5. Write your story
Mit einem ersticktem Schrei springe ich auf und reisse Newt das Buch aus der Hand. Er wehrt sich nicht dagegen, vermutlich hat er diese Reaktion vorrausgeahnt.
Panisch blättere ich alles durch, doch die Seiten sind wirklich leer. Mein Mut sinkt von 100 auf 0. Oder -1. Oder noch tiefer.
Kraftlos sinke ich auf dem Sessel zusammen.
"Das kann nicht sein."
murmel ich immer wieder leise, blättere die weißen Seiten durch, immer und immer wieder. Gally vor mir räuspert sich.
"Das wäre dann ja auch geklärt. Ein Protokoll von unseren jetzigen Tätigkeiten, als Geschichte verpackt. Ein schlechter Trick, wenn ihr mich fragt. Ein sehr schlechter."
Das reichte mir. Ich stehe ruckartig auf und verpasse Gally eine Ohrfeige, die sich gewaschen ab. Er schreit kurz auf, eher vor Schreck als vor Schmerz, und reibt sich fauchend die rote Wange. Komischerweise hatte niemand versucht, mich aufzuhalten. Alle starren mich noch immer an, keiner hat sich vom Fleck gerührt.
Gally scheint das auch bemerkt zu haben, denn er schaut aufgebracht in die Runde, als erwarte er, dass seine Freunde - "Freunde" - sich sogleich auf mich stürtzen werden.
Nun ist es Newt, der sich räuspert. Er spricht einfach weiter, als wäre nichts passiert.
"Die Geschichte ist aus Tommys Sicht geschrieben, aber ich weiß nicht, wie viel davon wahr ist."
"Warum lasst ihr es mich dann nicht einfach lesen, und ich sags euch?"
wendet Thomas sofort ein, und ich hätte ihn dafür küssen können. Aber man ignoriert ihn.
"Die Gesichte endet dann, wenn der Alarm losgeht und sie ankommt."
Erklärt Newt und deutet auf mich.
"Die Schöpfer können es also schreiben, dann für die halbe Stunde meinetwegen drucken, und ihr mitgeben, um uns zu hintergehen. Was weiß ich, zu was sie uns bringen wollen. Dass wir nach ihrer Pfeife tanzen wahrscheinlich."
Vielleicht hätte ich mich über diese Anschuldigungen beschweren sollen, aber momentan hatte ich nur Hirn für etwas anderes.
"Sag das nochmal."
flüstere ich heiser, den Blick nicht von den Zeilen nehmend.
"Was? Dass wir nach deiner Pfeife tanzen sollen?"
giftet Alby und sieht mich provuzierend an. Mann, der ist Anführer, will der jetzt ernsthaft einen Streit heraufbeschwören?
"Nein."
sage ich bemüht ruhig.
"Wann endet das Buch?"
Ich kann die fragenden Blicke förmlich auf mit spühren.
"Als der Alarm losging."
"Mein Alarm?"
"Ja."
"Interessant."
Ich hebe den Blick. Alle sehen mich verständnislos an.
"Da"
Ich hebe das aufgeschlagene Buch in die Höhe
"steht aber etwas anderes."
Newt greift über meine Schulter nach dem Buch, was mich zusammenfahren lässt. Jeder, dir mir bisher auf Körperkontaktnähe gekommen ist, war grob zu mir. Jetzt habe ich wahrscheinlich mein Leben lang ein Berührungstrauma.
Ohne zu zögern ließt er vor.
" 'Was ist da?' rief jemand aus der Menge. 'Es ist ein Mädchen', sagte Newt. Alle redeten sofort durcheinander. "
Die Beschreibung meiner großartigen Fluchtaktion folgt, nur eben aus Thomas' Sicht.
"Plötzlich riss das Mädchen die Augen auf und starrte sie an. Keinen Moment später zog sie die Beine blitzschnell an und trat Alby mit voller Wucht aufs Knie. Vollkommen unvorbereitet auf solch einen Angriff, stolperte er fluchend zurück und rieb sich die schmerzende Stelle. Als nächstes verhakte sie ihre Beine mit Newts und reisst ihn mit einem Zug zu Boden. Ihre Bewegungen wirkten wie einstudiert, wie ferngesteuert. Als hätte sie das alles genau geplant. Danach rollte sie sich schnell außerhalb Thomas' Reichweite, doch er war so und so zu überrascht, um nach ihr zu greifen. Einen Moment lang starrte sie sie an, aber nicht verängstigt oder aggressiv. Eher... neugierig. Belustigt. Als wäre das hier ein Spiel."
"Ha! Sag ich doch! Die spielt mit uns!"
wirft Gally dazwischen, aber keiner beachtet ihn.
"Dann wirbelte sie am Stand herum und sprintet in enormer Geschwindigkeit davon, einfach quer über die Wiese. Sie lief so zielgerade, so bestimmt, als wüsste sie genau, wohin sie musste. Wenn sie wüsste, dass man hier nicht hinauskommt... würde sie dann immer noch laufen?"
"Ich wusste, dass man hier nicht hinauskommt, aber jaaa..."
verteidige ich mich lahm. Alle sehen mich kurz an, dann beginnt Newt zu blättern. Viel zu blättern. Nach gut 20 bis 30 Seiten macht er halt und liest weiter.
"Der Junge krachte durch das Unterholz, bevor Thomas zu Ende sprechen konnte. Es sah nur ein Blitzen leichenblasser Haut und ein riesengroßes Auge - das Spukbild eines Albtraums - und schrie auf, versuchte wegzurennen, aber es war zu spät. Die Gestalt sprang auf ihn zu, doch..."
Newt verharrte kurz, blinzelte einige Male, als glaube er nicht, was er da gerade eben liest.
"...doch dann tauchte auf einmal eine zweite Person auf. Pfeilschnell schoss sie aus dem Gestrüpp hervor und krachte gegen Ben, der daraufhin zur Seite geschleudert wurde. Thomas sah nur kurz blaue Haare aufblitzen, dann wand sich der Läufer aus dem verzweifelten Klammeegriff und stürtzte sich wie ein hungriges Tier auf das Mädchen."
Jej, ich habe gar keinen Namen hier, denke ich nebenbei, während alle wie Kleinkinder an Newts Lippen hängen, als würde er ihnen vom Weihnachtsmann erzählen.
"Er hob die Faust, bereit zuzuschlagen. Thomas' Körper handelte eher als sein Geist. Schnell rappelte er sich hoch und packte Ben am Kragen, worauf er ein wenig nach rechts kippte und nur knapp das Gesicht des Mädchens verfehlte. Daraufhin verstärkte er den Griff und mit seiner gesammten Kraft riss er den Jungen nach oben. Dieser ließ auch wirklich von dem Mädchen ab, stattdessen wirbelte er zu mir herum und packte seinen Hals."
Epischer kann man den Fight wohl garnicht beschrieben. Aber so, wie es dort steht, klingt es eigentlich ziehmlich cool. Kann man lassen.
Die Geschichte wird immer detaillierter. Es wird Albys Auftauchen erwähnt und seine sofortige Anschuldigung, ich würde Ben bedrohen, obwohl es genau umgekehrt war - was ihm ein paar tadelnde Blicke der anderen Hüter einbringt - über den unsanften Transport hierher bishin zu jenem Zeitpunkt, an dem Newt zu lesen beginnt. Alles steht ganz genau drinnen. Ganz genau.
Der Wächtertyp sieht ziehmlich verwirrt aus - Thomas kennt ihn übrigens auch nicht, wie ich bei der Vorlesung erfahre - und schaut nur fragend in die Runde. Alby hebt die Hand.
"Luke, geh und trommel ein paar Strünke zusammen, die Ben holen. Wenn er noch lebt, werft ihn in den Bau."
Das lässt sich der Typ nicht zweimal sagen. Ohne zu zögern dreht er um und knallt die Türe hinter sich zu.
Alle Blicke richten sich auf Thomas.
"Und Tommy? Was sagst du?"
fragt Newt ihn. Er nickt langsam.
"1:1. Alles war genauso."
"Genau so?"
"Ja."
Stille tritt ein.
"Aber wie soll das gehen, dass sich ein Buch selbst schreibt? Was ist, wenn das so ein mieser Trick ist?"
kristisiert Gally wieder. Bratpfanne neben ihm verdreht die Augen.
Ich atme hörbar ein, um mir Aufmerksamkeir zu verschaffen, die ich auch sofort bekomme. Etwas erstaunt sehe ich in die Menge. Zu Hause musste ich um solch offene Ohren immer ewig lang kämpfen.
Dann reisse ich mich zusammen.
"Das ist das Buch über diese Geschichte hier"
sage ich leise. Meine Stimme zittert vor Nervösität ein wenig, ich fühle mich wie bei einem Referat, für dass ich nicht gelernt haben. Und dass hier lauter Jungs sitzen, macht die Situation noch unangenehmer. In meiner Schule hatte ich nicht viel mit den Burschen aus meiner Klasse am Hut. Ich bin halt keiner Kichertussi, die überdramatisch laut über jeden schwachen Witz lacht, ich bin eher ruhig. Zu ruhig anscheinend, denn mich fragte man immer nur, ob man von mir die Hausaufgaben abschreiben dürfte.
Ich schlucke den Klos im Hals herunter.
"Über die Geschichte des Labyrinths. Kapiert? Aber mit meinem Auftauchen hat sich alles verändert. Jetzt wird die Story neu geschrieben."
Ich betrachte das aufgeschlagene Buch in Newts Händen.
Keiner sagt etwas. Dann räupsert sich Minho.
"Das ist der größte Klonk, den ich je gehört habe."
sagt er. Bevor irgendjemand zustimmen oder widersprechen kann, fährt er auch schon fort.
"Aber... das Labyrinth ist noch viel unrealistischer. Mit den Griewern und so. Also... ja. Kann schon stimmen."
Dann lehnt er sich zurück und senkt den Blick, als schäme er sich für seine Aussage.
Diskussionen brechen los. Einige äußern sich laut und deutlich, dass das wohl das Dümmste wäre, dass sie gehört hätten. Andere stimmen Minho zu, überraschend viele, muss ich dazusagen. Alby regelt das Ganze so, da sich kein geeignetes System finden lässt, dass sich Pro und Kontra einfach auf je zwei Seiten des Raumes verteilen sollen. Die Pros versammeln sich um Minho herum, die, die meiner Geschichte keinen Glauben schenken, um - Surprise Surprise - Gally.
Newt und Alby rühren sich nicht vom Fleck.
Mit bloßem Auge ist erkennbar, dass mehr Leute auf der Gegenseite sind, als auf der Proseite. Und doch sind es auch dort nicht wenige; genug, um mir wieder Mut zu machen.
Alby fordert wieder unsere Aufmerksamkeit.
"Nagut, die Mehrheit stimmt für den Unglauben, Newt und mich nicht einberechnet. Jetzt sage ich mal meine Meinung."
Oje.
"Wie Minho schon sagte, ist die Story n' Haufen Klonk wert. Aber das Labyrinth hat ein System. Es ist logisch. Aber es ist unlogisch, dass diese Zicke hier hereinspaziert, sich an alles erinnern kann, und dann behauptet den ganzen Zukunftsverlauf zu kennen. Das ist unlogisch."
War ja klar, das er dagegen ist. Ich seuftze schwer. Aber wenn das Labyrinth so logisch ist, warum sind sie immer noch hier, hm? Das ist jetzt wieder unlogisch, werter Herr Alby!
"Newt? Hast du noch was zu sagen?"
wendet sich Alby an den zweiten Anführer. Alle Blicke richten sich auf den blonden Jungen, der immer noch im Buch herumblättert. Er scheint zu grübeln, auf seiner Stirn hat sich eine tiefe Denkfalte gebildet.
"Newt?"
hackt Alby nach. Wahrscheinlich hofft er, dass Newt sich ihm anschließt. Newt hebt eine Hand, um zu zeigen, dass wir ruhig sein sollen. Dann blickt er auf und genau mich an.
"Wo kommst du her?"
Die Frage kommt so überraschend, dass ich einen Moment lang nichts sage. Newt deutet das anders.
"Oder kannst du dich nicht daran erinnern? Alby, wir wissen nicht, ob sie ihr komplettes Gedächnis hat oder nicht. Sie weiß nur unsere Namen, aber das heißt noch lange nicht, dass sie..."
"Ich weiß noch alles"
unterbreche ich ihn.
Es ist zwar furchtbar lieb, wie er mich auf gewisse Art zu verteidigen versucht, aber Lügen will ich nicht. So schräg die Wahrheit klingt, es ist nun mal die Wahrheit. Daran kann ich nichts ändern.
Gally betrachtet mich skeptisch.
"Aja? Dann erzähle uns doch alles."
blafft er mich an und seine Augen funkeln herausfordernd. Alby sieht mich mit dem gleichen Blick an. Haben die sich zusammengetan oder was?
"Gerne"
gebe ich zurück, lehne mich nach hinten und überkreuze die Beine. Auf einmal fühle ich mich unheimlich müde, und will nur wieder in ein weiches, warmes Bett, wo ich mit meiner Katze kuscheln kann.
"Aber nur, wenn ihr mich nicht unterbrecht. Oder nur, wenn ihr Fragen habt, und keine Kommentare wie Das ist ja voll unrealistisch!"
Am Ende mache ich Albys Stimme nach, was er sogleich mit einem Knurren kommentiert, doch ich achte nicht darauf. Stattdessen blicke ich in die Runde. Zuerst reagiert keiner.
Dann, nach und nach, beginnen einige zu nicken, immer mehr, bis Newt mich schließlich auffordert:
"Nun erzähl schon!"
Ich lächel gequält.
"Okay..."
Tatatataaaaaaa.
Hallo.
Ja.
Tschüss.
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