11

Ich schreckte mit einem tränennassen Gesicht aus meinem tiefen Schlaf heraus. Was war das? Es war ein Traum, ein Albtraum, aber wieso war er so real? Ich sortierte meine Gedanken, ordnete sie an den richtigen Fleck, damit sich das Puzzle mit den fehlenden Teilen ergab. Sofort schoss Rosys Bild wieder in meine Sinne, ich hatte mich noch nicht an die Wahrheit gewohnt, aber ich wusste ohne Freya zuvor zu fragen was es mit diesem Traum auf sich gehabt hatte, er war eine Erinnerung, ihre Erinnerung. Sie hatte mir einmal gesagt, sie wäre der Teil von mir, der zu dieser Seite gehörte, versuchte sie also nun mir mit Erinnerungen zu helfen?

'Nicht genau, ich wollte, dass du es siehst, damit du das gute Bild der Diktatorin aus deinem Kopf verschwindet und du unsere Mutter verstehst.', erklärte sie mir meine Frage. Ich strich mir durch mein Haar, welches durch die Sonne, die sich den Weg durch die Vorhänge bahnte, leicht rötlich war. Ich musste mich irgendwie ablenken, vielleicht war es gut zunächst etwas Abstand zu meiner Mutter zu nehmen, um all die neuen Informationen zu verdauen, da ich mir noch nicht sicher war was ich von all dem halten sollte. Es waren immerhin fast zwanzig Jahre, natürlich hatte sie daran keine Schuld, aber sie war streng genommen eine Fremde für mich. Sie war natürlich meine Mutter, als diese ich sie auch ansah, aber all diese Dinge brauchten Zeit, außerdem wollte Tia noch etwas von mir.

Ich konnte sie vollkommen verstehen, Zeit heilte Wunden und die Gefühle lagen nicht nur bei ihr im vollkommenden Chaos. Ich besaß wenige Erinnerungen an unsere Eltern, jedoch war ihre Gesichter nun nicht mehr verschwommen. Die Entführung war kurz nach dem Gehen unseres Vaters geschehen, ich erinnerte mich noch genau daran wie er seine Wut zügeln musste, um nicht durchzudrehen, dann das letzte Mal als wir uns sahen. Dieses braune Haar, welches wir ebenfalls besaßen, hing schlaff herunter und obwohl seine braunen Augen die pure Verzweiflung ausstrahlten, sah ich in ihnen auch seine Liebe zu uns, welche geblieben war. Ich hatte mich genau wie Lynn gefragt weshalb er uns so oft geholfen hatte, weshalb er sein Leben für eine Fremde aufs Spiel gesetzt hatte, doch die Antwort war so simpel wie auch versteckt, Vaterliebe. Sie war genauso stark wie auch die der Mutter und selbst nach dem Tod schien sie weiterhin zu wirken.

Ich huschte wie auch am letzten Morgen die Treppen hinunter, da ich Tias Stimme bereits im Eingangsbereich hörte. Ich fragte mich nur weshalb sie so oft hier war, da sie eigentlich eher etwas mit Jayden zu tun hatte und nicht mit meiner Mutter, die ihre Aktionen eher für unsinnig hielt. Ich wusste jedoch nicht was ich dazu sagen sollte, aber was wollten die beiden schon bewirken? Sie waren zwei, die Soldaten tausende, es schien hoffnungslos, aber irgendetwas schien sie anzutreiben, doch was genau? Was zwang sie dazu nach jedem Niederschlag aufzustehen und immer wieder neu zu beginnen?

»Da bist du ja endlich.«, seufzte Tia etwas, lächelte aber auch etwas. Meine Mutter griff bereits nach dem Teller neben ihr, um ihn mir zu reichen, aber nach dem Traum war mir der Appetit wirklich vergangen, am liebsten hätte ich mich irgendwo verkrochen und mich nie wieder blicken lassen.

»Nein, danke«, meinte ich zu meiner Mutter, welche sofort ein besorgtes Gesicht aufsetzte, welches sie auch gern Tia und Jayden zeigte. Sie hatte ja Recht, ich musste essen, andere hatten nichts und ich unterschlug es einfach. Vor ein paar Tagen waren mir all diese Sorgen noch erspart geblieben, da ich unwissend war, aber hatte mich dies wirklich glücklich gemacht? Wenn man von diesem zwanghaften Perfektionismus absah, durfte ich mich eigentlich nicht beschweren, ich hatte mein eigenes Zimmer und Essen auf dem Tisch, aber frei war ich nie.

»Sie isst später Rosy, aber jetzt komm, wir müssen was besprechen.«, wandte Tia sich an uns beide. Bevor ich dann noch etwas erwidern konnte, nahm sie schnell mein Handgelenk und zog mich mit sich. Es erinnerte mich leicht an Helena, doch bei ihr war es ein Zwang, bei Tia hingegen wusste ich, dass ich widersprechen konnte, auch wenn es vielleicht komisch klang.

Sie hatte sich versteckt, all die Jahre hatte sie sich gescheut sich zu zeigen, war still, ließ alles mit sich machen, doch nun? Ich erkannte sie kaum wieder, aber es war gut gemeint. Stets war ich bemüht die Kontrolle zu ergreifen, doch ich vergaß unsere Seele, unsere Seele, die auf ihre Heilung bestand. Sie war nicht mehr gänzlich das Mädchen von früher, sie wuchs an ihren Aufgaben und fand sich selbst dabei, aber ich fragte mich langsam, ob ich wirklich ihr wahres Ich oder nur die Hilfe war. Sie nahm Teile von mir an, ging aber dennoch ihren Weg, erforschte sich selbst. Nein, ich war es nicht, ich war es nie, ein Irrtum meinerseits. Ich war ein Teil von ihr, ein Teil, der ihr half, doch es lag an ihr sich selbst zu finden, ich diente als Hilfe, als Erinnerung zu der anderen Seite.

»Du kannst nicht schon wieder dahin wollen.«, versuchte ich ihr Vernunft einzureden, während wir mal wieder den Weg zu der verbotenen Zone antraten. Sie war wohl letzte Nacht dort gewesen und hatte Anzeichen gefunden, jedoch war es zu spät, um weiter zu suchen, da sich eine Truppe von Soldaten näherte. Manchmal fragte ich mich, ob sie mutig oder lebensmüde war.

»Wir brauchen die Waffen Lynn... es ist doch okay wenn ich dich so nenne, oder?« Sie wusste bereits Bescheid, aber sie versuchte es gekonnt zu ignorieren, weshalb ich ihr wirklich dankbar war. Sie musste es verstehen, hatte ich denn eine andere Wahl gehabt? Es war nötig gewesen.

»Ja, natürlich, aber wozu braucht ihr Waffen?«, hackte ich genauer nach, während ich bereits die weitaus mehr zerfallenen Häuser, denen wir uns langsam nährten, betrachten konnte. Ich fragte mich noch immer was passiert war, aber im Gegensatz zum letzten Mal glaubte ich fest daran, dass dies eine weitere Lüge der Scotts sein musste. Ich zog scharf die Luft ein, allein der Gedanke daran, dass ich mit ihnen verwandt war, machte mich fertig, ich wollte es nicht wahrhaben.

»Wie sollen wir uns gegen all diese perfekten Arschlöcher zur Wehr setzen? Ich meine die Sache mit Tracy gestern hat es doch mal wieder gezeigt. Wir können das nicht ewig über uns ergehen lassen.« Ich musste mich bemühen nicht zu erstarren. Es war klar was sie mit zur Wehr setzen meinte, aber war es richtig? Man konnte doch nicht wahllos jeden abschlachten, das machte einen nicht besser als die Scotts und ihre Anhänger. Die Menschen auf der anderen Seite waren unschuldig, sie wusste nicht was hier passierte, sie wurden verblendet und waren unwissend.

»Tia, wir können doch nicht-«

»Lass uns nachher darüber reden, jetzt müssen wir uns konzentrieren.«, versuchte sie mich zur Ruhe zu zwingen, aber sie hatte Recht. Die Unaufmerksamkeit war nun unser größter Feind, aber der Gedanke an die andere Seite wollte einfach nicht aus meinem Kopf verschwinden, während wir über die zerstörten Straßen wandelten. Was machte einen Menschen für alle perfekt? Ich wusste nicht, was ich glauben sollte, denn mein ganzen Leben war ich aufgewachsen, indem ich mich vor mich selbst versteckte, so zu tun als wäre ich wie alle anderen, während ich in mir schrie.

Wie konnte sich unsere Welt nur so wenden? Ich hatte Vieles erfahren, viele Dinge bevor die Mauer entstanden war. Der Mensch zerstörte sich selbst, vergaß, dass er seine eigene Art ausrottete, wollte nicht wahr haben, dass wir alle gleich waren, Menschen, die leben wollten. Also was genau war Menschlichkeit? Man hörte dieses Wort beinahe überall, sodass es seine wahrhaftige Wahrheit verloren hatte, aber dabei war die Antwort gar nicht schwer. Es ging darum anderen Güte zu erweisen, sich als gleich zu sehen und zu lieben, auch wenn man keine besondere Sympathie für die Person empfand. Doch was taten wir? Der Krieg hatte aus Hass begonnen und was aus Vergeltung beendet, das zeigten mir die zerbombten Häuser. Es ging mir gar nicht mehr darum wer angefangen hatte, denn am Ende hatte jeder Schuld. Jemand hatte angefangen, der andere schlug zurück, weil es wie im Kindergarten war.

Natürlich gab es Ausnahmen, was war zum Beispiel mit diesen Terroristen, von denen ich gelesen hatte? Sie kämpften oft für ihrem Glauben, ihre Religion, ihren Gott oder Götter, aber dabei vergaßen sie mal wieder die Menschlichkeit, die im jeden heiligen Schriftstück gepriesen wurde. Liebe deinen Nächsten, tu niemandem Unrecht, es schien in jedem dasselbe zu sein, aber was verstanden diese Menschen denn nicht daran, wenn sie für ihren gütigen Gott tausende ihrer Art töteten? Es brachte ihnen nichts, aber darum ging es ihnen nicht, sie wollten Macht, immer mehr Macht, die sie zerstörte.

»Komm, ich war gestern noch nicht in diesem Haus, vielleicht ist dort noch etwas.«, zerrte mich Tia wieder in die Wirklichkeit zurück, in der alles um mich herum den Hass der Menschen widerspiegelte. Ich ging ihr schnell hinterher, um nicht als ein leichtes Ziel zu gelten, denn langsam sag auch ich die Soldaten als Feind an.

»Was genau willst du hier? Du und Jayden wolltet doch eigentlich dieses Waffenlager finden.« Auch wenn ich noch immer an einen Mythos glaubte.

»Als diese Zone zerstört wurde, mussten die Menschen Vieles zurücklassen, einige kamen nie wieder, also sehen wir es als Einladung. Du wirst noch verstehen wie wichtig etwas unnützes Zeug sein kann, ein paar Händler geben dafür gern ihr Geld aus.« Verstehen, wie oft hatte ich dieses Wort in letzter Zeit, oder besser in meinem gesamten Leben, nun schon gehört? Ich würde verstehen was es hieß perfekt zu sein. Ich würde verstehen was hinter der Mauer geschah. Allmählich war ich es leid, all diese Geheimnisse und so Vieles mehr. Ich drückte die Tür zur Seite, da diese dank des oben fehlenden Scharniers immer wieder zur Seite kippte.

»Was genau ist hier passiert?«, fragte ich sie, während sie die Kommode durchsuchte. Mein Blick glitt hinunter, nur noch mehr Zerstörung, der Boden war übersäht mit Scherben, die von den Fenster, aber auch von den Bilderrahmen, die damals an der Wand gehangen haben mussten, stammen mussten.

»Wow, man lässt euch echt im Dunkeln... Der Krieg war fast zu Ende, es war klar, dass die Scotts gewannen, aber natürlich setzten sie noch einen oben drauf, um unsere Heimat zu schwächen. Ich war noch klein als es geschah, aber die Flugzeuge wirkten nicht einladend. Sie waren laut, so als ob man ein Loch in die Wand bohrt. Viele waren rausgekommen und staunten, andere schrien, wie auch meine Mutter. Mein Vater war an diesem Tag auf der Arbeit, zum Glück war es weiter weg, also habe ich mich mit meiner Mutter und ein paar anderen im Keller versteckt... du kannst dir sicherlich vorstellen wie laut es war, aber ich habe gezählt, es waren drei, zwei Bomben. Eine Märchenzahl... eine einzige hätte gereicht, um das Leben an der Oberfläche zu beenden, aber nein, man musste ja sicher gehen. Die meisten brauchbaren Dinge wurden zerstört, andere blieben erhalten, irgendwie komisch, aber so ist es nun mal.«, erzählte sie mir beinahe beiläufig ihre Geschichte, die mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. So ahnungslos vertrauten wir ihnen, so wissenslos folgten wir ihnen, so sehr verehrten wir sie und fraßen ihre Lügen. Unser Land hatte sich gegen sie aufgelehnt, hatte Unschuldige getötet, dabei waren sie es, die grausame Familie mit ihren Anhängern.

»Was ist mit deiner Mutter?«, traute ich mich nun weiter nach der Unbarmherzigkeit der Scotts zu forschen.

»Erschossen, wir kamen einige Zeit nach der Bombardierung wieder raus, aber die Soldaten waren da... als sie uns sahen, schrie sie mich an... Ich soll weglaufen meinte sie. Als ich sie fragte was mit ihr sei, meinte sie, sie würde mich finden. Ich rannte, sie blieb, doch dann kam der Schuss.«, antwortete sie mir ehrlich. Aber wie? Wie schaffte sie es nicht loszuschreien, wenn sie einen der Soldaten sah? Sie wusste was sie getan hatten... was sie waren. Was brachte ein Krieg schon? Zerstörung, Trauer, Verluste geliebter Personen, das Alles nur um Macht zu haben? Ich fragte mich in wie weit der Mensch gesunken war... wie sehr er es daran legte seine eigene Art zu zerstören.

»Und dein Vater?«, hackte ich nach.

»Er arbeitete in einer anderen Stadt, als er ahnungslos nach Hause wollte, war unser zuhause in den Händen der Soldaten und die Mauer wurde gebaut, er durfte nicht rein.« Ob er überhaupt noch lebte? Der Rest unserer Heimat lag hinter der Mauer, angeblich war sie vernichtet, aber konnte man den Scotts überhaupt den Glauben schenken? Obwohl es in dieser Situation stark nach ihnen klang... das Leben tausender, nein, gar Millionen zu beenden?

»Warte, hörst du das?«, fragte Tia plötzlich und stoppte das Durchwühlen. Ja, ich hörte es, die Panik packte mich, während wir den sich nähernden Schritten lauschten.

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Hey :) ich hoffe euch gefällt das Buch bis jetzt, aber ich habe noch zwei Sachen zu sagen.

Erstens, habt ihr noch irgendwelche Wünsche zu dem Buch? Also was passieren soll (wehe jetzt kommt Lynn soll Ethan verdreschen! :D), das soll nicht heißen, dass ich einfallslos bin (im Gegenteil, ich habe bis Kapitel 27 vorgeplant :'D), aber es würde mich einfach interessieren, da es euch ja auch Spaß machen soll. :)

Zweitens wäre eine kleine Charakterverlosung. Ihr könnt nämlich einen Charakter kreieren, ich lege dabei nur das Alter und Geschlecht (weiblich) fest, damit es in den Verlauf passt. Wer mitmachen möchte, schreibt es entweder in die Kommentare oder privat (mit den Angaben). Viel Spaß! :)

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