37

Besorgt schaute ich durch den kleinen Spalt der Tür. Manuel saß mit eingesunkenen Schultern auf seinem Bett und versuchte nicht zu weinen, er fühlte sich alleine, was mir mein Herz brach. Ich vermisste es ihn zum einschlafen zu umarmen, er fehlte mir an meiner Seite und doch musste ich stark bleiben, sonst würde ich niemals aufhören ihn zu lieben. So jedoch konnte ich den Vampir nicht weiter leiden lassen, er hörte doch Stimmen, wenn er ganz alleine war und deswegen entschied ich mich dazu ihm ein wenig zu helfen, wenn auch nicht so, wie er es sich eigentlich wünschte. Entschlossen lief ich nach unten und suchte mir ein Stück Papier, sowie einen Stift zusammen, um mit dem Schreiben beginnen zu können. Ich wusste, dass der Ältere nicht ruhen würde, bis er nicht wusste, dass es mir gut ging, und ich würde ihn ganz sicher nicht vollkommen alleine lassen, das schwor ich mir selbst. Im Speisesaal setzte ich mich ordentlich hin, so, dass das Licht der langsam untergehenden Sonne auf das noch leere Blatt Papier fiel und es erhellte. Überlegend schaute ich das Blatt an. Ich konnte zwar lesen, auch wenn ich manchmal etwas lange dafür brauchte, aber schreiben würde ich mir nun selbst beibringen müssen.

Unsicher setzte ich den Stift an, zögerte jedoch. Ich wollte nichts falsch machen, vor allem, da der Ältere doch eigentlich wunderschön schreiben konnte und ich ihn nicht enttäuschen wollte. Schmunzelnd stand ich also auf und ging in die Bibliothek, um mir ein Buch zu suchen, aus dem ich ein paar Worte heraussuchen konnte. Motiviert begann ich meinen kleinen Brief zu verfassen. In der Mitte faltete ich ihn, sodass man ihn aufklappen konnte. Mit etwas zittriger Hand schrieb ich ein paar Worte nieder: Schau Mal nach draußen, Manu! Und öffne dann diesen Brief. Beim besten Willen, diese zwei einfachen Sätze sahen aus, als hätte ein Kind sie geschrieben und doch war es das beste was ich zu bieten hatte, mehr konnte ich nicht. Ich wusste nicht, ob das hier tatsächlich eine gute Idee war, aber ich wollte den Größeren aufmuntern und dafür gab ich mein Bestes. Lächelnd schrieb ich weiter: Du hast vor ein paar Tagen gesagt, meine Augen sehen aus wie Sterne. Ich bin vielleicht gerade nicht neben dir, aber ich bin nicht weg! Ich bin wie ein Stern, bei Tage sieht man mich nicht, doch in der Nacht, da passe ich gut auf dich auf.

Sanft lächelte ich, als ich meinen letzten Absatz verfasste: Schlafe schön, Manu. Und komme zu mir, wenn du nicht schlafen kannst! Ich werde immer auf dich aufpassen, wenn du mich brauchst, egal was ist. Mit unruhigem Blick faltete ich das Blatt wieder zusammen und stand auf. Ich würde noch ein ganz kleines bisschen warten müssen, bis es dunkel genug war, dass man Sterne sehen konnte und dann konnte ich dem Grünäugigen meine Nachricht überbringen, das regte mich innerlich doch sehr auf. Leise lief ich in Richtung Treppe, wo ich tatsächlich meinem kleinen Kätzchen begegnete. „Mau, mein Mäuschen, komm Mal her! Ich habe hier etwas, was du gleich zu Manu bringen musst, ja? Es ist nur ein kleiner Brief, damit er nicht mehr so traurig ist...", erklärte ich leise, während ich die Katze vorsichtig auf den Arm nahm und unsicher legte diese ihre Ohren an, brummte jedoch verstehend. Ganz sanft strich ich der Älteren durch das weiche Fell, ich lief glücklich mit ihr die Treppe nach oben und wünschte mir, dass sie meinem Schützling wieder ein kleines Lächeln auf die Lippen zauberte. Den ganzen Tag über war der Brünette in seinem Zimmer verblieben und nun wollte ich, dass er mit einem Lächeln einschlafen konnte.

(...)

Manuel saß auch am nächsten Morgen noch unverändert einfach nur da und hielt den Kopf gesenkt. Mein Plan ihn wieder aufzumuntern war gescheitert, er hatte den Brief zwar gelesen, so wie ich es gewollt hatte und er schien auch für einen kleinen Moment glücklich zu sein, doch das änderte sich schnell wieder und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich hatte definitiv nicht ideal reagiert, indem ich beschlossen hatte mich von dem Älteren zu distanzieren, aber dass er so gebrochen war und sein Zimmer nicht mehr verließ, das bereitete mir ein schlechtes Gewissen. Sollte ich mit dem Grünäugigen sprechen? Er hatte mir klar gemacht, dass er mich nicht seinen Partner nennen wollte, aber ich verstand noch immer nicht so ganz wieso er mich ablehnte und vor allem, weshalb er nicht mit sich reden lassen wollte. Sicher war ich ihm viel zu klein und zu unerfahren, er hatte schon einmal eine Beziehung, ganz im Gegensatz zu mir und ich war kein Vampir, also lehnte er mich ab. Wir passten einfach nicht zusammen, ich war nicht so wie er und das würde ich auch niemals sein, so sehr ich es mir auch wünschte. Warum nur hatte er mir dann mein Herz gestohlen?

Mit müden Augen lief ich über ein ansonsten leeres Feld und ging meinen Gedanken nach. Ich fühlte mich bei Manuel daheim furchtbar eingesperrt, beinahe einsam und ich war unglücklich mit meiner gesamten Situation, dabei ging es mir doch eigentlich gut. Bei dem Vampir bekam ich immer genug zu essen, ich durfte lesen, schreiben und zusätzlich konnte ich meine Eltern finanziell unterstützen, ich sollte lächeln können. Stattdessen machte ich mir Sorgen und versuchte mit meinen Gefühlen klarzukommen, welche ich für einen Mann hatte, der niemals meins sein würde, ich war ein jämmerlicher Versager. Ich sollte mich mit dem, was ich hatte, zufrieden geben, doch das konnte ich nicht, denn ich wusste, dass ich es auch besser haben könnte. Manuel hatte nicht geleugnet, dass er mich liebte, er hatte es sogar bestätigt und trotzdem lehnte er mich ab, das hatte ich nicht verdient. War ich denn nicht gut so wie ich war? Ich war sicherlich nicht das, was sich jemand anderes erhoffte oder wollte, immer wieder beschwerte sich Manuel schließlich über meine Dummheit, aber..., war ich deswegen tatsächlich ein schlechter Partner? Man konnte mit mir reden, ich war bereit dazu eine Lösung zu suchen, um glücklich zu sein und trotzdem wurde ich abgelehnt, das nahm mich mehr mit als alles andere.

Ein kleines, leises Schluchzen riss mich aus meinen trüben Gedanken und ich schaute mich verwundert um, das war doch unmöglich. Meine Augen blickten sich suchend nach der Quelle dieses Geräusches um, aber fündig wurde ich nicht. So hell wie dieses schluchzen klang, kam es von einem kleinen Kind und das ließ mich unruhig werden. Weit und breit war nichts zu sehen, ich befand mich auf einem Wanderweg und ringsherum, egal wo ich hinsah, befanden sich Getreidepflanzen, welche riesig hoch waren. War dem kleinen Kind etwas passiert und deswegen versteckte es sich? Ich konnte kein kleines Kind ganz alleine hier lassen, wenn es doch Hilfe brauchte. Still wartete ich auf ein weiteres schluchzen. Verwundert lauschte ich auf, als ich eine Stimme vernahm. „Tu mir nichts, bitte...", weinte ein kleiner Junge und ich drehte mich um, das kam tatsächlich aus dem Feld heraus. Das Kind hatte große Angst, wie es schien, es fürchtete sich vor mir und ich wusste, ich würde nun ganz sanft mit ihm sein müssen, sonst würde es mir nicht vertrauen. „Ich möchte dir nichts tun, kleiner Freund. Geht es dir gut, oder warum versteckst du dich?"

Lächelnd setzte ich mich auf den dünnen Wanderweg und beschloss dem Jungen nicht näher zu kommen. „Meine Mama hat gesagt, dass ich mich verstecken soll, wenn ich Angst habe und ich habe Angst!", erzählte das Kind mir und ich kniff meine Augen ein kleines bisschen zusammen, da waren doch tatsächlich ein paar kleine, braune Augen, welche mich unsicher musterten. Kaum mehr konnte ich von dem mir fremden erkennen und mir wurde bewusst, dass ich den Kleinen ganz schön verängstigte. Wenn ich es nicht besser wüsste, dann war dieser Junge gerade einmal sieben Jahre alt und ich machte mir Sorgen um ihn, denn in einem so jungen Alter sollte man noch nicht alleine hier draußen herum laufen. „Das verstehe ich. Wo ist denn deine Mama? Du bist doch noch so klein und solltest hier draußen nicht alleine spazieren...", wisperte ich leise, dabei schaute ich meinen Schützling aufmerksam an und er schluchzte wieder auf, versteckte sein etwas gerötetes Gesicht nun in seinen Armen. Erschrocken versuchte ich mir ein lautes Aufatmen zu verkneifen, als ich sah, dass da zwei kleine, buschige Wolfsohren auf seinem Kopf saßen und sich ängstlich an diesen anlegten. Das hier, das war ein kleiner Werwolf und er fürchtete sich vor mir, das tat mir leid.

„Mama ist zuhause und passt auf meine kleinen Geschwister auf! Und ich traue mich nicht mehr nach Hause zu gehen, weil ich meinen Hut verloren habe...", weinte der namenlose und ich vermutete, dass er Angst davor hatte von einem Menschen gesehen zu werden, da er ein Werwolf war. Das hier war ein Wesen, welches von uns Menschen als aggressiv und böse empfunden wurde, der Braunäugige würde gejagt werden, wüsste man, was er war und deswegen versteckte er alles, was er verstecken konnte. Was sollte ich nur tun? Hier konnte er nicht für immer bleiben und ausharren, er musste zu seiner Mutter zurückkommen und ich würde ihm helfen, irgendwie. „Du hast Angst davor, dass jemand deine Ohren sieht und dir deswegen wehtut, oder?", fragte ich also ruhig, dabei schaute ich ihn mit vorsichtiger Mine an und der Kleine schluchzte einfach nur auf, er war einfach überfordert mit allem was hier passierte. Es tat mir leid, dass ich dem Wolf gerade solch eine riesige Angst machte, er war doch noch so klein und wusste nur, dass er keinen Menschen vertrauen konnte, das tat mir einfach leid. Manuel hatte recht, ich war viel zu gutherzig und liebevoll.

Verständnisvoll nickte ich. „Ich verstehe dich, Kleiner. Weißt du, ich bin vor ein paar Tagen einem Vampir begegnet und er hat mich gebissen! Und seitdem muss ich immer darauf aufpassen, dass niemand meine Biss Wunde sieht. Du musst dich nicht vor mir fürchten, okay? Ich kenne auch einen Werwolf! Er ist mein bester Freund und er hat mir beigebracht, dass Werwölfe liebe Wesen sind..., ich habe keine Angst vor dir und du brauchst keine Angst vor mir zu haben!", erzählte ich dem Jungen ruhig, dabei versuchte ich ihn nicht zu beunruhigen und trotzdem weinte der Wolf weiter, was ich nur allzu gut verstand. Vor ihm saß gerade sein schlimmster Erzfeind, ein Mensch und er konnte nicht einschätzen, inwieweit dieser für ihn ungefährlich war, also mied er es mit ihm zu sprechen. Mein einziges Glück in diesem Moment war, dass dieser Junge mir durch sein junges Alter schneller vertrauen würde als ein Erwachsener. Überlegend schaute ich zu Boden. „Ich kann dir helfen nach Hause zu kommen, wenn du mich lässt! Du hast vielleicht keinen Hut mehr, um deine Öhrchen zu verstecken, aber ich kann dich tragen und deine Ohren verstecken. Du musst mir nur vertrauen, kleiner Mann. Soll ich dir vielleicht ein bisschen etwas von mir erzählen?"

Ganz in Ruhe erzählte ich dem Kleinen ein wenig etwas von mir. Ich sagte dem Jungen meinen Namen, erzählte davon wie ich aufgewachsen war, und schließlich erzählte ich ihm davon, wie ich zu Manuel und Claus gekommen war. Schniefend wurde mein Schützling ruhiger, er strich sich erschöpft seine Tränen aus den Augen und guckte mich schließlich ganz gespannt an, was mich erleichterte. „Ich habe noch nie einen echten Vampir gesehen...", wisperte der Braunäugige, dabei spielte er nervös mit seinen Fingern und ich lächelte sanft, das beschäftigte den Wolf wirklich sehr. Etwas unbeholfen krabbelte der Kleine nun aus seinem Versteck heraus und ich sah nun das erste Mal seinen ganzen Körper, über den ich nur staunen konnte. Ganz anders als erwartet, war der Junge ein wenig rundlich und tapsig, er war unsicher und ich ließ ihm alle Zeit der Welt, um zu mir zu kommen, so wie er es brauchte. „Darf ich den Vampir kennenlernen, Patrick? Er klingt so nett!", fragte mich mein Schützling mit großen, glänzenden Augen und ich schaute verunsichert zu ihm, das war nicht gut. Manuel war nicht in der richtigen Verfassung dazu jemand neues kennenzulernen, er war betrübt und unsicher, aber das konnte mein Vordermann nicht wissen.

„Magst du nicht lieber zu deiner Mama zurück gehen? Sie macht sich doch bestimmt schon Sorgen um dich...", stellte ich dem Kleinen eine Gegenfrage, aber das lehnte er sofort ab. Flehend schaute der Wolfsjunge zu mir auf, er besaß die gleichen treuen braunen Augen, welche auch Claus besaß und ich konnte einfach nicht nein sagen, er war doch so neugierig. Wenn Manuel ihn nicht kennenlernen wollte, dann würde ich dem Braunäugigen eben Claus vorstellen und vielleicht freute er sich darüber ja auch, wer wusste es schon. „Na gut. Dann komm Mal her! Wenn der Manuel aber nicht mit dir reden will, dann müssen wir das akzeptieren, okay? Vampire können sehr schnell böse werden und wir wollen nicht, dass Manuel böse wird. Und wenn du ihn kennengelernt hast, dann geht es aber ab nach Hause für dich!", erklärte ich dem Jungen, bevor ich ihn voller Anstrengung auf den Arm nahm und mich fragte, ob ich den Kleinen tatsächlich bis nach Hause tragen konnte. Mit etwas Glück würde Claus mir helfen, wenn ich ihm die Sache erklärte, und dann würde ich vielleicht nicht ganz alleine zu der Familie des Jungen gehen müssen, was wahrscheinlich auch besser so wäre.

~2200 Worte, geschrieben am 08.02.2023

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