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Müde trat ich am nächsten Morgen aus meinem Zimmer heraus und rieb mir die Augen. Ich hatte mir noch lange ein wenig etwas von Claus über seinen Garten und seine Tiere erzählen lassen, welche er hier pflegte und ich war erstaunt davon wie viel er hier zu tun hatte. Offenbar hatte der Vampir einen Stall mit zwei Pferden, um die sich der Werwolf kümmerte, es gab hier einen Hühnerstall und zusätzlich streunten hier wohl zwei junge Kater herum, welche sich jedoch ungerne in der Nähe der Burg aufhielten. Gerade eben war ich schwitzend und frierend aufgewacht, da mir kalt war und nun wollte ich mir unten bei Claus etwas zu essen suchen, weil ich hungrig war. Es war noch früh am Morgen, selbst für mich, denn gerade konnte ich von meinem Fenster aus beobachten, wie die Sonne aufging und ich mochte das, denn diese Aussicht sah wunderschön aus. Tatsächlich fühlte ich mich ansonsten sehr gut, die Schmerzen, welche von der Biss Wunde in meinem Arm ausgingen waren weg und ich hatte nicht einmal Bauchschmerzen vor Hunger, so wie es bei meinen Eltern zuhause der Fall gewesen wäre. So sehr ich die beiden auch vermisste, es hatte Vorteile hier zu leben.

Irritiert stoppte ich, als ich fast ganz unten angekommen war. Dumpf, jedoch gut konnte ich hören, wie irgendjemand ein Instrument spielte, welches ich zuvor in meinem Leben noch nie so gehört hatte und ich zögerte. Ich kannte Musik ausschließlich von den Musikanten, welche manchmal im Dorf ihr Unwesen trieben und die Bürger des Dorfes mit ihrer Kunst erfreuten, doch solch eine schöne Melodie wie diese hier hatte ich noch nie vernommen und ich war begeistert von ihr. War das Claus, oder handelte es sich bei dem Musiker um Manuel? Leise schlich ich mich in die Richtung eines mir noch unbekannten Ganges, welcher so dunkel war, dass ich überlegte einfach wieder umzudrehen und zu gehen, aber ich lief weiter. Immer näher kam ich den wundervollen Klängen des Instrumentes und mein Herz wurde schwerer, denn wer auch immer dort gerade spielte, diese Person spielte wahrlich um ihr Leben. Unschwer war die Trauer und eine gewisse Art von Schmerz in der Melodie zu erkennen, welche gespielt wurde und ich machte mir Sorgen, denn so etwas trauriges sollte nicht gespielt werden. Mit Musik drückte man seine Gefühle aus und ich würde nicht zulassen, dass es irgendjemandem hier schlecht ging, denn das würde mich zu einem schlechten Menschen machen.

Nach einigen Sekunden stand ich schließlich vor einem riesigen, durch eine Fensterfront gut beleuchteten Saal, welcher abgesehen von einem dunklen braunen Flügel leer war. An der Decke hing ein prachtvoller, glänzender Kronleuchter und die hellen braunen Wände des Raumes waren geschmückt mit gemalten Efeuranken, das hier war ein schöner Ort. Mein Herz setzte aus, als ich den dünnen, langhaarigen Mann sah, welcher seine gesamte Kraft und Energie in das spielen des Flügels gegeben hatte und für wahr mitlitt. Immer wieder schwenkte er mit seinen Armen mit und meine Augen wurden groß, als ich den Größeren so beim spielen beobachtete. Ging es ihm gut? Dass ich da war, das bemerkte der Brünette offenbar gar nicht, so tief war er in seiner eigenen Welt versunken und ich blieb wie angewurzelt stehen, schließlich ahnte ich schon, dass dieser Kerl nicht erfreut darüber sein würde mich hier zu sehen. Ich lauschte einfach nur beeindruckt der Musik des Vampirs und legte meine Hände ineinander, zeigte meinen stillen Respekt. Er sollte nicht so traurig und betrübt sein, er hatte mir am gestrigen Tag einen Gefallen damit getan, dass wir meine Mutter besuchen gegangen waren und ich wollte für ihn da sein, wenn er mich denn bei sich haben wollte.

Eine ganze Weile lang stand ich still da, bis ich vernahm wie Manuel langsamer und langsamer spielte, nur um schließlich ganz aufzuhören, sodass es ruhig wurde. Überfordert von dieser gewaltigen Kraft an Melancholie, welche der Langhaarige durch seine Melodien erweckte, wusste ich nicht was ich tun sollte und stand deswegen einfach nur in der Gegend herum, in der Hoffnung nicht zu stören. Bewegungslos saß mein Herr noch einen Augenblick am Flügel, um nachdenken zu können, bis er schlussendlich auf schaute und die vielen weißen und schwarzen Tasten mit einer Überdeckung versteckte. „Was tust du hier, Patrick? Es ist unhöflich sich so anzuschleichen...", sprach der Grünäugige schließlich ruhig, dabei wandte er sich mir nicht zu und ich zuckte erschrocken zusammen, bekam rote Wangen. Nervös öffnete ich meinen Mund ein Stück weit und sah mich um, er wusste doch, dass ich da war. Durfte ich wohl eintreten in den Saal? Der Vampir schien nicht so genervt von meiner Anwesenheit zu sein wie ich es ursprünglich gedacht hatte und das freute mich etwas. „Ich wollte, äh..., also eigentlich wollte ich etwas essen, aber dann habe ich gehört wie jemand Musik macht und ich wollte schauen wer es ist! So etwas wunderschönes habe ich noch nie gehört..., danke, dass ich das hören durfte!"

Unbeeindruckt saß der Ältere einfach weiterhin da und regte sich nicht. „Du wirst diesen Raum hier niemals betreten, hast du das verstanden? Ich habe eben nur weiter gespielt, weil du genug Glück und Verstand besessen hast, um nicht hier rein zu gehen! Setzt du auch nur einen Schritt hier rein, dann werde ich dir alles nehmen was dir auch nur ein bisschen etwas bedeutet und ich lasse dich dabei zusehen wie ich deiner Mutter ihr letztes bisschen Leben aussaugen werde!", warnte mich der Größere mit drohender Stimme und ich nickte mit großen Augen, das kam unerwartet. Offenbar war dieser Raum für meinen Herrn sehr wichtig und das würde ich respektieren, egal was war. Mir kamen die Worte von Claus in den Kopf, welcher meinte, dass Manuel eigentlich nicht vor hatte mich irgendwie zu verletzen und ich war nicht ganz so erschrocken wie ich es wohl sonst gewesen wäre. Schüchtern senkte ich meinen Blick noch ein Stück weit. „Ich werde diesen Raum niemals betreten, das verspreche ich. Dürfte ich aber vielleicht zumindest von hier zuhören wie Ihr spielt, Herr? Es war wirklich schön und ich werde auch leise sein und nicht sprechen."

Verwundert lauschte Manuel auf, als ich das aussprach. Es war nicht viel was ich verlangte, ich wollte einfach nur diese wundervollen Melodien noch einmal hören dürfen und vielleicht meine Augen schließen, dafür musste ich noch nicht einmal etwas sagen. Seufzend stand der Langhaarige auf, wobei sein schwarzer Umhang, welchen er hier daheim wohl sehr gerne trug, im entstehenden Wind hübsch umher wehte. „Wenn es dir Freude bereitet, dann meinetwegen! Und jetzt verschwinde und iss etwas, ich habe gehört, du möchtest Claus heute beim pflegen der Hoftiere behilflich sein!", erlaubte mir der Vampir und freudig lächelte ich, als ich das vernahm, er ließ mich ihm zuhören. Ich kam sehr selten in den Genuss von Musik und war glücklich darüber zu hören, dass ich nun manchmal, wenn ich früh genug aufwachte, meinem Arbeitgeber dabei zuhören konnte wie er am Flügel spielte, das würde meine Mutter sicher auch begeistern. Am nächsten Sonntag würde ich ihr davon erzählen wie ich nun immer wundervolle Musik hören durfte und ich würde dabei lächeln, so wie sie es sich wünschte. „Ja, natürlich Herr, Danke schön! Tut mir leid für die Störung, ich mache das wieder gut!"

Froh lief ich also wieder zurück und suchte mir meinen Weg in die Küche, wo ich auch tatsächlich Claus bereits auf einem Stuhl sitzen sah, welcher gerade Kartoffeln schälte. Verwundert schaute mich der Wolf an, als er mich lächelnd sah. „Patrick, mein Freund, warum bist du so glücklich am Morgen? Hast du gut geschlafen?", fragte der Ältere mich mit großen, braunen Augen und ich setzte mich ihm gegenüber auf einen Stuhl, sodass ich mich mit ihm unterhalten konnte. Für gewöhnlich war ich nicht so froh, wenn ich aufstand, aber die Tatsache, dass Manuel wieder nett zu mir gewesen war ließ mich ein Lächeln auf meinen Lippen tragen. Es kam nicht oft vor, dass ich für meine guten Taten belohnt wurde und nun war es wieder soweit, ich durfte mir von nun an Musik anhören und ich durfte sogar mit Claus gemeinsam raus gehen, denn verboten hatte mir der Grünäugige das nicht. „Ja, danke der Nachfrage! Ich habe gerade dem Herrn dabei zuhören dürfen wie er am Flügel gespielt hat und er meinte sogar, dass ich ihm von nun an immer zuhören darf, wenn er spielt! Das macht mich eben glücklich, weil ich nie wirklich Musik hören konnte bisher..., Manuel spielt unglaublich gut."

Erschrocken guckte mich der Lockenkopf an, als ich das sagte. Wahrscheinlich leuchteten meine Augen bereits vor Freude und Glück, doch das war gerade eher nebensächlich, zumindest für den Größeren. „Du durftest ihm beim musizieren zuhören, ehrlich? Nicht einmal ich darf diesen Saal betreten...", meinte mein Freund und ich senkte meinen Kopf ein Stück weit, das durfte ich auch nicht. Wenn nicht einmal Claus dort hinein gehen durfte, dann hatte dieser Ort wohl eine wirklich große Bedeutung für den Vampir und ich würde mich erst recht an seine Worte halten, aus Angst sonst gepeinigt zu werden. Ich war nur in der Nähe des Älteren geduldet und sollte auch nicht sprechen, mehr war das nicht. „Ich darf den Saal auch nicht betreten, aber ich habe ihn gefragt, ob ich ihm vielleicht von draußen zuhören darf, weil mir seine Musik gefällt und er hat zugestimmt! Er spielt so schön wie niemand anderes, den ich jemals ein Instrument spielen gehört habe...", lächelte ich sanft, dabei dachte ich daran, wie der Grünäugige sein Instrument wie im Traum spielte und ich wünschte mir diese Klänge auf ewig hören zu dürfen, denn sie waren himmlisch. So traurig die Melodie auch war, ich mochte sie und war gespannt darauf, was der Größere denn noch spielen würde.

Ein kleines Lächeln stahl sich auf seine Lippen. „Ja, du hast recht, er ist wirklich ein guter Spieler..., er übt gerne in der Nacht, wenn ihn niemand stören kann, weißt du? Soweit ich weiß macht er das schon seit über siebzig Jahren!", erzählte mir der Wolf, während er begann wieder Kartoffeln zu schälen und ich machte große Augen, das war eine lange Zeit, die er da schon spielte. Es erklärte wieso er solch wundervolle Klänge aus dem Instrument hervor brachte und ich war beeindruckt von der Mühe, die der Brünette dort hinein steckte, diese Kraft dazu hätte ich niemals. Am morgigen Tag würde ich dem Älteren noch viel mehr Respekt zeigen als heute, zumindest durch einen kleinen Applaus, so wie es ein jeder Künstler verdiente, der sich solch eine Mühe gab wie Manuel. „Manuel ist echt ein beeindruckender Mann! Macht er noch etwas anderes als am Flügel zu spielen?", wollte ich wissen und nickend musterte mich mein Gegenüber, er wusste vieles über den Vampir. Den Grünäugigen selbst zu fragen was er so den ganzen Tag trieb war unmöglich, denn so wie er mich bisher behandelte, würde er nur genervt sein und mich ignorieren, also blieb mir nur der Werwolf um etwas neues zu erfahren.

„Gewiss, ja. Er liest sehr viel am Tage und er geht auch gerne spazieren, wenn ihm danach ist! Und abends hat er sehr oft Besuch von Michael, mit dem er sich unterhält. Michael kennst du ja schon...", erzählte mir der Braunäugige, was mich mein Lächeln etwas verlieren ließ. Michael war ein schlechter Mann, er hatte mein Blut trinken wollen und wirkte auf mich nicht sehr freundlich, geschweige denn nett zu Menschen, weshalb ich mich von ihm fern halten würde. Vampire waren mir viel zu blutrünstig und gefährlich, das einzige was sie wollten war es mein Blut zu trinken und das wollte ich nicht, denn das tat weh. Vielleicht ließ ich Manuel noch einmal an mich heran, wenn dieser in Not war, doch einen anderen Vampir würde ich meiden und wenn es mich mein Leben kosten würde. „Sind alle Vampire so kaltherzig und gefährlich wie Michael? Ich möchte nichts mit diesem Kerl zu tun haben, seit ich ihn das erste Mal gesehen habe...", fragte ich leise und wieder nickte der Lockenkopf, das war zu erwarten gewesen. Auch Manuel war zeitweise sehr wütend und aggressiv gegenüber mir, aber noch lange nicht so erschreckend wie sein Freund, das war meine Auffassung der Dinge.

„Die meisten Vampire sind gefährlich und kaltherzig, ja. Aber es sind längst nicht alle Vampire so, Patrick! Auch Michael ist eigentlich ein sehr ruhiger und bedachter Kerl, so wie Manuel, aber er hatte eben zu lange kein menschliches Blut mehr und das macht Vampire noch gefährlicher als sowieso schon. Du hast ihn einfach im falschen Moment das erste Mal getroffen..., ich kann dich aber beruhigen und verspreche dir, dass Manuel niemals in seinem Leben zulassen wird, dass auch nur ein anderer Vampir sich an dir und deinem Blut vergreift! So lange du hier bist, bist du für ihn wie sein Besitz und diesen behütet er wie einen Schatz, nämlich mit seinem Leben. Bei deinem nächsten Zusammentreffen mit Michael wird er dich ganz sicher nicht so erschrecken und wenn doch, dann ist Manuel immer an deiner Seite!", beschrieb mir Claus die Sicht Manuels auf mich und ich machte große Augen, ich war also sein Besitz, das kam unerwartet. Schon letztes Mal hatte er mich beschützt, als der Grauäugige mein Blut trinken wollte und auch, wenn ich es unschön fand als Besitztum gesehen zu werden, so fühlte ich mich eben doch wohl.

~2200 Worte, geschrieben am 23.12.2022

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