Kapitel 33 - „Angst"

Erstellt am: 04.01.2020

Renée saß vor dem OP-Saal und starrte an die gegenüberliegende Wand, wie zuvor der Bruder von Zoey. Seit zwei Stunden wartete sie nun auf einen Arzt, doch es kam ihr wie eine Ewigkeit – die nicht enden wollte – vor. Wollte ihr denn keiner Bescheid geben, wie es ihrem besten Freund ging?
Eine gute Neuigkeit gab es zum Glück, Zoey ging es  gut und wenigstens ihre Familie konnte heute in der Nacht ruhig schlafen.
Renée hielt es nicht mehr auf ihren Platz aus und schritt den Flur entlang, während sie Ausschau nach einer Schwester oder einem Arzt hielt. Es musste hier doch irgendjemanden geben, der ihr etwas über Ethan's Zustand sagen konnte.
„Hallo?! Hallooo?", rief Renée laut, während sie in Gedanken durchging, wie sie an Informationen kommen könnte. Es wäre natürlich besser, wenn ihr ein Arzt über den Weg laufen würde, denn dann könnte sie ihre weiblichen Vorzüge nutzen. Manchmal hatte es ihr sehr geholfen, wenn sie etwas von einem Typen haben wollte und meistens hatte sie es dann auch bekommen.
„Entschuldigen Sie, Miss, was soll das werden? Wir haben Ruhezeit und Sie schreien hier wie am Spieß.", kam ein junger Arzt wutentbrannt um die Ecke. Renée stoppte im Gehen und starrte den Mann mit offenem Mund an, zwei Wörter schossen ihr durch den Kopf: „Verdammt. Heiß." Als sie ihre Musterung abgeschlossen hatte, sah sie ihm wieder ins Gesicht.
Ein freches Grinsen umzog seine Lippen und Renée wurde klar, dass er wusste, welche Ausstrahlung er auf Frauen hatte. Sie biss sich auf die Lippe und trat näher zu ihm, sein Aftershave stieg ihr in die Nase. Er roch wirklich gut. Verärgert ballte sie ihre Hände kurz zu Fäusten, sie wollte ihn wegen Information anmachen, nicht umgekehrt.
„Hey.", fand sie endlich ihre Stimme, schenkte ihm ihr sexy Lächeln und sah kurz auf sein Namensschild. „Haben Sie kurz Zeit für mich, Dr. Raven?"
Dr. Raven zog eine Augenbraue gekonnt in die Höhe und erwiderte ihr Lächeln, diese Geste erinnerte sie an Ethan und nur wegen ihm, zog sie ihre alte Masche ab – nur um an Informationen zu kommen. Warum wollte ihr wirklich keiner Bescheid geben?
„Warum? Was brauchen Sie?", fragte der Arzt und sah sie forschend an. Renée trat näher und strich mit dem Zeigefinger über seine Brust, hinunter zum Bauch und hakte sich im Bund seiner Jeans ein. Mit einem Ruck zog sie den jungen Arzt an sich und biss sich verführerisch auf die Lippen.
„Dich.", flüsterte sie heiser und blickte zu ihm hoch, da er um einiges größer als sie war. „Zuerst wollte ich einen Arzt, also dich, absichtlich heiß machen, um an Informationen zu kommen, doch jetzt... möchte ich es nicht nur wegen der Informationen."
Der Arzt drückte Renée von sich. „Welche Informationen brauchen Sie?"
Erstaunt über die Abfuhr, klappte Renée der Mund auf. Sie sah an sich hinab und fragte sich, warum er nicht darauf einstieg. Dienst hin oder her, sie war heiß.  „Wirklich?"
„Ja. Ich bin Arzt."
„Wow, das macht mich gerade echt... sprachlos.", erwiderte Renée ehrlich und verschränkte die Arme vor der Brust. Eine Abfuhr, sie konnte es nicht fassen. War sie für einen Arzt wirklich so ... unsexy? Renée schüttelte den Kopf, es gab wichtigeres.
Seufzend senkte sie den Kopf und fuhr sich verzweifelt durch ihr - mittlerweile zerzaustes - Haar. „Okay. Ich brauche Informationen über den Zustand meines Freundes, Ethan Wayne. ... Mir möchte keiner eine Auskunft erteilen und ich sitze schon gefühlte 10 Stunden vor dem OP. Ich weiß gar nicht, wie spät es wirklich ist und ... ich habe Angst."
Der Arzt kniff die Augen zusammen. „Ok, kommen Sie mit. Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann."
„Okay."
Renée folgte dem Arzt, dieser führte sie in ein Büro. Erstaunt sah sie sich um und fragte sich, wie alt er wohl sein mochte. Das Büro war in einem eleganten Braun eigerichtet, rechts befand sich ein langes Regal mit Akten und Büchern, in der Mitte des Raumes stand ein großer Schreibtisch mit allen nötigen Schreibutensilien und einem PC darauf. Hinter dem Tisch befand sich eine große Fensterfront und gab den Blick auf die Stadt frei. Neben der Türe links befand sich eine kleine dunkelbraune Couch und ein kleiner brauner Couchtisch, während der Boden mit einem beigen Teppich ausgelegt worden war.
Dr. Raven deutete auf den Stuhl vor dem Schreibtisch, den er umrundete und etwas auf die Tastatur des PCs eintippte. Danach wandte er sich mit einem sanften Lächeln an Renée. „Also, noch einmal, was wollen Sie über Ihren Freund wissen?"
„Mein Freund, Ethan Wayne, hatte einen Unfall und keiner möchte mir sagen, wie sein Zustand ist. Bitte, ich mache mir große Sorgen um ihn ... Man merkt es mir nicht sofort an, doch ich liebe ihn, er ist meine Familie ... mein allerbester Freund.", rasselte Renée hinunter. Sie holte tief Luft und schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter. „Bitte, ich möchte doch nur wissen, wie es ihm geht. Ob er überlebt hat."
Wieder tippte er kurz etwas auf die Tastatur ein, kurz verzog er sein Gesicht. „Okay, aber wenn er noch im OP-Saal liegt, dann kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen.", erwiderte Dr. Raven und musterte sie. Er sah ihr die Erschöpfung und die Angst um ihren Freund an, doch auch er konnte ihr keine Antworten geben.
„Bitte, er ist mein bester Freund und ich möchte ihn nicht verlieren. Ich will nur eine Antwort und zwar wissen, ob es ihm soweit gut geht.", bettelte Renée, obwohl sie so etwas überhaupt nicht leiden konnte.
Seufzend fuhr sich der junge Arzt durch sein Haar und überlegte fieberhaft, wie er ihr helfen konnte. Doch er war nicht zuständig für diesen Patienten und konnte nur an seinen Kollegen appellieren, dass er Informationen über den Zustand ihres Freundes heraus gab.
„Okay, wissen Sie in welchem OP-Saal er liegt?", fragend sah er Renée an und diese nickte. „Gut, kommen Sie mit, vielleicht bekomme ich etwas über den Zustand Ihres Freundes heraus. Versprechen kann ich Ihnen aber nichts.", sagte er, als er ihre hoffnungsvollen Augen sah.
„Danke! Vielen Dank, das werde ich Ihnen nie vergessen.", erwiderte Renée und sprang - klatschend - vom Stuhl auf. Belustigt zog der Doktor eine Augenbraue in die Höhe und erhob sich ebenfalls.
„Wie heißt du eigentlich?"
„Renée.", antwortete sie und ignorierte, dass er plötzlich aufs „du" gewechselt hatte.
„Und weiter?"
„Renée."
„Hm..."
„Was?", fragend sah sie ihn an, doch der junge Arzt schüttelte den Kopf und setzte seinen Weg zum OP-Saal fort.
Verwirrt musterte sie ihn und ein weiteres Mal musste sie feststellen, dass er sehr jung wirkte. „Wie alt bist du eigentlich?"
„Das verrate ich dir, wenn du mir deinen vollständigen Namen verrätst.", antwortete Dr. Raven. Renée biss sich auf die Lippen und sah ihn skeptisch an. „Warum? Willst du mich an die Polizei verpfeifen, weil ich Informationen haben möchte?"
„Nein."
„Elizabeth Renée Aston ... Gott, warum habe ich dir das jetzt verraten?! Lach nicht, bitte.", zerknirscht sah sie Dr. Raven an.
„Warum sollte ich lachen?", fragte er ernst und blieb vor einer Tür stehen.
Renée zuckte mit den Schultern und seufzte. „Ich hasse meinen vollen Namen einfach."
Dr. Raven erwiderte nichts darauf, musterte sie nur und schob ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. Ein sanftes Lächeln umzog seine Lippen. „Es ist ein schöner Name, Elizabeth, schäm dich nicht."
Bevor Renée etwas erwidern konnte, wandte er sich um und verschwand hinter der Tür zu den OP-Sälen. Renée ließ sich auf einen Stuhl fallen und starrte wieder einmal die weiße Wand gegenüber an. Jetzt würde sie hoffentlich bald erfahren, wie es um Ethan stand. Dann konnte sie auch endlich Zoey besuchen und ihr vielleicht, sollte sie aufgewacht sein, gute Informationen mitbringen.
Es vergingen ein paar Minuten, bis Dr. Raven begleitet von einem älteren Herren durch die Türe trat. Er unterhielt sich mit ihm und hatte einen ernsten Gesichtsausdruck. Renée befürchtete schon das Schlimmste, doch sie wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Sie erhob sich und die beiden Herren kamen vor ihr zum Stehen. Dr. Raven lächelte sie freundlich an und zwinkerte Renée zu, sollte sie das etwas Positives bedeuten? Renée bemerkte nicht, wie sie die Luft anhielt, als der Kollege von Dr. Raven sich vorstellte.
„Miss Aston?"
„Ja.", antworte sie unsicher. Zum ersten Mal fühlte sich die sonst so selbstbewusste junge Frau in ihrer Haut nicht wohl und wollte am liebsten davonlaufen.
„Mein Kollege hat mich gebeten, Ihnen Informationen über Mr. Wayne zu berichten. Ich verstehe nicht, warum Ihnen die Assistenzärztin keine Auskunft gegeben hat. Ihr Freund wurde vor etwa zehn Minuten in die Intensivstation gebracht. Er hat eine schwere Kopfverletzung, zwei gebrochene Rippen, einen gebrochenen Arm und innere Blutungen. Der Wagen musste Mr. Wayne mit starker Wucht erwischt haben, denn zu Anfangs sah es um seinen Zustand nicht gut aus."
Renée schnappte hörbar nach Luft und verlor jegliche Farbe aus dem Gesicht. Ihre Hände fingen zu zittern an und Tränen schossen ihr in die Augen, die dann auch an ihren Wangen hinunter kullerten. Dr. Raven stützte sie, als ihre Beine drohten zu versagen und drückte sie sanft auf den Stuhl.
„Ms. Aston, Ihr Freund hat den Unfall und die erforderlichen Operationen sehr gut überstanden. Er liegt auf der Intensivstation, damit wir ihn beobachten können, doch seine Chancen stehen gut. Wenn keine neuen Blutungen auftreten, übersteht der den Unfall wahrscheinlich sogar ohne Schäden.
Renée nickte und nur langsam sickerten die Sätze des Arztes zu ihr. Sie biss sich auf die Lippen und senkte den Kopf, vergrub ihr Gesicht in ihre Hände und begann bitterlich zu weinen. ''Er hat es überlebt.", immer wieder, sagte es sich Renée wie ein Mantra – in Gedanken – auf.
„Kann... Kann ich zu ihm? Bitte?"
Nicht begeistert, verzog der Arzt  das Gesicht, doch er nickte, zu Renée's Überraschung. „Okay, aber nicht allzu lange, denn ihr Freund braucht wirklich Ruhe. Er soll sich ja so schnell wie möglich wieder erholen, auch wenn es seine Zeit dauern wird."
„Danke, vielen Dank.", sagte Renée und fiel beiden Ärzten um den Hals. Dr. Raven drückte sie – zu seiner Überraschung – einen Kuss mitten auf den Mund. Ihre Augen strahlten ihn an und er spürte, wie erleichtert und erfreut sie über die guten Nachrichten war.

Renée saß bei Ethan am Bett und hielt seine Hand, ein sanftes Lächeln umzog ihre Lippen. „Hey, du hast mir wirklich einen großen Schrecken eingejagt. Ich dachte, ich würde dich verlieren ... Du darfst mich nicht verlassen. Du bist meine Familie, Ethan. Werde schnell wieder gesund und nerve mich mit deiner arroganten, erwachsenen Art. Zoey geht es gut, sie hat den Unfall fast unbeschadet überlebt und das hat sie dir zu verdanken. Wenn sie dir jetzt nicht eine letzte Chance gibt und nicht sieht, welch ein guter Mensch du in Wirklichkeit bist ... hat Zoey dich nicht verdient. Hörst du?"
Tränen tropften auf seinen Handrücken und Renée wischte sie schnell wieder von ihren Wangen. Sie konnte nicht beschreiben, wie überglücklich sie war, dass es Ethan den Umständen entsprechend gut ging. Es war ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen, als sie endlich etwas über seinen Zustand erfahren hatte. Egal wie Dr. Raven es geschafft hatte, er hatte definitiv etwas gut bei ihr. Doch darum wollte sie sich jetzt keine Gedanken machen, sondern nur bei Ethan sitzen. Die Müdigkeit erfasste Renée und nicht einmal ein paar Sekunden später, war sie im Land der Träume.

~~~~~~~~

Verschlafen öffnete Renée die Augen und war schlagartig wach, als sie bemerkte, dass sie sich nicht mehr bei Ethan befand. Sie schoss in die Höhe und sah sich verwirrt in dem Raum um, bis es ihr dämmerte, dass es Dr. Raven's Büro war. Dieser stand gerade am Fenster - mit dem Rücken zu ihr - und telefonierte, sofort schossen ihr die Bilder in den Kopf, als sie ihm vor lauter Freude einen Kuss auf die Lippen gedrückt hatte.
Ein sanftes Lächeln umzog ihre Lippen, denn obwohl es ein kurzer Kuss war, war er wirklich gut gewesen. Kopfschüttelnd erhob sie sich und wollte sich unbemerkt aus dem Büro schleichen, doch Dr. Raven hatte sich schon längst wieder zu ihr gedreht.
„Renée, wollen Sie mir nicht einmal „auf Wiedersehen" sagen?"
Ertappt drehte sie sich um, noch nie war sie so unsicher bei einem Mann gewesen. Normalerweise wusste sie, was sie wollte, doch Dr. Raven verwirrte sie. „Äh... nein, ich wollte Ihnen einen Kaffee holen, als Dankeschön."
„Dankeschön?"
„Für Ihre Hilfe, ohne Sie hätte ich wahrscheinlich jetzt noch immer keine Information über den Zustand meines Freundes."
„Gerne, Renée.", erwiderte er sanft. „Nenn mich Alex, bitte."
Renée nickte und schlüpfte aus der Tür, jetzt musste sie wohl oder übel wirklich einen Kaffee für ihn holen gehen – als Dankeschön.
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Vielen Dank für's lesen ❤️
2084 Wörter
Meinung ? 🤗
Fortsetzung folgt ...😘

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