3. Magic Book
📗
Sie haben mich einfach in den Bau geworfen. Einfach so!
Zwar habe ich versucht mich loszureißen, doch wie soll ein so lauchiges Rumpelstilzchen wie ich gegen ein Rudel kräftiger Jungs ankommen?
Genau, gar nicht.
Schmollend hocke ich in der staubigen Ecke des Gefängnisses und denke nach, und das schon seit gefühlten Stunden.
Über meine Situation.
Über The Maze Runner.
Über heiße Schokolade und Lebkuchen, die ich jetzt essen könnte.
Aber nein, ich bin hier zwischen lauter fiktionalen Charakteren gefangen, von denen 90% sterben werden. Und ich werde es wahrscheinlich nicht verhindern können, obwohl ich das nötige Wissen besäße.
Toll. Echt toll.
Gedankenverloren starre ich zwischen die Bambusstäben hinaus auf die ruhig daliegende Lichtung. Angeblich soll es jetzt eine Versammlung geben wegen mir, weil ich ja eine von den Schöpfern bin.
So ein Quatsch! Ich hasse ANGST genauso wie die. Und vor allem: Ich weiß alles.
Was hier abgeht.
Warum es passiert, wie es passiert.
Und wie sie hier herauskommen.
Aber würden sie mir glauben, wenn ich es ihnen verrate? Oder würden die Mitarbeiter von ANGST die Lösung des Labyrinths dann irgendwie verändern, damit mein Wissen nichts nützt? Was ist überhaupt mit Teresa? Ersetze ich sie jetzt?
So viele Fragen, Fragen ohne Antworten. Mir raucht schon die Birne...
Plötzlich geht der Alarm los und ich zucke überrascht zusammen. Ich verfalle aber nicht in blinde Panik wie Thomas im Buch, ich weiß ja, was los ist.
Schnell stehe ich auf, humpel mit meinen vor Taubheit kribbelnden Gliedern zum Fenster und lugge aus meiner Zelle hinaus. Von hier aus kann ich die Box kaum erkennen, trotzdem ist die Masse der aufgebrachten Jungen nicht zu übersehen. Sie schreien durcheinander, versuchen den jeweils anderen zu übertönen, keiner kennt sich aus. Bis hierher kann ich den Krach hören, ein Wirrwarr unterschiedlichster Stimmen.
Kommt jetzt Teresa an?
Dann bin ich wenigstens nicht das einzige Mädchen hier. Das wär schon mal etwas Positives in all diesen sorgengeschwängerten Stunden. Auch wenn sie anfangs bloß im Koma liegt.
Suchend sehe ich mich auf meinen wenigen Quadratmetern um. Kommt man hier raus? Und wenn ja, wie?
Wie ein Tiger in einem kleinen Käfig laufe ich auf und ab, suche irgendwas, ohne genau zu wissen, was genau. Wahrscheinlich ein Wunder.
Aber der Bau ist eben der Bau; da kommt keiner raus. Selbst Teresa nicht, und die ist sicher viel geschickter wie ich in solchen Dingen. Deshalb gebe ich mein verzweifeltes Gerenne auch sehr schnell auf.
Verzweifelt sehe ich zur Tür. Sie hat ein fettes Schloss, wie im Buch und meinen Fantasien, aber den Schlüssel dazu hat nur Newt. Und der kommt sicher nicht angerannt und befreit mich, damit ich Teresa begutachten kann.
Obwohl... vielleicht holen sie mich ja, um mich zu fragen, ob ich sie kenne?
Nein, warte, ich bin ja ein Schöpfer. Mich fragen sie so etwas bestimmt nicht.
Im Nachdenken raufe ich mir das Haar und...
Meine Finger verheddern sich unter einer straff zurückgebundenen Locke und ich reiße mir beim ruckartigen Ziehen gleich einmal ein paar Strähnen aus. Fluchend schüttel ich die Haarfäden, die sich um meine Finger gewickelt haben, ab und streiche mein Haar wieder nach hinten. Mir kommt der Gedanke, dass sie mich auch deshalb für eine Mitkomplizin von ANGST halten könnten, weil ich blau gefärbte Haare habe. Welcher normale Mensch hat das - in ihrer Welt - schon? Wahrscheinlich wirke ich damit auf sie wie ein Alien.
Genervt stöhnend beginne ich wieder, auf und ab zu laufen, als etwas an mir herabfällt und mit leisem Klimpern auf den harten Steinboden landet. Verwundert sehe ich mich um und sehe einer meiner Haarspangen auf der Erde liegen. Ein einfaches, schlichtes Ding, das ich kaum benutze, nur, wenn es mal wieder windig ist und mir meine Haare in den Mund fliegen.
Ich bücke mich und hebe das Teil auf. Andere würden jetzt zur Tür rennen und damit das Schloss knacken, aber ich? Ich kann das nicht. Kriminalfilme schön und gut, aber ich bin schon froh, wenn ich den passenden Schlüssel ins Schloss bekomme.
Aber probieren... probieren kann man es ja.
Mit schnellen Schritten gehe ich auf die verriegelte Tür zu und knie mich davor. Mit einem Auge linse ich ins Loch hinein, aber außer einem kleinen grünen Punkt auf der anderen Seite und Dunkelheit, sehe ich sonst nichts.
Wie eine echte Räuberin stecke ich die Klammer in das Schloss und fuchtel kurz orientierungslos darin herum. Man muss den Riegel zurückschieben, glaube ich.
Eine Weile stochere ich weiter, und dann... dann bekomme ich etwas zu fassen, dass sich zurückdrücken lässt. Vorsichtig arbeite ich weiter, um den Halt nicht wieder zu verlieren, schiebe und...
Klick.
Beam! Bin ich gut oder bin ich gut?
Ganz cool drücke ich die Türklinke herunter. Sie geht auf!
Aber warum sperrt Newt nur einmal zu? Dreht man den Schlüssel nicht immer zweimal herum?
Ach egal. Hauptsache, ich bin draußen!
Immer noch vorsichtig öffne ich die schwere Tür und lugge heraus. Alle sind bei der Box, natürlich. Ob Teresa schon da ist?
Hastig trete ich aus dem Bau heraus und renne schnurstracks auf die Menschenmenge zu. Oder besser gesagt im Zickzack, von Haus zu Haus und von Busch zu Busch, damit sie mich nicht sofort bemerken. Wäre ja blöd, wenn ich mich durchdrängle und dann ist die Box noch gar nicht da! Aber alle sind so auf das Geschehen vor ihnen konzentriert, dass sie das blauhaarige Alien hinter sich gar nicht wahrnehmen.
Als ich in Hörweite komme, klappen die Jungs gerade die Box auf. Wie bei mir wird es schlagartig still; dann bricht Krawall los.
"Noch ein Mädchen?"
"Kommen jetzt im Stundentakt Frischlinge oder was?"
"Werden jetzt nur noch Frauen gebracht?"
"Die hat wenigstens normale Haare!"
Hey! Sag nichts gegen meine Haare! Die sind türkis-blau-Ombré, das hat mich mein Friseur 'ne Menge Geld gekostet!
Geschmackloses Pack.
Ich schleiche näher heran.
"Vielleicht ist sie auch eine von den Schöpfern",
sagt ein mir fremder Junge gerade, der neben Newt steht. Da fast alle Burschen größer sind als ich, klettere ich auf einen niedrigen nebenstehenden Baum, um besser in den Schacht sehen zu können. Alle schauen misstrauisch zu dem - wirklich - ohnmächtigen Mädchen hinunter, dass ähnlich wie ich, zusammengerollt auf der Seite liegt. Mein Auftritt scheint sie skeptisch gemacht zu haben.
"Schöpfer oder nicht, die Box muss wieder herunterfahren, um die Wochenrationen zu bringen. Lasst sie uns rausholen, aber Vorsicht. Nicht dass die auch so auszuckt."
Wenn die wüssten...
Moment.
Die wollen Teresa da hinauszerren? Werden sie sie auch so behutsam verpflegen wie im Buch, oder in den Bau schmeißen?
Nein, dass können sie nicht! Teresa liegt ja wirklich im Koma, verdammt.
"Hey, aufwachen!",
ruft Alby wenig taktvoll nach unten, macht aber keine Anstalt, hinunterzuklettern. Shit, wehe, die machen irgendeinen Kack...
"Ich hole die jetzt einfach. Die spielt doch auch nur."
Verdammt. Das dürfen sie nicht!
Fieberhaft denke ich nach und kaue mir dabei die trockene Unterlippe auf. Wie kann ich die Jungs davon überzeugen, sie auf die Krankenstation zu bringen? Irgendwie muss das gehen.
Alina.
Ich zucke heftig zusammen, sodass ich beinahe das Gleichgewicht verlieren, und sehe mich hektisch um. Niemand da...?
Alina, hör zu.
Teresa.
Sie muss es sein, so habe ich mir ihre Stimme vorgestellt. Also... Okay... Ja?
Alina,
- wie oft will sie meinen Namen noch sagen? -
ich weiß nicht, warum du hier bist. Aber ich weiß, dass es nicht geplant ist, und du viele hier retten kannst. Lass dich nicht unterkriegen. Nicht vom Labyrinth und ANGST, und schon gar nicht von diesen Idioten hier. Kämpfe wie ein Mädchen.
Klar?
Äh... klar?
Oder... wie antwortet man auf sowas? Auf eine telepathische Nachricht? Dass Teresa und Thomas das können weiß ich ja, aber ich auch...
Oh Gott! Hat ANGST mir etwa auch einen ihrer Chips eingesetzt?
Erschrocken greife ich an meinen Nacken, spüre aber nur unversehrte Haut. Hm.
Ja oder nein jetzt?
Panik keimt in mir auf.
Nicht unterkiegen lassen hat sie gesagt.
Okeyokey.
Ganz ruhig.
Erst mal: Verhindern, dass die Typen irgendwas Verkehrtes mit Teresa machen.
Leise gleite ich den Stamm hinunter und schleiche näher an die Menge heran.
Und dann laufe ich los.
Ich laufe einfach durch die Masse, setze Ellbogen und Schultern ein und ramme mir den Weg frei, ähnlich wie beim Schulbus, wenn jeder um einen Sitzplatz rauft. Manche zucken erschrocken zurück, andere versuchen mich zu packen, aber ich schüttel wie durch Zauberhand alle Grapschehände erfolgreich ab.
Am Rand der Box bleibe ich nicht einmal stehen, springe einfach hinunter, vom schnellen Lauf nach vorne gerissen. Natürlich lande ich nicht elegant wie ein Ninja auf den Beinen, sondern überschlage mich durch den Schwung gleich einmal seitwärts, aber das ist mir egal. Ich lasse meinen Blick kurz durch den Käfig schweifen und rolle mich dann neben Teresa.
Erst dann sehe ich hoch.
Alle starren mich an.
Aber das ist ja nichts Neues.
Alby knurrt - auch nichts Neues.
"Wer hat sie aus dem Bau gelassen?"
Wütend sieht er sich um, aber jeder macht bloß eine unschuldige Miene.
Ich muss mir tatsächlich ein Grinsen verkneifen.
"Ich mich selbst",
rufe ich hoch und kann nicht verhindern, dass Stolz in meiner Stimme mitschwingt. Vorsichtig beuge ich mich über Teresas schlaffen Körper und taste nach ihrer Hand.
"Holt sie da raus! Beide! Und dann bringt ihr sie in den Bau!",
brüllt Alby von oben. Oh-o...
Ich versuche verzweifelt, Teresas geballte Faust aufzubekommen, in der vermutlich der Zettel mit der Nachricht steht, aber sie verkrampft sich immer mehr, umso fester ich meine Finger zwischen ihre bohre. Der Boden zittert, als einige Jungs herunterspringen, und ich blicke panisch auf.
Alby und noch zwei Jungs, die ich nicht kenne, kommen auf mich zu. Newt hockt oben am Rand wie ein lauernder Aaßgeier, als wolle er auch gleich hinunter hüpfen.
Müssen die ernsthaft zu viert anrücken, um ein Mädchen zu fangen? Peinlich peinlich.
Trotz dieses belustigenden Fakts bekomme ich ein mulmiges Gefühl, und das nur mit Recht. Hastig hebe ich die Hände, als wäre ich der Verbrecher vor der Polizei.
"Wartet! Hört mir zu!",
versuche ich sie zu besänftigen, aber Alby greift bereits rücksichtslos nach meinem Arm. Ich mache aus einem unglaublichen Reflex heraus einen Hechtsprung nach hinten, genau in die gegenüberliegende Ecke. Jetzt fühle ich mich wirklich gefangen.
"Du spielst keine fiesen Tricks mehr mit uns, Kleine",
brummt Alby wütend, als er weiter auf mich zukommt.
Lass dich nicht unterkriegen, hat sie gesagt. Denk nach Alina. Komm schon!
Aber im Stress kann ich nicht denken. Ich brauche noch eine Sekunde!
In exakt diesem Moment schnellt Teresas Kopf in die Höhe, sie stößt einen spitzen Schrei aus und hält die Hand mit der Nachricht in die Luft. Total überfordert erstarren alle für einen Moment.
Danke Teresa,
versuche ich ihr zu senden, aber ob das klappt, weiß ich nicht genau. Oder ob sie das nun überhaupt absichtlich gemacht hat.
Jedenfalls hab ich jetzt ein wenig mehr Zeit. Wenig, aber trotzdem mehr.
Zögernd nimmt Newt den Zettel, worauf Teresa sofort wieder im sich zusammenbricht. Ich kann die Anspannung förmlich in der Luft vibrieren spüren, und als Newt vorliest, vergisst mich Alby augenscheinlich für einen kurzen Moment.
"SIE IST DIE LETZTE. FÜR IMMER",
sagt Newt laut, keiner macht einen Mucks. Jeder starrt nur entsetzt den leblosen Mädchenkörper an.
Dann wendet sich Alby plötzlich wieder zu mir um. Seine dunklen Augen sprühen Funken, als würdenihm gerade sämtliche Sicherungen durchbrechen.
"Du! Du hast uns hier hergebracht. Sag, was soll der Klonk?",
schreit er mich an, total außer sich, wie es scheint.
Beschwichtigend hebe ich die Hände.
"Ich bin nicht von...",
Fasst hätte ich ANGST gesagt, aber wissen sie denn schon, dass die Organisation so heißt? Ich glaube nicht.
"...von den Schöpfern",
beende ich den Satz etwas verspätet und versuche, dabei möglichst ruhig zu klingen. Doch selbst ich kann mein eigenes Zittern heraushören.
Ich habe Angst.
Jawohl, das habe ich. Und wie!
"Ach nein?",
fragt der Junge neben Alby dumm und macht einen Schritt auf mich zu. Ich rutsche - immer noch sitzend - noch tiefer in die Ecke hinein, presse mich eng gegen das Gitter...
Und dann ertasten meine Finger etwas.
Etwas, was ich immer und überall wiedererkennen würde. Was mir mein Leben schon so oft leichter gemacht, was graue Tage Farbe verliehen hat. Klein und kompakt, mit einer abstehenden Ecke. Unverkennbar.
Langsam hebe ich den Gegenstand hinter mir hervor. Wie ein Schutzschild halte ich es vor mein Gesicht, als könnte es mich von den feindseligen Blicken schützen.
"Ich kann es beweisen. Damit",
sage ich langsam, und nun klingt meine Stimme viel fester und sicherer.
Alle starren das Ding in meinen Händen an.
Ein Buch.
Das Buch.
Die Auserwählten im Labyrinth.
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