Kapitel 39 - „Hi."

Erstellt am: 09.01.2020

Während Lucy vor lauter Freude einen spitzen Schrei ausstieß und Renée somit veranlasste, sich das Handy ein wenig vom Ohr zu halten, stand Zoey das Telefon anstarrend da. Mit allem hatte sie gerechnet, nur nicht damit, es war einfach unerwartet.

„Du bist tot, sehr tot.", kommentierte Zachary lachend, während er gemeinsam mit seinem Freund die Treppen in den ersten Stock hinauf stieg. Sie waren mit einem gemeinsamen Freund in einem angesagten Club verabredet, wobei man auf der Gästeliste stehen musste, um überhaupt in den Club hinein zu kommen.
Jay verzog das Gesicht. „Es ist doch nicht meine Schuld, wenn die Blumen mitten im Weg gepflanzt sind."
Zachary fing laut zu lachen an und hielt sich am Geländer fest. „Mitten im Weg?"
„Ja."
„Jay, wenn Kristin die zerstörten Blumen sieht...  am besten, du verkriechst dich im nächsten Mäuseloch. Kristin kriegt sicher einen Wutanfall!"
Jay kratzte sich am Kopf. „Tja, dann haltest du einfach deinen Kopf für mich hin."
Zachary zeigte seinem Freund lachend den Vogel und betrat sein Schlafzimmer, das am Ende des Flurs gegenüber von Zoey's lag. Es war quadratisch und nur mit den wichtigsten Möbelstücken eingerichtet. Ein Doppelbett mitten im Raum, ein breiter Kleiderschrank neben der Tür und eine Kommode gegenüber vom Bett, alles in Weiß und Schwarz gehalten. Ein wenig Kühl aber mit Stil. Ein paar Plakate von verschiedenen Musikern zierten die weißen Wände und auf der Kommode stand seine X-box und sein Fernseher, natürlich ein Flat Screen.
„Jay..., ich bin froh, dass ich dein Freund sein durfte. Doch in so einer Situation, kann die Freundschaft plötzlich ohne einen Grund zerbrechen."
Jay brummte. „Mann... auf dich ist auch kein Verlass."
Zachary lachte lautstark los und klopfte Jay aufmunternd auf seinen Rücken. „Nein, da muss ich dir Recht geben."
„Großartig, da brauche ich einmal deine Hilfe und dann lässt du mich in Stich.", murmelte Jay und Zachary stimmte ihm ohne zu widersprechen breitgrinsend zu.
Die lachenden Stimmen von Zachary und Jay lösten Zoey aus ihrer Starre, geistesabwesend nahm sie den Hörer in die Hand und legte auf. Mit großen Augen starrte sie das Telefon an, wusste nicht ob es Realität oder doch nur ein Traum war.
Ihr Herz klopfte stark gegen ihre Brust und Tränen rannen ihre Wangen hinab, ohne dass Zoey es bemerkte. Tausendmal hatte sich Zoey diese Situation vorgestellt und doch, obwohl es endlich soweit war, war es doch so weit weg. „Oh mein Gott...", murmelte Zoey und ließ sich auf den Stuhl ihres Vaters nieder. Mit zittrigen Händen wählte sie die Nummer ihrer besten Freundin, sie musste unbedingt mit jemanden reden und niemand wäre besser geeignet als Abigail.
Da es schon mitten in der Nacht war und Zoey durch den Anruf komplett die Zeit vergessen hatte, dauerte es ein paar Minuten bis Abigail abhob.
„Ich bringe dich um! Wer -auch-immer-stört, ich bringe dich um!", brummte Abigail verschlafen in ihr Handy.
Zoey schniefte. „Aby?"
„Zo? Was ist los? Warum rufst du mich noch so spät an? Was ist passiert? Geht es dir gut? Alles in Ordnung? Ist etwas mit deinen Vater, mit deinen Bruder? ", plapperte Abigail hellwach drauflos und vergaß, dass Zoey ihr irgendwann auch antworten musste, um Antworten auf ihre Fragen zu bekommen.
„Nein, es ist nichts passiert. Ich ... ich habe gerade einen Anruf vom Hospital erhalten, also besser gesagt, mein Dad und ich habe mich als seine Assistentin ausgegeben. Okay, die Schwester hat es zumindest geglaubt. Aby... sag mir, dass ich nicht träume und wir beide gerade wirklich telefonieren. Sag mir irgendetwas, was mein „Traum-Ich" nicht wissen kann."
„Bist du auf Drogen, Zoey? Soll ich einen Arzt rufen?", fragte Abigail besorgt.
„Ne-ein.", antwortete Zoey gedehnt und fing leise zu Lachen an. „Ich... Gott, ich weiß nicht, ob ich weinen oder lachen soll."
„Warum? Was ist denn los?"
„Abigail, er ist endlich aufgewacht! ... Ich kann es nicht fassen! Es ist so surreal, nur ein Anruf und er verändert den ganzen Tag... äh..., Abend. Ich weiß nicht, wohin mit meinen Gefühlen. Aby, ich dachte, dass mir vor lauter Freude das Herz zerreißt. Jeden Abend habe ich auf einen Anruf gewartet und plötzlich ... ich war für einen Moment wirklich überfordert mit der Neuigkeit. Mein Gott, ich habe sogar den Hörer fallen gelassen und danach einfach aufgelegt, so aus dem Wind bin ich.", plapperte Zoey los ohne Luft zu holen. „Aby... Ethan ist endlich aufgewacht.", flüsterte Zoey kaum hörbar, nachdem sie sich beruhigt hatte.
Wäre sie die Zoey von vor ein paar Monaten, würde sie jetzt ihre Sachen schnappen und zu Ethan ins Krankenhaus fahren. Doch die Zeiten waren vorbei, sie war ein wenig erwachsen geworden. Sie würde ihn morgen direkt nach der Schule besuchen.
Zoey wusste, sie würde in dieser Nacht keine Sekunde Schlaf finden, da sie einfach alles an ihm vermisste. Seine Augen, seine Stimmungsschwankungen und sein Lachen. Sein Lachen, welches er nur selten zeigte.
Erneute Tränen rannen ihre Wangen hinab, nach unendlich vielen Tagen der Angst, Sorge und Hoffnung, hatte der liebe Gott Erbarmen gehabt. Ethan war endlich aus dem Koma erwacht und Zoey konnte es nicht abwarten, ihren On/Off – Freund in die Arme zu schließen.
Sie würde Ethan nie wieder loslassen, so schwor sich Zoey. Sie würde gemeinsam mit Ethan an ihren Problemen arbeiten, damit sie zusammen eine Zukunft hatten. Doch zurzeit war Ethan's Genesung am wichtigsten, die anderen Angelegenheiten konnten warten.
Doch durch ihre Gedanken überkam Zoey eine plötzliche Unsicherheit und dämpfte ihre Freude ein wenig. Die Gedanken und Fragen waren vielleicht ein kleinwenig egoistisch, doch sie beschäftigten Zoey. Was, wenn Ethan ihr die Schuld am Unfall gab? Er sie mittlerweile hasste und sie nicht mehr sehen oder zurück haben wollte? Was, wenn Ethan ihr an einfach allem die Schuld gab?
Abigail's Stimme riss Zoey wieder in die Gegenwart. „Zo? Zoey, bist du noch dran oder der Ohnmacht nahe?"
„Aby, was soll ich machen, wenn Ethan mich gar nicht sehen will und er mir die Schuld an dem Unfall gibt? Wenn er auf mich sauer ist, weil er durch mich im Krankenhaus liegt?  Was soll ich machen, wenn er mich wieder von sich stößt. Ich verkrafte es nicht mehr. Aby, i-ich würde es nicht verkraften, wenn er mich wieder von sich stößt ... Ich brauche ihn, so wie die Luft zum Atmen ... Aby, w-was soll ich machen?", redete sich Zoey in Rage, während sie immer wieder von Schluchzern unterbrochen wurde.
„Zoey, stopp. Hol einmal tief Luft und dann hör mir genau zu.", stoppte Abigail ihre Freundin und holte selber tief Luft, damit Zoey es ihr gleich tat. „Gut, und jetzt hörst du mir genau zu. Wenn Ethan dich nicht lieben würde, hätte er nicht des Öfteren sein Leben für dich riskiert Er hätte sich nicht vor dem Wagen geworfen und dich weggestoßen..."
„Vielleicht doch, weil ... einfach aus Reflex heraus.", unterbrach Zoey ihre Freundin zweifelnd.
Abigail ging nicht auf Zoey's Worte ein. „Zoey, auch wenn er dich immer wieder von sich stößt, kommt er trotzdem immer wieder zurück zu dir. Merkst du es nicht? ... Egal, was ich von ihm halten mag ... Ethan liebt dich wirklich und ich schätze, er hat einfach Angst, dich zu verlieren, wenn er es sich eingesteht. Okay? "
Zoey biss sich auf die Lippe und spielte mit dem Kabel vom Telefon. „Aby, er verliert mich erst recht, wenn er mich dauernd von sich stößt."
„Zoey, das ist es ja. So macht Ethan mit dir Schluss und nicht anders rum. Verstehst du?"
„Das ergibt doch keinen Sinn..."
Abigail lachte auf. „Doch, Zoey, du kannst ihm nicht das Herz brechen, wenn er mit dir Schluss macht. Es geschieht aus reinem Egoismus, wenn er dich immer wieder von sich stößt. Er möchte nicht von dir verlassen werden und somit kann sein Herz nicht in tausend Stücken zerreißen..."
„Aber..."
Abigail schüttelte verzweifelt den Kopf und verdrehte die Augen, auch wenn sie wusste, dass es Zoey nicht sehen konnte. „Bevor dein Kopf noch zu rauchen anfängt, sollten wir ins Bett gehen. Es ist schon spät und wenn ich nicht genug Schlaf bekommen, bin ich morgen – äh... heute, nicht zu gebrauchen."
„Okay, obwohl ich sicher keinen Schlaf finde."
Aby schmunzelte. „Versuch es. Wir sehen uns morgen in der Schule und ich versprechen, ich werde bis zum Schluss in der Schule bleiben. Mum hat mir gehörig den Kopf gewaschen..."
„Echt?"
„Ja, ich darf meinen Schatz nur am Wochenende sehen. Das Allerbeste daran ist, dass Mike sich wirklich an die Abmachung mit meiner Mum hält. Blödmann... Ich erzähle dir alles morgen in der Schule, Süße. Schlaf gut und träume von mir."
Zoey schmunzelte und war froh, dass Abigail sie kurz abgelenkt hatte. „Danke Abigail. Gute Nacht."
„Kein Problem, ich bin immer für dich da. ... Ethan ist endlich aufgewacht!", verabschiedete sich Aby mit großer Euphorie am Schluss von Zoey.
Sie hörte lautes Gelächter aus dem Schlafzimmer ihres Bruders, als sie über das ganze Gesicht strahlend, das Arbeitszimmer ihres Vaters verließ und in ihr Zimmer ging.

Seit geschlagenen zehn Minuten stand Zoey vor Ethan's Zimmertür und hatte Angst, die Tür zu öffnen. Es war wie ein Deja-Vú, schon einmal war sie in derselben Situation gewesen, nur aus einem anderen Grund. Dieses Mal war es nicht die Angst vor Ethan's Zustand, sondern vor seiner Reaktion - auf sie.
Die Schule hatte sie heute im Halbschlaf überstanden. Wie sie es voraus gesagt hatte, hatte sie in der Nacht keinen Schlaf gefunden. Zoey hatte sich die ganze Nacht von einer Seite zu anderen gewälzt, bis es ihr zu Bunt geworden war und sie nach einem Buch gegriffen hatte. Doch an den Inhalt konnte sie sich nicht erinnern, denn auch beim Lesen waren ihre Gedanken immer wieder zu Ethan abgeschweift. Nach der Schule hatte Zoey ihrer besten Freundin versprochen, sich zu melden. Ihr zu erzählen, wie es Ethan ging und wie er auf ihren Besuch reagiert hatte.
Doch bis jetzt hatte sie sich noch nicht getraut, den Raum zu betreten.
Zoey starrte die Türe an, als könnte sie sie mit ihren Blicken zum Schmelzen oder zum Öffnen bringen. Immer wieder fand ihre Hand die Türklinge, doch zum Öffnen fehlte ihr einfach der Mut. Die Angst vor Ethan's Reaktion lähmte sie, obwohl sie wusste, dass seine Gesundheit eigentlich an erster Stelle stehen musste. Die Angst vor einer erneuten Zurückweisung war einfach zu groß.
„Hey Zoey, mit dir habe ich überhaupt nicht gerechnet. Du hast meine Nachricht also abgehört!?", riss eine junge Frauenstimme Zoey aus der Starre. Erschrocken wirbelte Zoey herum und blickte in die zwei strahlend blauen Augen von Renée.
„Renée, hallo.", erwiderte Zoey freundlich und umarmte sie zur Begrüßung. „Welche Nachricht?"
„Dass Ethan endlich aus dem Koma erwacht ist! Einfach fantastisch!", rief Renée aus, ohne auf Zoey's Frage einzugehen, und drückte sie noch einmal an sich. „Ich bin so froh, dass ich bei ihm war, als er erwacht ist.", schwärmte Renée und lächelte Zoey breit an, ohne zu wissen, dass es Zoey einen Stich im Herzen versetzte. 
Zoey wusste, dass Renée und Ethan nur mehr Freundschaft verband, doch trotzdem war die Nachricht nicht leicht zu verkraften. Die Ex-Freundin war bei ihm gewesen, als er zum ersten Mal die Augen geöffnet hatte.
„Ja, er hat sich sicher gefreut.", murmelte Zoey und versuchte, die aufsteigende Eifersucht zu unterdrücken.
Renée lachte laut auf und schüttelte den Kopf, als hätte Zoey gerade den größten Witz gerissen. „Oh nein, er war sogar enttäuscht. Eine Andere hätte er sich an meiner Stelle gewünscht..."
Zoey musterte Renée und erkannte an ihrem Blick, dass sie die Wahrheit sagte. Doch wen wollte Ethan statt ihr sehen?
„Hast du ihn schon besucht und kannst dich nicht von ihm loseisen? Oder warum starrst du die Türe an?"
Beschämt sah Zoey zu Boden. „Ich traue mich einfach nicht. Ich habe Angst, dass er mich vielleicht nicht sehen möchte."
Ein erneutes Lachen von Renée brachte Leben in den Flur des Krankenhauses. „Ach, woher hast du diesen Mist?" Unsicher hob Zoey den Kopf und blicke in das belustigte Gesicht von Renée. „Falls es dir entgangen sein sollte ... Ethan hat sich eine Andere an meiner Stelle gewünscht, als er aufgewacht ist."
„Toll, was bringt mir jetzt diese Information? Soll ich gleich wieder verschwinden?"
Kopfschüttelnd und auch ein wenig fassungslos sah Renée Zoey an. „Süße, Ethan meinte nicht irgendein Mädchen – sondern DICH."
„Hat er das gesagt?", fragte Zoey noch immer misstrauisch.
„Nein, aber ich habe es an seinem Blick erkannt und dein eifersüchtiger Blick ist mir auch nicht entgangen.", antwortete Renée und freute sich, als Zoey sie erschrocken ansah. „Komm, quäle ihn nicht noch länger und geh zu ihm."
Bevor Zoey noch etwas erwidern konnte, griff Renée an ihr vorbei und öffnete die Tür. Entsetzt starrte sie Renée an, nur um ihr im nächsten Moment einen bösen Blick zu zuwerfen. Renée zuckte unschuldig mit den Schultern, drehte sich um und ließ Zoey alleine.

Mit klopfendem Herzen betrat Zoey das Krankenzimmer, wobei sie wieder nur das Bettende von der Türe aus sah. Erst beim Eintreten und näher kommen, kam mehr vom Bett zum Vorschein und von der Person, die in dem Bett lag.
Die Augen waren geschlossen, und mit Erleichterung stellte Zoey fest, dass sich sein Brustkorb gleichmäßig hob und senkte.
Wie schon in der letzten Nacht rannen Zoey Freudetränen über die Wangen, sie schniefte leise und ließ sich auf den Sessel neben dem Bett nieder. Sie beobachtete ein paar Sekunden sein Gesicht, bevor sie den Rest seines Körpers unter die Lupe nahm, der nicht von der Decke bedeckt war. Außer dem Verband auf dem Kopf und bei seiner rechten Hand, entdeckte sie keine weiteren äußeren Verletzungen an ihm.
Als Zoey ihren Blick wieder auf sein Gesicht richtete, erschrak sie - sie sah direkt in seine blauen Augen.
„Hi.", sagte Zoey schüchtern, wobei es eher einem Flüstern gleichkam.
„Hi.", flüsterte Ethan zurück, ein sanftes Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht.

Dieses Lächeln hatte sie in den letzten Wochen so vermisst und bevor sie sich versah, war sie von ihrem Stuhl aufgesprungen und hatte sich ihm in die Arme geworfen. Zoey atmete seinen Duft ein und seufzte vor lauter Glück auf, als er vorsichtig die Arme um sie schloss.

Sie hatte einfach alles an ihm vermisst! Sie hatte IHN vermisst.
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Vielen Dank für's lesen ❤️
2352 Wörter
Meinung ? 🤗
Fortsetzung folgt ...😘

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