7.Vergebung

Ich atmete tief ein und aus, als ich vor dem Eingangstür zum Stehen kam. Nun musste ich mich all meinen Problemen — BTS — stellen. Sie waren aber nicht das tatsächliche Problem, sondern eigentlich ja ich, wenn man es mit anderen Augen betrachtete. Es war so nervig. Ich brauchte das jetzt am Wenigsten später auch noch mit RM über mein unvorsichtiges Handeln zu reden. Ein Seufzen entwich über meine Lippen, als ich mich endlich dazu gezwungen hatte die Tür zu entsperren und in den Vorraum zu treten. Stille und ein scheinbar leeres Haus grüßte mich, nachdem ich meine Schuhe ausgezogen und den Vorraum verlassen hatte. Niemand zeigte sich. Das ließ mich schon an die Woche erinnern, als BTS sich entschieden hatte in J-Hopes, Jimins und Jungkooks Schlafzimmer zu versammeln. Ein Schauer jagte mir den Rücken bei dem Gedanken runter. Vielleicht taten sie diesmal das Gleiche, nur dass sie nun darüber konspirierten, wie sie mich wohl am besten in den Wahnsinn treiben konnten. Kurz formuliert: Sie wollten mich spüren lassen, was sie spürten, weil sie sich gerne rächten. RM würde das aber niemals zulassen, oder doch? Na ja, seitdem er im Auto auch nicht sonderlich glücklich über meine Liebessituation gewesen war, waren meine Zweifel auf jeden Fall berechtigt.

In der Küche angekommen bemerkte ich ein kleines Zettel, welches auf dem hölzernen Tisch gelassen wurde. Ich nahm dieses zugleich in die Hand und las das Geschriebene.


Grüß dich Army,
wir sind ins Tanzstudio gegangen um auf unser anstehendes Konzert noch zu üben. Wir kommen wahrscheinlich so gegen 21:00 Uhr zurück. -Jin

PS: Es wäre lieb, würdest du dein Handy in Zukunft angeschaltet haben, damit wir nicht denken, dass dich dein FESTER Freund entführt hat. - Jungkook
PSS: Idiot. - Suga
PSSS: Morgen wirst du uns nicht entkommen. - Jimin
PSSSS: Ignoriere die anderen drei. Bitte lass dein Handy einfach an, damit wir dich immer erreichen können, sonst machen wir uns Sorgen. - RM

Ganz viele Küsschen,
BTS


Na wer sagte es denn. Anscheinend musste ich mich an dem Tag doch nicht mit BTS anlegen.

Ich atmete erleichtert aus und legte den Zettel dann wieder beiseite. Anschließend machte ich mich auf dem Weg in meinem Schlafzimmer, in dem ich meine Tasche absetzte und in gemütlichen Klamotten wechselte. Mein Handys Akku war leer, also schloss ich dieses Mithilfe des Ladekabels in dem Stecker neben meinem Bett an. Ich hatte die Nacht zuvor ganz vergessen dieses zu laden.

Wen wunderte es aber auch, dass meine Gedanken ganz wo anders gewesen waren?

Während mein Handy langsam zum Leben erwachte, joggte ich zurück in die Küche, in der ich im Kühlschrank soeben nach Essen suchte. Es war noch etwas Haejang-guk und Schwarzwaldtorte übrig. Natürlich nahm ich beide Gerichte aus dem kühlen Regal und aß ein Stück von der Torte, während die Suppe in der Mikrowelle erwärmte. Normalerweise aß man den Nachtisch nach dem Hauptgericht, aber ich beachtete diese Regel so gut wie nie. Mein Rebellieren hatte mir nicht nur einmal ein Besuch im Badezimmer in der Vergangenheit versetzt. Obwohl das nun auch nur dann passiert war, wenn ich nicht nur durcheinander, sondern auch noch viel zu viel gegessen hatte. Wie appetitlich es doch war über Kotzen nachzudenken, während man an etwas köstlich Süßem naschte. Normalerweise unterhielt ich mich immer wild mit BTS während der Mittagszeit, aber nun, dass ich alleine war, konnte ich mich super mit meiner eigenen Vorstellungen und Gedanken auseinandersetzen.

Ein Seufzen meinerseits hallte durch die Küche.

Es war deutlich angenehmer, wenn man von dem eigenen Sein abgelenkt wurde. Man machte sich da zumindest keine Vorwürfe und unnötig Sorgen.

Nach dem Essen machte ich schnell den Abwasch und verkroch mich anschließend in meinem Schlafzimmer. Mein Handy war wieder angegangen und zeigte insgesamt 150 neue Nachrichten auf KakaoTalk an. Davon waren so gut wie 80 Prozent von den BTS Mitgliedern gewesen, die mich nicht nur im Gruppenchat, sondern auch im Privaten gespammt hatten. Kurz gefasst waren RM und Jin die ruhigsten und freundlichsten mir gegenüber. Die anderen hinterließen mir total wirre und provokative Nachrichten. Jimin, V und Jungkook beschwerten sich verteilt darüber, wie ich sie heute Morgen einfach so zurückgelassen hatte. J-Hope entwarf irgendwelche komische Verschwörungstheorien über Jung-Min, wie er dem Satan diente und Ähnlichem und Suga hatte mir einfach nur das Wort "Idiot" hinterlassen.

Diese Jungs wussten wirklich wie sie einen unter Druck setzen konnten.

Ich schrieb in die Hauptgruppe, dass es mir leid täte, dass ich nicht früher antworten konnte, da mein Akku leer gewesen und ich erst jetzt zuhause angekommen war. Dann wünschte ich ihnen noch viel Erfolg im Studio und bat sie darum sich nicht zu sehr zu überarbeiten und auf ihre Gesundheit zu achten.

Die meisten Privatnachrichten ignorierte ich daher, außer die von RM. Er hatte mich darum gebeten mit ihm einen Spaziergang am Abend zu machen, sodass wir uns tatsächlich mal unter vier Augen sprechen konnten. Ich willigte mit einem kurzen "Okay" ein und spürte jetzt schon die Angst und Sorge an meinen Nerven ziehen. Wenn ich mich bereits so schuldig fühlte, dann mussten alle Handlungen, die ich bis dahin vollzogen hatte, echt alles nur Fehler gewesen sein. Von all den Menschen auf dieser Welt, schämte ich mich am meisten vor Nam-Joon aufgrund meines unachtsamen Verhaltens.

Gott, was tat ich hier eigentlich? Was war mit mir passiert? Ich war erst vor einem Tag 16 geworden und ich übte bereits so viel Blödsinn wie nie zuvor in meinem Leben. Das musste bestimmt mit der Pubertät zusammenhängen. Ich war einfach nur komischer gelaunt, weil mein Körper beim Wachstum verrückt spielte. Da! Schon wieder schob ich meine dummen Entscheidungen auf alles, statt auf mich selbst. Ich war es, die diese Verhaltensweisen zielstrebig ausgeübt hatte. Natürlich hangen da auch Gefühl und Kontrollverlust bei Alkohol zusammen, aber niemand hat mich dazu gezwungen zu trinken. Vor allem hatte mich niemand dazu verordnet mit Jung-Min eine intime Beziehung einzugehen. Ich musste mich endlich zusammenreißen und einsehen, dass ich die Schuldige in dieser Situation war.

Und weil ich eine für mein Alter sehr erwachsen war, tat ich genau das.

🍉

»Ich will nicht mehr leben Eun-Young«, jammerte ich in den Hörer meines Handys.

Es war schon fast 21:00 Uhr am Abend. Ich hatte den ganzen Nachmittag überlegt, wie ich RM am besten erklären konnte, wieso ich unüberlegt so viele Fehltaten begangen hatte und konnte mich daher gar nicht so richtig auf das Lernen und anschließend auf meine Lieblingskoreanische Serie konzentrieren. Ich war verloren. Mein Leben war verloren. Ich wurde gehasst und würde später noch mehr verachtet werden!

»Das hast du dir selbst zuzuschreiben! Ich habe dir gesagt, dass du das mit Jung-Min lieber etwas langsamer angehen solltest! Aber nein, niemand hört auf mich«, schimpfte meine beste Freundin mit mir. »Außerdem verstehe ich dein Problem nicht. Ich glaube du machst dir viel zu viele Sorgen was Nam-Joon Oppa angeht. Du weißt doch, dass unser Leader sehr verständnisvoll ist. Er ist so gut wie der perfekteste Mensch auf Erde, um mit ihm über Probleme zu diskutieren. Es ist ja echt nicht so als hättest du jemanden umgebracht oder gar eine kriminelle Aktivität ausgeführt. Wir reden immer noch über eine Romanze, die du durch Alkoholkonsum begonnen hast. Das war's doch eigentlich schon, nicht? BTS waren auch einmal Jugendliche, also wissen sie schon, wie das so bei Teenagers läuft. Sie können dir dafür nicht ewig böse sein.«

Zum ersten Mal ergaben Eun-Youngs Aussagen wirklich einen Sinn. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen pessimistisch zu denken und hatte gar nicht beachtet, wie die Jungs normalerweise drauf waren. Aber das war doch ja genau die Sache. Auf YouTube zu sehen, wie sie mit Konflikten umgingen und wer am verständnisvollsten reagierte, war trotzdem anders als im richtigen Leben.

»Zum ersten Mal bin ich irgendwie froh darüber nicht in deiner Position zu sein. Obwohl, ich hätte mich selbst nie in diese Situation gebracht. Dafür wäre ich viel zu sehr damit beschäftigt Jimin nachzujagen«, verkündete meine beste Freundin.

»Yah! Ich dachte du wolltest mich beruhigen!«

Sie gluckste daraufhin.

»Es ist unmöglich alles richtig im Leben zu machen Lari. Du hast aber schon den mutigsten Schritt gewagt und deine Fehler eingesehen und erkannt, was du schlecht gemacht hast. Was gibt es da mehr zu verlangen?«

Sie hatte recht. Ich machte mir viel zu sehr den Kopf. RM war bereit meine Seite des wirren Geschehens anzuhören und das war schon genug Beweis dafür, dass er mich nicht aufgeben wollte.

»Du kannst ja richtig hilfreich sein, wenn du möchtest«, meinte ich.

»Aber pssst, erzähl niemanden davon. Meine Nettigkeit soll nur zwischen uns bleiben.«

Ich musste daraufhin lachen und rollte meine Augen.

»Alles klar, ich behalte dein Geheimnis bei mir.«

»Na endlich gibt es auch etwas, womit du mich im späteren Leben ebenfalls erpressen kannst. Jetzt bin ich nicht die Einzige, die ein Geheimnis überall mit sich tragen muss.«

»Stimmt! Ich kann gar nicht erwarten das gegen dich zu verwenden, falls du dich gegen mich verschwörst«, meinte ich grinsend.

Wir redeten noch eine Weile über belanglose Themen, weswegen ich mich etwas beruhigen konnte und nicht mehr so viel Angst vor dem Gespräch hatte. Um auch nicht zu sehr darauf herumzureiten, legte ich mich nach dem Telefonat mit Eun-Young auf meinem Bett und setzte meine Kopfhörer auf. Eigentlich war das ein Ablenkungsmanöver um mich seelisch zu beruhigen und mich zudem auf das Gespräch vorzubereiten. Ich stresste echt unmöglich viel. Das zeigte aber deutlich das Gewicht dieser Situation auf. Augen geschlossen und "Spring Day" auf der höchsten Lautstärke gestellt, malte ich in meinem Kopf die bizarrsten Ergebnisse des bevorstehenden Gesprächs aus. Mir war echt nicht mehr zu helfen.

Ich öffnete meine Augen, als die Matratze unter mir sank. Es hätte jeder der Jungs sein können. Am meisten hätte ich das Trio, das aus V, Jimin und Jungkook bestand, erwartet, aber stattdessen hatte sich RM auf das Bett gesetzt und auf meine Kopfhörer gezeigt, damit ich sie absetze. Ich gehorchte sogleich und schaltete die Musik auf meinem Smartphone ebenso aus. Mein Herz raste auf einmal wieder wie wild in meinem Brustkorb. Auf einmal hatte ich das starke Bedürfnis mich einfach unter meiner Bettdecke zu verbergen und für alle Zeiten in der schützenden Dunkelheit zu bleiben. Es fiel mir schwer in die warmen und leuchtenden Augen von Nam-Joon zu blicken ohne gleich wieder Schuldgefühle in meinem Brustkorb zu vernehmen.

»Na, was ist? Gehen wir?«, fragte der Leader gleich und hielt seine Hand zu mir aus. Ich ergriff sie nur zögernd, was er mit einem behutsamen Druck um meine Finger beantwortete. Er half mir vom Bett auf und legte dabei einen Zeigefinger gegen seine vollen Lippen.

»Lass uns schnell abhauen, bevor es die anderen merken«, flüsterte er mir zu.

Danach lehnte er seinen Kopf gegen die hölzerne Tür und horchte für einen Moment. Dann nickte er zu mir zu und öffnete die Tür. RM ließ mich schnell vorbei, bevor er die Tür wieder schloss, mich ein erneutes Mal an die Hand nahm und mit mir praktisch den Flur entlang joggte. Wir ließen uns nicht von dem Licht abhalten, das in der Küche leuchtete, als wir die Treppe untergeschlichen waren und bewegten uns vorsichtig auf den Vorraum zu, in dem ich gekonnt in meine Sportschuhe schlüpfte. Anschließend zog ich mir noch eilig meine Winterjacke an, griff nach meinem Schal und schon waren wir draußen in der Kälte, wobei Nam-Joon immer noch mit seinen schwarzen Stiefeln zu kämpfen hatte und mit einem Fuß am Boden und mit der anderen in der Luft, etwas tollpatschig hin und her balancierte.

»Geht's?« fragte ich nach einer Weile, in der er immer noch mit seinem Schuh zu kämpfen hatte. Genau in diesen Moment hatte er es geschafft die Sohle mit seinem Fuß zu berühren und stopfte dann seine langen Schnürsenkel anschließend hinten an seiner Ferse rein.

»Alles gut! Es kann losgehen!« gab er erleichtert an und legte seine Hände in seinen Jackentaschen. Auch ich hatte dies getan, nachdem ich meinen Schal um meinen Hals gelegt hatte.

»Ist es echt so kalt?« fragte er mich amüsiert. Es war klar, dass er den Schal meinte.

»Nein, aber ich brauche das zur Beruhigung«, antwortete ich ohne vorher darüber nachzudenken. Nicht unbedingt das Thema, was ich mit ihm zu Beginn durchkauen wollte.

»Zur Beruhigung?«

Die Konversation ging in eine ganze andere Richtung als gewollt, aber nun war es auch zu spät zu wechseln.

Nam-Joon setzte zum Gehen an.

»Ich brauche ja irgendeine Barrikade, sonst fühle ich mich sehr hilflos«, erklärte ich ihm und folgte ihm etwas unschlüssig.

Dann auf einmal entfernte er seine rechte Hand aus seiner Tasche und legte diese stattdessen um meine Schulter, wobei er mich an sich zog und ich nicht mehr wie ein verlorener Hund nach ihm taumelte.

»Es tut mir leid«, entschuldigte er sich aus dem nichts. Das kam nun wirklich unerwartet.

»Wieso? Eigentlich sollte ich mich ja entschuldigen«, protestierte ich, doch das leichte Schütteln seines Kopfes hielt mich davon ab eine unnötig lange Rede über meine Fehlentscheidungen zu halten.

»Du solltest dich nicht so fühlen, dass du von allen Seiten angegriffen wirst und du dass nur du die Schuldige bist. Ich möchte keinen Krieg mit dir führen. Es wäre mir lieber, könnten wir gleich Frieden schließen und den Kampf ganz auslassen.«

Nam-Joon streichelte behutsam über meine Schulter.

Auf einmal fühlte ich mich nicht mehr so nervös, aber die Angst und Zweifel, die auf meinen Schultern und Seele lastete, löste sich trotzdem nicht.

»Es tut mir leid«, sagte ich, obwohl ich stattdessen am liebsten alles von meiner Seele geredet hätte. Ich konnte nicht anders. Ich musste sehr stark dagegen ankämpfen, nicht zu schluchzen. Letztendlich bebte jedoch mein ganzer Körper unter Nam-Joons starken Arm. Er strich weiterhin behutsam über meinen Oberarm, während wir auf dem Gehsteig spazierten und ich still gegen mich selbst ankämpfte.

»Mir tut es auch leid«, sagte er und legte seine Hand anschließend an auf meinem Kopf und fuhr mir durch meine Haare. »Ich wollte dich auf keinen Fall bedrängen. Ich hätte dich nicht so sehr mit diesem Gespräch erschrecken sollen. Es ist nicht deine Schuld. Manchmal reagiere ich selbst auch irrational und handle nach meinen derzeitigen Gefühlen. Das ist aber nur menschlich, wir können nicht immer unserem Verstand folgen.«

Ich wusch meine Tränen weg, die über meine Wangen rollte, aber sie wurden dann ziemlich schnell wieder von neuen ersetzt.

»Du magst diesen Jungen sehr, nicht wahr?«

Ich nickte, da ich wusste, dass ich nicht reden konnte ohne dann wirklich zu heulen.

»Du meinst es eigentlich ziemlich ernst mit ihm, stimmt's?«

Erneut nickte ich.

»Und die Worte von Yoon-Gi Hyung haben dich verunsichert, oder?«

Diesmal zögerte ich, aber musste letztendlich ehrlich zu mir selbst und zu RM sein und nickte.

»Armys, die Lovers haben, sind Verräter«, Nam-Joon ließ sich diesen Satz auf seiner Zunge zergehen, während er weiterhin mein Kopfhaut mit seinen Fingern massierte. Er blickte dem Himmel empor, wobei er die Sterne betrachtete. »Es ist nie im Leben ernst gemeint. Dieser Satz sollte dich nicht so sehr beschäftigen wie es tut. Niemand kann dir verbieten jemanden zu lieben und zusammen zu sein. Vor allem nicht wir. Der Mensch kann nicht alleine sein. Wir brauchen jemanden an unserer Seite, wenn wir alt werden.«

Ich schniefte kurz und versuchte mit aller Kraft die restlichen Tränen zu unterdrücken, aber sie kullerten unaufhaltbar aus meinen Augen.

»Außerdem muss dieser Slogan dann von beiden Seiten ausgehen, aber das tut es sicher nicht. Suga Hyung hat ganz bestimmt auch geheime Rendezvous, von der er nicht unbedingt berichtet.«

Rendezvous? Das überraschte mich. Die Jungs waren immer so beschäftigt. Hatten sie da wirklich Zeit jemanden kennenzulernen?

»Seid ihr nicht zu beschäftigt dafür«, sprach ich ihn gleich mit bebender Stimme darauf an und schniefte ein erneutes Mal.

»Niemanden verraten, ja?« bat mich RM und wischte mit seinem Daumen meine Tränen weg, während er seinen Arm wieder auf meine Schulter legte. Ich musste kurz über seine Bitte glucksen, was aber dann doch in leises Schluchzen umgewandelt wurde.

Es war ein ernstes Thema in der Kpop Welt gewesen, aber aus seinem Mund hörte sich das an wie ein normales Geschehnis. Das war es ja auch im Ganzen; Normal. Bloß Fans und Entertainments machten manchmal den Anschein, als wäre das was ganz Schreckliches.

»Es tut mir so leid, dass ich an dem Tag nicht früher nach hause gekommen bin«, entschuldigte ich mich mit zittriger Stimme bei ihm. »Ich musste dich wirklich enttäuscht haben. Immerhin habt ihr euch so viel Mühe gegeben und wolltet mich für mein Geburtstag überraschen.« Ich machte eine kurze Pause, um mich etwas wieder mehr erholen zu können und dann ohne große Schwierigkeiten weiter zu reden. »Hätte ich es gewusst, wäre ich auf keinen Fall auf diese Party gegangen. Jetzt kann ich es leider nicht mehr ändern, aber was ich machen kann, ist es wieder in Ordnung bringen.«

»Ach Quatsch«, widersprach er mir, stellte sich auf einmal vor mir und versperrte mir den Weg, weshalb ich zum Stehen kam. »Wir hätten es dir ausdrücklich sagen sollen, dass wir mit dir um Mitternacht feiern wollen. Es stimmt, dass es mich nicht unbedingt erfreut hat, dass du als Minderjährige so viel Alkohol zu dir genommen hast, aber das war nicht der Grund, weshalb ich so verletzt gewesen bin.« Er richtete mir meinen Schal, welcher sich etwas aufgelockert hatte, während ich zu Boden schaute.

Ich hatte RM verletzt. Einen Menschen, den ich nie im Leben schlechte Gefühle wegen mir geben wollte.

»Ich habe mir schreckliche Sorgen um dich gemacht. Normalerweise hast du dich bisher an allen Terminen und Besprechungen gehalten, und auf einmal war dieses junge Mädchen nicht bei der vorhergesehene Uhrzeit Zuhause und ich konnte sie nicht einmal auf ihrem Handy erreichen.« RM hakte sich bei mir ein und so setzten wir wieder zum Gehen an. »Es war eine ganz merkwürdige Situation. Vor allem, als nach stetigem Anrufen, was nicht nur ich ausprobierte, sondern auch noch die anderen Jungs, hob dann endlich eine unbekannte Person ab, die ziemlich aufgeregt und glücklich auf meinen Anruf reagiert hat. Dann erfuhr ich nur ganz flüchtig, dass es dir gut ginge und bekam dann auch endlich die Adresse zu wissen.« Er machte eine Pause, was ich als Zeichen nahm, dass auf seine Erzählung reagieren sollte.

»Eun-Young, meine Freundin aus der Schule«, begann ich also, und schniefte kurz. Ich hatte mich fast ganz vom vorherigen Ausflippen beruhigt. »Sie ist ein Fan, ein Army um ganz genau zu sein.« Ich holte meinen freie Hand aus meiner Tasche und wedelte hin und her, da ich meine Aussage noch nicht begründet hatte und RM bestimmt etwas besorgt war. »Aber sie ist ganz friedlich und vertrauenswürdig! Sie ist zwar ein wenig von Jimin besessen, aber ansonsten verhält sie sich sehr brav und würde nie im Leben so ein Geheimnis ausplappern. Ehrlich. Ich weiß, dass es viele Leute mit falschen Gesichter gibt und etwas Persönliches über einen verraten können, aber sie ist anders. Sie passt da wirklich auf. Sie will immerhin nur das Beste für euch.«

»Deine Freundin weiß also, dass du bei uns wohnst?«

»Ja. Ich habe es ihr anvertraut, nachdem sie sich als einen sehr liebevollen Menschen herausgestellt hat. Sie wird es niemandem weitererzählen.«

Nam-Joon seufzte. Statt mich darüber zu belehren, wie meine Entscheidung falsch oder doch richtig gewesen war, nickte er bloß und lehnte danach seinen Kopf gegen meinen.

»Wenn du denkst, dass du ihr vertrauen kannst, dann habe ich nichts daran auszusetzen. Ich vertraue dir.«

»Danke Oppa.«

Dieses Geheimnis, welches nie wirklich ausgesprochen wurde, erschien mir schon so natürlich, dass es schon längst zu einem Teil von mir formiert war. Es gehörte ja auch zu meinem Leben — es war mein Leben.

»Was Jeong-Guk betrifft...«, setzte der Rapper erneut zum Reden an. Ich blickte bei der Nennung seines Namens gleich zu ihm und stellte überrascht fest, wie er seine freie Hand an seinem Nacken gelegt hatte und etwas ungewiss auf den Boden blickte. »Er fühlt sich sehr an Menschen gebunden und er kann etwas überfürsorglich werden. Ich denke du hast das auch schon selbst bemerkt, nachdem er auch noch diese Aktion von heute Morgen mit Ji-Min und Tae-Hyung gestartet hat. Die anderen zwei sind auch nicht unbedingt gleichgültig was deinen Freund angeht, aber von uns allen muss sich wahrscheinlich der Maknae am meisten damit auseinandersetzen, um Frieden zu finden.«

Dann blickte er wieder zu mir.

»Du musst dir aber deswegen keinesfalls Sorgen machen und dich damit auch nicht beschäftigen. Ich übernehme das schon, aber es war mir wichtig, dass du darüber erfährst, da er noch etwas beschlagen ist und er Sachen sagen und machen könnte, die etwas irrational ausfallen können.«

»Ist schon in Ordnung. Ich bin ihm deswegen nicht böse.«

Der Leader legte erneut seine Hand an meinem Kopf und streichelte diesen.

Die funkelnden Sterne schmückten das weite dunkle Firmament, das sich ins Unendliche über unsere Köpfe hinweg erstreckte. Endlich verdeckten keine Wolken den Himmel und ließen die Nacht mit ihrer Schönheit prahlen. Obwohl es März war und über den Tag doch schon recht angenehme Temperaturen angesagt waren, kühlte sich das Wetter in den späten Abend hinein noch etwas ab.

»Bitte jage mir nie wieder so große Angst ein. Ich glaube nicht, dass ich mir das jemals verziehen könnte, würde tatsächlich irgendetwas mit dir passieren.«

»Ich werde mich bessern. Versprochen. Es wird nie wieder zu so einer Situation kommen. Ich habe aus meinem Fehler gelernt«, versicherte ich ihm.

Der Rapper lächelte mich an, was ich nur mithilfe des Licht der Straßenlaterne erkennen konnte.

Nach einem großen Spaziergang gefüllt mit belanglosen Konversationen und viel Lachen hatten wir fast den Weg nach hause nicht mehr wiedergefunden und mussten sogar eine App dazu verwenden um letztendlich wieder die vertrauten Eingangstür zu entdecken.

»Was würdest du nur ohne Technik machen«, witzelte ich, während ich meine Winterjacke auszog und auch den Schal auf dem einen Regal absetzte.

»Nicht so frech Lari, ich bin immerhin dein Oppa«, entgegnete RM grinsend und stupste mich mit seinem Zeigefinger gegen die Stirn. Ich massierte die Stelle mit meiner Handfläche und schmollte.

»Ja Oppa.«

Kein Licht brannte im ganzen Haus. Wahrscheinlich hatten sich alle Jungs in ihren Zimmern verkrochen und schliefen. Es war ja auch ein ziemlich anstrengender Tag für sie gewesen. RM's Hand legte sich kurz auf meinem Kopf, bevor er dann an mir vorbeiging und das Wohnzimmer betrat. Ich war im Türspalt stehen geblieben und blickte benommen in die Dunkelheit.

»Oppa!«, rief ich flüsternd dem Leader zu, der sich daraufhin kurz umdrehte. Er benutzte die Taschenlampe seines Handys um den Weg zur Treppe zu finden. Er war genau so faul wie ich gewesen, um die Lampe für diese kurze Zeit anzumachen. »Glaubst du, dass mir die anderen auch verzeihen werden?«

Ich konnte durch die Dunkelheit sein Gesichtsausdruck nicht erkennen.

»Spätestens, wenn du sie anlächelst, haben sie vergessen, warum sie überhaupt Krieg anfangen wollten.«

Ich war mir nicht so sicher.

»Na dann! Gute Nacht Army.«

»Ja! Gute Nacht RM«, sagte ich ebenfalls und lauschte den leichten Schritte des Koreaners zu wie er die Treppen hochstieg und dann den Flur entlanglief.

Obwohl ich mich beruhigt und aufgehoben hätte fühlen sollen, bedrückte mich die Tatsache immer noch, dass ich nicht nur RM, sondern auch die anderen mit meinem Verhalten wirklich verletzt hatte. So eine schreckliche Person wie ich war BTS nicht würdig.

🍉

Man würde denken, dass sich nach dem Gespräch mit Nam-Joon alles bessern würde, aber dem war es nicht so. Ich schämte mich vor BTS zu treten, weshalb ich mich automatisch Zuhause versteckte und versuchte den Jungs so oft wie möglich aus den Weg zu gehen. Vielleicht brauchte ich diese Abschottung sogar, aber es fühlte sich trotzdem wie ein Fluchtversuch an. Sie arbeiteten viel, waren öfter im Studio als zuvor und hatten auch nicht mehr so viel Zeit für mich. Es war schon fast unmöglich sie anzutreffen, und trotzdem erwischte ich mich dabei, wie ich selbst das Mittag- oder Abendessen absagte und den Wecker auf früher setzte, damit ich mit ihnen auch morgens nicht in Kontakt treten musste. Ich verbrachte viel Zeit mit Jung-Min, ging jeden Tag nach der Schule auf Rendezvous mit ihm. Ich entdeckte neue Ortschaften durch ihn und zudem neue Lieblingsrestaurants- und Cafés. Ich konnte endlich wieder auf andere Gedanken kommen und verbrachte die Abende bei Eun-Young, wobei wir zusammen lernten und ich ihr vergeblich versuchte Mathe zu erklären. Das sture Mädchen beharrte bei jeder neuen Aufgabenstellung darauf, dass sie Schule schmeißen und Stripperin werden würde, woraufhin ich ihre absurde Idee immer wieder mit Augenrollen und Seufzen beantwortete.

Die Schlafzimmertür, die ich bis März immer offen gelassen hatte, verschloss ich bei jeder kleinlichen Benutzung und verlor dadurch jeglichen Kontakt zu den Jungs, nachdem ich mich auf diese Art eingekerkert hatte und mit Kopfhörern und lauten Musik ihre Stimmen ausblendete. Die wenigen Nachrichten waren die einzigen geblieben, in denen die Jungs erfuhren, dass ich noch am Leben war. Ich hatte ihnen aber auch in den Gruppenchat geschrieben, dass ich etwas Freiraum benötigte, was auch dabei geblieben war. Keiner von ihnen versuchte mich zu belästigen und in meine Privatsphäre einzugreifen.

Es war schon wie eine Strafe, die ich an mir selbst gesetzt hatte. Ich schloss alle Neuigkeiten von BTS aus und weigerte mich ihre Musik zu hören. Noch nie in meinem Leben zuvor hatte ich mich so elendig, einsam und verlassen gefühlt. Und obwohl ich langsam in meiner eigenen Dunkelheit versank, konnte ich es einfach nicht über mich bringen vor BTS zu treten. Es ging einfach nicht. Etwas in mir, waren es immer noch Schuldgefühle oder was anderes, hatte so einen großen Einfluss auf meine Handlungen, dass ich es nicht konnte.

Dieser scheinbar niemals aufhörender Teufelskreis zog sich bis zu Freitag Abend hin. So stand ich nun im Türrahmen und beobachtete wie Eun-Young wild durch ihr ganzes Schlafzimmer tanzte, auf ihrem Bett drauf und ab hüpfte, nur um kurz daraufhin über ihren weichen Teppich zu rollen und währenddessen krampfhaft die Töne von "Run" zu treffen. Sie hatte mich durch ihre gruselige Trance und laute Musik nicht einmal bemerkt, dass ich sie mit ihrem kleinen Bruder zusammen musterte. Der 12 jährige Junge schüttelte langsam seinen Kopf und machte mit einer abstreitenden Handbewegung klar, dass ihn die Situation nicht überraschte, eher seine Hoffnungslosigkeit gegenüber seiner großen Schwester verstärkte. Mit einem Seufzen schloss ich die Tür hinter mir zu und ließ anschließend meine Schultasche auf den Holzboden fallen.

Manchmal wünschte ich wirklich mit ihr Körper zu tauschen. Einfach nur, damit ich endlich meine Ruhe haben konnte und Eun-Young den bestehenden Konflikt mit BTS statt mir löste.

Die vertrauten Töne des Liedes bohrten sich in meine Seele, in meinem Gehirn, verhangen sich in jede Faser meines Seins. BTS war wie eine Droge. Diese Entzugserscheinungen, die ich die Woche hatte, wurden durch "Run" blitzartig erloschen. Ich atmete tief durch, bevor ich mich dann einfach von der Musik mitreißen ließ und mich den wilden und taktvollen Bewegungen meiner besten Freundin anschloss, die über mein Auftreten jubelte und noch schrecklicher sang als zuvor.Nach "Run" folgten drei weitere Lieder; "Dope", "Baepsae" und "Not today".

Nachdem wir uns ausgetobt hatten, lagen wir beide erschöpft und etwas verschwitzt auf dem weichen Teppich und atmeten schwer.

»Wasser?« fragte Eun-Young nach einer Weile.

Ich nickte.

»Wasser.«

Obwohl wir beide durstig waren, dauerte es ziemlich lange bis wir uns tatsächlich aufgerichtete hatten und uns auf den Weg in die altbekannte Küche machten. Verschwommene Erinnerungen an die Nacht mit Jung-Min rauschten durch meine Gedanken. Ich wurde erst wieder in die Realität gezogen, als ein volles Glas mit Wasser vor meine Nase auf dem Pult gesetzt wurde. Eun-Young exte die Flüssigkeit runter, nur um ihr Glas wieder am Wasserhahn aufzufüllen und dieses genau so schnell zu leeren.

»Langsamer, sonst wird dir noch schlecht«, warnte ich sie.

Das koreanische Mädchen winkte meinen Tipp gekonnt ab und klopfte anschließend auf ihren flachen Bauch.

»Wird schon in Ordnung sein,« sagte sie während ihren tiefen Atemzügen. Ihr Blick wandte sich zum Essbereich.

»Hast du Hunger? Wir könnten während wir essen BTS Videos schauen.«

Ich zwang mich zu einen Lächeln, obwohl sich ein fauliges Gefühl in meiner Magengegend ausgebreitet hatte.

»Klar,« gab ich dem Fangirl gleich nach ohne irgendeinen Anschein zu geben, dass ich die Idee gedanklich nicht wirklich befürwortete.

War ich den Videos überhaupt würdig, während ich sie im richtigen Leben ausschloss?

»Suschi?« fragte sie

»Suschi«, entgegnete ich.

Sie grinste zufrieden, holte ihr Handy aus der Tasche ihrer Jogginghose und rief irgendeinen Lieferantenservice an. Anschließend bewegten wir uns in das Wohnzimmer und ließen uns auf die Couch fallen. Wir warteten geduldig auf den Moment, an dem die Klingel betätigt werden würde und wir den köstlichen Gericht verspeisen konnten. Bis dahin unterhielten wir uns über belanglose Themen. Nicht einmal sprach sie Chang-Woo an und auch ich erwähnte Jung-Min nicht. Es erinnerte mich an die frühere Zeit, in der wir durchgehend nur von BTS geschwärmt hatten und ich mit keinem Drama in Berührung gekommen war.

»Hat sich eigentlich alles geklärt?« fragte auf einmal das neugierige Mädchen und lehnte sich über den Couchtisch, um mithilfe der Fernbedienung ein Video auf dem Fernseher auszuwählen.

Ich zuckte mit den Schultern und legte meinen Nacken an die Sofalehne.

»Also nicht«, merkte sie nach einer Weile des Schweigens an und machte das Musikvideo von "Boy in luv" an. Sie stellte die Lautstärke etwas runter, obwohl sie die Songs meistens ohrenbetäubend hörte. Danach legte sie die Fernsehbedienung wieder auf den Tisch und warf mir einen entschlossenen Blick zu.

»Du kannst es nicht einmal abstreiten. Es ist mir bereits aufgefallen, dass du mehr Zeit bei mir verbringst als jemals zuvor. So kann es nicht weitergehen Lari und das weißt du hoffentlich auch. Du musst dich wieder mit unseren Babys vertragen.«

Leicht für sie zu sagen, sie war ja nicht diejenige, die damit umzugehen hatte. Ich seufzte bloß und versuchte mich auf das spannende, aber allzu vertraute Musikvideo zu konzentrieren.

»Ich dachte das Gespräch mit RM ist gut verlaufen!« meinte sie diesmal vorwurfsvoll und erhöhte ihre Stimmlage.

»Mit RM, ja.«

Eun-Youngs irritiertes Gesichtsausdruck verwandelte sich gleich in ein verständnisvolles. Sie legte behutsam eine Hand an meine Schulter und drückte leicht zu.

»Alles wird gut«, begann sie ihre emotionale Rede. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie einfach nur blind vor Eifersucht sind und zurzeit einfach nur deinen Boyfriend aufsuchen und umbringen wollen. Ich meine, die Hauptdarsteller in Koreanischen Serien fühlen sich auch gleich besser, nachdem sie dem zweiten Hauptdarsteller richtig die Stirn bieten.«

»Meine Güte! Kannst du mal für einen Moment aufhören das richtige Leben mit einer Fantasiewelt zu vergleichen? Das hier ist eine ernste Angelegenheit! Ich werde gerade von meiner Lieblingsband verabscheut!«

Eigentlich wusste ich ja nicht einmal was sie verspürten, da ich mich wie ein Feigling vor ihnen versteckte. Ich hatte zu viel Angst, dass sie mich wirklich nicht mehr mochten.

»Als ob sie dich verabscheuen! Übertreiben musst du jetzt auch nicht. Sie sind einfach nicht daran gewöhnt, dass jemand, der ihnen so nah steht, auf einmal solche Gefühle für einen Außenseiter empfindet.« Sie lächelte mich beruhigt an. »Du weißt doch wie neidisch Jungkook auch reagiert, wenn zum Beispiel V mit anderen Personen was macht. Sei doch lieber glücklich darüber: Du hast eine Position erreicht in der dich die Jungs wie ein extra Bandmitglied oder besser gesagt als Familie betrachten.«

Vielleicht hatte sie ja recht. Auf dieser Weise hatte ich meine ungewöhnliche Situation noch nicht wahrgenommen. Aber trotzdem war es schwer mich mit ihnen selbst zu vergleichen. Sie kannten mich erst seit drei Monaten, also war es unmöglich, dass sie mich wirklich als Familie sahen.

»Und wie kann ich es bei Jungkook wieder gut machen?« fragte ich sie.

Die Koreanerin grinste zufrieden.

»Das liegt doch klar auf der Hand. Lass ihn spüren, dass er dir immer noch genau so wichtig ist wie davor und keine Person was daran ändern kann.«

Weiter kam meine beste Freundin nicht mehr, da die Klingel ertönte, sie aufsprang und förmlich auf die Eingangstür stürzte.

»Essen ist da!« rief Eun-Young begeistert, bevor sie die Klinke runterdrückte und für einen Moment hinter dem weißen Holz verschwand, da sie das Essen draußen übernahm.

Nachdem wir gegessen und BTS Musikvideos geschaut hatten, fühlte ich mich ein wenig lebendiger als an den vorherigen Tagen. Tatsächlich fühlte ich mich befreiter und sogar frei. Irgendetwas hatte sich in mir nach dem kurzen Gespräch mit Eun-Young getan. Sie hatte mir genau den perfekten Ruck gegeben, um mich endlich aus meinem Versteck zu bewegen.

Diese schweren Schritte, die ich die vorherigen Tage stark erzwingen musste, um nach hause zu kommen, verwandelten sich in Flügel. Ich ignorierte den Bus, in dem ich normalerweise einstieg und lief an der Straße vorbei, in die ich eigentlich einbiegen hätte sollen. Mein Blick richtete sich auf den orangefarbenen Himmel, die in lila Tönen langsam in die Nacht überleitete. Der Duft von Tteok-bokki hing in der Luft, als ich an den Essständen vorbeiging und das Gerede der verschiedenen Menschen, die an mir vorbeigingen, füllte die Stille, die sich in meinem Kopf ausgebreitet hatte. Ich hatte nur noch eine Sache im Kopf: Ich musste BTS zeigen, dass ich sie immer noch vergötterte. Ich folgte blind den langen Weg, der mich letztendlich zum Gebäude führte, vor dem ich augenblicklich stehen blieb. Ich wählte die Handynummer von RM. Der Leader hob nach ein paar Tuten ab.

»Lari? Was ist los? Ist alles in Ordnung?«

Er klang ziemlich besorgt, weswegen mein Magen sich ruckartig zusammenzog. Einen schrecklicheren Menschen wie ich konnte es in diesen Moment nicht geben.

»Ich bin vor dem Big Hit Gebäude, habe aber vergessen meine Karte mitzunehmen. Ohne dem kann ich nicht rein«, erklärte ich ihm ohne auf meine negativen Gedanken zu achten. Es musste endlich einmal aufhören, dass ich immer nur nach Fluchtwegen suchte und Probleme beiseite schob, die ich lösen musste.

Stille.

»Hallo? Bist du noch da Oppa?«

Ich wartete noch ein paar Sekunden, doch keine Antwort kam. Daraufhin entfernte ich das Handy vom Ohr und blickte verlegen auf den Display, der stets die Sekunden für die Zeit zählte, solang der Anruf nicht beendet wurde. Vielleicht war das wirklich eine schlechte Idee gewesen. BTS war beschäftigt und arbeitete hart. Ich hielt sie nur davon ab Fortschritte zu machen. Ich seufzte und richtete meinen Blick auf die Klingel. An der Rezeption würde mich die Person keineswegs reinlassen, da sie mich wahrscheinlich nicht mehr erkennen würden. Ich war dafür viel zu selten im Studio gewesen. Vielleicht sollte ich doch nach hause.

Gerade als ich diesen Gedanken beendet hatte und zum Gehen ansetzen wollte, öffnete sich die Tür mit einem kurzen Ton. Ich wurde am Handgelenk gepackt und wortwörtlich in das Gebäude gezogen. Höchstwahrscheinlich wäre ich auch hingefallen, da ich mein Gleichgewicht nicht mehr halten konnte, jedoch wurde ich gleich zum Laufen aufgefordert, weshalb ich meine Bewegungen nach dem koordinieren musste. Ich hatte nur einen kurzen Moment in RM's Gesicht zu schauen, als er sich von mir abwendete, meine Hand stets fest mit seine umgriffen und mich die Treppen hoch zum Tanzstudio führte. Ich hatte die Hektik um mich herum nicht einmal realisiert, da sich das vorherige Lächeln des Leaders förmlich in mein Gehirn gebrandmarkt hatte und ich an nichts anderes mehr denken konnte.

Wir blieben erst stehen, als Nam-Joon die Tür zum Tanzstudio öffnete und sich der weiße Raum mit dem hellen Holzboden erstreckte. Musik spielte, während die Jungs vereinzelt Tanzschritte übten, die ihnen noch schwer fielen oder etwas mehr Feinschliff brauchten. Sie drehten sich ruckartig zu uns, als wir den Raum betreten hatten. Der Drang mich zu verstecken, nagte an meiner Seele, doch der feste und warme Griff um meinen Händen hielt mich davon ab wegzulaufen.

»Hi«, grüßte ich etwas unsicher und beschämt die sechs Koreaner, deren überraschten Blicke nur auf mich gerichtet waren. RM lächelte mich sanft an, bevor er dann meine Hand losließ und die Tür hinter uns zuschloss, nachdem ich es durch meine Starre und Nervosität vergessen hatte.

Ich fühlte mich fast schon wie bei meinem ersten Treffen mit BTS. Bloß, dass ich damals nur aus Freude meine Gedanken nicht mehr sammeln konnte und dieses Mal war es aus purer Angst.

»Ist etwas vorgefallen?« fragte mich Seok-Jin mit einem besorgten Gesichtsausdruck und kam gleich auf mich zu, um mich besser unter Lupe nehmen zu können. Seine dunklen Augen huschten über meinen Körper und blieben letztendlich an meinen eigenen blauen haften. Um seine vorherige Handlung zu interpretieren, hatte er wahrscheinlich nach irgendeiner Verletzung oder Ähnlichem gesucht.

»Es tut mir leid, dass ich dir so viel Sorge bereitet habe Oppa. Es tut mir unglaublich leid, dass ich dich so weit aus der Fassung gebracht habe«, entschuldigte ich mich gleich bei Jin und verbeugte mich. Als nächstes richtete ich meine Aufmerksamkeit auf Suga und verbeugte mich ein zweites Mal. »Es tut mir leid, falls du dich verraten fühlst. An meinen Gefühlen hat sich nichts geändert, BTS ist mir genau so wichtig wie davor. Und mein "Lover" kann nichts daran beeinflussen«, verkündete ich dem Rapper, der daraufhin seine Augenbrauen in die Höhe hob. Das musste das erste Mal sein, dass er nicht irritiert auf mich reagierte und seine Augen weitete statt sie zu verengen. J-Hope war der nächste vor dem ich mich verbeugte. »Es tut mir leid, falls ich dich enttäuscht habe. Ich bin eben nicht wirklich konservativ, was Beziehungen angeht, aber ich werde in Zukunft auf jeden Fall darauf Acht geben wie weit ich darüber erzähle.« Dann endlich war ich bei dem Trio angelangt, welches aus Jimin, V und Jungkook bestand. Ich nahm tief Luft und verbeugte mich anschließend ein drittes Mal vor dem Maknae Line. »Es tut mir leid falls ihr das Gefühl gehabt habt, dass ich euch ersetzt habe oder dass sich nun alles ändern würde, nur weil ich jetzt mit jemanden auf Dates gehe«, sagte ich ihnen. Mein Blick stoppte bei Jeong-Guk, der mich unzufrieden musterte. »Am Anfang war es mir nicht bewusst was dieser Junge für mich bedeutet. Ich habe ein wenig Zeit gebraucht um meine Gedanken und Gefühle zu sortieren und jetzt, dass ich ein paar Tage hatte, um im Klaren darüber zu werden, bin ich mir nun ganz sicher über meine Absichten. Ich habe mich entschieden den Jungen näher kennenzulernen, aber gleichzeitig möchte ich auch, dass wir wieder so miteinander umgehen wie die Zeit davor.« Ich machte eine kurze Pause beim Reden und schaute dann jeden einzeln an, während ich fortsetzte. »Ich brauche euch. Und das ist mir vor allem jetzt klar geworden, nachdem ich mich so lange abgeschottet habe. Es tut mir furchtbar leid, dass ich euch nicht schon früher bescheid geben konnte, aber es war einfach unmöglich, weil ich das erst mit mir selbst klären musste.« Ich spürte, wie sich eine Hand auf meine Schulter legte. Es war Nam-Joon, der mich mit einem stolzen Gesichtsausdruck musterte.

Das Gewicht, das bisher auf meinen Schultern gelastet hatte, verschwand auf einmal. All die Angst, die Sorgen verflogen. Ich hatte das Gefühl, dass auch wenn mich BTS nicht mehr lieben könnte, war das nun in Ordnung, weil ich ihnen gesagt hatte, was ich verspürte. Das war genug.

»Ist er so schöner als ich?«, brach dann auf einmal Seok-Jin die Stille. Ich schaute automatisch zu dem Ältesten, der auf einer verspielten Art und Weise eine dunkelbraune Haarsträhne hinter seinem Ohr strich, während er mich schelmisch angrinste.

»Niemand kann deine Schönheit übertreffen Oppa«, versicherte ich Jin, der daraufhin ein zufriedenes Gesichtsausdruck machte und seine linke Hand behutsam an meinem Kopf legte und diesen kurz streichelte.

»Habt ihr das alles gehört? Worldwide Handsome ist immer noch auf dem ersten Platz!« verkündete er stolz und lachte herzlich.

Waren sie vielleicht doch nicht so angefressen wie ich gedacht hatte?

»Und was ist mit mir?«, kam dann J-Hope zu Wort und blickte mir erwartungsvoll in die Augen, während er so lächelte, dass seine Grübchen zum Ausdruck kamen. Er blinzelte oftmals, um wahrscheinlich süß zu erscheinen. Er war auch ohne dem wunderschön.

»Man, du weißt doch meine Antwort darauf«, meinte ich bloß.

»Ich will es aber hören!«, streikte er.

»Ja Lari! Was ist mit dem Rest?«, fragte dann auch RM, der mit einem breiten Lächeln unser Gespräch anschloss und mich abwartend musterte, nachdem ich zu ihm geblickt hatte.

»Sind wir denn nicht hübsch?«, meldete sich dann letztendlich auch Kookie zu Wort, was mich überraschte. Seine Augen, die bisher distanziert und enttäuscht gewesen waren, hatten wieder ihren Glanz zurückgewonnen und strahlten mich förmlich an.

»Doch natürlich!«, erwiderte ich gleich. »Keiner kann eure Schönheit übertreffen. Wirklich niemand. Das wisst ihr doch.«

»Also bleiben wir auf Platz Nummer eins?«, fragte der Maknae.

»Natürlich. Für immer«, versicherte ich ihm.

Irgendetwas an seiner Körperhaltung hatte sich verändert. Er schien nicht mehr so angespannt zu sein. Er wurde wieder zum süßen und lieben Jungkook, der er auch vor dem ganzen Drama gewesen war.

Du solltest nur mir gehören.

Ich würde das immer. Nichts würde an der Tatsache ändern, dass ich ein Army war. Nichts könnte mich jemals von BTS abwenden können. Sie waren der Sinn meines Lebens gewesen, als ich das Gefühl hatte, dass es nichts Wirkliches gab wofür es sich lohnte zu leben. Sie waren seitdem ich sie mit zwölf Jahren entdeckt hatte ein Versteck gewesen, an dem ich mich verbergen konnte, wenn es mir schlecht ergangen war. Alle schwierigen Phasen meiner bisherigen Teenagerjahre konnte ich nur durch sie besser ertragen. Ihre Lieder, ihre Songtexte, ihre Persönlichkeiten — sie waren meine Retter gewesen. Und auch wenn ich wusste, dass Leute kamen und gingen, zumindest würde BTS für immer bleiben. Denn sie waren da, egal ob in Deutschland oder Korea. Ich hatte sie immer schon in meinem Herzen, in meiner Seele gespürt. Sie waren immer schon ein Teil von mir gewesen.

»Ich liebe euch«, gestand ich ihnen, da ich von meinen eigenen Emotionen mitgerissen wurde. »Ich kann gar nicht wirklich in Worte fassen, wie viel ihr mir bedeutet! Danke für euer Geburtstagsgeschenk. Es hat mir so viel Spaß gemacht mit euch in dieses Freizeitpark zu gehen! Ehrlich, kein Geburtstag wird diesen jemals überschreiben können.«

Ein lautes und gleichzeitiges "Awwww" hallte durch den großen Raum. RM wühlte mir durch meine Haare, während Jin die Tränen mit einem Lächeln wegwusch, die über meine Wangen rollten.

»Wir lieben dich auch!« verkündete V, woraufhin alle diese Worte wiederholten. Sogar Suga, der tatsächlich grinste.

»Gruppenkuscheln!« rief J-Hope in die Runde, woraufhin alle einverstanden waren und eifrig nickten, während sie sich an mich drückten und ich von allen BTS Mitgliedern umkreist wurde.

Ich war so überrascht, ich konnte die Situation nicht einmal richtig auffassen. Der Hass und die Verachtung, die ich mir vor diesem Gespräch vorgestellt hatte, davon war keine Spur zu finden. Eher schien es so, als hätte mir BTS tatsächlich für mein Verhalten verziehen. Jungkook lächelte mich wieder an, Jimin und V umarmten mich bei jeder Pause, die sie zwischen den Tanzübungen eingelegt hatten, wobei sie auf jeden Fall verschwitzt gewesen waren, aber um ehrlich zu sein störte mich das nur sehr wenig, nachdem ich ihre Zuneigung sehr willkommen hieß. Suga neckte mich zwar noch ein wenig, aber ich fühlte mich nicht mehr schuldig. Jin prahlte damit, wie gut er mich erzogen hatte und meinte, dass ich meine erwachsene Haltung gegenüber dieser Situation von ihm geerbt hätte, was nicht unbedingt viel Sinn ergab, nachdem wir stets nicht blutverwandt waren, aber ich überließ ihm diese väterliche Rolle nur zu gern, wenn er damit glücklich war. Und dann Nam-Joon, mein hilfreicher Wegweiser, er klopfte mir jedes Mal auf die Schulter, als er an mir vorbeigegangen war.

Die Welt erhellte. Diese Dunkelheit, die meine Gedanken vernebelt hatte, verschwand wie auf einem Schlag. Es war schon fast gruselig, was für einen Einfluss BTS auf mich hatte, wie sehr meine Laune von ihnen ausging. Aber wie denn auch nicht? Sie waren meine Freunde, meine Familie, meine Sterne am Nachthimmel. Wenn sie leuchteten, konnte ich nicht anders als selbst glücklich zu sein.

In dieser Nacht, in der ich alleine im Bett lag und diese Woche nach meinem 16.Geburtstag immer wieder in meinem Kopf abspielte, wurde mir eine weitere Sache bewusst.

Ich beeinflusste BTS genau so wie sie mich beeinflussten. Wenn auch nur ein wenig, hatte ich trotzdem Kraft über ihre Gefühle, so wie sie sie über meine hatten. Und der Gedanke versetzte mir einen kraftvollen Stich in meiner Brust.

Hieß das, dass wenn ich dann wieder zurück nach Deutschland fliegen würde, dass sie auch wenn nur ein wenig, Schmerz verspüren würden? Würden sie mich genau so vermissen, wie ich sie vermissen würde?

Und falls ja, wie konnte ich ihnen diese Schmerzen nehmen?

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