Unser Ding in Aktion
Eins muss man über Phoebe wissen, sie lässt sich nichts gefallen. Überhaupt nichts. Sie gibt nicht gerne klein bei, ist vorlaut und legt sich auch gerne mal mit ihren Professoren an.
So haben wir uns angefreundet, durch permanentes Geläster. Wir haben beide nämlich die schlechte Angewohnheit, unter unserem Atem zu flüstern und sind dabei oft nicht so leise, wie wir denken. Wir sind wie die zwei Tanten beim Familientreffen, die sich über alle auslassen. Kannibalistische Besties.
Wir haben sofort miteinander geklickt. Ich hab zwar nichts anderes aus seinem Unterricht mitgenommen, aber dafür muss ich dem Musiklehrer dann doch danken. Wer weiß, mit wem ich heute ohne seine schrulligen Privatgeschichten abhängen würde.
So sehr ich Phoebe aber auch mag, dumm ist sie dennoch. Mein Wirbelwind einer Freundin ist viel zu impulsiv. Oft reicht ein simples Wort, ein 'Hallo' oder neuestens 'Kekse' aus, um sie in Gelächter ausbrechen zu lassen. Lautes Gelächter. Die Art, die einem jeglichen Atem raubt und Tränen in die Augen treibt. Die Art, die sie ganz rot werden und ihren Körper zucken lässt, wenn sie versucht, es zu unterdrücken.
Zudem ist ihr Notendurschnitt ein glatter Dreier - zumindest in den guten Semestern. Sonst nähern wir uns mehr der Vier, wenn es besonders schlecht läuft sogar der Fünf, an.
Das ist vermutlich unser einzig richtiger und gleichzeitig größter Unterschied, unsere Einstellung zu Noten. Phoebe nimmt sie gerne mal auf die leichte Schulter. Drei Jahre Spanischunterricht und sie versteht das Subjuntivo noch immer nicht.
Na ja, wenn ich ihren Blick so betrachte, mit dem sie Jake zu begraben versucht, fällt mir doch noch ein Unterschied ein. Ich kann eher meine Klappe halten, Phoebe nicht so sehr. Ja, ich weiß, man glaubt es kaum - insbesondere nach dem Vorfall mit dem Turnlehrer. Aber Phoebe? Im Vergleich zu ihr ist mein Temperament mit einer Ameise zu vergleichen. Sie hätte es um einiges weitergetrieben.
Und genauso wie sie es vorhin weitergetrieben hätte, will sie es auch hier weitertreiben. Ich kann es deutlich erkennen, sie will ihm an die Gurgel. Sie schnaubt ja praktisch schon.
Es braucht kein Genie, um zu schlussfolgern, warum sie so auf Jake reagiert. Phoebe ist ja nicht blind, ihr ist wohl bewusst, dass er mir gerne nachstellt. Es schockt mich also nicht gerade, als sie sich zwischen uns stellt.
Jake hebt nur unbeeindruckt eine Augenbraue oder er versucht es zumindest. Die andere Braue dackelt der ersten immer etwas hinterher. Phoebe mustert ihn zwar mit eisernem Blick und überkreuzten Armen, doch sein Grinsen ist so breit wie eh und je. Was erwartet man auch anderes von jemanden, der nur macht, worauf er Lust hat?
"Du bist also der Arsch, der-" Jake beachtet sie nicht einmal. Er lehnt sich leicht zur Seite, sodass er an ihr vorbeischaut und meinen Blick erhascht.
"Willst du deiner feuerspeienden Freundin erklären, wie das ganze Jake-Liam-Ding läuft oder soll ich?"
Er lässt die Drohung leer in der Luft hängen. Er braucht sie nicht. Nicht wirklich. Es sind nicht seine Worte, die Eindruck schüren oder die Schüler dazu bringen, den Pfad für ihn zu räumen. Es ist seine Art, seine - so klischeehaft das auch klingen mag - Aura.
Er hat diesen Blick drauf, wo er einen ansieht, als wäre man Dinner. Kein süßer Nachtisch, sondern fettes, saftiges Dinner. Die Art, die man mit den Zähnen zerfetzt und den Fingern verspeist.
Genauso sieht er mich gerade an. Grüne Augen funkeln mich auffordernd - nein - herausfordernd an. Das leichte Grinsen, das seine Mundwinkel umspielt, macht es nicht gerade besser.
Ich schlucke und kneife fragend meine Augen zusammen. Das leichte Flattern in meiner Brust ist rasch beiseite gewischt. "Wir haben ein Ding?"
Das ist mir neu. In jederlei Hinsicht wirklich. Okay, nein, das ist gelogen. Ich weiß genau, wovon er spricht. Ich bin ja nicht dumm. Aber, ganz ehrlich, mein Abstreiten hat er sich selbst eingebrockt. Es ist Teil des - wie hat er es noch einmal genannt? Ach ja - des Jake-Liam-Dings. Dabei wissen wir doch alle, dass mein Name vorne stehen sollte. Liam-Jake klingt tausend Mal besser als Jake-Liam.
Außerdem, wenn es eines gibt, das ich durch Fanfiction gelernt habe, dann, dass man seinen Namen vorne stehen haben will. Sonst kriegt man nämlich die Katzenohren ab und man will die Katzenohren nicht abbekommen - glaubt mir. Na ja, das und lass dich nicht auf den Badboy ein. Bringt auf Dauer nur die Noten runter und setzt dich toxischem Verhalten aus. Dinge, auf die man also gut verzichten kann.
Aber ja, um zum Thema zurückzukehren, wir haben ein Ding. Ein kompliziertes, chaotisches Ding. Ein Hin und Her, so würde ich es nennen. Jake, der wie ein kleiner Junge an meinen metaphorischen Zöpfen zieht, und ich, der ihm vehement Konter gibt. Ganz ehrlich, ich warte nur auf den Tag, an dem er mich in sein Bett einlädt. Zumindest mit etwas direkterem als billigen Anmachsprüchen.
"Haben wir ein-?" Jake schnaubte. "Und ich dachte, du bist so scharfsinnig, Mr. Bestnoten all around."
Ich zucke leicht zusammen. Er weiß es nicht. Klar, wir teilen uns auch keine Deutschstunde. Mein Glück. Ich kann es ihn nicht wissen lassen. Das Feuer der Konkurrenz brennt dafür zu heiß zwischen uns, wenn auch nicht im akademischen Sinne. Keine Ahnung, welche Noten er hat. Wichtig ist nur: Ich möchte das Feuer nicht anstacheln, wenn es sich gegen mich wenden könnte.
Jake ist, so sehr es mich auch nervt, das einzugestehen, nicht die dümmste Person, die ich kenne. Er ist ein Neandertaler, ja, aber leider ein verdammt kluger Neandertaler. Auch wenn er bei der Intelligenz vergabe ganz hinten stand. Er hat Talent. Schule ist zwar nicht gerade seine Stärke, aber es wäre gelogen, zu sagen, er könnte nicht mit mir mithalten. Zwar nur mit Müh und Not, aber dennoch: in Gesprächen kann er mir immer folgen. Es wäre ein Fehler, ihn zu unterschätzen. Einen, den ich nicht plane zu begehen.
"Jap. Bestnoten! - du sagst es. Yep. So was von. Immer. Jede Prüfung ein - au!" Phoebe rahmt mir ihren Ellbogen in die Seite. Ich werfe ihr einen bösen Blick zu. Insgeheim bin ich ihr jedoch dankbar. Gut lügen konnte ich noch nie. Das ist mehr ihr Fachgebiet. Phoebe ist die Meisterin der Ausreden. Und nur so unter uns, Unterschriften kann sie auch gut fälschen.
Summend lehnt sich Jake nach vorne. Seine Schritte drängen Phoebe automatisch beiseite. Es ist Instinkt, der sie ausweichen lässt. Ein lang geschulter Instinkt, Männern entweder auszuweichen oder niedergerempelt zu werden.
"Du bist rot", haucht er mir ins Gesicht. Er ist nah. Beinahe schon so nah, dass ich schielen muss. Sein Atem liegt heiß auf meinen Lippen.
Ich mag ihn nicht. Bei allen Gottheiten dieser Welt, ich mag ihn nicht. Aber ach du Scheiße ist er attraktiv.
Grün schimmernde Augen und schwarzes Haar. Die perfektesten - ja, grammatikalisch falsch, aber hier passt es - Augenbrauen und scharfe Wangenknochen. Sogar ein paar Sommersprossen kann ich von dieser Nähe auf seiner Haut erkennen.
Jake leckt sich über die Lippen und ich erhasche einen Blick auf sein Zungenpiercing. Ein kleiner silberner Ring an der linken Spitze. Wie er die Zustimmung seiner Eltern dafür erhalten hat, ist mir wahrlich ein Rätsel.
Seine Stimme ist rau, als er spricht. Melodisch auf eine Art, die meine Haare zu Berge stehen lässt. "Steht dir."
Es ist wie in der Bibel. Die verbotene Frucht. Man nimmt einen Bissen und die Konsequenzen sind gnadenlos. Doch zum Wegschauen kann man sich auch nicht wirklich bringen. Man behält sie immer im Auge, überlegt und überlegt, ein kleines 'Warum nicht?' stets in den Ohren.
Doch nein, nicht mit mir. Ich bleibe in dem metaphorischen Garten.
Bewusst mache ich einen Schritt zurück und bringe etwas Abstand zwischen uns. Das Atmen fällt mir gleich ein wenig leichter. Dämliche Hormone.
"Bild dir nichts darauf ein", entgegne ich ihm trocken. Langsam, aber sicher verlässt die Hitze meine Wangen.
"Wenn du meinst", säuselt er nur. Ja, er bildet sich so was von was darauf ein. Aber gut, dagegen kann ich nicht wirklich etwas machen. Abstreiten und auf die Defensive gehen, würde sein Ego nur noch mehr aufblasen und darauf kann ich gut und gerne verzichten.
"Also?", sagt er schließlich, als ich ihm keine Antwort gebe. Er fischt seine Schlüssel aus der Jackentasche und baumelt sie vor meinem Gesicht hin und her. "Bereit für ein wenig Spaß? Ich bin schon gespannt zu hören, wie mein kleines Häschen sich Ärger von einem Professor einfangen konnte."
"Sportlehrer - kein Professor", korrigiere ich ihn. Vielleicht sogar mit ein bisschen mehr Biss als nötig. "Und hör auf, mich so zu nennen. Die kleinen Möhrenfresser kannst du dir sonst wo hinschieben."
Jake lacht nur. Obwohl: Es ist mehr ein Glucksen als ein richtiges Lachen. Ich verdrehte prompt die Augen und reiße ihm die Schlüssel aus der Hand, bevor er etwas dagegen machen kann. Er mag vielleicht größer sein, aber ich bin flinker.
Es scheint ihn nicht einmal zu stören. Er zuckt einfach mit den Schultern und sagt: "Antwort genug für mich."
Mehr Warnung bekomme ich nicht, da legt sich seine Hand auch schon um meinen Arm. Er hilft mir in die Jacke, wirft meinen Rucksack in den Spind und mich über seine Schulter. Bevor ich überhaupt eine Meldung abgeben kann, befinden wir uns schon auf halbem Weg zum Ausgang.
Phoebe ruft uns noch hinterher, doch Jake ist klug. Sie ist zu sehr damit beschäftigt, den Inhalt meines offenen Rucksacks vor den trampelnden Schülern zu bewahren, um uns zu folgen.
Die Menge verschlingt uns und für einen Moment sind wir nur zwei Schüler unter Hunderten.
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