(14) Nur einmal bis 'Sechzig' zählen

Währenddessen...

Kraftentzogen liegt sein pochender Kopf auf seinen angewinkelten, aufgeschlagenen Knien. Der Blick von dem Jungen ist schräg auf dem nichts aussagenden, viel zu hellem Boden gerichtet, als seine Finger diesen berühren und kleine Kreise darauf malen.

Kleine Kreise, die mal größer und wieder kleiner werden.

Kleine Kreise, die dafür sorgen, dass der Junge zusammen mit seiner flüsternden, beinahe nur noch gehauchten Stimme nicht komplett durchdreht.

Der Junge zieht einen Kreis und raunt leise die Zahl...
Gerade ist er bei Siebzehn.

Flüstert leise die Zahl 'Achtzehn', als er den Achtzehnten Kreis zieht.

Bei Sechzig wirst du wieder da sein.

Bei Sechzig wirst du wieder hier sein. So wie du es immer warst.

Wenn ich bis 'Sechzig' gezählt habe- wenn ich Sechzig kleine Kreise gemalt habe, dann wirst du mich in den Arm nehmen und mir sagen, dass alles gut ist.

So wie damals- so wie immer.

"Neunzehn...", hauchen aufgeschlagene Lippen in den kalten Raum hinein.

"Zwanzig", seine eigentlich hohe Stimme erklingt vertieft und schafft es nur noch zitternd aus seinem Mund zu entfliehen. Sie strengt sich zu tiefst dazu an nicht zu weinen, als sich Druck im Bauch immer weiter- bis zu seinem Hals hinauf presst und er vom dem Gefühl zugeschnürt wird gleich daran zu ersticken.

Nicht weinen.

"Nicht weinen, Jimin", sprach
Taehyung zu ihm.
"Nicht weinen, Jiminie", er nahm ihn mit so viel Kraft, wie seine jungen nur Arme aufbringen konnten, ihn in seine Arme.

"Einundzwanzig", spricht er kaum hörbar mit seiner zerbrochenen Stimme aus, während er weiter seiner Erinnerung lauscht.

Jimin kann gerade immer noch fühlen, wie eng seine Arme um seinen Körper lagen. Kann gerade immer noch die vertraute Stimme von seinem besten Freund flüstern hören.

"Du zählst jetzt bis Sechzig und bei jeder Sekunde malst du einen Kreis und wenn du bis 'Sechzig' gezählt hast, Sechzig kleine Kreise gemalt hast, dann werde ich wieder hier sein, okay?", versprach Taehyung ihm.

"Okay", antwortete er damals.
"Okay", antwortet er jetzt wiederholt, mit den selben, glänzenden Tränen befüllten Augen, mit der selben, schmerzenden Stimme.

"Zweiundzwanzig", ein neuer Kreis beschmückt den weißen Boden und seine Erinnerung wird im Kopf fortgeführt.

Sieht es genau vor sich.
Sieht es genau vor sich, wie Taehyung damals aussah. Seine ungeschnittenen dunkelbraunen Haare, welche ihm immer und immer wieder um die Augen fielen- bei jeder auch noch so kleinen Bewegung.

Jimin's Mundwinkel wollen bei dieser viel zu kostbaren Erinnerung lächeln, als kurz, kleine Glücksgefühle es wagen, durch seinen zierlichen Körper hindurchzufließen und diese versuchen, sich über seine Verletzungen zu schmücken.

Jedoch blitzt durch ihm, auch schon bei der noch so kleinsten Bewegung, ein unausweichlicher Schmerz. Daher schaffen Jimin's bläuliche Lippen es nur mickrig hochzuzittern und sein Körper reagiert nun mit einer Träne, die anschließend hilfesuchend Flucht in einer seinen imaginären Kreisen ergreift. Er kann noch nicht mal lachen, noch nicht darf er lächeln, wenn er an ihn denkt. Noch nicht mal das.

"...Dreiundzwanzig", formen blutbefleckte Lippen und haben das Lächeln aufgegeben.

Der kleine Leberfleck auf seiner Nasenspitze. Wenn seine Mundwinkel sich nach oben bewegten- sein besonderes, einzigartiges Lächeln.
Das Lachen, welches aus diesen
Lippen klang.
Was würde er nicht alles tun,
um es wieder zu sehen-
um es wieder zu hören.

"Vierundzwanzig...", seine aufgerissenen Lippen drücken sich bebend zusammen- Augenlider zucken benebelt.

Erinnert sich beim Aussprechen der Zahlen weiter daran, wie Taehyung ihm zum ersten Mal das Spiel erklärt hat.

Erinnert sich- wie es anfing.

Nimmt noch heute wahr,
wie der kühle Wind hektisch an seinem Körper vorbeizog. Hört noch heute, wie die flüchtenden Schritte beim gehetzten Aufprall klangen; das Hupen der Autos, wenn sie Hand in Hand achtlos über die Straßen liefen-
fühlt den stolzen Blick.

Den stolzen Blick fühlt er von Taehyung auf sich ruhen, wenn er sich beim rennen zu ihm umdrehte und alle Beide zusammen die Welt im selben Moment um sich herum vergaßen.

Wie Taehyung's Augen pures Glück ausstrahlten, in die lachenden Augen von Jimin hineintauchten- so glücklich- ein paar Minuten mit ihm aus diesem Loch herausgekommen zu sein. So glücklich- ein paar Minuten in ihrer eigenen Welt zu leben. Ein paar Minuten die Regeln brachen konnten und sich ihre eigenen ausdachten. Nur ein paar Minuten in einer Welt lebten, wo sie nicht weggestoßen werden.

In der Welt lebten, wo es keinen Schmerz gibt- in einer Welt, wo es nur uns beide gibt, denkt sich Jimin.

"Fünfundzwanzig...", plötzlich wird dem Raum ein anderes Geräusch hinzugefügt. "Sechsundzwanzig", lässt sich Jimin jedoch nicht ablenken, den Blick weiterhin vertieft auf seine kleinen Finger gerichtet, als ein Mann den weißen Raum betretet.

Er ist im Gegensatz zu Jimin sehr groß, seine dunkelbraunen Haare sind nach hinten gestylt und man kann erkennen, wie er einen Teller mit Essen in seiner größeren Handfläche hält.

"Bitte iss heute was, Jimin...", er stellt diesen nah an dem zusammengesackten, sitzenden Körper in der Ecke ab. "Schau mal her, ich habe dir sogar Süßigkeiten draufgelegt. Die Anderen wissen das nicht, esse sie lieber schnell!", der Mann hat ein grobes und gefährliches Erscheinungsbild, doch seine Stimme lässt diesen Eindruck unwiderruflich von ihm zerbrechen. In dessen Stimme erkennt man nämlich Besorgnis und Wärme hindurchschimmern. "...Siebenundzwanzig", der nächste Kreis wird von dem Jungen gezeichnet.

"Jimin bitte... du weißt was sonst passiert." "Achtundzwanzig", flüstert seine Stimme nur, welche ausgelastet vom nächtlichen Schreien ist. Aus seinem viel zu überreizten Boden gerichteten Augen fällt die Nächste, viel zu heiße Träne, welche ihm in diesem Moment über seine blau-geschlagene Wange rinnt.

Der andere Mann lässt musternd seine Augen auf ihm ruhen und muss als Reaktion ratlos ausatmen.

"Wenn ich den Teller heute Abend wieder hole, sollte er besser leer sein", droht er dieses mal den zusammengekauerten Jugendlichen und verlässt etwas widerwillig das Zimmer. "Neunundzwanzig"

Im Augenwinkel erkennt er den Teller- die Süßigkeiten.

Erkennt die Süßigkeit.

Die eine Süßigkeit.

"...Dreißig", erschöpft sind seine Stimmbänder dabei die Zahl überhaupt noch aussprechen zu können. Sein Körper droht den Jungen sekündlich mehr, gleich endgültig in sich zusammenzufallen, wenn dieser nicht endlich was zu Essen bekommt. Die Augenlider schmerzen ihm bei jedem Wimpernschlag mehr, schreien den Jugendlichen an, endlich mal zu schlafen. "Einunddreißig..."

DIE Süßigkeit.

"Die Süßigkeit! Schau mal her Jiminie, lass uns ganz viele von dieser Süßigkeit nehmen....weil-...weil diese Riegel können wir am längsten aufbewahren, wegen dem Haltbarkeitsdatum!", argumentierte Taehyung entschlossen vor der Schokoladenabteilung, hielt dabei die kleine Hand von Jimin, der damals im Kindesalter schon deutlich kleiner als Tae war.

"Das sagst du nur, weil das deine Lieblingssorte ist.", empört der kleinere Junge darauf mit seiner hellen, kindlichen Stimme.
"Zweiunddreißig..."
"Quatsch, nein..."

Jimin's Atmung hält sich sehr flach. Seine Augen hören beinahe zu blinzeln auf- ganz angestrengt darauf, die Erinnerung weiter vor seinem inneren abzuspielen.

"Na dann wollen wir mal nichts riskieren, mit deiner Wahl sind wir bestimmt auf der sicheren Seite.", meinte der kleine Jimi, als er den sehnsüchtigen Blick auf diese Sorte von TaeTae, seinem allerbesten Freund, sehen sah und steckte mit einer schnellen gekonnten Bewegung so viele in seinem Rucksack wie nur reinpassten.

"Dreiunddrei"- es dreht sich. Alles dreht sich. So verschwommen. So schwarz. Tae. Jimin's Körper kann sich nicht länger halten. Hart. Alles so hart. Kippt zur Seite um. Tae? Sein Kopf knallt auf dem harten Boden. Geräusch vom Aufschlag ist zu hören. Länger gewordene hellrosane Haare schweben ihm ungehindert nah vor den roten Augen- als ein hilfesuchendes stöhnen aus seinem blut-glänzenden Mund flieht.

"Vier-...vier-...unddreißig", krächzt Jimin trotz dessen mit heiserer, kämpfende Stimme weiter. Seinen wackligen dünner gewordenen Arm, mit ganze Kraft nach vorne gestreckt, versucht er den nächsten Kreis zu zeichnen.

Es ist wie damals.
Es ist wie damals, als sie jung waren. Wie damals.

Jimin fühlt sich wie ein kleines Kind.

"AUFHÖREN! HÖRT AUF! BITTE!
ES IST NICHT SEINE SCHULD!... Ich habe... ich habe ihn angestiftet und ihn dazu überredet, ihn dazu gedrängt... es ist nicht seine Schuld bestrafen Sie nicht ihn! Bestrafen nur mich, weil es nur meine Schuld ist!", Taehyung's schreiende Stimme hallt Jimin erneut durch seinen stechenden Kopf.

Wie damals ist er auf dem Boden gefallen. "Fünf-...fünfunddreißig" Erinnert sich, wie er im Alleingang diese bestimmten Riegel klauen wollte- es war doch deine Lieblingssorte... erinnert sich wie er gefallen ist. Erinnert sich, wie "Sechsund-..sechsunddreißig" er alleine diese Schokolade für TaeTae klauen wollte. Erinnert sich, wie er gefallen ist, deshalb erwischt wurde und wie jetzt, auf dem Boden lag.

Erinnert sich, "Sie-..sieben-..unddreißig" wie Hände seinen Körper als Bestrafung so zurichteten, sodass er beinahe nicht mehr ohne Schmerzen sitzen konnte. Damals seine Betreuer aus dem höllischen Heim und jetzt "Ach-...acht-..achtunddreißig" hier.

Liegt jetzt hier, wie damals, mit dem selben aggressiv pochenden Kopf. Mit den selben blau geschlagenen Lippen. Mit den selben "Neun-...neununddreißig" rot-übergelaufenen Augen- wo seine Schmerzen, Sehnsüchte, Ängste, was seine ganze Seele in Anspruch nehmen, eingefangen und sicher aufbewahrt werden.

"Vier-...vierzig", erinnert sich, wie Tae ihn fand und diese Leute gnadenlos anschrie. Wie er sich "Ein-...ein-..einundvierzig" zu ihm auf dem Boden warf. Fühlt jetzt immer noch "...Zw-..zweiundvierzig", wie warm sein größerer, warmer Körper, seinen kleinen "Dreiun-..undvierzig", beschützend umschloss und an sich heranzog. Kann noch ganz deutlich die Wärme spüren- noch ganz deutlich Taehyung's Wärme spüren, welche ihm gerade dabei hilft nicht zu erfrieren. "Vier-...vierundvierzig." Spürt diese Wärme, welche ihm damals vor dem erfrieren rettete.

Erinnert sich, wie seine jungen Augen Taehyung schuldbewusst anschauten. "T- Tae... ich hätte besser aufpassen- ich hätte nicht- ich hätte-"
"Jimi pschh..hör auf...es ist nicht deine Schuld...nicht deine Schuld Jiminie... " Er hört nochmal, "Fün-...fünfundvierzig" , wie Taehyung diese Worte damals in sein schwarzes Haar flüsterte. Wie "Sechs-...sechs-..un-..undvierzig", rau und tief seine Stimme schon damals war. Wie "Sieben-..siebenundvierzig" mutig er damals schon war. Wie "Ach-..achtund-..vierzig", er immer alles versuchte, um dafür zu sorgen, dass ihm nichts zustößt und er für sich niemals die Schuld geben müsse.

"Es ist nicht Jimins schuld! Ich habe ihn dazu überredet! Bestraft ihn nicht!" "Neun-...undvierzig" "Tae aber du hast mich nicht überredet!", wollte der kleine Jimin aufgebracht brüllen und sich aufstellen- als gleichzeitig brennender Schmerz durch seine frisch geworden Wunden jagte- zusammenbrechend- kamen nur lautatmende Wörterfetzen aus ihm heraus- als im selben Moment angsterfüllte Tränen über seine jungen Wangen rauschten.

Erinnert sich, wie das Gefühl war. Fühlt die selbe Angst- dieselbe als er "Fünfzig" und Taehyung noch Kinder waren. Fühlt die selbe Angst, dass Taehyung etwas passieren könnte. "Ein-...einundfünfzig.." Spürt, wie Taehyung's Arme seinen Hals liebevoll kräftig umschlossen und er "Zwei-..zwei-..undfünfzig" seine Lippen auf seine kleine Stirn drückte. Weiß noch ganz genau, wie er von Taehyung's Augen "Drei-...undfünfzig.." angesehen wurde.

"Nicht weinen Jimin. Nicht weinen Jimi. Ich weiß. Aber du musst keine Angst mehr haben... ich bin jetzt da. "Vier-..undfünfzig" Sie werden jetzt aufhören. Es ist vorbei! Ich werde mit ihnen mitgehen.

"Fünf-...fünf-..undfünfzig..."

Aber du musst dir keine Sorgen um mich machen. Weißt du auch warum? "Sechs-...sechsfünfzig" Ich werde nicht lange weg sein, es dauert nicht lange und ich werde wieder bei dir sein!

"...Siebenund-..fünfzig" Ich werde mit ihnen mitgehen und nur mit ihnen reden! Wirklich! Alles erklären- alles aufklären, sodass sie es verstehen- verstehst du? Sie dürfen dir nicht mehr weh tun... ich werde sie auch davon überzeugen...

"Achtundfün-..fünfzig"

Okay? Es wird nicht lange dauern-...
Weißt du was?
Du- du zählst jetzt bis Sechzig "Neun-..neunundfünzig..." und bei jeder Sekunde malst du einen Kreis und wenn du bis 'Sechzig' gezählt hast, Sechzig kleine Kreise gemalt hast, dann werde ich wieder hier sein, okay?", versprach Taehyung ihm.

"Dann werde ich wieder hier sein und dich so im Arm halten wie jetzt. Okay?"

Die selben Schmerzen.
Die selbe Dunkelheit.
Die selbe Sehnsucht.
Die selbe Gefangenheit.
Die selbe Angst- wie früher,
das selbe Spiel- wie früher.
Mit nur einen Unterschied-
ohne Taehyung.

Was muss Taehyung wohl dieses Mal durchmachen, bis er bis Sechzig hochzählt?

Er konnte Taehyung's Worten damals glauben schenken, glauben sie würden nur mit ihm reden, konnte glauben, Taehyung würde wirklich nichts passieren, denn noch nie hatte Taehyung ihn angelogen.

Noch nie hatte Jimin das Gefühl, es würde kein happy end geben, wenn Taehyung bei ihm war.

Aber wahrscheinlich dachte Jimin nur Taehyung hätte ihn niemals angelogen. Denn wenn es um Jimin's Sicherheit geht, kennt Taehyung keine Grenzen.

Naja, kannte er keine Grenzen.

Aber ist er immer wirklich noch so naiv, sodass er wirklich glaubt, dass Taehyung, wie damals, ihn wieder finden wird?

Wenn er- "Sechzig", entgleitet jetzt seinem Mund, kaum hörbar, in die verlassene Luft hinein. Glaubt Jimin wirklich, dass wenn er bis 'Sechzig' gezählt hat, er wieder in den Armen von Taehyung liegt? Glaubt er wirklich, dass Taehyung nach 'Sechzig' die Tür wie damals vor ihm aufreißen wird? Und dass er ihm dann sagt, dass alles gut ist? Denkt er wirklich, dass Taehyung au- "Eins."

Erinner dich mit Jimin zusammen an TaeTae, seinen aller besten Freund...


💜💜💜

Jaaa.. ich weiß es ist sehr dramatisch xD

Auch wenn es ziemlich düster ist, hoffe ich es hat dir gefallen^^

Nun.. jetzt hast du einen kleinen Einblick in Jimin's Situation bekommen... (es brach mir echt mein kleines Herz ihn so zu beschreiben 🥺)

Hmmh aber dunkelbraune, gestylte Haare??
Und wo ist Jimin überhaupt, aber die größte Frage ist wohl eher, warum? Wenn Taehyung sich nur wieder dran erinnern würde...

( Und wie fandest du das kleine Video was ich erstellt habe? Soll ich sowas öfter machen?)

Ich wünsche dir einen schönen Tag!🌻

💜💜💜

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