10.Grenzenlose Träumereien
Rückerinnerung II
Für einen Moment hatte ich vergessen wie überhaupt das Atmen funktionierte und blickte meine Mutter ungläubig an. Die blondhaarige Frau lächelte mir glücklich entgegen und hielt mir zwei Flugtickets und eine Konzertkarte entgegen. Mit zittriger Hand und rasenden Herzens nahm ich diese entgegen und blickte ungläubig auf die eingravierte Worte auf der obersten Ticketoberfläche.
»2014 BTS Live Trilogy Episode II: The Red Bullet«, las ich mit zittriger Stimme vor und konnte meinen eigenen Worten dabei nicht glauben. Das Lächeln meiner Mutter wurde nur noch breiter und sie streckte ihre Arme für eine Umarmung aus. Mein Vater beobachtete uns vom Esstisch aus und hob sein Weinglas zum Glückwünschen an. Zu sagen, dass ich mich wie der glücklichste Mensch in diesen Moment fühlte, war eine klare Untertreibung. In diesen Moment — ich war mir ziemlich sicher — freute sich niemand mehr als ich. Dieser Bruchteil von Sekunde, in der mein Herz rasend schnell in meinem Brustkorb vibrierte, dieser Moment gehörte nur mir.
Tränen rollten über meine warmen Wangen, als ich mich voller Euphorie in die Arme meiner grinsenden Mutter warf und mein Gesicht auf ihre wärmende Schulter.
»Oh Gott! Danke! Danke, danke, danke! Ich danke euch so sehr«, wiederholte ich vor Freude, bevor ich dann in Schluchzen ausbrach und das Konzertticket fest mit meiner Hand umgriff. Leichtes Lachen erfüllte das Esszimmer. Ich konnte mit verschwommener Blick erkennen, wie meine Mutter ihre flache Hand zu meinem Vater hinter sich hinhielt und der mitteljähriger Mann wortlos einschlug, aber ein spitzbübisches Lächeln sein sommersprossiges Gesicht verzierte.
"Mission erfüllt", merkte er an und trank noch einen Schluck von der roten Flüssigkeit, während ich weiterhin schluchzte und immer noch nicht realisieren konnte, was sich gerade vor meinen Augen abspielte. Ich würde BTS sehen! Fast ein und halb Jahre war ich schon im Fandom und beobachtete sie durch mein Computerbildschirm und ich würde sie nun tatsächlich in Menschengröße sehen. Das musste ein Traum sein! Und wenn es wirklich ein Traum war, wollte ich nie wieder aufwachen.
Ich konnte die Tage bis zum Konzert nicht aufhören mitzuverfolgen und zu zählen. Bei jedem Aufwachen und Schlafengehen versicherte ich mir selbst, dass es nicht mehr lange dauerte bis ich meine Lieblingsband live sehen würde. Ich konnte diesen Moment gar nicht mehr abwarten, in dem ich meine Koffer endlich packen und von meinem Vater zusammen mit meiner Mutter zum Flugplatz gefahren werden würde. Und dann war es endlich soweit; der 16.Oktober im Jahr 2014 war mein Abflug gewesen. Es war ein Freitag und der Flug ging in der Früh, aber mich interessierte nur wenig, dass ich die Schule schwänzte. Auch meine Eltern hatten beim Kauf des Flugtickets bereits ein Auge zugedrückt.
Es ging alles viel zu schnell, die Zeit machte keinen Eindruck jemals stoppen zu wollen. Nicht mal dann, als ich zum ersten Mal als Teenager durch die Straßen Seouls lief und ganz gewiss dann verging der Moment viel zu schnell als ich auf dem Konzert kreischte und weinte. Die koreanischen Fans staunten nicht schlecht, als sie mich mit meinen langen blonden Haaren und einem neongelben Leuchtstab in meiner Hand erblickten. Ich war damals noch nicht so gewandt in der Sprache, also erwies sich die Kommunikation mit den Army als etwas schwierig, aber auch durch Handbewegungen konnten wir die Gefühle und Gedanken des anderen erraten. Wie denn auch nicht? Wir hatten uns auf einem Konzert befunden, welches größtenteils von BTS ersten Unterstützern besetzt wurde. Ich hatte das größte Privileg gehabt, dieses Konzert miterleben zu können. Bestimmt dachten sich einige, dass ich eine verwöhnte Göre gewesen war, dass mir meine Eltern alles erfüllten, was ich mir nur wünschte. Vielleicht war es dem auch so. Vielleicht war das ziemlich verkehrt gewesen, dass sich meine Eltern so einfach für meine Fanatikerin für BTS ergeben hatten, aber anderseits nutzte ich ihre Güte auch nicht aus. Ich war dankbar, wirklich so unglaublich glücklich darüber gewesen, dass mich meine Mutter und mein Vater so leidenschaftlich bei meinen Interessen unterstützten.
Also auch wenn ich damals kein einziges Wort verstanden hatte, was die BTS Mitglieder gesprochen hatten, lachte ich jedes Mal, wenn sie lachten. Ich sang, wenn sie sangen. Ich tanzte, wenn sie mit ihren Armen wedelten und auf der Bühne herumhüpften und ich schrie, als sie uns dazu aufforderten und ihre Mikrofone in unsere Richtung streckten. Falls es bis dahin bloß eine chaotische Phase meinerseits gewesen und später erloschen wäre, würde ich nicht in diesem Leben in Erfahrung bringen. Das Konzert, die magische Atmosphäre, die wundervolle Ausstrahlung der sieben Koreaner — ich fiel nur noch tiefer, vergriff mich in den glänzenden Netzen, die sie durch ihrem Gesang und Rap durch den ganzen Saal gespannt hatten. Sie fingen uns mit ihren glänzenden Augen ein, hielten uns mit ihren strahlenden Lächeln fest und machten uns zu ihren Gläubigern. Dieser Tag hatte mich verändert, diese zwei und halb Stunden hatten mein Leben mehr beeinflusst, als ich und meine Eltern gedacht hätten.
Meine Mutter hatte vor dem Eingang der Konzerthalle auf mich gewartet und mir gewinkt, als sie mich in der Masse der gesprächigen Fans gesehen hatte, die genauso wie ich, total aufgeregt die Halle verlassen hatten.
»Na? Wie war das Konzert Liebling?« fragte sie mich, als ich vor ihr angekommen war.
»Es war...einfach unglaublich. Nein! Das Konzert war einfach atemberaubend. Du hättest sie sehen müssen! Und was für eine coole Vorstellung, sie uns geschenkt haben! Es war einfach so toll. Ich kann nicht einmal beschreiben, was ich fühle«, ich nahm einen tiefen Atemzug und legte meine Hand auf die Brust. »Ich vermisse sie jetzt schon«, flüsterte ich und schaute etwas beschämt in die braunen Augen meines Mutters, die mein plötzliches Verlustgefühl nicht bändigen konnte, aber mich mit einem wohlwissenden Grinsen im Gesicht fixierte.
»Sie müssen wirklich besonders sein«, sagte sie dann, und legte ihre Hand auf meine Schulter. »Mach dir kein Sorgen, du wirst sie früher sehen, als du denkst!«
Obwohl ich ihre Worte damals noch nicht ganz glauben konnte, verging die Zeit doch im Nachhinein recht schnell, bis ich BTS wieder in Person vergöttern konnte. Ein zweites Mal danach hatte ich sie nämlich am 7.Mai im Jahr 2016 gesehen, also nach mehr als einem Jahr wieder, wobei sich neben mir einige andere internationale Fans auf dem "The Most Beautiful Moment in Life on Stage" auf dem Konzert in Seoul gewesen waren und unsere sieben Idole stolz mit unseren ersten Army Bombs unterstützten. Diesmal verstand ich sie mehr, nachdem ich seit unserem letzten Treffen Koreanisch aufgegriffen hatte und einmal wöchentlich einen Sprachkurs neben der Schule besuchte. Ich verlor mich in ihre Welt. Ich wachte nur noch auf, da ich auf die nächstbeste Gelegenheit hoffte, sie wieder sehen zu können und ging mit dem Gedanken schlafen, dass ich einen weiteren Tag durch ihre Lieder überstanden hatte.
Was sich zuerst als eine harmlose Interesse entwickelt hatte, wurde zu einer Obsession, die mir nicht mehr genommen werden konnte. Ich vermisste BTS tagtäglich, weswegen ich mich manchmal selbst davon abhielt, mein Herz mit frischen Informationen über BTS zu schänden, mich aber dafür in ihre Musik vergrub und anfing daraus meine Lebensenergie zu schöpfen. Wie denn auch nicht? Schule ging mit mir langsam den Bach runter, weswegen nur eine einzige Sicherheit in meinem Leben blieb: BTS. Ich redete mit meinen Eltern über Korea, malte ihnen meine Tagträume auf und hoffte auf eine bessere Lebensqualität meinerseits, wenn ich einmal aus Deutschland austritt und mich in eine andere Welt einfand. Ich wollte mich wirklich bessern, sowie meine Sucht nach der koreanischen Band etwas lindern. Ich glaubte tief daran, dass ein Austauschjahr meine Augen öffnen würde und ich zudem einen weiteren Traum finden würde, der mich statt BTS beleben konnte.
Also freute ich mich riesig, als wir endlich das Jahr 2017 vor der Tür stehen hatten und ich mich für die abenteuerliche Reise vorbereitete, die mir eine neue Perspektive geben würde. Damals ahnte ich noch nicht, was für einen Plan meine Mutter mit meinem Vater zusammen schmiedete und wer alles eigentlich mit meinem Austausch involviert werden würde.
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