7. Logical
Ich bereue es, Newt bloßgestellt zu haben, wenn auch nur vor ihm selbst. Ich bereue es, gleich nachdem ich es ausgesprochen habe. Wie konnte ich nur denken, dass mir das weiterhelfen würde? Wie naiv bin ich bitte? Die nächsten Tage hätten genug Gelegenheit geboten, mein Wissen zu beweisen, aber jetzt kann ich einfach nur mehr beten, dass Newt mich nicht sofort verbannt. Nagut, so schlimm wirds schon nicht sein, aber trotzdem...
Newts Reaktion passt sehr gut zu seinem Charakter. Er verspannt sich total, ich kann seine Muskeln förmlich zittern sehen, ansonsten bleibt er wie immer: ruhig, beherrscht, nachdenklich. Und ich? Ich bekomme mal wieder Stimmungsschwankungen.
Von meinem Leichtsinn in Panik versetzt, verliere ich nun komplett jede Selbstsicherheit und beginne herumzustottern:
"Ich äh... also ich wollte nicht... ich hab nur... im letzten Buch... ich meine, ich bin sehr äh, vertrauensvoll, ich... ich sage es keinem. Ich will, also ich möchte... habe... nur..."
Mein Redeschwall ergibt so wenig Sinn, dass ich irgendwann einfach aufgebe und aus Frust mehrere Löffel Erbsen in mich hineinstopfe. Der ekelige Geschmack beruhigt mich ein bisschen.
Newt rührt sich nicht. Sieht mich nicht an. Er betrachtet einfach sein Essen. Hasst er mich jetzt? Manno. Ich verpatze aber auch alles...
"Du sagst es niemanden?"
Seine Stimme reisst mich aus meinen pessimistischen Gedanken und bringt mich in die Wirklichkeit zurück. Vorsichtig sehe ich auf; unsere Blicke treffen sich wieder. Nicht wegsehen, nicht falsch reagieren. Einfach... ruuuuhig...
Langsam schüttel ich den Kopf.
"Nein. So eine bin ich nicht. Egal ob du mich hasst oder nicht, ich würde niemals jemanden mit so etwas schädigen. Das ist gemein."
Wahre Worte. Hoffentlich kommen sie auch so an.
Newt sieht auf seinen Teller, dann wieder zu mir. Er scheint zu überlegen.
"Okay. Ich vertraue dir."
Das muss ich jetzt mal verdauen. Er vertraut mir? ...ganz? ...meinem Wissen? ...sein Geheimnis an? Ich brauche mehr Details!
Unsicher senke ich meinen Blick und mustere den Rest meiner Mahlzeit. Das Fleisch ist komischerweise noch komplett da, der Reis zur Hälfte gegessen, zur anderen zermatscht. Dann, einfach so, nimmt Newt plötzlich meinen Teller, schaufelt das restliche Gemüse herunter und schiebt stattdessen seine Hühnerstreifen darauf. Perplex starre ich ihn an. Er lächelt leicht.
"Iss lieber, anstatt zu glotzen."
Dann steht er auf und geht. Einfach so.
Sein Ernst?
"Dein Ernst!?"
schreie ich ihm hinterher, packe mein Futter und laufe ihm hinterher. Zum einen, weil ich nicht alleine sein will, zum anderen, weil ich das Gefühl habe, er scheint mich bestechen - oder besänftigen? - zu wollen, dass ich nicht doch was ausquatsche. Und das will ich ganz und garnicht; dass er zu mir anders ist. Wenn, dann will ich hier echtes Vertrauen, und kein zwanghaftes.
Newt läuft quer durch das Meer an Tischen, wo immer mehrere Jungs beienandersitzen und quatschen. Unschlüssig bleibe ich stehen. Soll ich...?
Als er sich leicht umdreht und über die Schulter zu mir blickt, ist mir das Antwort genug: Ja, anscheinend soll ich ihm nach. Also los!
Wieder starren mich alle an, als ich an ihnen vorbeimarschiere. Boah, wie ich das hasse. Vor allem, weil sie starren; auf gewisse Körperregionen, versteht sich. Und das nicht nur auf meine blauen Haare. Ich weiß ja, dass sie 2 Jahre kein Mädchen gesehen haben, aber können sie dann nicht wenigstens unauffällig gucken?
Als sich Newt dann schwungvoll auf einen beinahe vollbesetzten Tisch setzt, kommt mir wieder der Zweifel. Vielleicht stehe ich jetzt da wie der ärgste Trottel, wenn ich mich dazusetze, und dann wieder weggeschickt werde, weil ich einen fremden Platz besetze. So war das immer in der Schule: Ich versuche neue soziale Bindungen knüpfen, treffe aber nur auf Blockaden. Immer.
Andererseits will ich auch nicht schüchtern rüberkommen, obwohl ich das definitiv gerade bin. Unsicher kaue ich auf meiner Wange herum, und komme schließlich zu dem Entschluss: Yolo.
Einmal tief durchatmen, dann gehe ich zielgerade auf Newt zu und lasse mich neben ihm, aber immer noch mit Abstand, auf die Bank nieder. Die Tische sehen aus wie solche Klappgestelle, die man auf Straßenfesten und so findet, manche sind aber auch in Pickniktischlook gehalten, aus Massivholz. Wahrscheinlich haben sie die Klapptische erst später dazubekommen, als es nicht mehr genug gab und immer mehr Frischlinge dazukamen.
Am Tisch sitzen Zart, Alby, Minho, zwei Sanitäter, von dem ich nur Jeff kenne, und nun Newt und ich. Alle gucken mich fast erwartungsvoll an und ich glotze dumm zurück. Vielleicht war es doch ein Fehler...
"Boah, wie hast du das gemacht?"
fragt mich der Sani, dessen Name bestimmt schon mal genannt wurde im Buch, mir aber um den Dreck nicht einfallen will. Er beugt sich quer über die Tischplatte, fasst sich ungeniert eine Haarsträhne und betrachtet die dunkelblauen Spitzen.
Überrascht beobachte ich die Szene, ohne mich zu wehren.
"Mit, äh, Farbe?"
stammel ich etwas überfordert. Der Junge blickt kurz auf und streicht dann weiter über das Haarbüschel zwischen seinen Fingern.
"Und warum hast du es dir gefärbt? Machen das alle Leute so in deiner Welt? Jeff hat mir schon von deiner Story erzählt. Gibt es da auch andere Farben?"
Okay, der Typ ist eindeutig schräg, aber ich mag ihn. Weil er mir eindeutig alle abkauft, zumindest klingen diese überstürtzten Fragen nicht nach Verarschung.
"Ja. Also, manche färben es sich bunt. Alle möglichen Farben. Manche auch normal, blond, braun, schwarz. Wenn sie eine andere Farbe haben wollen."
Wieder sieht mich der Junge kurz an, in seinen Augen blitzt die Faszination.
"Und warum? Einfach so?"
"Ja. Manche sind halt dumm. Manche weniger, und manche so sehr, dass sie dann blaue Haare davon bekommen."
Ein tiefer, hallender Lacher schwebt über die Tischplatte zu mir herüber. Ich muss echt zweimal hinsehen, um zu checken, wer da kichert: Alby. Ja, richtig gelesen. Ist der auf Drogen oder so?
Als die anderen meinen ungläubigen Blick bemerken, fangen auch sie an, leise zu keckern wie dumme Hühner. Verwirrt sehe ich in die Runde, aber jeder sieht nur grinsend auf seinen Teller. Okeee...?
Ich sehe fragend zu Newt, der erwidert meinen Blick mit zuckenden Mundwinkeln. Irgendwas geht hier ab. Aber ich weiß nicht was...
"Was geht hier?"
spreche ich meinen Gedanken einfach laut aus. Alle sehen mich fragend an.
"Na, zuerst will Alby mich loswerden, dann lacht er über mich? Wo ist da die Logik?"
Alby mustert mich prüfend über die Entfernung hinweg.
"Du hast dich selbst verarscht, klar lache ich darüber."
Äh, danke? Ich zucke mit den Schultern.
"Ich verarsche mich meistens selbst."
"Dann kannste ja hier hocken bleiben."
Toll. Echt. Ich werd aus dem Typen nicht schlau.
Albys Blick gleitet von mir zu meinem Essen, dann zu Newt hinüber, dann wieder zu mir. Überrascht zieht er die Augenbrauen hoch.
"Newt, auf Gemüsetrip oder was?"
Der zweite Anführer betrachtet seinen - meinen - Reis.
"Nein, ich koste nur sein Fleisch vor, falls es vergiftet sein sollte"
werfe ich ein und komme mir im nächsten Moment schon wieder mächtig dämlich vor. Ich sollte dieses witzig-sein lassen.
"Wer sagt denn, dass wir es nicht absichtlich vergiftet haben?"
fragt Newt dagegen und grinst leicht. Ich bemühe mich um eine ernste Miene.
"Oh ja, stimmt. Deshalb hast du also getauscht. Verstehe."
Ich streichle meinen imaginären Bart und wackel ein wenig mit dem Zeigefinger, wie bei einer genialen Erkenntnis.
"Ach ja? Vielleicht haben wir ja schon vorher dein Essen vergiftet, und jetzt wird Newt verrecken."
gibt Jeff dazu.
"Aber ich habe schon die Hälfte gegessen. Das heißt, wir gehen beide hops."
Newt zuckt übertrieben mit den Schultern.
"Na dann..."
und schaftelt sich einen großen Bissen Erbsen hinein.
"Genießen wir die letzten Happen"
nuschelt er mit vollem Mund und läd gleich nach. Auch bei mir schlägt der Hunger durch und ich stürtze mich schon fast auf die Hühnerstreifen. Die schmecken übrigens besser als erwartet; man beisst sich nichtmal die Zähne aus, man muss nur etwas mehr kauen.
Während und nach dem Essen wird kaum mehr geredet, zumindest nicht mit mir. Minho und Alby unterhalten sich über irgendetwas, Zart und Newt führen ebenfalls ein angeregtes Gespräch und die zwei Sanis diskutieren über Verbandstechniken. Ich schweige einfach nur vor mich hin.
Dass Minho mich so komplett ignoriert, finde ich schon irgendwie enttäuschend. Er war - und ist - mein Lieblingscharakter in The MazeRunner, ich kanns einfach nicht ändern. Klar rechne ich nicht mit einer FanFiction-liken Liebesstory, aber dass ich wenigstens eine lockere Freundschaft mit ihm aufbaue, das wär schon cool. Naja, ich hab ja noch eine Weile Zeit, ich bin erst heute Früh gekommen. Sicher wird sich noch so einiges Ergeben zum Thema Sympatie.
Nach dem Abendessen wird Chuck dazu verdonnert, mir einen Schlafplatz zu organisieren. Der Kleine ist offensichtlich ganz und garnicht darüber begeistert, die fremde Rebellin zu bewirten; anfangs.
Denn noch während der 13-Jährige schweigend und mich komplett ignorierend eine Hängematte etwas abseits der Jungsmatten spannt, finden wir eine Gemeinsamkeit, die uns verbindet:
Das Lästern.
Das hört sich ungefähr so an:
"Echt? Alby hat dich einfach beschuldigt, Ben abzuwürgen?"
"Jap. Wahrscheinlich hasst er mich, weil ich ihn getreten habe. Stolz und so, verstehste?"
"Das der so bockig sein kann... wahnsinn. Alby wirkt immer so beherrscht. Enttäuschend."
"Sehr enttäuschend. Da fehlt die gute Erziehung."
"Wir müssen uns darüber ernsthafte Gedanken machen."
"Wahrlich. Was schlägst du vor?"
"Eine Gemüsediät!"
"Gemüse-Diät?"
"Er hasst Karotten."
"Eine Karottendiät! Jawohl!"
Und das alles in einer Besserwisser-Eltern-Ton. Wirklich amüsant, der kleine Chucky.
Natürlich muss Thomas genau dann nach Chuck sehen, wenn wir in einen üblen Lachflash ausbrechen, und sieht uns nur mit verwundertem Blick beim Am-Boden-Liegen zu. Entweder ignoriert Chuck seinen Kumpel, oder hat ihn nicht bemerkt, denn als er wieder genug Luft in seinen fettumhüllten Körper bringt, fragt er ansatzlos:
"Kommst du wirklich aus einer anderen Welt?"
Perplex nicke ich. Was auch sonst?
"Cool. Wie ist es dort?"
Er glaubt mir? Einfach so?
Oke. Ich mag Chuck jetzt einfach mal. Nicht, dass ich ihn vorher nicht gemocht hätte, aber jetzt habe ich auch persönliche Gründe dafür.
"Chuck, Schlafengehen!"
drängt Thomas in ungeduldig und der Junge dreht sich um. Seuftzend blickt er zu mir und lächelt leicht.
"Gute Nacht Alina."
Mir wird warm ums Herz.
"Gute Nacht Chuck."
Dann bin ich allein.
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