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Mit dem Rücken zu mir gedreht stand Manuel an seinem Fenster und schaute nach draußen. Mir schenkte der Brünette keine Aufmerksamkeit, er ignorierte mich fast schon und ich sah mir den Raum einmal genau an, um zu sehen, ob sich hier auch nur irgendwo ein Messer befand. Nichts war zu sehen, kein Messer, keine Blutspuren und ich zögerte einen Moment, wusste nicht was ich sagen sollte. Ich hatte damit gerechnet, dass der Vampir verletzt vor mir liegen würde und nun stand ich da, ohne einen guten Grund wieso ich hier war. Ruhig stand der Grünäugige da, er bewegte sich keinen Zentimeter und ich blieb wie angewurzelt stehen, war erschrocken, wenn nicht sogar schockiert. Hatte mich mein Bewusstsein getäuscht? Es waren zwei Träume gewesen, natürlich mussten diese nicht real sein, doch sie wirkten so und ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie nichts auszusagen hatten. Entnervt hörte ich den Langhaarigen schon wieder seufzen, aber mich ansehen tat er nicht, das wollte er nicht. „Verschwinde, Patrick. Du hast hier nichts zu suchen!", sprach der Ältere laut aus und ich öffnete erschrocken meinen Mund ein Stück weit, er wollte mich noch immer nicht sehen. Ich wollte den Älteren nicht verärgern, aber ich musste sehen, dass es ihm gut ging.
Vorsichtig machte ich ein paar Schritte voran. „Ich mache mir Sorgen um dich! Ich habe von dir geträumt und du...", wollte ich erklären wieso ich hier war, doch das war das letzte was der Größere von mir hören wollte. Es war nett gemeint, dass ich hier her kam und einmal nach ihm sah, es hätte schließlich etwas grausames passiert sein können und trotzdem wurde ich abgewiesen, so wie immer. Hätte ich Claus vielleicht hier her bringen sollen? Der Werwolf hatte einen guten Draht zu dem Vampir, er kannte ihn und wusste mit ihm umzugehen, was man von mir wohl nicht behaupten konnte. „Schweig still! Ich habe dir gesagt, dass ich dich nicht hier sehen will und das meine ich auch so. Geh dahin zurück, wo du hergekommen bist, sonst erlebst du heute Nacht nicht mehr!", unterbrach mich der Ältere, dabei spannte er seinen Körper vor Wut an und ich guckte betrübt zu Boden, das war enttäuschend. Ich konnte nicht verstehen wie jemand eine andere Person so sehr hassen konnte, dass man nicht einmal zusammen in einem Raum Zeit verbringen konnte. Nichts hatte ich falsch gemacht, im Gegenteil, ich wollte sogar nach dem Vampir sehen, nachdem er mir mein Herz gebrochen hatte und dafür bekam ich Hass zurück. Der Vampir war ein einziger Widerspruch in sich selbst und er verwirrte mich, machte mich einfach fertig.
Enttäuscht nickte ich. „Okay. Entschuldigung, dass ich dich gestört habe..., ich hoffe, dass du glücklich wirst!", wisperte ich leise, dabei drehte ich mich wieder um und fragte mich, wie ich auf die Idee gekommen war etwas bewirken zu können, indem ich hier her kam. Es brachte nichts mit jemandem zu sprechen, der einen mit seinem ganzen Herzen verabscheute und ich würde mir selbst klar machen müssen, dass ich Manuel nichts bedeutete, denn nur dann konnte ich akzeptieren, dass ich mir sein Verhalten nicht zu Herzen nehmen durfte. Im Gegensatz zu dem Älteren, hatte ich ein schlagendes, funktionierendes Herz und wusste wie man andere nicht verletzte, dieses Wissen schien er verloren zu haben, als er gestorben war. Schweren Herzens lief ich also den dunklen Gang erneut entlang, bis ich etwas vernahm, was mich verwirrte. „Lass mich zufrieden, bitte! Ich habe doch getan was du wolltest...", rief ein vollkommen verängstigter und erschöpfter Manuel in ein leeres Zimmer hinein, was mich zum stoppen brachte. Wer war bei ihm gewesen und hatte ihm etwas befohlen? Wir waren definitiv alleine gewesen, nur Manuel und ich waren in diesem Raum gewesen, also musste der Langhaarige krank sein, wenn er Personen sah, die nicht da waren.
Still blieb ich auf der Stelle stehen und lauschte, doch es blieb ruhig. Kein Wort kam dem Vampir mehr über die Lippen, ich glaubte sogar kurz, ich hatte mir diese Worte nur eingebildet, doch so war es nicht. Ein leises schluchzen riss mich aus meinen Gedanken heraus und ich eilte erschrocken zurück in die Richtung des Zimmers, nur um in dieses hinein blicken zu können. Mit großen Augen betrachtete ich einen zittrigen, vor Schmerzen zusammengebrochenen Manuel auf dem Boden knien und weinen. Vor ihm lag ein noch unbenutztes, scharfes Messer und wie bei einem Mantra murmelte der Größere immer wieder, dass es ihm leid tat, ihm ging es gar nicht gut. Leise nur lief ich zu dem Älteren hinüber, in der Hoffnung er bemerkte mich nicht, doch da hatte ich wohl falsch gedacht. „Manu, nein!", rief ich erschrocken aus, als der Langhaarige sich das Messer griff und dieses mit der Klinge voran auf sich richtete. Nun blickte mich der Vampir ebenso erschrocken an wie ich ihn, er zögerte etwas, schließlich hatte er nicht erwartet jemanden hier zu sehen und mir brach mein Herz in zwei Hälften, als ich den Brünetten ganz sah.
Einige dunkle, jedoch noch recht leichte Hämatome waren auf seiner Stirn zu erkennen und er hatte tiefe Augenringe, mein Gewissen hatte mich also nicht getäuscht. Meine Träume hatten mir die Realität gezeigt und ich war froh darüber, denn so konnte ich dem Mann vor mir vielleicht helfen, auch wenn dieser das eigentlich nicht wollte. „Bist du denn vollkommen bescheuert, Manuel?", rief ich dem Größeren zu, dabei griff ich nach dem Messer in seiner rechten Hand und aus Schreck umgriff der Grünäugige das Objekt in seiner Hand etwas fester. Mit klopfendem Herzen kniete ich mich vor den Grünäugigen, ich sah ihm genau in die Augen und wusste nicht was ich tun sollte, das war eine durchaus gefährliche Situation für mich. Jemand, der sich selbst umbringen wollte, der würde nicht zögern jemand anderen ebenso umzubringen und deswegen musste ich dafür sorgen, dass ich das Messer in die Finger bekam. „Gib mir das Messer, Manu!", wies ich den Älteren an, dabei wurde ich mit tränenden Augen angeschaut und auch mir stiegen Tränen der Angst in die Augen, das hier hätte den Tod des Älteren bedeuten können. Keinen Millimeter bewegte sich mein Vordermann mehr, er umschloss das Messer weiterhin fest und schwieg still.
Schniefend legte ich meine linke Hand auf den rechten Oberschenkel des Vampirs, um nicht umzufallen. „Bitte Manu. Lass das Messer los...", wisperte ich schließlich leise und der Ältere zögerte weiterhin, auch wenn er ruhiger zu werden schien. Ich hatte noch nie jemanden gesehen, der sich selbst das Leben nehmen wollte und ich wusste nicht was ich sagen sollte, das alles überforderte mich maßlos. Es war mir nicht aufgefallen, aber der Langhaarige hatte die gesamte Zeit mit dem Rücken zu mir gestanden und er hatte gewusst, dass ich ihn von seinem Plan abgehalten hätte, wenn ich das ganze bemerkt hätte. Warum wollte sich der Vampir das Leben nehmen? Ihm ging es doch gut, er hatte Geld und auch Freunde schien er zu haben, es fehlte ihm an nichts. Langsam nur umgriff der Mann vor mir das Messer immer weniger, bis ich es mir greifen und an das andere Ende des Raumes werfen konnte, weit weg von dem Älteren, sodass er sich nicht mehr verletzen konnte. Schluchzend senkte mein Schützling seinen Kopf und legte diesem auf meiner linken Schulter ab, er suchte ganz offen meine Nähe, so wie nie. Erleichtert umschloss ich den Nacken des Älteren und zog ihn zu mir heran, atmete hörbar auf.
„Es tut mir leid...", weinte Manuel nun leise und ich nickte verstehend, begann damit beruhigend über den Kopf meines Freundes zu streichen. Mich zu erschrecken war offenbar nicht die Intention des Vampirs gewesen, er wollte einfach nur ein schnelles Ende finden und nun fühlte er sich schlecht deswegen, er schämte sich dafür. So, in dieser Verfassung konnte ich ihn nicht wieder alleine lassen, er würde ohne mich nur erneut auf negative Gedanken kommen und sich ein neues Messer nehmen. „Ist schon gut, Manu. Ich war ja da und werde auch nicht zulassen, dass du dir noch einmal wehtust! Beruhigen wir uns wieder, okay? Ich bleibe hier und passe auf dich auf...", wisperte ich dem anderen ins Ohr und er gab keine Widerworte, akzeptierte meine Entscheidung einfach so. Wie gerne würde ich doch auf dieses innerlich so kaputte Wesen aufpassen und es umsorgen, doch ich durfte nicht, denn das wollte er nicht. Ob..., ob Claus wohl weiterhin auf den Grünäugigen aufpassen würde, wenn ich ihn darum bat es zu tun? Der Wolf wollte eigentlich nicht mehr bei Manuel sein, aber irgendjemand musste auf den Vampir aufpassen und ihn von einem Fehler abhalten, das konnte nur er tun.
Eine ganze Weile lang saßen wir so da, ich strich meinem Vordermann beruhigend durch sein langes Haar, bis Manuel begann zu sprechen. „Warum bist du hier, Patrick? Ich war doch gemein zu dir...", fragte mich mein Freund leise, dabei sah er mich noch immer nicht an und schmuste weiterhin mit mir, was ich auch genauso akzeptierte. Ich fühlte mich tatsächlich wohl in der Nähe des Größeren, er schien so sanft und unsicher zu sein, dass ich glaubte ihn mit meinem Leben beschützen zu müssen. Nun wollte der Brünette wissen was ich hier zu suchen hatte, er war dazu bereit mit mir zu reden und er stieß mich nicht einfach weg, das war ein gutes Zeichen wie ich fand. „Ich habe von dir geträumt, Manu. Du hast dich in meinen beiden Träumen die ich hatte selbst verletzen wollen und ich wollte nach dir schauen, weil ich sehen wollte, dass es dir gut geht. Ich mag dich eben, auch wenn du mich wirklich sehr verletzt hast..., vielleicht hast du ja recht damit gehabt, dass ich dumm bin!", erklärte ich leise, dabei schloss ich erschöpft meine Augen und begann seicht zu lächeln, als der Größere seine beiden Arme nun um meinen Nacken schlang, er umarmte mich.
Bestimmt war es Claus, der dem Älteren fehlte und wegen dem er darüber nachgedacht hatte sich das Leben zu nehmen. Ohne seinen Seelenverwandten fühlte er sich leer, verlassen und wurde traurig, doch dem Wolf bewusst zu machen, dass Manuel ihn brauchte, könnte schwerer werden als gedacht. Claus hatte sich dazu entschieden mich beschützen zu wollen, auch wenn er dafür seinen Herrn verlassen musste und deswegen war es wohl meine Pflicht dafür zu sorgen, dass der Braunäugige wieder zu Manuel ging. Ich konnte wohl gut bei Michael leben, auch ohne meinen Beschützer. Behutsam löste ich mich etwas von dem Brünetten, doch loslassen wollte dieser mich offenbar nicht. „Komm, Manu! Du musst dich ins Bett legen und versuchen dich auszuruhen, okay? Ich helfe dir, komm...", sprach ich sanft auf meinen Vordermann ein, welcher sich jedoch nicht von alleine bewegen wollte. Keinen Blick widmete mir Manuel, er wollte mich nicht anschauen und ich gab mein bestes den Älteren auf die Beine zu bekommen, um ihn bis zu seinem Bett stützen zu können. Voller Vorsicht achtete ich darauf, dass der Vampir mit seinem gesamten Körper unter der Decke lag und erst, als der Langhaarige still seine Augen geschlossen hatte, beschloss ich das Messer wegzubringen.
Seufzend brachte ich das Messer in die Küche zurück, dorthin wo es hergekommen war. Nur für einen kurzen Augenblick stand ich reglos da, sah auf die glänzende Klinge hinunter und dachte darüber nach was wohl passiert wäre, wenn ich nicht noch einmal zurückgeblickt hätte. Es wäre Manuels Ende gewesen, der Grünäugige brauchte unbedingt jemanden, der auf ihn aufpasste und bis Claus mich holen kam, so wie es Michael gesagt hatte, würde ich bei ihm bleiben. Entschlossen ging ich die Treppe zurück nach oben, nur um ein erneutes, lautes Schluchzen vernehmen zu können, das mir mein Herz brach. Als würde er irgendetwas lautes, unangenehmes hören, hielt sich mein Schützling mit aller Kraft seine Ohren zu und machte sich unter seiner Decke kleiner, er litt. Mitleid kam in mir auf und ich ging langsam auf das Bett zu, um mich neben meinen Freund legen zu können. Gerade eben schien er meine Nähe zu brauchen, um sich zu beruhigen und um sich sicherer zu fühlen, also bekam er sie auch. „Manu, hey! Ist gut, was hast du denn?", fragte ich ruhig und sanft, dabei beobachtete ich, wie sich die Augen meines Gegenüber blinzelnd öffneten und ich strich ihm eine kalte Träne von der Wange, war für ihn da.
Schniefend nahm der Vampir seine Hände von den Ohren. „Du warst weg und es war so..., so still hier, dass ich sie gehört habe! Ich will sie nicht mehr hören, Patrick!", berichtete mir der Langhaarige und ich lauschte aufmerksam, es war nichts außer dem leisen Schluchzen meines Schützlings zu vernehmen, wir waren alleine. Meine Vermutung, dass der Vampir Stimmen in seinem Kopf hörte, welche nicht da waren, musste also stimmen und das bereitete mir große Sorgen, dagegen konnte ich nichts tun. Hörte Manuel schon immer Stimmen, welche niemand anderes hörte? Oder war das eine Folge davon, dass Claus ihn verlassen hatte? Ich wusste es nicht, aber ich musste versuchen dem Grünäugigen zu helfen, egal wie. Verstehend nickte ich. „Möchtest du, dass ich dir ein wenig etwas erzähle, damit es nicht mehr so still ist? Würde dir das etwas helfen? Ich bleibe hier bei dir, bis du dich wieder besser fühlst!", fragte ich sanft und kaum merklich bekam ich ein Nicken geschenkt, Manuel nahm meine Hilfe also an. Leise schniefte mein Schützling, während er sich müde an mich heran schmiegte und sich meine Nähe nahm, ganz ohne zu zögern. Mein Herz brachte er so zum schlagen, so wie noch nie.
~2230 Worte, geschrieben am 21.01.2023
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