Blickwinkel

Ich sitze abends auf meinem Bett und grüble vor mich hin. Leider bin ich nicht müde, schlafen kann ich also noch nicht. Außerdem ist es dazu auch viel zu früh, es ist noch nicht mal dunkel draußen.

Nur wie kriege ich die Zeit rum, bis ich endlich schlafen kann? Fernsehen? Lacht mich gerade nicht so an. Netflix? Das Abo hab ich neulich gekündigt, weil ich alles Interessante schon gesehen hatte. Etwas lesen? Nee, keine Lust, und konzentrieren kann ich mich auch nicht. Nochmal raus gehen? Is auch doof, so allein.

Uninspiriert schaue ich auf meinem Handy nach, ob neue Nachrichten eingegangen sind. Eigentlich würde ich jetzt wirklich gerne mit jemandem schreiben. Mich über meinen Tag austauschen, was ich lustiges erlebt habe, was mich gerade beschäftigt. Nur, ob es jemanden interessiert?

Meine alten Freunde sind mir in den letzten Jahren abhanden gekommen. Es gab keinen Streit oder so, wir haben uns einfach aus den Augen verloren. Und jetzt haben wir uns so lange nicht gesehen oder gesprochen, dass es mir sehr seltsam vorkäme ihnen zu schreiben. So einfach aus dem Nichts, das fände ich komisch. Als ob ich sonst keine Freunde hätte.

Bei dem Gedanken werde ich traurig. Ich habe wirklich keine Freunde.

Da lenke ich mich lieber mit irgendeinem Video ab.

Mehrere Katzenvideos später habe ich tatsächlich eins gefunden, bei dem ich lachen muss. So goldig, wie die Katze den Laserpointer jagt. Wie gerne würde ich das Video mit jemandem teilen, gemeinsam lachen, zusammen nach neuen lustigen Videos suchen.

Nur mit wem?

Meine Gedanken wandern den heutigen Tag entlang und bleiben bei einer bestimmten Person hängen. Heute haben wir uns wieder gesehen, mehr auf die Ferne erst. Am Anfang habe ich mich gar nicht richtig getraut ihn anzuschauen, sondern hab mich immer in der Gegend umgesehen oder so getan, als würde ich etwas wahnsinnig Spannendes auf dem Handy lesen.

Als ich dann doch mal in seine Richtung geschaut habe, hat er sogar gerade zu mir gesehen. Wahrscheinlich hat er sich gefragt, warum ich da so seltsam in der Gegend rumsitze und mit niemandem rede. Deshalb habe ich mir einen Ruck gegeben und bin zu ihm hin. Ich hatte soo Angst zu stören oder zu nerven, dass mein Lächeln wahrscheinlich ganz verrutscht war.

Irgendwie haben wir dann trotzdem miteinander geredet, aber das war stockend und total verkrampft. Er wirkte so locker und lustig, und ich war so einsilbig und wusste gar nicht was ich antworten sollte. Mir war das so unangenehm, dass ich dann doch ziemlich schnell wieder geflüchtet bin.

Seine Nummer hab ich sogar, aus einem Gruppenchat. Eigentlich würde ich ihn total gerne anschreiben, aber ich will ihn nicht nerven. Bestimmt hat er viel zu tun und gerade ganz andere Dinge im Kopf, da würde ich ja eh nur stören. Sicher hat er tausend Freunde und denkt gar nicht an mich. Warum sollte er auch?

Und nach so einer Aktion heute, kann ich ihm doch unmöglich schreiben. Der denkt doch, ich spinne: Kriegt keinen Ton raus, kann einem nicht mal richtig in die Augen schauen.

Mit mir will doch eh kein Mensch was zu tun haben.

...

Da liege ich schon wieder auf meinem Sofa und weiß nichts mit mir anzufangen. Es ist noch nicht mal dunkel draußen, aber außer schlafen fällt mir nichts ein. Die Stunden liegen noch endlos vor mir.

Was soll ich nur machen? Fernsehen? Nee, kommt doch eh nur Mist. Amazon? Zur Not. Aber so richtig spannende Filme finde ich da nicht mehr, hab schon alle durch. Lesen? Im Leben nicht, ich hasse Lesen. Nochmal rausgehen? Allein?? Nope.

Mein Handy bingt leise neben mir, mir bleibt fast das Herz stehen. Jemand hat mir geschrieben! Natürlich folgt sofort die Ernüchterung, ich weiß nicht, warum ich mir überhaupt noch Hoffnungen mache. Nur eine neue Mail. Spam. Die Schiffsarztbörse sucht neue Ärzte für tolle Kreuzfahrten durch die Karibik, und man wird sogar bezahlt dafür. Klingt wirklich verlockend. Blöd, dass ich kein Arzt bin.

Wenn ich mein Handy schon mal in der Hand habe, scrolle ich ein bisschen durch meine alten Verläufe. Die meisten sind schon so lange her, dass sie quasi schon Spinnweben angesetzt haben. Sollte ich davon vielleicht jemanden anschreiben? Wäre zumindest gut gegen die Langeweile, und irgendwie vermisse ich auch meine alten Kumpel.

Andererseits, wenn die noch Kontakt zu mir haben wollten, würden sie mich doch anschreiben, oder? Und ich will ja nicht nervig rüberkommen oder als ob ich niemand anders hätte. Ist zwar so, aber muss ja niemand merken. Bei dem Gedanken fühle ich mich einsam.

Was ich jetzt bräuchte, wäre ein tolles Video mit Hundewelpen. Dabei geht es mir immer gleich viel besser. Noch besser wäre es natürlich, das mit jemandem teilen und gemeinsam schauen zu können ... nur mit wem?

Wenn ich ehrlich bin, fällt mir sogar eine bestimmte Person ein, mit der ich jetzt gerne schreiben würde. In dem einen Gruppenchat müsste ich sogar ihre Nummer haben. Allerdings habe ich es heute wieder mal so richtig verkackt, da kann ich sie jetzt unmöglich anschreiben.

Erst hat sie mich beim Starren erwischt, Gott war mir das peinlich. Wahrscheinlich war ich knallrot im Gesicht und sah richtig erbärmlich aus. Dann ist sie tatsächlich zu mir gekommen und hat versucht, ein Gespräch in Gang zu bringen. Wahrscheinlich hatte sie Mitleid mit mir, weil ich da so alleine rumsaß.

Allerdings hab ich wie immer nur total doof rumgeplappert und versucht, dämliche Witzchen zu reißen. Ich konnte ihr richtig ansehen, dass sie mein Gelaber ziemlich bescheuert fand, ihr Lächeln war ganz schief und gekünstelt. Sie ist dann auch schnell wieder gegangen, kann ich ihr gar nicht verübeln. Hab sie ja regelrecht vertrieben.

Eigentlich würde ich total gerne mit ihr schreiben, aber sie hat bestimmt ganz viele andere Sachen zu tun. Da würde ich doch nur stören. Die denkt doch sowieso schon, ich bin erbärmlich und kriege nichts gebacken: Starrt einen dumm an, labert nur blödes Zeug.

Mit mir will doch eh kein Mensch was zu tun haben.

...

Gedankenexperiment:

Eine*r von beiden nimmt das Handy in die Hand, hört auf nachzudenken und schreibt: "Hallo."


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