#Unerreichbar
Es fühlt sich an als würde mein Magen Achterbahn fahren. Mit jedem Schritt, den ich der Schule näher komme, wird es stärker. Stufe für Stufe werden meine Knie weicher. Mein Herz pocht mir bis zum Hals. So schnell, dass ich glaube es springt in jedem Moment aus meiner Brust heraus.
Der Gang in der ersten Etage scheint endlos zu sein. Meine Augen suchen automatisch am Endes des Flurs nach Menschen. Nicht nach irgendwelchen Mensch. Eigentlich auch nicht nach Menschen im Plural.
Auch wenn sich mein Kopf dagegen wehrt, will mein rasant schlagendes Herz nur die eine Person sehen. Den Kloß in meiner Kehle hinunter schluckend gehe ich sicher, dass meine Kleidung ordentlich sitzt. Ein Blick in die Glastür auf meiner rechten Seite gibt mir Sicherheit, dass meine Locken sich noch nicht ganz selbstständig gemacht haben.
An zwei Klassen muss ich noch vorbei. Dann sind nur noch zwei Türen, vor denen Schüler stehen, übrig. Vor der rechten Tür werden Leute aus meiner Klasse warten - links aus seiner.
Ich zwinge mich dazu, meinen Kopf aufrecht zu halten. Bemüht lasse ich den Blick nicht unruhig hin und her schweifen. Gezielt richte ich ihn auf den Jungen, der wie jeden Montag lässig an der Wand lehnt.
Heute ist die letzte Chance, dass er mich wahrnehmen könnte. Das klingt sowas von lächerlich. Innerlich schüttel ich meinen Kopf.
Mir ist es egal, ob er mich nachher für verrückt erklärt. Aber jetzt im Moment, will ich nichts mehr, als dass er bemerkt, dass ich ihn anschaue. Nur ihn. Ein geplanter Blick zu ihm. Nicht einfach eine ziellose Augenbewegung in die Menge.
Für einige Sekunden treffen sich unsere Augen. Ich versuche diesen Moment ein letztes Mal zu genießen.
Halb am durchdrehen gehe ich weiter. Ich setze den Schritt, der mich daran hindert, ihn weiterhin anzustarren. Tief durchatmend schließe ich meine Augen. "Guten Morgen!", gebe ich von mir, als ich in den Kreis meiner Freunde trete.
Ein einstimmiges 'Morgen' kommt von ihnen zurück. Die Braunhaarige neben mir - meine Sitznachbarin - quietscht wie ein sterbendes Schwein und gibt mir zu verstehen, dass sich gerade jemand nähert.
Ich habe echt kein Geheimnis daraus gemacht, dass ich auf diesen gut aussehenden Typen ein Auge geworfen habe. Wahrscheinlich weiß meine ganze Klasse Bescheid.
Der Flur ist so schmal, dass der Junge nicht an uns vorbei kommen würde, wenn ich nicht zur Seite trete. Mein Puls schießt in die Höhe, während ich Platz mache.
So dämlich wie ich bin, drehe ich mich einmal komplett um meine eigene Achse, sodass ich für kurze Zeit Angesicht zu Angesicht dem Braunhaarigen gegenüber stehe.
Erst blicke ich auf eine breite Brust in einem weißen T-Shirt. Als ich meinen Kopf hebe, sehe ich in sein makelloses Gesicht. Dass er hübsch ist, ist kein Geheimnis. Sicherlich weiß er das aber auch.
Ein leichtes Lächeln zeichnet sich auf seinen Lippen ab. Lippen, die voll und leicht rosa sind. Ohne etwas zu sagen greift er nach meiner Hand und zieht mich hinter sich her durch die Feuerschutztür.
Nach Hilfe suchend drehe ich mich mit aufgerissenen Augen zu meiner Sitznachbarin zurück. Doch diese hat nichts besseres zu tun, als Luftküsse zu verteilen.
"Kann es sein, dass da jemand die Augen nicht von mir lassen kann?", schmunzelt der Junge, nachdem wir hinter der Tür stehen geblieben sind. Nur wir zwei befinden uns im Treppenhaus. Kein einziges Geräusch aus dem Flur dringt zu uns hinüber. Man sieht lediglich meine Freunde, die Faxen hinter der Glasscheibe machen.
"Ehrlich gesagt, ist genau das der Fall", zucke ich mit den Schultern. Mein Motto im Moment lautet einfach: 'Selbst wenn er gleich schreiend davon läuft, weil ich so schrecklich bin...Es interessiert nicht, da ich ihn nie wiedersehen werde.'
"Aber du hast lange gebraucht, um das zu bemerken. Ich habe dich in den Pausen nicht gerade unauffällig angestarrt", sehe ich ihn lachend an. "Wer sagt, dass ich es nicht schon viel früher gemerkt habe?" Während er einen Schritt auf mich zu macht, bleibe ich wie angewurzelt stehen.
"Aber du dachtest dir: 'Lass dieses Mädchen sich noch ein bisschen zum Affen machen, bevor ich ihr schonend beibringe, dass sie mich nicht mehr angaffen soll'", kneife ich mein linkes Auge zusammen.
"Genau das waren meine Gedanken", schüttelt er lachend seinen Kopf. Eine Zeit lang mustert er mich einfach. "Ich mag deine Haare." Errötend halte ich meine Hände vor die Wangen. "Danke, schätze ich", senke ich meinen Blick.
"Hör zu, ich weiß echt nicht wie man sowas anstellt", beginnt der Junge gegenüber von mir, "eigentlich halte ich auch nichts davon, dass immer der Mann den ersten Schritt wagen muss. Ich meine warum? Denkt ihr Frauen, dass es uns leichter fällt, euch anzusprechen?"
Ich schätze gerade wirklich nur, aber ich vermute, dass er im Moment etwas vom Thema abschweift. Schmunzeld blicke ich ihn wieder an. "Wie heißt du?", unterbreche ich ihn.
"Lennart", sieht er mich überrumpelt an. "Okay, Lennart. Einmal in meinem Leben werde ich sagen, was ich denke. Du hast vollkommen recht. Wir Frauen können uns auch mal dazu aufraffen, jemanden anzusprechen. Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, woher der Mut zu reden kommt. Aber: Ich mag dich. Irgendwann bist du mir hier zwischen den ganzen Schülern aufgefallen. Seitdem suche ich dich jeden Tag auf dem Schulhof. Natürlich finde ich dich nicht, wenn ich mit meinen Freunden hinten auf dem Schulhof bin, weil du immer vor dem Eingang sitzt. Ja, ich bin eine Stalkerin. Ich weiß, ich kenne dich überhaupt nicht. Und ich verfluche mich selbst dafür, dass ich diese Rede auf dein äußeres Erscheinungsbild basierend verfasse. Aber ich würde mich freuen, wenn wir uns vielleicht kennen lernen würden", rede ich einfach drauflos.
"Oh, sei denn du wolltest mir eigentlich mitteilen, dass ich es lassen soll, dich anzustarren, weil du vergeben bist", füge ich wieder zu Atem kommend hinzu.
"Weißt du was?", beginnt der Braunhaarige. Dann stockt er. "Wie ist dein Name?"
"Pia", lächel ich. "Weißt du was, Pia?", fängt der Junge von vorne an. "Nicht dass ich vorhatte, dir zu sagen, du sollst mich in Ruhe lassen. Aber angenommen ich hatte genau das vor, mit deiner kleinen Ansprache hättest du meine Meinung sofort geändert."
Mit seinem breiten Lächeln steckt er mich sofort an. Nervös fahre ich durch meine Haare. Eigentlich könnte ich ihn jetzt auch einfach fragen, ob wir mal etwas zusammen unternehmen, da ich ihm eh schon mein halbes Herz ausgeschüttet habe. Aber ich traue mich nicht.
"Ein Shawn Mendes Fan, huh?", zieht er auf einmal leicht an meinem Pullover, "da habe ich nicht wirklich eine Chance mitzuhalten, oder?"
Schmunzelnd blicke ich auf den grauen Hoodie und seine große Hand hinab. "Weißt du, genau dieser Satz hat dich möglicherweise gerade in die nächste Runde katapultiert."
"Jackpot", ruft er aus. Dann fängt er an zu lachen. "Heißt das, ich kann deine Nummer bekommen?" Nickend diktiere ich ihm meine Nummer, nachdem er sein Handy aus der Hosentasche geholt hat.
"Wow, vor Freude könnte ich jetzt durch die ganze Schule rennen", schiebe ich die Ärmel meines Oberteils bis zu meinen Ellenbogen nach oben. "Ich glaube dir sogar, dass du das durchziehen würdest. So aufgedreht wie du manchmal durch die Gänge läufst."
Ruckartige drehe ich meinen Kopf zu ihm und gucke ihn überrumpelt an. "Du hast mich beobachtet", stelle ich fest. "Du mich doch auch", zuckt der Braunhaarige lachend mit den Schultern.
Als ich einen Blick durch die Glastür werfe, bemerke ich, dass niemand mehr auf dem Flur steht. Natürlich hat der Unterricht schon längst angefangen. "Auch wenn ich gar keine Lust auf diesen bescheurten Politikunterricht habe, sollte ich mal langsam in meine Klasse", vergrabe ich meine Hände in der Tasche meines Pullovers.
"Sicher", kratzt er sich an der Brust. Dabei spannen sich seine Armmuskeln, die ich nicht zum ersten Mal anstarre, an. "Du meldest dich dann bei mir?", frage ich nach.
"Sicher", antwortet der Braunhaarige erneut. Lächelnd wende ich mich zum gehen. Schnell macht er einige Schritte vorwärts um mir Gentleman like die Feuerschutztür aufzuhalten.
Einen letzten Blick werfe ich ihm zu, bevor ich an der Tür klopfe und mit einem 'Entschuldigung für die Verspätung' den Klassenraum betrete.
Langsam fährt mein Puls wieder hinab, als der Typ zu seinen Freunden hinter die Feuerschutztür verschwindet und sich auf eine Treppenstufe nieder lässt. Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie unser Lehrer herannaht, um uns mit neunzig Minuten Politik zu quälen.
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Haha, okay dieses Kapitel musste ich schreiben😂 Namen wurden aus Datenschutzgründen geändert! Und sorry, aber Herrn Mendes konnte ich da echt nicht raushalten.
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