Accidentally in ****
Irgendwann finden wir unseren Weg wieder ins Haus. Ich habe es mir auf einer Pianobank bequem gemacht. Die regulären Stühle scheinen mir einfach zu unbequem. Sie sind so dreieckig.
Mit einem Sprite in der Hand lässt Jake sich neben mich fallen. Die Bank zwingt uns eng aneinander, doch irgendwie stört es mich nicht sonderlich. Mein Körper ist entspannt und mein Geist angenehm ruhig.
„Spielst du?", fragt er mich als meine Finger über die Tasten gleiten. Ein leises Ebenbild einer Melodie, die ersten Töne von 'alle meine Entchen' erklingen unter meinen Händen.
Ich schüttle den Kopf. Ein Lächeln zieht an meinen Lippen. Ich scheine gar nicht mehr aufhören zu können. „Nein. Zu ungeduldig", erkläre ich, als ich meine Finger von den Tasten nehme. Für jedes Musikinstrument wirklich. Mutter hat mal versucht mich für Stunden anzumelden. Sie ist überzeugt gewesen, dass ich mich zum Mozart dieser Generation entwickeln könnte, doch ob Querflöte, Klavier, Gitarre, Geige, Saxofon, Cello oder sogar Schlagzeug nach zwei, drei Stunden habe ich immer das Interesse verloren.
Jakes Finger legen sich auf das Klavier. „Ich hatte ein paar Stunden." Da war es wieder, dieses Grinsen. Seine Finger pressen geschwind über die Tasten und für einen Moment bin ich überzeugt, dass er nur zufällige Töne zu einer irren Melodie zusammentragen würde, doch das tut er nicht. Er spielt nur deutlich schneller als das Original. Seine Finger fliegen förmlich über das Keyboard. Es ist so unerwartet Jake, das es mir ein Kichern förmlich aus der Kehle reißt.
Es beginnt leise, so leise das ich es unter dem dröhnenden Tempo des Klaviers fast überhöre.
„Mh-hm-hm-hm yeah I didn't mean to do it but there is no escaping your love." Er singt. Es zählt kaum, er murmelt die Worte förmlich vor sich hin und doch kann ich meine Augen nicht von ihm abwenden. Eng schnürt es sich in meiner Brust zusammen, ein unnädiges Flattern, wie die Aufregung vor einer wichtigen Prüfung.
Dann auf einmal wird Jake lauter. Seine Stimme ist energisch, seine Aussprache perfekt.
„These lines of lightning mean we′re never alone, never alone, no, no." Ich könnte ihm vermutlich ewig zuhören. Er singt schön, angenehm. Für eine Bühne ist es zu wenig, doch für späte Nächte in der Küche? Für wilde Tänze und schallende Musik hinter den eigenen vier Wänden? Mein belesener Verstand (vollgesaut mit aller Art von Romanzen) wendet sich gegen mich. Für einen Moment schleicht sich ein Piano in das Haus meiner Zukunft, begleitet von zwei langen Händen, während ich meine Arbeit verrichte.
„Come on, come on, move a little closer." Und ich tue es. Seite an Seite pressen ich unsere Körper von Oberschenkel zur Schulter. Jake sieht mich verblüfft an. Ich überrasche mich selbst damit, doch unter seinem Blick kann ich nicht anders als zu gehorchen. Mutter hat recht, ich spiele mit dem Feuer.
„Come on, come on, I want to hear you whisper. Come on, come on, settle down inside my love." Heimlich bahnt sich die Röte einen Weg in meine Wangen. Meine Finger sitzen unruhig auf meinem Schoß. Ich weiß beim besten Willen nicht was ich mit mir anstellen soll. Mein Blick fällt seitlich auf den Boden. Ein nervöses Lächeln flackert auf meinen Lippen.
„Come on, come on, jump a little higher. Come on, come on, if you feel a little lighter." Seine Stimme verklingt inmitten des Refrains. Nur noch das Klavier bleibt übrig. Die Töne spielen immer weiter und weiter, wiederholen sich und beginnen wieder von vorne. Doch seine Stimme bleibt fern. Ich möchte ihn fast bitten weiter zu machen, bevor ich realisiere, welcher Text dem letzten folgen würde.
„Ich - ähm - ich wusste gar nicht, dass du spielst", sage ich schließlich. Alles um die scheinbar ewige Schleife von ‚I'm in love, I'm in love' in meinem Kopf zu unterbrechen.
„Mein Vater ist Musiker. Zuerst war es Trompete, doch das klang nur als würde ich ein Eichhörnchen strangulieren, auch nach drei Monaten Unterricht."
Ich kann es mir förmlich vorstellen. Ein kleiner Jake, der durch die Wohnung stolziert und mit zu viel Kraft in die Trompete bläst.
Meine Augen legen sich wieder auf ihn, sein Blick ist jedoch fest auf das Piano gerichtet und die Tasten die er betätigt. Das letzte Tageslicht fällt durch die Fenster auf seine Form. Seine Haare sind noch leicht feucht vom Wasser und komplett zerzaust. Ein leichtes Lächeln zupft an seinen Mundwinkeln. Ich weiß nicht, was über mich kommt. Mit einem Mal lehne ich mich nach vorne. Meine Finger streifen seine Wange, als ich ihn zu mir drehe und dann legen sich meine Lippen auf seine. Mit leichtem Druck treffen sich unsere Münder. Die Melodie kommt mit einem schrillen Abbruch zum Stehen. Keiner von uns wagt es sich auch nur sich zu rühren.
Es dauert viel zu lange bis ich realisiere, was ich hier gerade tue. Nach einer halben Ewigkeit weiche ich zurück. Langsam, langsamer als ich es von mir je erwartet hätte. Von dem Sturm, der in mir wütet, von dem Hämmern meines Herzen ist von außen kaum etwas wahrzunehmen. Nur die Farbe meiner Wangen verrät mich. Na ja das und meine geweiteten Pupillen, doch ich bezweifle, dass Jake auf diese achtet. Mein Atem geht auch ein wenig schnell.
Blinzelnd sieht Jake mich an, als er seine Augen wieder öffnet. Er hat nicht damit gerecht, genauso wenig wie ich. Ich sehe es ihm an.
„Vielleicht sollten wir..." Ich deute hinter mich auf den Ausgang. Jake reagiert erst gar nicht. Er leckt sich über die Lippen, da ist wieder sein Zungenpiercing und ja seine Pupillen sind definitiv geweitet.
Sein Blick fällt auf meinen Mund und kurz glaube ich, dass er sich gleich einen zweiten Kuss holen wird. Dann räuspert er sich jedoch.
„Ja, ähm, dass ist - ja." Und mit einem Mal erinnere ich mich, dass das auch Jakes erster Kuss war, nicht nur meiner. Irgendwie macht das die ganze Sache schlimmer, als wie wenn er seine Zunge tatsächlich schon in den Mündern der halben Schule gehabt hätte.
Hoffentlich schmecke ich noch nach etwas anderem als abgestandenem Chlor.
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