwirrt. Ich musste mir das Augendrehen unterdrücken, da wir schon seit mittlerweile zwei Stunden übten, aber gerade ich sollte mich über so etwas nicht aufregen, da ich auch für einige Dinge viel Zeit benötigt hatte, wobei Helena gern mal durchgedreht war. Es wäre schwierig mir die Perfektion zu lehren, sagte sie dabei immer. Ich hatte mich so lange ich zurück denken konnte immer wieder gefragt, wer ich wirklich war, sollte es mein Schicksal sein das Leben eines anderen zu leben? Ich hatte tief in meinem Innern Angst davor, dass all diese Fragen irgendwann verblassen würden und ich zu der perfekten Hülle wurde, die alle in mir sehen wollten. Natürlich hatte ich die Fragen unterdrückt, sie immer wieder verbannt, da Neugier keine gute Tugend war, die eine junge Frau besitzen sollte, doch sie hatten sich immer wieder ihren Weg gebahnt, wofür ich nun dankbar war.
Ich stellte mich vor ihn und hielt den erwünschten Abstand, während er seine feste, aber zugleich sanften Hand auf meine Taille legte, um mich zu führen, meine platzierte ich wie zuvor auf seine Schulter. Tanzen konnte Spaß machen, doch dieser tat es nicht, für mich war es ständiges Abzählen, gerade wegen der verwirrenden Takte. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs und Tipp, es klang leichter als es war, aber gerade wenn man ein Instrument spielte, schien es für einen selbst schwerer.
»Du fängst an.«, sagte ich leise zu ihm, doch sein Blick war wie immer auf unsere Füße gerichtet. Ich wollte es besser machen als Helena, welche dies immer als einen großen Fehler gesehen hatte und ihr genau das wahrscheinlich die Erlaubnis gegeben haben musste mich anzumeckern. Vielleicht hatte ich gar nicht den Tanz, sondern ihre Stimme gehasst, aber gerade das gab mir den Reiz es besser zu machen. Ich legte meinen Zeigefinger unter sein Kinn und zwang ihn durch sanftes Anheben mich anzusehen, so wie es 'perfekt' war, obwohl genau dies vielleicht gar nicht so schlimm war.
»Besser«, sagte ich leise und schenkte ihm mein Lächeln. Der Anzug stand ihm, obwohl ich es mir zuvor nicht wirklich vorstellen konnte, er sah wirklich komisch aus, nicht mehr so wie ich ihn kannte. Viel zu formell, gar spießerisch, obwohl man zu einigen Anlässen so gekleidet sein sollte, doch sie verloren ihre Wirkung, wenn jeder Mann sie durchgängig trug.
»Wozu überhaupt der Mist? Ich hatte nicht vor mir eine zu angeln.«, versuchte er einen Scherz zu machen, um wahrscheinlich von der Tatsache abzulenken, dass er diesen Tanz genauso sehr hasst wie ich. Er war zu schwer, wenn man ein Anfänger war, doch man lernte ihn meistens schon wenn man klein war, damit die Kinder schneller erwachsen wurden. Ich hatte Bücher gelesen, Bücher über unsere Geschichte, wie sich die Gesellschaft formte. Es war lange her gewesen, doch man erkannte auch schon damals wie sehr sich jeder bemühte anderen zu gefallen, damit man nicht ausgeschlossen oder ausgelacht wurde. Ein Trauerspiel, wie ich fand, welche einzigartigen, gar wundervollen Gaben waren durch diese Dinge nur verloren gegangen?
»Ich bezweifle auch, dass du eine mit diesen Tanzkünsten imponieren kannst, außerdem bist du verlobt.«, erwiderte ich, wobei er leise lachen musste. Wahrscheinlich lag dies an dem Wort imponieren, es wurde hier oft benutzt, ich versuchte mir den alten Wortschatz irgendwie wieder einzuprägen. Es musste funktionieren, wenn nicht war es unser sicherer Tod und ich wollte nur ungern dem Labor einen Besuch abstatten.
»Ach ja, ihr habt ja hier keine Affären, wäre auch zu lustig gewesen, aber einen Ehekrieg ist glaube ich das Letzte, was wir heute brauchen. Sonst wäre ich einverstanden, so lange auch ordentlich was zerstört wird.« Eine interessante Vorstellung, fast wie in den alten Filmen, die ich mir gern angesehen hatte. Ich dachte an den Ball, wir hatten gestern Vieles geplant, es hatten sich zwei Möglichkeiten offenbart.
Die eine war Gift, welches wir in deine Glas schütten konnten, beide von uns trugen dies natürlich mit sich. Die zweite war auffällig, weshalb ich darauf hoffte sie nicht anwenden zu müssen, Jayden wollte eine Waffe hinein schmuggeln, da man es dort mit der Sicherheit nicht wirklich Ernst nahm. Wozu auch? Es war die perfekte Gesellschaft, die ihren Diktatoren bedingungslose Liebe und Zugehörigkeit erwies, egal was diese ihnen auch antaten. Verblendung, Leute wie Helena sahen sie wie Götter, da sie all das Leid verbannt zu haben schienen, doch wie konnte jemand wie sie, die in jedem Fall von der anderen Seite wusste, diesen Menschen immer noch Folge leisten wollen? Das grenzte Grausamkeit. Ich konnte nicht so werden wie sie, ich musste die Menschlichkeit, die mir bis zu diesem Moment geblieben war, in jedem Fall behalten.
»Langsam geht es, glaube ich.«, riss Jayden mich murmelnd aus meinen Überlegungen. Er schien Recht zu haben, immerhin war es mir schon lange nicht mehr auf den Fuß getreten. Ich sah schnell an ihm vorbei, um an der Wanduhr die Zeit bis zum Ball abzulesen.
»Wir haben noch knappe zwei Stunden, hast du noch Fragen?«, erwiderte ich und überlegte dabei was ich mit meinem Aussehen anfangen sollte. Ein paar Locken, die ich dann hochstecken würde, konnten nicht schaden, immerhin sah beinahe jeder dort so aus. Etwas Spezielles würde mich nur abheben, was genau das Gegenteil unser eigentlichen Aufgabe bewirken würde.
»Nein, ich denke nicht, Mrs. Meyer.«, grinste er und zog mich etwas näher an sich. Er wollte wirklich spielen. Ich seufzte leise aus, vielleicht hatte er Recht, etwas Spaß konnte nicht schaden, außerdem hatten wir noch mehr als genug Zeit.
»Vielleicht sollten sie die körperliche Nähe noch einmal bedenken, Mr. Meyer.«, versuchte ich so ernst wie nur möglich zu sagen, wobei ich sogar spüren konnte wie sehr Freya vor Wut kochte. Mir war langsam klar geworden, dass sie ihn wirklich hasste, ich fragte mich nur weshalb, immerhin hatte sie mir schon oft genug gesagt, dass man Leute nicht nach ihrem Äußeren beurteilen durfte. Sie begann sich allmählich zu widersprechen.
'Tu ich nicht, es gibt nun mal Menschen, die man auf Anhieb nicht mag und er ist einer davon.', verteidigte sie sich sofort. Ich musste mich kontrollieren nicht sofort in lautes Gelächter auszubrechen, denn so hatte ich sie ganz sicher noch nie erlebt. Sonst wirkte sie so weise, gar allwissend, doch nun eher wie ein kleines Kind, welches seinen Willen nicht bekam.
»Wenn ich mich recht entsinne, geben einem Verlobungen Sonderrechte.« Ich schloss für einen Moment meine müden Augen, versuchte all die Gedanken beiseite zu schieben, um mich auf den Moment zu konzentrieren. Ich war ängstlich, aber stimmte das denn überhaupt? Man konnte nicht einmal sagen, dass ich mich fürchtete, sich Sorgen machen beschrieb es eher. Das letzte Mal, als ich auf dieser Seite war, hatte ich ein Gespräch mit Miranda geführt, unwichtiger Säugling hatte ich gesagt, wie naiv. Ich hatte noch nie über unsere Worte nachgedacht, doch meine Gedanken schwiffen immer ferner ab. Mein Vater hatte sie gebeten mich am Leben zu lassen, ich hatte nicht verstanden weshalb er mir geholfen hatte, doch nun waren diese Dinge klar. Geheimnisse und Lügen, doch scheinbar schien das öffnentliche Leben nur daraus zu existieren.
»In etwa, wenn man verheiratet ist, erwarten alle, dass man Kinder bekommt, die dann zu goldigen Dreckskindern erzieht, die am Ende so sind wie alle anderen.«, murmelte ich leise vor mich hin, wobei sich sein Mund öffnete, man jedoch auch ein dickes Grinsen erkennen konnte. Was hatte er denn? Ich hatte doch Recht gehabt, Kinder sollten im Dreck spielen und sich nicht wie kleine Erwachsene benehmen. Damals hatte ich mich als Kind typisch für mein Alter benommen, Vieles hinterfragt, Dinge gemalt, die hinter der Mauer sein konnten, man sagte mir stets, dass ich dies unterlassen sollte, doch zu dieser Zeit hatte Freya wirklich fest in meinem Kopf gesessen und wenn ich ehrlich war, hatte ich sie sogar beinahe als Vorbild gesehen.
Eine wirklich schöne Zeit, sie konnte gerade laufen und sprechen, ihre Neugier war unermesslich gewesen. Ich musste ihr oft sagen, dass ich sie durchaus verstand, auch wenn sie nicht deutlich mit mir gesprochen hatte. Helena und Eric hatten sie oft gefragt mit wem sie sprach und wie Kinder nun mal waren, hatte sie die Wahrheit gesagt. Es war eine komische Zeit, je mehr man ihr zeigte wie ein perfekter Mensch sein musste, desto weniger sprach sie mit mir, obwohl unser Riss schon dort fast geheilt war. Ich erinnerte mich gern zurück an die Zeit, in der ich mich noch bemühen musste ihr nicht alles zu sagen, sie hätte all diese Zusammenhänge nicht begriffen. Stets hatte sie diese Bilder gemalt, um mich zu erraten was hinter der Mauer lauerte, wobei die Einflüsse der Politik erst nach und nach ihre Wirkung zeigten. Ich erinnerte mich noch genau an ihr erstes Bild, sie hatte mir verboten hinzusehen, solange es nicht fertig war, dich als ich es dann endlich sehen durfte, musste ich bei ihrer kindlichen Fantasie wirklich schmunzeln. In ihren Vorstellungen gab es Regenbögen, einen riesigen See und eine Sonne, die wohl jeden Tag schien, wie sie meinte, außerdem war der Schnee warm, sodass sie selbst im Winter ohne Probleme in ihrem Kleid draußen spielen konnte. Dann kam sie, das Monster der Perfektion, welche ihre volle Wirkung zeigte, beinahe wie ein Tumor, der sich langsam im Körper ausbreitete und sich dem Gehirn näherte, um einem alles zu nehmen, was man war.
»Echt komisch solche Wörter aus deinem Mund zu hören.«, lachte er leise, wobei ich grinsen musste. Es war mir einfach so ausgerutscht, aber es war immerhin die Wahrheit. Ich grauste mich jetzt schon vor den erwachsenen Kindern, denen ich auf dem Ball begegnen würde, vielleicht war dies auch einer der Gründe, weshalb ich seit gestern kaum etwas mit Liebe zu tun haben wollte, obwohl sie wirklich etwas Wundervoll sein konnte, wie sich mir bestätigt hatte. Auf dieser Seit war es anders, die Wenigen, die sich wirklich verliebten, wurden si schnell es ging verheiratet, um Kinder zu kriegen, die darin geübt waren perfekt zu sein, es hörte sich schwerer an, als es war.
»Es ist doch die Wahrheit, sei ehrlich, haben deine Eltern dich nie angemeckert, wenn zu neugierig warst, was die Sache hinter der Mauer betraf?", fragte ich ihn. Erneut ein Lachen, wobei er den Kontakt zu meinen Augen aufnahm.
»Nein, ich wusste es, doch das war einer der Gründe für die Verbannung meiner Familie.« Seine Eltern wussten es? Sein Vater musste wie Eric ein hohes Tier gewesen sein, doch es bestand die Schweigepflicht.
»Wieso wurdet ihr verbannt?«, hackte ich neugierig nach. Er hatte mich, wie gebannt schien ich an seinen Lippen zu hängen, wobei ich scheinbar nicht gemerkt hatte, wie er mir die braune Strähne, die aus meinem strengen Dutt gefallen war, hinter mein Ohr strich.
»Offiziell war es Hetzerei gegen die Diktatoren, in Wahrheit hat mein Vater sich in die Öffentlichkeit gestellt und dort versucht die Wahrheit über das Leben hier ans Licht zu bringen, wie du dir denken kannst, haben die Soldaten ihn sofort abgeführt, wie auch meine Mutter, immerhin wusste sie es. Mich hatten sie nicht im Verdacht, ich war noch zu klein.« Ich fing merkwürdiger Weise an seinen Vater zu mögen. Ich hatte nichts von all dem gehört, doch ich musste zu diesem Zeitpunkt noch zu jung gewesen sein, außerdem wurden solche Dinge wirklich gern verschleiert, da sie nicht perfekt waren und zu viele Informationen die Bürger erreichen würden. Ein Ruhm, der auf Lügen aufgebaut war, aber würden ein paar Stöße reichen, um diesen Turm zu Einsturz zu bringen?
»Was dann? Wie haben sie es geschafft dich mitzunehmen?«, fragte ich schnell und bemerkte wie klein der Abstand zwischen uns geworden war, doch ich dachte nicht einmal daran ihn wieder herzustellen, auch wenn Freya dies höchst wahrscheinlich erzwingen wollte, denn sie war dieser kleine Teil in mir, der ihm einen solchen Hass entgegen brachte.
»William, er war laut meinem Vater noch nie der treueste Soldat gewesen, aber er hat ja seine Gründe. Die beiden kannten sich soweit ich weiß schon länger.« Interessant, ich wusste nicht allzu viel über ihn, doch dafür konnte ich kaum etwas, er war hier, im Käfig. Aber warum ging er nicht einfach? Er kannte den Tunnel und meine Mutter würde ihn ohnehin wieder bei sich aufnehmen, immerhin wollten die beiden sich nie trennen.
»Nein, das ist er wirklich nicht, ein Wunder, dass er überhaupt noch lebt, wenn du mich fragst. Wer sind deine Eltern?« Es war wirklich komisch ihn in einer solchen Situation so mit den Fragen nahezu zu überhäufen, doch es war nötig. Jahrelang hatte ich auf meine Antworten verzichten müssen, doch jetzt reichte es.
»Das ist ziemlich egal, aber stehst du nicht auf Rätsel?«, witzelte er und legte seine Stirn an meine, wobei ich das wohlige Kribbeln im Bauch wieder spürte. Meine Lippen hatten sich zu einem Lächeln verzogen, er antwortete absichtlich nicht, da er wusste, dass es mich in Aufruhr versetzte etwas nicht zu wissen. Ich versuchte es wie früher zu unterdrücken, mir einzureden, dass es unwichtig war und mir neue Gedanken zu suchen.
'Unterstehe dich', hörte ich Freya auf einmal wieder reden. Ich rätselte zunächst was sie wohl meinen musste, doch dann kam mir ihr Hass zu Jayden wieder in die Sinne, doch sie musste sich damit abfinden, immerhin war sie diejenige gewesen, dir mir stets gesagt hatte wie man richt lebte, was in meiner Meinung immer noch unlogisch war, da ohnehin jeder eine andere Auffassung von Leben hatte, was auch auch genau richtig war, doch die Gesellschaft auf dieser Seite zerstörte diese Auffassungen.
»Nein, eher auf Antworten.«, sagte ich leise und strich ihm über den Hals, wobei er seine Stirn sanft an meine legte. Ich konnte ihre Wut tief in mir deutlich spüren, wie sie nahezu wie Feuer loderte. Natürlich tat ich all dies, um sie wütend zu machen, aber auch aus eigenem Willen. Ich mochte ihn, sehr sogar, vielleicht war ich sogar verliebt, aber wer wusste das schon? Es war komisch, so viele Menschen verwechselten ein simple Schwärmerei sofort mit Liebe, dabei war diese um Einiges komplexer. Ja, gerade ich, das Kind, welches außer Perfektion nicht mehr bekommen hatte, bildete sich ein über so etwas Ahnung zu haben, doch war es nicht so? Ich hatte lange Zeit gehabt, um all diese Dinge mit Gewissheit festzustellen und wusste, dass Liebesgeständnisse oft nicht durchdacht waren.
»Wir haben noch Zeit.«, bemerkte er. Ein kleines Lächeln wich über meine Lippen, Zeit, so vielseitig. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, damit wir auf ungefähr einer Höhe waren. Eine Schwärmerei, mehr war es nicht, sehr viel mehr hatte ich auch noch nie empfunden. Meine Lippen legten sich auf seine, es war nicht perfekt, doch dafür war es mein Wille.
Meine Zähne mahlten aufeinander, wie sehr ich mir in diesem einen Moment doch ihre zwanghafte Perfektion zurückgewünscht hätte. Wie er ihr mit seinen schmierigen Fingern die Bluse aufknöpfte, einfach unvorstellbar. Ich wollte mich einmischen, die Kontrolle übernehmen, doch etwas hielt mich zurück, ich musste aufhören mich ständig einmischen zu wollen, es war ihr Leben. Ich war nicht mehr als eine Stütze, die ihr hin und wieder zur Seite stand.
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Ähm ja, ich wollte nochmal fragen wer bei der Verlosung mitmacht, damit ich es in etwa einplanen kann ;)
Und zum Schluss: Danke erstmal für eure krasse Unterstützung bei dem Buch, es freut mich echt, dass es euch so sehr gefällt. Deswegen wollte ich auch mal fragen, ob ich ein Special Kapitel machen soll, wo Randinfos über die Personen usw. sind, ach ja und wenn ihr wollt könnt ihr hier auch direkt Fragen an die Charaktere, sowie an mich (bitte keine Alterfragen, ich bin, wie auf meinem Profil sogar steht, am 19. März 1999 geboren und nach der tausendsten Frage fängt es dezent an zu nerven :'D) stellen. Viel Spaß euch noch :)
Ps.: Ich hoffe das neue Cover gefällt euch :)
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