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Mit schweren Herzen lag ich eingerollt in meine Decke in meinem Bett und ging meinen Gedanken nach. Kaum hatte ich das Stück Kuchen aufgegessen, welches mir Claus aufgezwungen hatte. Ich weigerte mich etwas zu tun, was mich am Leben erhalten würde und doch zwang mich der Wolfsmensch dazu das Stück Kuchen zu essen. Ich fühlte mich schrecklich, schrecklich einsam und schuldig, schließlich würde meine Mutter allein meinetwegen sterben, das war alles meine Schuld. Weil ich sie nicht mehr fütterte, würde sie langsam und qualvoll verhungern, dabei hatte sie doch noch so viel von der Welt nicht gesehen, genau wie ich. Es war ein Fehler gewesen den Vampir mit meinem Blut gefüttert zu haben, nun würde ich niemals mehr wieder einen Fuß hinaus in die Welt setzen können und das wollte ich auch nicht mehr tun, wenn ich doch sowieso keinen Grund mehr dazu hatte zu leben. Meine Mutter war der Grund gewesen warum ich Tag für Tag aufs neue aufgestanden war, ich selbst war nur da, um der Brünetten all ihre Mühen zurück zu zahlen, welche sie auf sich genommen hatte, um mich groß ziehen zu können und nun hatte ich nichts mehr. Bis an das Ende meines Lebens würde ich nun hier liegen und vor mich hin vegetieren.
Müde lauschte ich den Schritten, welche auf dem Gang erklangen und ich schloss meine Augen. Es war bestimmt zwei Stunden her, dass Claus gegangen war, um seine Pflichten im Hause zu erledigen und nun erklangen diese schweren, dumpfen Klänge erneut, nur sehr viel leiser als zuvor noch. Sie waren langsam, beinah gemächlich und mir wurde kalt bei dem Gedanken, dass ich in wenigen Augenblicken wieder in der Gegenwart eines Werwolfs sein würde. Vorhin war er noch sehr sanft und liebevoll mit mir, er lächelte leicht, fütterte mich und bot mir an mir Gesellschaft zu leisten, aber wer wusste schon wie er auf mich reagieren würde, wenn er verstand, dass ich meinen Willen zu leben verloren hatte. Waren meine negativen Gedanken wohl eine Folge meines Blutverlustes, war das überhaupt möglich? Nie hatte ich so lange einfach traurig im Bett gelegen, mir war kalt und ich wollte nach Hause zu meiner Mutter gehen, um dort niemals mehr wieder das Haus zu verlassen, aber das war unmöglich. Im Moment sah es so aus als würde ich das Haus nie mehr wieder betreten und ich konnte das nicht akzeptieren, so sehr ich es auch wollte.
Minuten über Minuten hörte ich Schritte hin und her laufen, bis ich vernahm wie sich die Tür zu diesem Raum öffnete. Still atmete ich ruhig und gleichmäßig, in der Hoffnung, dass dem Mann nicht auffiel, dass ich eigentlich wach war. Erst, als mir die unbekannte Person etwas näher kam lauschte ich erschrocken auf, denn es handelte sich dabei nicht um Claus, es war jemand ganz anderes. „Seht Ihr, Herr? Er ist noch nicht so weit und braucht Ruhe...", sprach Claus aus, dabei brummte er stark und das Blut in meinen Adern fror ein, der Vampir war hier. Verängstigt machte ich mich etwas kleiner und tat so, als würde ich schlecht träumen. Offenbar wollte der Vampir mit mir sprechen und der Werwolf hatte ihm versucht verständlich zu machen, dass ich noch nicht bereit dazu war. Demnach war der mir unbekannte wohl ein wahrer Sturkopf, er glaubte seinem Angestellten nicht, kein Wort und das entnervte Seufzen, welches daraufhin folgte, war wirklich grausam. Es schien ihn wohl nicht zu interessieren, dass ich nicht so lange leben konnte wie er, aber warum sollte ihn das auch interessieren, ich war nur ein dummer kleiner Mensch für ihn. „Wie kann ein Mensch nur so lange schlafen? So viel Blut habe ich doch gar nicht von ihm genommen."
Tief und doch so ruhig klang die Stimme des Grünäugigen, sie war angenehm. „Er ist unterernährt und schwach, vergesst das nicht, Herr. Lasst ihm noch ein wenig Zeit, bis er von selbst aufwacht, okay? Und seid bitte nicht so herablassend, er hat Euch immerhin Euer Leben gerettet...", sprach mein neuer Beschützer und ich verstand nicht wieso er mich so beschützte, denn das musste er eigentlich nicht tun. Claus hatte wohl ein großes Herz und würde sich nun für mich einsetzen, das war wohl eine seiner wundervollen Eigenschaften. Wahrscheinlich hatte das ganze etwas damit zu tun, dass ich seinen geliebten und mächtigen Herrn vor dem Tod bewahrt hatte, das konnte ich mir gut vorstellen. „Wie du meinst. Ich werde hier so lange warten, bis er aufwacht! Geh ruhig und lies ein Buch, das kann ja noch ewig dauern, bis der aufwacht!", meinte der Vampir, was mir mein Herz für einen Moment stehen bleiben ließ. Der Vampir wollte hier in diesem Zimmer darauf warten, dass ich aufwachte, er wollte unbedingt mit mir sprechen und ich konnte nicht ewig so tun als würde ich schlafen, das würde er nur merken. Zu meinem Pech akzeptierte Claus jedoch die Worte seines Arbeitgebers und verschwand, sodass ich mit dem namenlosen alleine war.
Stille trat ein und ich vernahm, wie der Vampir leise, beinahe tonlos an meinem Bett vorbei lief und zum Fenster ging, wahrscheinlich um aus diesem heraus zu schauen. Erst einige Minuten später wagte ich es meine Augen leicht zu öffnen, sodass ich erkennen konnte wie der Größere mit verschränkten Armen am Fenster stand und aus diesem hinaus schaute. Stark und mächtig sah der Ältere durch das Licht aus, welches von vorne auf ihn schien und ich erkannte nun dunkle, braune Haare, welche glatt gekämmt waren, sie waren wundervoll. Auch trug der Brünette wieder etwas ordentliches, dieses Mal bedeckte ein weißes, enges Hemd seinen Oberkörper und ich wusste nicht was ich tun sollte, er sah so..., friedlich aus. Im Gegensatz zu dem, was er keine zwei Minuten vorher noch gesagt hatte, wirkte er nun wie eine ganz andere Person und unsicher zogen sich meine beiden Augenbrauen zusammen, ich wollte einem Gespräch unbedingt aus dem Weg gehen. Claus war lieb und freundlich zu mir gewesen, aber der Vampir würde das ganz sicher nicht sein, nicht, so wie er über mich geredet hatte. Er würde mich gleich fertig machen, da war ich mir sicher.
Einen kleinen Moment noch lag ich einfach so da, bis ich den Mut gesammelt hatte mich aufzusetzen. Vorsichtig nur schaute der mir fremde nun zu mir und ich blickte in ein Paar dunkle, grüne Augen, welche kein bisschen rot unterlaufen waren, so wie in der Nacht vor zwei Tagen. Weiß wie Schnee war die Haut des Mannes, sie war rein und ich hatte Mühe dabei meinen Mund nicht zu öffnen, er sah schön aus. Nur die Tatsache, dass er monoton in meine Richtung schaute, machte sein Bild zunichte und ich senkte schüchtern meinen Kopf, wusste nicht zu handeln. Mit langsamen, stillen Schritten kam der Größere auf mich zu und setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett. Eine silberne, alte Kette hing ihm um seinen Hals, der Anhänger wurde jedoch von seinem Hemd verdeckt, sodass ich diesen nicht sehen konnte und ich war erstaunt von ihm, er war wohl wirklich reich und mächtig. „Hast du Schmerzen?", fragte mich der Grünäugige direkt, dabei schaute er mir genau in die Augen und ich schüttelte wahrheitsgemäß meinen Kopf, mir ging es gut. Die Schmerzen, welche ich nach dem Aufwachen im Arm verspürt hatte, waren wie von Zauberhand verschwunden und ich war nur noch etwas erschöpft.
Verstehend nickte der Vampir. „Nun gut. Dann würde ich ganz gerne von dir wissen, warum du nicht einfach weggelaufen bist, als du mich im Wald liegen gesehen hast? Du hast ja offenbar gewusst, dass ich nicht so bin wie du und dass ich gefährlich bin, wirst du ja wohl auch gewusst haben...", begann der Langhaarige ruhig, dabei setzte er sich auf einen Stuhl und überschlug sein linkes Bein mit dem rechten und ich dachte nach, ich wusste es auch nicht. Ich hätte es einfach falsch gefunden dem verletzten und schwachen Vampir nicht zu helfen, er war schließlich, auch wenn er ein Untoter war, immerhin noch ein Lebewesen und gar nicht so aggressiv wie ich es mir vorgestellt hatte, so wie es mir erzählt wurde. Für mich widersprach der Ältere dem Bild, welches ich von Vampiren hatte und das verstand ich nicht, es war einfach so vieles falsch hier. „Ich habe gehört, wie vier Männer davon erzählt haben, dass sie einen reichen Mann zum Sterben zurückgelassen haben und ich wollte dir helfen. Dass du ein Vampir bist, habe ich erst gesehen, als ich dich irgendwann gefunden habe und ich dachte, dass du vielleicht nett sein könntest, weil du die vier Männer nicht umgebracht hast! Du hättest die Kraft dazu ja sicher gehabt."
Verwundert hob der Größere seine linke Augenbraue an, als er das vernahm. Dadurch, dass der Brünette ein Vampir war, hätte er die Männer einfach überwältigen und ihr Blut trinken können, dafür hätte er sich kein bisschen bemühen müssen. Es war mir ein Rätsel wieso er nicht einfach seinem Instinkt gefolgt war, die Männer zu beißen, aber ich würde ihn dafür nicht verurteilen, schließlich kannte ich ihn nicht. „Das ist ziemlich dumm von dir gewesen, Patrick...", meinte mein Gastgeber monoton und ich senkte meinen Kopf ein Stück weit, das wusste ich selbst. Der Vampir konnte nicht nur für mich gefährlich sein, sondern auch für alle anderen Menschen auf dieser Welt, aber deswegen hatte es der Grünäugige noch lange nicht verdient zu sterben. Es war nun einmal so, der stärkere überlebte und der schwächere starb, aber das musste nicht unbedingt so sein. „Vielleicht war es das, ja..., aber ich wäre ein schlechter Mensch, wenn ich das Leben eines Menschen über das eines anderen stellen würde, nur weil es so für alle besser ist! Du hast eine zweite Chance verdient und ich wollte sie dir geben. Und ich glaube, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe."
Stumm hörte mir der Langhaarige zu und ich legte meine beiden Hände ineinander, versuchte ruhig zu bleiben. Sicher mochte es der Vampir, wenn man ihm schmeichelte und das würde ich mir zunutze machen, wenn es so war. Einen Moment schwieg der Ältere einfach, bis er ein einziges Mal leise seufzte. „Okay, hör zu, ich mache es kurz. Claus hat mir erzählt, dass du wieder zurück nach Hause willst! Ich kann dich aber nicht gehen lassen, weil du weißt, dass ich ein Vampir bin und die Möglichkeit besteht, dass du mich verrätst. Allerdings bin ich dazu bereit einen Kompromiss mit dir einzugehen, weil du mir geholfen hast. Ich werde dir die Wahl lassen, Patrick. Entweder, du bleibst dein restliches Leben hier bei mir und arbeitest für mich, genau wie Claus, damit ich sicherstellen kann, dass du nichts dummes tust, oder ich verwandele dich auch in einen Vampir und du würdest dir selbst damit schaden, dass du mich verrätst! Denke ruhig ein bisschen darüber nach...", sagte der ruhige Vampir und ich riss schockiert die Augen auf, das war ein einziges Dilemma, vor das er mich da stellte.
Prinzipiell sagte er, dass ich entweder für immer hier blieb, für ihn arbeitete und nie mehr wieder das Leben in Freiheit genießen konnte. Ich würde also nie mehr in ein Dorf gehen können und meine Mutter würde ich auch nie wieder sehen können, dabei war es das einzige was ich wollte. Oder ich ließ mich in eines der Monster der Nacht verwandeln, ließ mir zwei spitze, gefährliche Beißzähne geben und stellte so eine reelle Gefahr für meine eigenen Eltern da, das wäre unverantwortlich. Beide würden sie Angst vor ihrem eigenen Sohn haben, sie würden mich nicht mehr sehen wollen und das einzige, was für mich noch schrecklicher wäre als meine Mutter nie mehr wieder zu sehen, war der Gedanke sie zu verängstigen und ihr das liebe Bild ihres einzigen Sohnes zu nehmen. Vorsichtig blickte ich zu dem Grünäugigen hoch, welcher still auf eine Antwort meinerseits wartete. „Wenn ich..., wenn Claus mich begleiten würde..., dürfte ich meiner Mutter dann vielleicht Lebewohl sagen gehen? Ich möchte nicht, dass sie denkt, ich hätte sie verlassen, wenn ich hier bleibe! Bitte...", wollte ich wissen, dabei sah ich dem Größeren genau in die Augen und erblickte in diesem dunklen Grün tatsächlich einen Schimmer von staunen, das kam für mich unerwartet. Widerspruch einzulegen würde für mich bedeuten, den Vampir wütend zu machen und das würde schlecht für mich enden.
Ablehnend schüttelte der Langhaarige seinen Kopf. „Nein, Claus muss hier bleiben!", lautete die Antwort des Älteren und ich senkte enttäuscht meinen Blick, das war sie gewesen, meine letzte Hoffnung. Ich war der Meinung nicht viel zu verlangen, es war nichts schlechtes sich von seiner Mutter verabschieden zu wollen, der Frau, welche einen aufgezogen und geliebt hatte zu sagen, dass man sie liebte, aber der Vampir empfand das als unnötig, leider. Er hatte wahrscheinlich niemanden mehr, seine Familie musste tot sein, schließlich war er ein Vampir und lebte bestimmt schon mehrere hundert Jahre lang, das könnte er nie verstehen. Für ihn war ich nur ein einfacher Mensch, ein unnützes Tier, das für nichts anderes nützlich war als dafür Blut zu geben. „Aber, wenn du noch etwas Geduld zeigst und dich noch ein wenig ausruhst, dann bin ich bereit noch ein letztes Mal mit dir zu deiner Mutter zu gehen! Ich werde allerdings die ganze Zeit bei dir bleiben und wenn du auch nur ein Wort davon erwähnen solltest, dass ich ein Vampir bin, dann bringe ich deine ganze Familie und dich um, verstanden?"
Staunend schaute ich auf und nickte, der Grünäugige gab mir eine Chance.
~2210 Worte, geschrieben am 19.11.2022
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