29. Jugendsünden

Achja, die Tattoos...

◆◇◆◇◆◇◆◇

"Eigentum von ANGST
Gruppe A, Proband A-5
Der Kleber"
liest Alby laut vor, und ich rede in Gedanken mit. Irritiert sieht Newt über die Schulter nach hinten.
"Bitte was?"
fragt er verwirrt. Der Anführer seuftzt genervt, als liege die Antwort auf der Hand.
"Das steht da. Ein Tattoo."
sagt er knapp und lässt seinen Kragen los.
"Ein Tattoo? Wo soll das plötzlich herkommen?"
gibt Newt gereizt zurück und entfernt sich ein paar Schritte. Ehe jemand antworten kann, trete ich schnell nach vor und ziehe das Hemd wieder hinunter, sodass man die schwarzen Linien gut sehen kann. Der Blonde wirft mir zwar einen verwunderten Blick zu, lässt mich aber widerstandlos machen.
"Das war ANGST. Jeder hat so eins."
erkläre ich knapp.
Sofort bricht Krawall los und alle Lichter packen sich gegenseitig am Kragen, um das Geschriebene des anderen zu lesen. Der Raum ist erfüllt von Stimmgemurmel und verwirrten Ausrufen, einige diskutieren heftig miteinander. Vorsichtig streiche ich über die geschwungenen Buchstaben auf Newts Rücken, welche glatt und eben auf der Haut liegen, als wären sie schon ewig da. Normaler Weise sind frisch gestochene Tattoos doch immer geschwollen und gerötet...?
Kopfschüttelnd lasse ich das Shirt los und setze ich auf das nächste Bett. Man sollte sich hier echt nicht zu viel Fragen stellen, sonst wird man nur noch planloser.

Jemand tippt mir auf die Schulter und ich sehe auf. Chuck steht vor mir, er grinst leicht.
"Kannst du...?"
setzt er an und deutet mit einer Hand auf seinen Nacken. Ich nicke stumm und er dreht mir sofort den Rücken zu. Wortlos ziehe ich ihm das etwas zu große, graue Shirt herunter und die Makierung kommt zum vorschein. Ohne groß nachzudenken lese ich laut vor:
"Eigentum von ANGST
Gruppe A, Proband A-24
Ni..."
Ich stocke. Entgeistert starre ich die vier geschwungenen Buchstaben an, die auf Chucks Rücken eintätowiert worden waren.
Niño.
Das ist Spanisch, und bedeutet Kind. Woher ich das weiß? Mein einer Papagei heißt so. Er ist mein Schützling, mein Herz, mein ein und alles; und gerade Chuck wird so genannt. Das ist kein Zufall. Das kann kein Zufall sein...

"Alina?"
Erschrocken zucke ich zusammen, ich habe garnicht gemerkt wie ich in meinen Gedanken abgedriftet war.
"Was steht da?"
"Ähm..."
stottere ich unsicher herum, traue mich nicht den Blick zu heben. Jemand stellt sich neben mich und beugt sich hinunter, um den Schriftzug besser lesen zu können.
"

Niño"
murmelt Newt halblaut und kratzt sich verwirrt die Stirn.
"Das klingt Spanisch, oder Portugisisch."
"Spanisch"
sage ich leise und seuftze.
"Es bedeutet Kind."
Der Blonde sieht mich stirnrunzelnd an.
"Und was heißt das jetzt für uns?"
Ich zucke bloß mit dem Schultern und ernte daraufhin einen prüfenden Blick.
"Haben sie die Geschichte schon wieder geändert?"
fragt er und eine Spur Angst schwingt in seiner Stimme mit. Hastig schüttel ich den Kopf.
"Nein, es ist nur so, Chuck hätte nicht... also er wäre... nicht... so weit..."

Der Junge dreht sich so ruckartig um, dass meine Hand von seiner Schulter rutscht, dann umarmt er mich heftig. Überrascht japse ich auf, drücke ihn aber nach kurzem Zögern zurück.
"Du hast mir das Leben gerettet"
nuschelt er gegen meinen Hals und ich schlucke schwer. Mit jeder Minute, die dieser kleine Strunk länger lebt, wird er mir wichtiger. Ich könnte es nicht ertragen, ihn jetzt noch zu verlieren, das wird mir gerade mehr als nur klar.

"Und was steht bei dir?"
fragt Newt mich plötzlich. Mit gerunzelter Stirn sehe ich zu ihm auf, das scheint ihm Antwort genug. Er setzt sich zu mir aufs Bett und lehnt sich weit nach hinten, um mir den Kragen besser runterziehen zu können. Was da wohl steht? Ich habe bis jetzt noch gar nicht daran gedacht, dass bei mir auch etwas stehen könnte. Wenn meine Mum wüsste, dass ich in dem Alter schon ein Tattoo habe... Gosh...
Ich höre wie Newt hinter mir leise nach Luft schnappt und drehe den Kopf nach hinten. Das klang nicht gerade gut...
Er setzt jedoch ein gefaktes Lächeln auf als sich unsere Blicke begegnen und klopft mir etwas zu überschwänglich auf die Schulter.
"Du bist A-30."
meint er knapp, damit steht er auf und verschwindet zwischen den vielen Jungs.

Was war denn das gerade? Da ist doch was mega faul. So komisch habe ich Newt ja noch nie erlebt... verwirrt schüttel ich den Kopf, um meine beunruhigenden Gedanken loszuwerden, als just in diesem Moment der Alarm losgeht, laut und durchdringend, wie im Buch beschrieben. Verstört sehen sich die Lichter um und halten sich die Ohren zu, rennen umher und stoßen sich gegenseitig um. Ich presse mir einen Polster auf den Kopf, kneife die Augen zusammen und zähle von 1000 herunter, um das Chaos um mich herum auszublenden.

Bei 586 hört der Lärm attrupt auf und Stille tritt ein. Man hätte eine Feder fallen hören können, so ruhig ist es plötzlich; und immerhin sprechen wir hier von 30 pupertären Jungs auf engsten Raum, mit mir sind es 31 Jugendliche. Langsam ziehe ich das Kissen vom Kopf uns sehe mich um. Minho, Thomas und einige andere Lichter stehe gerade vor der geöffneten Tür und linsen misstrauisch in den dunklen Raum dahinter. Ich seuftze, rappel mich hoch und stapfe ohne zu zögern in die Dunkelheit. Jemand ruft mir nach, ich solle stehenbleiben, aber ich achte nicht darauf und taste mich weiter der kühlen Wand entlang, um den Lichtschalter zu finden. Jetzt muss ich ja zum Glück keine Leichen mehr sehen, dass durften schön die Anderen bestaunen.
Da spühre ich auch schon den Schalter unter meinen Fingern und eine Lampe nach der anderen schaltet sich nach kurzem Flackern an. Helles Licht flutet den dunklen Raum, nach und nach kommen die Lichter hereingestolpert und sehen sich mit ungläubigigen Blicken um. Ich ignoriere die viele Fragen vorerst, die wie Bombenhagel auf mich einprasselt und schreite zielsicher auf die Türe des anderen Schlafzimmers zu. Kurz davor packt mich jemand am Handgelenk und hält mich zurück.

"Nicht... das willst du nicht sehen."
Verwundert drehe ich mich um und sehe direkt in Minhos dunkle Augen, die mich fast schon besorgt mustern.
Was läuft in diesem Strunkkopf nur ab? Kann mir das jemand sagen? Bitte?
"Keine Sorge, da ist nichts mehr"
sage ich nur und warte, bis er mich freigibt. Nach kurzem Zögern tut er das dann auch, folgt mir aber wie ein Schatten, als ich das Zimmer der Jungs betrete. Seine Augen weiten sich, als er die zugemauerten Fenster sieht, dann dreht er sich blitzschnell um und brüllt in den Raum hinein:
"Newt, sieh dir diesen Klonk an!"
Der Blonde kommt sofort angehumpelt, genauso wie der Rest der Truppe. Ein großes Gedränge ensteht, ich werde nach hinten geschupst und gegen einen Bettpfosten gedrückt. Schnaubend kämpfe ich mich frei und klettere auf das erstbeste Stockbett, um den Fluten der massigen Jungskörpern zu entkommen. Alle starren wie gebannt die Ziegelmauern an, als hätten sie noch nie dergleichen gesehen, wieder einmal herrscht angespanntes Schweigen. Ich verdrehe die Augen, springe hinunter und drängel mich wieder zurück in den Gemeinschaftsraum; mir wird es hier eindeutig etwas zu voll.
Ich sehe mich flüchtig um und mein Blick bleibt an Clint hängen, der gegen die Wand gelehnt dasteht und sich den Kopf hält, als hätte er arge Schmerzen. Besorgt laufe ich zu ihm hinüber.
"Alles okay?"
frage ich ihn und er schüttelt den Kopf.
"Ich versteh das alles nicht"
jammert er mit weinerlicher Stimme und lässt sich zu Boden gleiten. Ich hocke mich neben ihn und tätschel ihn tröstend die Wange.
"Muss du nicht. Sie tun das nur, um uns zu verwirren."
Er sieht mich mit seinen Welpenaugen einen Moment lang stumm an, dann nickt er und schließt seuftzend die Augen.
"So viel dazu, wir sind in Sicherheit..."
murmelt er, ein bitterer Unterton schwingt seiner Stimme mit. Ich zucke nur entschuldigend mit den Schultern und rappel mich wieder hoch. Ich kann nichts dagegen machen, ich kann nur helfen und beraten. Diese Machtlosigkeit juckt wie verrückt unter meiner Haut und bringt mich schier zum durchdrehen, aber wie bereits erwähnt, lässt sich leider nichts ändern.

Der größte Protest wurde - ganz gegen meinen Erwartungen - von dem fehlenden Essen ausgelöst. Die Vorstellung, die nächsten drei Tage hungern zu müssen, gefiel den meisten noch weniger als der Fakt, in die Brandwüste geschickt zu werden und so ist die Laune dementsprechend schlecht. Wer interessiert sich schon für eine Geisterstadt voller Zombies? Hauptsache, man kann sich über das fehlende Buffett aufregen, jawohl!
Ich habe Aris aus dem kleinen Mädchenzimmer verbannt und sitze nun gelangweilt und ganz alleine auf einem der vielen Betten, starre gegen die kahle Wand. Newt, Thomas und Clint haben mehrere Male versucht mit mir zu reden, aber meine Laune ist schlicht und einfach im Keller und ekelt sogar den gutmütigen Newt hinaus. Da ich nichts besseres zu tun habe, beschließe ich heute früher schlafen zu gehen und mache mich auf zur Dusche. Obwohl ich mich den ganzen Tag kaum bewegt und mich schon in der Früh ausgibig gewaschen habe, finde ich beim besten Willen keine andere Beschäftigung. Vielleicht lenkt es mich etwas ab, gegen eine heiße Dusche hatte ich noch nie etwas einzuwenden. Außerdem riecht die Seife hier einfach himmlisch! Nicht so wie das Haarshampoo, das ich ganz bestimmt nie nie wieder benutzen werde...
Vorsichtshalber schließe ich die Türe hinter mir ab und ziehe mich erst nach gefühltem hundert Mal nachprüfen aus. Mein Blick fällt auf mein nacktes Ich im Spiegel und ich erschrecke: Mein Körper wirkt ausgemergelt und blass, alles an mir schreit förmlich nach einer Pause. Kein Wunder, dass die starke Teresa hüpscher wirkt auf die Jungs, mich jedenfalls ekelt dieses Mädchen, das angeblich ich sein soll, einfach nur an. Kopfschüttelnd wende ich mich ab, da fallen mir im Augenwinkel schwarze Linien ins Auge, die sich über meine Schulterblätter schlängeln. Sofort kommt mir wieder Newts komische Reaktion in den Sinn und ich drehe langsam meinen Oberkörper ein, um die Schrift besser erkennen zu können.

Ich lese es. Einmal, zweimal. Ein drittes mal. Aber so oft ich meine Augen auch über die Zeilen wandern lasse, der Sinn bleibt der gleiche. Sprachlos starre ich den Schriftzug an, der in schmalen Streifen auf meine Schultern gestochen worden war, und nun kann ich auch Newts Unsicherheit vollkommen nachvollziehen. Da steht:

Mitglied von ANGST
Gruppe A, Proband C-1
Die Lügnerin

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