#Weihnachten
Draußen fallen kleine weiße Flocken vom Himmel. Das Thermometer zeigt einige Minusgrade an. Die Fensterscheibe vor mir beschlägt sobald ich ausatme. Mit meinem Zeigefinger zeichne ich kleine Figuren auf die Scheibe. So wie ich es früher immer während den Autofahrten getan habe, damit die Zeit schneller vorbei geht.
Von unserem Wohnzimmerfenster aus kann ich die Straße, auf der wir wohnen, bis zum Ende überblicken. Heute kommen nicht viele Autos vorbei. Einige grüne Autos habe ich bereits vorbeifahren sehen, doch keins davon war ein Pick Up.
"Nina! Das Essen ist fertig", ruft meine Mutter aus der Küche, "kannst du zwei Salatschüsseln mitbringen?" Seufzend stoße ich mich am Fensterbrett ab und schlendere an unserem grauen Sofa vorbei. Aus der Vitrine nehme ich zwei kleine Glasschüsseln. Zwei - nicht drei.
Meine Mutter stellt bereits das Essen auf unserem Küchentisch ab. Braten, Rotkohl, Kartoffeln. Das alljährliche Mittagessen an Heilig Abend.
Plumsend setze ich mich auf meinen Stuhl. Lustlos stochere ich in dem Rotkohl rum. Der Teller färbt sich langsam lila. Die Kartoffeln findet man bereits nach wenigen Minuten nicht mehr im Ganzen wieder. Mit meiner Gabel habe ich sie schon längst zerdrückt.
"Ach Ninchen, zieh doch bitte nicht so ein Gesicht", seufzt meine Mutter, die die Hälfte ihres Essens bereits aufgegessen hat. Daraufhin verdrehe ich lediglich meine Augen. In den letzten Tagen hatte ich mir das so angewöhnt - zum Missfallen meiner Mutter.
Um später pünktlich im Weihnachtsgottesdienst zu sein, mache ich mich direkt nach dem Mittagessen fertig. Letztes Wochende war ich extra mit meiner Cousine in die Stadt gefahren. Gemeinsam hatten wir neue Kleidung gekauft. Etwas Schickes für die Feiertage. Schließlich soll mich das dritte Familienmitglied nicht in Jogginhose vorfinden - sollte es noch kommen.
Nachdem ich mir ein letztes Mal durch meine gelockten blonden Haare gefahren bin, schlüpfe ich in meine Stiefel. "Mama, können wir endlich los?", frage ich abwartend nach. Ihren Mantel zuknöpfend kommt sie aus dem Schlafzimmer gelaufen.
Die Autofahrt verläuft stillschweigend. Meine Mutter hat nichts zu sagen - oder traut sich nicht etwas zu sagen. Ebenso habe ich nichts, was ich loswerden will. Meine Augen verfolgen unaufhörlich die Scheibenwischer, die versuchen jede einzelne Schneeflocke auf der Frontscheibe zu entfernen. Die Straßen sind voll. Jeder zweite fährt als würde er seine erste Fahrstunde haben. Andere hupen jeden Autofahrer an, der seine Spur nur ein bisschen verlässt, da die Straßen zu glatt sind.
Die Weihnachtsbeleuchtung der Kirche strahlt uns entgegen, als meine Mutter in eine kleine Parklücke fährt. Kurz bevor sie den Motor ausstellt, ertönt im Radio "Last Christmas". Ohne Umschweife reiße ich die Beifahrertür auf und flüchte auf den Gehweg. Durch meine Hast stolpere ich ein paar Schritte weiter als geplant.
Die Kirche ist gefüllt mit vielen Menschen. Hauptsächlich nehme ich die ganzen kleinen Kinder wahr, die durch die Gegend rennen und von ihren Eltern ermahnt werden. Die Kantorin spielt sich auf der Orgel ein. Der Kirchenchor singt einige Liedzeilen, um ihre Stimmen aufzuwärmen. Sachte lasse ich mich neben meine Mutter auf die gepolsterte Kirchenbank nieder.
Mit "Ich wünsche eine gesegnete Weihnachtszeit" beendet der Pfarrer den Gottestdienst. Sofort strömen alle Leute aus der Kirche. Normalerweise bleibe ich immer bis zum Ende sitzen, damit ich nicht in das Gedränge komme. Doch ein blonder Haarschopf erregt meine Aufmerksamkeit. Hastig springe ich auf und laufe in die Richtung des Jungen. Über seine Schultern spannt sich eine dunkelgrüne Jacke. Solche die man trägt, wenn man zum Bund geht. Die blonden Haare stehen wie so oft wirr von seinem Kopf ab. Noch wenige Schritte, dann habe ich ihn erreicht. "Jas...", lege ich meine Hand auf seine Schulter. Erschrocken dreht er sich zu mir um. Blaue Augen mustern mich. "Kennen wir uns?", fragt er verwirrt nach. "Ich - nein - ich dachte - Tut mir leid, ich habe dich mit jemandem verwechselt", stottere ich. Als hätte ich mich verbrannt, ziehe ich meine Hand von seiner Schulter. Dann drehe ich mich um und steuere auf den Ausgang zu.
Am Auto wartet meine Mutter bereits auf mich. "Wo warst du so lange?", erkundigt sie sich. "Ich habe gedacht... Ist eigentlich auch egal", beende ich meinen Satz. Ohne weitere Konversation zu betreiben, steigen wir Beide in das Auto ein.
Das erste was ich zuhause mache, ist den Stecker für die Beleuchtung des Tannenbaums einzustöpseln. Die silbernen Kugeln und roten Sterne werden jetzt leicht angeleuchtet. Unter dem Baum liegen genau vier Geschenke. Eins von mir für meine Mutter. Zwei von meiner Mutter für mich. Und ein weiteres Geschenk von mir für ihn. Doch auch dieses Jahr sieht es nicht danach aus als würde ich es verschenken können.
Mit zwei dampfenden Tassen Kakao kommt meine Mutter ins Wohnzimmer. Wie jedes Jahr würden wir solange daran nippen bis sich die Schokolade bereits auf den Boden der Tasse abgesetzt hat, Plätzchen essen und einen Weihnachtsfilm schauen.
Als ich das nächste Mal auf die Uhr schaue ist es bereits 22 Uhr. Mit einem hoffnungsvollen Gesicht überreicht mir meine Mutter die Geschenke. Eine silberne Kette mit einem kleinen glitzernden Stein als Anhänger kommt zum Vorschein und ein Roman, den ich bis zum Ende des Jahres durchgelesen haben werde.
Mit einem kleinem Schmunzeln blättert meine Mutter durch mein Geschenk - ein selbstgestaltetes Fotobuch.
Aus den Lautsprechen dringt ganz leise Weihnachtsmusik. Immer wieder fallen mir meine Augen zu. Doch ich will um jeden Preis wach bleiben. Noch ist nicht Mitternacht. Noch ist der Tag nicht vorbei. Noch ist meine Hoffnung nicht ganz geschwunden.
Um Punkt zwölf Uhr stehe ich wieder am Fenster. Atme gegen die Scheibe und kralle meine Finger um das Fensterbrett. So spät fährt kein Auto mehr hier lang. Ein herzhaftes Gähnen entflieht meinem Mund. "Ninchen, geh schlafen", fordert mich meine Mutter mit müden Augen auf und erhebt sich aus dem Sessel, um selber ins Bett zu gehen.
Langsam wärmt sich die Bettdecke auf. Ein letztes Mal drehe ich mich von der einen Seite auf die andere. Den Blick auf den großen braunen Bilderrahmen gerichtet, dämmere ich langsam in die Traumwelt ab.
Das Knattern des Motors lässt mich aufschrecken. Es hört sich so an als würde jemand sein Auto mit letzter Kraft in unsere Auffahrt fahren. Das Zuknallen der Fahrertür lässt mich erneut aufhorchen. Dann ist Stille.
Verschlafen öffne ich meine Augen. Mit meinem Gesicht liege ich zu meiner Zimmertür. Eine Gestalt steht im Türrahmen. Dunkle Kleidung und schwarze klumpige Stiefel. Die Haare des Jungen stehen wirr vom Kopf ab. Auch im Dunklen erkenne ich seine Grübchen, wenn er lächelt. "Jasper?", frage ich mit kratziger Stimme.
"Ich wollte dich nicht wecken", entschuldigt er sich mit tiefer Stimme. Tiefer als ich sie in Erinnerung habe. Vorsichtig macht er einige Schritte in mein Zimmer hinein und kniet sich neben mein Bett. An seinem Kinn kann ich den Ansatz eines Barts erkennen. Auf seiner rechten Brust prangt das Abzeichen der deutschen Bundeswehr. Knapp unter seinem Haaransatz erkenne ich die Kruste einer kleinen Wunde. "Du bist gekommen", flüstere ich glücklich.
Sanft beugt er sich zu mir rüber und gibt mir einen kurzen Kuss auf meinen Scheitel.
"Frohe Weihnachten, Schwesterherz."
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So heute ist es keine Geschichte im Sinne eines Kopfkinos, aber immerhin eine Kurzgeschichte. Ich dachte mir, dass ich sie deshalb in diesem Buch posten könnte.
Eigentlich habe ich die Geschichte am Donnerstag geschrieben als mir an der Arbeit langweilig war und habe sie dann an zwei andere Azubis geschickt. Die denken jetzt sicher auch, dass ich komplett neben der Spur bin, weil ich sowas einfach per E-mail verschicke.
Aber nun gut.
Ich wünsche jedenfalls Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr! 🎉🎉🎁
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