31. Drehe ich durch??

Minho P.O.V.

"Oh, da ist ja unser Frauenheld!"
spottet Gally, als ich ihn vom Fenster wegzerre, das er gerade zu demolieren versucht. Wütend schupse ich ihn gegen die Wand, während das Haus unter der Last der Griewer erzittert und gefährlich stark nach rechts wankt. Der ehemalige Hüter funkelt mich zornig an, dann kommt er mir ohne Vorwarnung bis auf wenige Centimeter nahe, sodass ich seinen stinkenden Atem im Gesicht spühren kann. Igitt...
"Sie kontrolliert dich, Minho."
zischt er, in seinen Augen flackert Hass und pure Verachtung. Unbeeindruckt ziehe ich die Augenbrauen hoch.
"Was redest du für einen Klonk? Wer sollte mich..."
gifte ich ihn an, doch er fällt mir ins Wort.
"Sie kontrolliert dich. Du kannst garnichts dagegen machen, du bist ihr bereits schutzlos ausgeliefert. Sie kann alles sagen und tun was sie will, und du wirst ihr trotzdem hinterherlaufen wie ein Schoßhund."
Ehe ich antworten kann, knackt es ohrenbetäubend, ein Metallarm kommt durch das zerschmetterte Fenster hereingefahren und packt den Baumeister mit seinen Metallzangen. Ohne einen Ton der Verzweiflung oder der Angst, ohne den leisesten Schrei lässt Gally sich davontragen und starrt mich bis zur letzten Sekunde spöttisch an, ehe er verschwindet.
Das stimmt nicht!
rufe ich ihm gedanklich hinterher, Wut kocht in mir hoch. Niemand kontrolliert mich! Niemand, und erst recht kein Mädchen! Was für eine lächerliche Behauptung. Dem werd ichs schon noch zeigen, pah!

Wenn ich nur gewusst hätte, wie schwer das wird...

Als ich aufwache, ist das erste, was ich spühre, ein dumpf pochender, regelmäßiger Herzschlag unter meinen Fingern. Aber nicht mein eigener; Alinas. Sie liegt auf der Seite, die Schulterblätter gegen meine Brust gedrückt, einen Arm habe ich um ihre Taille geschlungen. Ich habe ehrlich gesagt keinen blassen Schimmer, wie wir in diese Stellung gekommen sind, nur noch die Wärme ihrer Lippen und ihrer Hände, die über meine Wange und durch mein Haar streichen, blieben mir von gestern Abend wage in Erinnerung. Als wäre alles nur Einbildung gewesen, ein undeutlicher Traum, der bereits zu verblassen beginnt.

Aber ich habe sie geküsst, das weiß ich genau. Ich habe sie geküsst, und was noch viel wichtiger ist: Sie hat zurückgeküsst. Sie hat, nach einigen Schocksekunden, erwidert, und gleich danach ist ein totaler Cut. Schade eigentlich, an sowas erinnert man sich doch immer gerne zurück; an den ersten Kuss. Zwar bin ich mir ziemlich sicher, dass es nicht mein erstes Mal überhaupt war - die Bewegungen, die Handlung, das alles kam mir viel zu vertraut vor - aber all das davor weiß ich nicht mehr. Also zähle ich das hier als Nummer eins, und ich bereue definitiv nichts!

Mit einem zufriedenem Seufzer schmiege ich mich näher an die zierliche Gestalt in meinen Armen und vergrabe das Gesicht in ihrem Haar. Auch wenn es etwas nach dem chemischen Shampoo von ANGST riecht, ist es doch angenehm, einfach nur eingehüllt dazuliegen und sich vor der Außenwelt zu verstecken. Man mag ja meinen, die grüne Farbe würde sie irgendwie lächerlich aussehen lassen, doch aus mir unbekannten Gründen fasziniert sie mich, noch mehr als das Blau. Es passt zu ihr, diese bunten Töne, verrückt, fröhlich, ausgelassen, all das, was man im Labyrinth nie sein konnte. Dass diese Lebensfreude mit jedem Tag, den sie weiter in dieser Welt verbringt, mehr und mehr eintrocknet und von ihr abbröckelt wie spröder Schlamm, ist mir natürlich nicht entgangen. Aber was soll ich denn schon tun? Ich will sie trösten und beschützen, aber bisher sind mir bei jedem Annäherungsversuch wieder Gallys Worte in den Sinn gekommen, die mich so lange genervt haben, bis ich es dann doch gelassen habe. Aber gestern Abend, als ich ihre warmen, feinen Finger an meinem Rücken gespührt habe und Gally wieder in meinem Hirn zu spuken begonnen hat, habe ich eine neue Abwehrmethode entwickelt: Ich habe zugesagt.

Ich habe einfach zugestimmt, dass sie mich in der Hand hat. Denn im Endeffekt... stimmt es. Ich kann nicht mehr an ihr vorbeigehen, ohne mich nochmals nach ihr umzudrehen, ich kann keine blauen - nun grünen - Gegenstände mehr ansehen, ohne mich zu fragen, ob ihre Haare wohl den gleichen Ton haben. Mir geht die Szene nicht aus dem Kopf, wo sie auf der Lichtung getanzt und dabei so entspannt gewirkt hat, als würde sie nicht gerade durch die Luft wirbeln wie ein Tornado. Wie sie sich an die Lippen fasst, wenn sie sie vor lauter Nervösität aufgebissen hat, wie sie die Augen verdreht, wenn irgendwer eine dumme Meldung geschoben hat. All diese scheinbar bedeutungslosen Dinge brennen sich in mein Gedächnis ein, verfolgen mich wie ein Fieberwahn und schaffen es immer wieder, mein starkes Ego zu entkräften.

Alina regt sich, gähnt unterdrückt. Zuerst bewegt sie sich nicht viel, scheint viel mehr noch vor sich hinzudösen und die Welt um sich herum kaum wahrzunehmen. Dann, langsam, dringt die Situation zu ihr durch, einen Moment verspannt sie sich erschrocken und weicht ein Stück von mir weg, lockert sich dann aber gleich wieder. Sie presst meinen Arm mehr an sich und seufzt dabei leise, ihr Atem streicht über meine Haut und lockt mir ein schwaches Lächeln auf die Lippen.

Und dann, ganz plötzlich, reisst sie sich von mir los und ich schlage überrascht die Augen auf. Einen Moment lang blenden mich die nun angeschaltenen Leuchtstoffröhren, doch dann gewöhne ich mich an die Helligkeit und nun sehe ich auch den Grund für ihre Hektik.
Newt sitzt grinsend an der Bettkante, die Lippen krampfhaft zusammengepresst, um nicht laut loszulachen. Alinas Wangen färben sich feuerrot, unsicher kaut sie auf ihrer Unterlippe herum und stammelt verlegen irgendetwas Sinnloses vor sich hin.
"Du... hast mich.... aus dem Bett... gestern. Ich wollte... also... nicht... ich meine... nur..."
Nun muss auch ich grinsen; mir ist das hier gerade garnicht peinlich, was einerseits an meinen mir selbst zugestandenen Gefühlen liegen könnte, zum Anderen auch an Newt selbst, weil er einer meiner besten Freunde ist und ich somit keinen Grund für Scham habe.
"Dir auch guten Morgen."
prustet der Blonde und Alina wird, wenn möglich, noch röter im Gesicht.
"Ich wollte nicht..."
setzt sie an, verhaspelt sich dann aber und verschluckt sich an ihren eigenen Worten. Ich lache heiser auf und fahre ihr ungeniert durchs Haar.
"Was wolltest du nicht?"
frage ich und bemühe mich um eine extra raue Morgenstimme, kann jedoch keine Reaktion bei ihr feststellen. Stattdessen senkt sie nur den Kopf und sieht stumm auf ihre Hände.

Einen Moment lang kommt mir der Zweifel, ob sie wirklich zurückgeküsst hat gestern, und ich lasse die Hand sinken. Habe ich mir das nur eingebildet in meinem Wahn? Werde ich jetzt schon so wahnsinnig wie diese Cranks?
"Ich störe euch mal nicht weiter"
lacht Newt leise und unterbricht somit meine inneren Konflikte. Etwas wankend klettert er die Leiter des Stockbetts hinunter und verkrümelt sich in sein Bett zurück. Mein Blick schweift sofort wieder zu Alina, die sich immer noch nicht gerührt hat.
"Ich geh mal... bevor... die anderen aufwachen."
murmelt sie undeutlich und beginnt allen Ernstes, ebenfalls hinabzusteigen. Mit offenem Mund sehe ich ihr hinterher. Warum geht sie? Habe ich etwas falsch gemacht? Ich schlucke schwer, trommle mit den Fingern gegen die Bettdecke. Was macht dieses Mädchen nur mit mir? Wo ist meine große Klappe hin, meine Unbeschwertheit, mein Sarkasmus? Sie schleicht an den Stockbetten vorbei, ihr Grünschopf taucht immer wieder hinter der einen oder anderen Bettsäule auf. Wieder kommt mir der Zweifel. Hat sie zurückgeküsst? Ja oder nein? Ja oder nein?!?! 
Drehe ich gerade durch??

Verzweifelt raufe ich mir das wirre Haar, sehe wortlos zu wie sie aus dem Raum verschwindet. Sie geht einfach? Sollte ich ihr folgen? Ich würde gerne. Auch wenn meinn Ego wie Rumpelstielzchen herumhüpft und "Nein!" schreit, ich würde wirklich gerne. Gally hatte recht, so recht...

"Minho!"
zischt jemand und ich hebe fragend den Kopf. Clint steht am Bettrand und luggt zu mir hoch, muss seinen Kopf dabei allerdings weit in den Nacken legen. Er ist halt nicht der Allergrößte; in dieser Sache schlage ich ihn um Längen. Damit habe ich mich beruhigt, als ich gesehen habe, wie vertrauensvoll er und Alina miteinander umgehen, wie Geschwister, oder ein frisch verliebtes Paar. Bäh.
"Geh nach"
sagt der Sani leise und nickt Richtung Türe. Misstrauisch sehe ich ihn an. In mir meldet sich ein Instinkt, den ich davor noch nie verspührt habe, und ehrlich gesagt auch jetzt kaum einordnen kann.
Konkurrenz.
Clint und eine Konkurrenz? Pah, das ich nicht lache! Aber wenn mans so sieht, hatte er Alina schon einige Male am Schoß sitzen, und ich... hab sie dafür einmal geküsst. Aber wer weiß, vielleicht hat er das auch schon? Diese Vorstellung macht mich leicht aggressiv.

Der Ex-Sanitäter steht noch immer am Bettrand und sieht zu mir hoch. Da zuckt er mit den Schultern und wendet sich ab.
"Dann gehe ich halt",
murmelt er und macht sich auf den Weg. Ruckartig schnelle ich hoch, springe laut polternd vom Bett - was mir einige Verwünschungen anderer Lichter einbringt - und stürme leicht taumelnd vom Nahrungsmangel an Clint vorbei auf die Tür zu.
"Wage es nicht!",
knurre ich wütend und reisse beinahe die Tür aus den Angeln in meiner Hektik. Der Sani schmunzelt mich belustigt an.
"Geht doch",
murmelt er und macht auf der Stelle kehrt. Ich drehe ihm ebenfalls den Rücken zu und laufe quer durch die menschenleere Halle, auf das Mädchenzimmer zu. Glauben die etwa ich wäre nicht fähig, mich bei Alina durchzublicken? Das ist doch gelacht! Sie wird mir noch zu Füßen liegen, so toll kann ich sein...

Meine Selbstverherrlichung bricht ab, als ich mich im nächste Moment Alina gegenüber wiederfinde, die mich stirnrunzelnd ansieht. Perplex blinzel ich sie an. Warum habe ich nicht mitbekommen, wie ich hier reingelaufen bin? Ich glaube ich drehe wirklich durch...
"Minho?",
sagt Alina leise und mein Herz setzt einen Schlag lang aus.
Sie hat nur deinen Namen gesagt,
herrsche ich mich selbst an, schüttel dann aber über meine eigenen Worte den Kopf.
Eben. Eben...
"Was ist?",
fragt sie verwirrt, die Arme abwehrend vor der Brust verschränkt. Ich mage unbeholfen einen Schritt auf sie zu, zu weicht zurück. Ich komem näher, sie entfernt sich. Wie damals, im Wald.
"Alina..."
setze ich an, der Name kommt mir schwer und ungewohnt über die Lippen. Ich kenne dieses Mädchen kaum, warum fasziniert sie mich so? Wie macht sie das? Ist es wegen ihrer Herkunft, ihrer Gabe? Was immer es auch sein mag, es zeigt seine Wirkung...

Mit einem dumpfen Pong stößt Alina mit den Schultern gegen die Wand, zuckt erschrocken zusammen. Ich gehe weiter vorwärts, denn nun kann sie nicht mehr ausweichen. Mit großen Augen blickt sie zu mir auf, fast schon ein wenig verängstigt starrt sie mir entgegen und ein leises Lächeln stielt sich auf meine Lippen.
"Was willst du?"
flüstert sie mit heiserer Stimme und trifft mich genau an der wunden Stelle. Habe ich mir alles nur eingebildet? Wollte sie gar nicht geküsst werden? Zerstöre ich hier noch alles...?

Doch schon im nächsten Moment werden all meine Unsicherheiten ausgelöscht, all meine Fragen beantwortet und meine Wünsche erfüllt, indem sie mich am Kragen meines Shirts packt und zu sich hinunter zieht.



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