15
Ein Blick in den zersprungenen Spiegel, stimmte es so? Die braunen Haare hochgesteckt, so sorgsam, dass nicht Strähne herausfiel. Mein Gesicht, es war nicht mehr meins, ich sah einer vollkommen Fremden in die Augen, welche ich Tage zuvor eigentlich schon gesehen hatte. Sollte das wirklich perfekt sein? Perfektion ausstrahlen, aber was bedeutete es genau? Diese Frage hatte ich mir noch nie wirklich gestellt, sei es aus Angst vor der Neugier oder gar Verleugnung vor mir selbst. Perfektion bedeutete auf der anderen Seite so viel wie gleich sein, sich nicht abschatten, die grausamen Sitten zu akzeptieren und sich selbst zu verleugnen, damit man weiterhin ein Teil dieser gestörten Gesellschaft sein konnte, obwohl diese anscheinend nur darin bestand einander zu schaden. Natürlich, dieser Gedanke war verwirrend, doch es würden sich später Beispiele zeigen, um diese Annahmen zu belegen. Ich fuhr über mein Gesicht, welches durch das viele Make Up makellos schien, doch der Schein trügte. Ich besaß rote Wangen, die mir damals zeigten, dass ich noch immer lebte, ein Mensch war, obwohl meine Wünsche so fern waren. Ja, ich hatte Wünsche, wollte die Welt sehen wie sie wirklich war, auch wenn ich die Lügen der Scotts meinen Glauben schenkte, neue Dinge lernen, mich entfalten, endlich wirklich lieben... die Sterne ergreifen, auch wenn diese so fern schienen, sodass ich sie aus den Augen verloren hatte. Doch was war nun? Ich sah sie, hell erleuchtet, lodernder als jemals zu vor. Stets hatte ich geglaubt, dass sich die Welt vor mir versteckt hatte, dabei war es genau anders herum, ich hatte mich vor ihr versteckt, genau wie alle anderen meine Augen verschlossen.
»Bist du fertig?«, riss mich Jayden hinaus aus meinen Überlegungen. Ich wandte meinen Blick von dem leichenblassen Etwas im Spiegel ab, um zu sehen, was er aus sich gemacht hatte. Der Anblick war ungewohnt, ziemlich gewöhnungsbedürftig sogar, obwohl ich den Anblick von Männern in Anzügen gewohnt war, sodass diese kaum noch besonders waren. Doch er sah nicht mehr aus wie ich ihn kannte, sondern wie einer der Männer, die mir Helena ohne Weiteres vorstellen würde.
»Du kannst Krawatten binden?«, fragte ich ironisch und kannte bereits die Antwort.
»Natürlich, ich kann auch kochen wie ein Profi und dir eine Villa an einem Tag bauen.« Ich musste gar nicht erst fragen, um zu wissen, dass es das Werk meiner Mutter war. Eigentlich war es sogar lustig, am liebsten hätte ich gesehen, wie er verzweifelt versucht hatte den Knoten zu binden.
»Weißt du noch wie man sich anspricht?«, fragte ich ihn, da wir am Abend zuvor zu müde waren, um die Manieren durchzugehen, die man auf so einer Feier an den Tag legen sollte, um nicht aufzufallen. Ich hoffte inständig, dass er ja sagen würde, denn schließlich brauchten ich die Zeit im Hotel, um ihm den typischen Tanz zu zeigen, da er diesen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit brauchen würde.
»Sehr höflich, als ob man sich in den Arsch kriechen will, aber nicht im guten Sinn. Glaub mir, ich hatte meine Probleme damit. Eigentlich wollte ich dir sagen, dass es losgeht.«, grinste er etwas, um ehrlich zu sein stimmt seine überspitzte Erläuterung sogar. Man siezte sich und übertrieb es maßlos mit der vornehmen Aussprache, gerade auf solchen Feier. Auf der Straße fiel dies, wie ich selber fand, nicht wirklich auf, man siezte sich zwar, aber verständigte sich mit halbwegs alltäglichen Wörtern, die nicht unbedingt zur Verwirrung dienen sollten. Ich warf noch einen letzten Blick in den Spiegel, gerade auf meine linke Augenbraue, da ich die Narbe übermalen musste, gerade weil sie meine Braue leicht teilte und somit ein paar Härchen fehlten, die wahrscheinlich nicht mehr nach wachsen würden.
»Wer fährt uns?«, fragte ich, während meine Hand die kleine Tasche umfasste. Ich versuchte mich wieder an die hohen Schuhe, sowie auch den Rock, welche ich mir von meiner Mutter geliehen hatte, zu gewöhnen.
»Ein paar Bekannte von William, sie haben bereits alles geklärt und den Soldaten an der Mauer irgendwelche Lügen erzählt.«, erklärte er, wobei ich so elegant wie möglich mit ihm die Treppen hinunter stieg. Ich fragte mich wirklich wieso man sich so etwas derartiges freiwillig antat, gerade jetzt, wo ich allmählich immer mehr Klarheit erfuhr. Man nennte diese Seite der Mauer Slum, behandelte sie minderwertig, wollte sie am liebsten tot sehen, doch dabei sahen sie nicht die Wahrheit. Man konnte fast meinen, dass die Menschen auf der anderen Seite psychisch krank waren, komplett benommen von ihrer falschen Perfektion, sodass sie sich selbst verloren hatten. Ich nahm mich von all diesen Dingen nicht aus, aber diese Seite, sie war wirklich perfekt, auch wenn dieses Wort falsch war, stimmte es gleichzeitig. Ich wusste nicht wer ich war, nicht wer ich werden sollte, aber jeder hier schien es zu wissen, jedoch nicht weil es ihnen gesagt wurde, es war ihr Gefühl.
»Ich will ja nicht sagen, dass ihr wie diese Puppenpaare aussieht, die man seiner hochnäsigen Tochter schenkt, damit sie endlich die Klappe hält, aber-«
»Ja, ja, eines Tages breche ich bei dir ein und male dich genauso an, dann kannst du dich uns anschließen.«, unterbrach ich Tia mitten in ihrem Witz, doch diese begann nur zu lachen und sah zu meiner Mutter. Wahrscheinlich sah sie die Sache nicht so leicht, aber das tat ich auch nicht. Es war gefährlich, natürlich waren auf dem Ball wenige Soldaten, da man sich vertraute, aber das hieß nicht, dass Bryan weniger beschützt wurde.
»Da bekommt ja jemand richtig Haare auf den Zähnen, steht dir sogar mehr als dieses kleine Mädchen, wenn ich ehrlich bin.«, gab sie schulterzuckend zurück. Ich versuchte dies als Kompliment aufzufassen, was es eigentlich auch war, aber ein kleiner Teil bereute es sie so unterbrochen zu haben, da er es als unhöflich empfand. Es war fast wie ein Virus, er verschwand nach und nach, jedoch wollte der letzte Teil davon einfach bleiben und verschwand erst nach einiger Zeit.
»Genug davon, euer Fahrer wartet, ihr werdet morgen Nacht um zwei Uhr wieder zurück gefahren und-«
»Wieso nicht um zwölf? Das wäre einfach perfekt... die Uhr schlägt zwölf, Lynn und Jay haben gerade den Wichser umgelegt und verlieren dann jeweils einen Schuh-«
»Tia, wir müssen professionell vorgehen.«, unterbracht meine Mutter sie, doch man musste sagen, dass eine wirklich ausgeprägte Fantasie besaß, für die man sie einfach lieben musste. Ich raffte meine Schultern, versuchte meine alte Maske zu finden und erneut aufzusetzen, mich selbst zu verschleiern. Ich wollte es nicht, schließlich begann ich mich allmählich wirklich zu kennen, zu wissen wozu ich fähig war.
»Denk an deine Haltung.«, wies ich Jayden an, als wir im Auto saßen. Der Fahrer hatte kein Wort zu uns gesprochen, ein prüfender Blick in den Rückspiegel hatte ihm wohl genügt. Ich sah auf meine linken Ringfinger, der von einem silbernen Verlobungsring verziert wurde. Meine Mutter gab ihn mir, doch ich wusste schon ohne das sie es mir sagte, dass er von meinem Vater stammte. Der Diamant in der Mitte war klein, nicht sehr protzig, dich gerade das gefiel mir so sehr daran. Der Ring von Helena war ungefähr so groß wie der Nagel meines kleinen Fingers und golden, er musste einem einfach ins Auge fallen und wenn nicht, sorgte sie schon dafür.
»Warum diese Verlobungssache? Ich hatte gedacht, dass Verheiratete in Ruhe gelassen werden.«, fragte er mich und legte dabei einen eisernen Blick auf, da wir uns der Mauer langsam nährten. Langsam bekam ich wirklich ein mulmiges Gefühl im Magen, die Soldaten würden uns ansehen und dann nachsehen, ob wir auf der Passierliste standen.
»Nicht direkt, es wird nach Kindern gefragt, wir könnten keine vorweisen, da man diese immer mitnimmt. Sie würden uns den ganzen Abend nicht in Ruhe lassen. Eine Verlobung hingegen ist einfach, man sagt wann die Hochzeit ist und dass alles ein großes Geheimnis bleibt, Kinder vor der Ehe wären nicht perfekt.«, erklärte ich ihm, in der Hoffnung er würde es verstehen, aber eigentlich war es gar nicht so komplex, wie es schien. Natürlich gab es oft Unfälle, Kinder kamen vor der Ehe auf die Welt, doch diese wurden oft versteckt, bis das Paar so schnell wie möglich verheiratet wurde. Es klang in meinen Ohren grausam, denn jeder begann doch Fehler. Man konnte ein Kind auch getrennt erziehen, aber man würde natürlich in das wachsame Auge der perfekten Gesellschaft fallen.
'Sie sagen ständig sie wären perfekt, aber warum trinken dann so viele junge Leute Alkohol auf Feiern?', meldete sich Freya zu Wort. Ich musste zugeben, dass ich mich bei dem Klang ihrer Stimme in meinem Kopf leicht erschrocken hatte, sie sprach in letzter Zeit kaum mit mir, wollte sie etwa nicht? Ihre Frage war aber leicht zu beantworten, man wollte Leute kennenlernen. Es schien so simple wie bereits vor Jahrhunderten, doch nun war es etwas anders, viele gingen Feiern, um jemanden zu finden, den sie ihren Eltern vorschlagen konnten, man betrank sich dabei, um mutiger zu werden. Es war nicht mehr viel Liebe im Spiel, man sah sich, brachte Dinge in Erfahrung und entschied sich.
Der Wagen kam zum Stehen, wir waren da, noch nie zuvor war ich am Eingang oder hatte gar von seiner Existenz gewusst, aber woher auch? Wir alle hatten gedacht, dass es hinter der Mauer gefährlich wäre, radioaktive Strahlung oder gar Schlimmeres. Ich warf einen Blick zu Jayden hinüber, etwas stimmte nicht, wir waren nicht glaubhaft genug. Ich konnte bereits durch das Fenster die freundliche Mine des Soldaten erkennen, der sich uns näherte. Ja, er schien nett, aber das hatte nichts damit zu tun, dass er dies zu jedem war, es kam auf den Stand an.
»Leg deine Hand auf meine.«, flüsterte ich ihm schnell zu und hoffte inständig, dass er Verstand. Wieder ein Blick hinaus, wenige Schritte trennten aus, die Angst wurde größer, aber ich versuchte sie mir nicht anmerken zu lassen. Wärme umhüllte meine rechte Hand und ich spürte wie er leicht über sie strich. Er spielte gut, es wirkte sehr überzeugend auf mich, aber würde es auch für die Soldaten reichen? Am liebsten wäre mit den gepflegten Nägeln durch mein Haar gefuhren, aber ich durfte es nicht zerstören. Allein der Gedanke daran aufzufliegen, ließ mich erröten.
'Bleib ruhig, je aufgeregter du wirkst, desto schneller schöpft man Verdacht. Denk an Helenas Worte, auch wenn ich sie verfluche, versteck deine Gefühle, sie dürfen sich nicht erkenntlich geben.', sprach mir Freya zu. Helena... ob sie auch auf dem Ball war? Sie hatte es mir oft gesagt, verstecke deine Trauer, auch wenn du kurz vor dem Explodieren bist, verschleiere deine Freude, auch wenn du sie am liebsten mit allen teilen würdest, zeige nur deine Angst, um allen zu zeigen, dass du hilflos bist. Letzteres fiel mir schwer, meine Angst zeigen, wie sollte dies gehen, wenn für das Schlimmste im Käfig eine Spinne war? Andere Mädchen wie ich zeigte Angst, wenn sie eine bestimmte Sache, wie zum Beispiel ein Kleid für ein Fest, nicht bekamen, doch ich war glücklich. Glücklich darüber, dass Helena mich nicht dazu zwingen konnte Kleidung zu tragen, die mir nicht gefiel. Ich war nie perfekt gewesen, nicht mal annährend, obwohl ich es mir selbst geglaubt hatte.
»Guten Tag, ich würde gern Ihre Passierscheine sehen, damit sie dieses Loch endlich verlassen können.«, sagte der Soldat zum Fahrer, wobei ich sein Lächeln erkennen konnte, doch seine scheinbar wachsamen Augen sahen immer wieder zu uns, während er die Papiere durchblätterte, die ihm unser Fahrer gereicht hatte. Jayden, er schien das perfekte Aussehen zu haben, hoffentlich hatte er nichts vergessen. Die Augen des Soldaten blieben an mir haften, ich versuchte ihn nicht genau anzusehen, egoistisch meinen Blick durch den Wagen streifen zu lassen, doch ich spürte wie er mich von oben bis unten begutachtete.
»Ich kenne Sie.«, sprach er, doch seine Stimme klang noch immer so hell.
»Woher wollen Sie mich kennen, wenn ich Sie noch nie in meinem Keben zu Gesicht bekommen habe?«, entgegnete ich ihm, wobei mein Herz furchtbar in meiner Brust hämmerte. Die Fragen durchströmten meinen Kopf, die Angst stieg an. Ich durch es nicht zeigen, auch wenn es anscheinend perfekt war.
»Auf ihren Papieren steht Madelyn Sophie Meyer, doch soweit mein Gewissen mich nicht trügt heißen sie mit Nachnamen Price.« Ich spürte wie Jayden neben mir die Luft einzog, doch es war nicht schlimm, die Erklärung hatte ich bereits.
»Natürlich, jedoch werde ich morgen im kleinen Kreise heiraten und meine Papiere wurden bereits berichtet, es tut mir wirklich leid, hoffentlich bereitet dies keinerlei Probleme.«, redete ich mich raus. Es war falsch, dass ausgerechnet ich, die Frau, das Wort hatte, aber ich konnte Jayden nicht reden lassen, natürlich hätte er ebenfalls eine passende Ausrede gewählt, doch er musste sich erst einmal wieder an die formellere Sprache gewöhnen, die ich so sehr hasste. Ich sah den Soldaten arrogant an, versuchte dabei jedoch auch so herrisch wie Helena auszusehen, um den Soldaten zu beeinflussen, doch sein Grinsen wurde bereits breiter.
»Nein, natürlich nicht, ich wünsche Ihnen beiden viel Glück, Sie dürfen passieren.« Die schwarz getönten Fenster schlossen sich, das Auto fuhr langsam vor. Erleichterung machte sich breit, die erste Hürde war bestanden.
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