[27] Liebevolle Cranks
Agent Bunthaar, Sie haben versagt. Sie haben ihn nicht retten können.
Sie sind disqualifiziert.
Ich hasse mich.
Ich hasse mich dafür, dass ich es nicht verhindern konnte, nicht schon viel früher den Lauf der Geschichte umgedreht habe. ANGST hat alles kaputt gemacht, das ganze Vertrauen, was ich mir mühsam erschuftet habe. Dies alles wurde mit einer kleinen Aufführung dahingerafft, für die ich rein gar nichts kann.
Eine einzelne, saure Träne rollt mir über die schmutzige Wange und ich ziehe geräuschvoll die Nase hoch. Ich bin so eine Niete, wirklich. Am liebsten würde ich mich gerade vor sie Cranks werfen, die nicht ansatzweise Notiz von mir nehmen, mich einfach in irgendeiner Weise bestrafen für das, was ich verbrochen habe. Und die blutige Wunde an Newts Schulter und sein leise Schmerzgewimmer macht es nicht besser. Viel eher zieht es meine Laune in unterirdische Gewässer, ersäuft sie in Selbstmitleid und...
Moment mal.
Newt gibt Töne von sich! Heilige Scheiße!
Wie ein gehetztes Huhn flattere ich zu dem blonden Jungen hinüber, der nun sehr offensichtlich nach Luft schnappt, sich in unregelmäßigen Abständen kaum merklich aufbäumt und dabei den Mund leicht öffnet, ehe er wie ein erbrechender Rabe aufkrächzt und danach wieder in sich zusammenfällt.
"Newt? Newt, scheiße, du lebst noch!"
Ich habe erwartet, dass es eine heikle Angelegenheit ist, auch ein im Sterben liegender Newt wäre mir realistisch vorgekommen. Nicht erwünschenswert, aber durchaus zu erwarten.
Statt aber in göttlicher Ohnmacht abzukratzen, öffnet er sogar die Augen und sieht mich mit trüben Blick an. Nichts als Schmerz liegt darin, kein Wahnsinn, kein Hass, keine Abscheu. Der schönste Moment in den letzten Tagen, auch wenn es etwas absurd klingt.
"Was du nicht sagst",
röchelt er mir entgegen und tastet schwach mit einer Hand nach der Wunde. Reflexartig greife ich nach seinem Gelenk und halte ihn somit auf, sich noch direkt aufs rohe Fleisch zu greifen.
"Warte Newt. Vielleicht ist es gar nicht so schlimm. Ich flicke dich schon iegendwie zusammen, immerhin ist meine Mutter Tierärztin. Mir liegt das im Blut, klar? Ich kann Wunden nähen."
Dass ich mich einmal beinahe angekotzt hätte, als ich einen herausoperierten Tumor gesehen hatte, erwähne ich bewusst nicht. Nicht, dass Newt noch Komplexe bekommt.
Versuchshalber sehe ich mich nach irgendetwas um, was man eventuell als Trage oder dergleichen benutzen könnte. Hier liegen kann ich ihn bestimmt nicht lassen.
Als einzige Alternative fällt mir eine Plastikplane auf, auf der ich Newt theoretische einige Meter nachzerren könnte, doch wie weit ich damit praktisch komme, ist eine andere Frage. Zudem scheint sich der Balg an kämpfenden Cranks langsam aufzulösen, früher oder später wird der verletzte Artgenosse ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen; und dann gute Nacht.
Nichtsdestotrotz gebe ich der Plane eine Chance und angel sie mir hastig von dem Berg aus Müll herunter, der hier überall verstreut liegt. Sorgfältig breite ich die dunkelgraue Plastikfläche neben dem Patienten aus, worauf ich einen verstörten Blick zugeworfen bekomm. Jedoch hält Newt diesen nicht lange, da übermahnen ihn auch schon wieder die Schmerzen und er sackt wieder in sich zusammen.
Shit shit shit. Okay. Gut. Alles gut.
Nun muss ich den Knochensack nur mehr auf die Plane bekommen, ohne ihm allzu viele Schmerzen zuzufügen. Dies stellt sich schwieriger heraus aus gedacht, denn bei jedem nochso kleinen Ruck stöhnt Newt dermaßen gepeinig auf, dass ich es einfach nicht schaffe, ihn kurz und schmerzvoll hinüber zu hieven. Ich bin bereits am Rande der Verzweiflung, da legt sich plötzlich eine Hand auf meine Schulter und ich kreische erschrocken auf.
Ich schreie sehr selten, doch gerade in dieser Situation stehe unter so enormen Stress, dass es sogar meine verrosteten Stimmbänder zum Schwingen bringt.
Die Hand gehört einem Mann, um die Mitte 40. Er ist ebenfalls vom Virus zerfressen, das Haar ist wirr und teilweise ausgerissen, die Kleider zerfetzt, doch der Blick ist klar und ohne jegliche Blutrünstigkeit.
"So kommst du nicht weit, Kleine. Lass mich dir helfen."
Der Crank bückt sich nach Newt, ohne eine Antwort abzuwarten, und ich mache instinktiv einen Schritt nach vor, um ihn den Weg abzuschneiden. So verzweifelt, dass ich einem wildfremden und verseuchten Kerl meinen Freund anvertraue, bin ich nun auch nicht.
Der Crank seufzt und richtet die grauen, von Falten umrahmten Augen auf mich.
"Ich mag zwar schrecklich aussehen, doch ich bin noch bei Verstand, Kleine. Bis auf kurze Aggressionsausbrüche hier und da, bin ich noch vollkommen bei Verstand. Wenn du keine Hilfe willst, wird dein Freund hier bald zu Futter werden."
Die Worte klingen bedacht gewählt und wie der weise Rat eines jahrhunderte alten Meisters. Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als auf seine Hilfe zu vertrauen, also nicke ich und trete neben Newt, der durch den Blutverlust nun doch an der Schwelle der Bewusstlosigkeit schwebt. Die Kugel scheint keine wichtige Arterie getroffen zu haben, ansonsten wäre er längst verblutet, aber ganz traue ich mich noch nicht in Glück zu schwelgen.
"Auf drei. Eins, zwei, drei!"
Schwungvoll, aber vorsichtig hieven wir Newt die paar Zentimetern auf die Plane, die mir noch gefehlt haben, was dieser mit einem leisen Aufstöhnen kommentiert. Ob noch bei Verstand oder schon als Bewusstloser, kann ich nicht genau sagen.
"Und nun?"
frage ich etwas verdattert. Wollte der Crank-Mann mir auf sonst noch helfen, oder wars das?
Doch anscheinend bin ich hier an einen ganz sozialem Kranken geraten, ohne zu zögern packt er die Enden der Plane und wirft mir einen auffordernden Blick zu.
"Nicht weit entfernt haben wir ein Lager, all jene, die noch nicht vollkommen wahnsinnig geworden sind. Vielleicht kann Joshua ihm helfen."
Ich wage gar nicht zu fragen, wer dieser Joshua denn ist, sondern akzeptiere die Hilfsbereitschaft der Alten einfach und greife ebenfalls nach dem Planenende. Es ist erstaunlich leicht, Newt zu tragen, der Virus hat ziemlich an seinen Fettreserven genagt und nur mehr einen Rohbau des ohnehin schon schmächtigen Körpers hinterlassen. Mein Blick huscht immer wieder nervös zu der Rauferei hinüber, welche nun langsam aber sicher ihr Ende findet, immer mehr Cranks drehen sich nach uns um und beäugen uns mit neugierigen Blicken. Doch keiner greift uns an; was mich zwar überrascht, mir aber auch eine große Anspannung nimmt. Den Grund hinterfrage ich gar nicht erst, viel eher laufe ich hastig dem Alten hinterher, welcher zielstrebig durch die Gassen steuert, immer darauf bedacht, Newt nicht allzu sehr herumzuschwenken. Worauf auch immer diese übergroße Nächstenliebe von ihm wachsen mag, ich bin ihm zutiefst dankbar dafür.
Joshua ist der hässlichest Mensch, der mir je untergekommen ist. Nichts in seinem Gesicht passt zueinander, selbst die Nase scheint mir unsymmetrisch und schief bis zum gehtnichtmehr. Winzige Schweinsäuglein mustern den keuchenden und ächtzenden Jungen vor sich, Newts halbes Shirt ist bereit blutdurchtränkt und klebt eng an seinem dürren Körper. Mehrere Male habe ich darüber nachgedacht, meinen Rucksack zu holen, worin sich auch unter anderem diverses Verbandszeug befindet, doch anderer Seits will ich Newt nicht hier alleine lassen. Wer weiß, vielleicht fressen sie ihn während meiner Abwesenheit einfach auf.
"Das sieht übel aus"
gibt Joshua leise von sich, und ich verdrehe ungeduldig die Augen. Na klar sieht es schlimm aus, er wurde ja auch angeschossen! Für das, dass Ronald - der Alte - mir erzählt hat, Joshua wäre einmal ein angesehener Arzt gewesen, arbeitet dieser nervenzerreibend langsam und stellt Diagnosen, die ich auch mit verbundenen Augen hätte aufstellen können.
"Das muss genäht werden. Bringt mir meine Sachen."
Sofort eilt ein kleiner Junge, nicht älter als 11, 12 Jahre, mit einem Koffer heran und legt ihn fast ehrfürchtig vor dem Arzt nieder. Dieser kniet sich nun neben dem bereits bewusstlosen Jungen, zückt eine lange, haushaltstypische Schere und zerschneidet das vollgesogene Hemd um die Wunde herum. Als er merkt, dass es wohl keinen Sinn hat, Rücksicht auf das bereits zerstörte Kleidungsstück zu nehmen, schneidet er es einfach in der Länge nach durch und zieht Newt somit komplett aus. Der Reiz, einen gutaussehenden Typen oberkörperfrei zu sehen, wird von Newts abgemagerten Rippen, welche widerlich deutlich hervorstechen, auf grausame Art und Weise getötet. Er ist ein jämmerlicher Anblick, der mich nach Fassung ringen lässt. Kaum zu glauben, dass vor nicht allzu langer Zeit noch alles okay war. Den unbeschwerten, einfühlsamen Newt erkenne ich in dieser knochigen Vogelscheuche nur schwer wieder.
"Haltet ihn fest. Auch wenn er bewusstlos ist, wird er sich bewegen."
Gesagt, getan.
Ich bekomme ein Bein zum niederdrücken, drei andere Personen nageln die restlichen Gliedmaßen an den Boden. Was dann die nächsten 15 Minuten folgt, hätte ich mir bei aller Liebe sparen können.
Newt schreit. Vor Schmerz, vor Wut, keine Ahnung. Mit dem ersten Stich komm er bereits wieder zu Bewusstsein, und danach wehrt er sich, als würde man ihn gerade umbringen wollen, wo doch das Gegenteil der Fall ist. Vielleicht gerade deshalb; er wollte ja sterben.
Joshua braucht unglaublich lange, um die kleine Schusswunde zu nähen, viel zu lange. Mir brennen die Augen bei diesem grausamen Schauspiel, doch ich halte durch, mit dem Gedanken an Newts Rettung. Ich muss ihn einfach durchbringen, koste es,was es wolle. Er hat es mehr als alle anderen verdient.
Noch Stunden nach der OP steckt das Trauma mir in den Knochen. Stumm sitze ich neben dem reglosen Newt, der nun wieder das Bewusstsein verloren hat und kurzatmig neben mir friedlich vor sich hin schnauft. Meine Haut hat wieder begonnen zu brennen, sodass mir Salben und ein Eisbeutel angeboten wurde. Ich wollte auf keinen Fall aufdringlich werden, denn die Gutherzigkeit dieser zum Tode verdammten Menschen sprengt bereits alle Maßen, doch von den Eisbeutel habe ich mir so viele es ging abgeschnorrt. Drei Stück insgesamt.
Aber nicht für meine Haut, die sich anfühlt, als würden stetig heiße Flammenzungen an ihr entlang lecken. Unbemerkt habe ich sie unter Newts Kopf geschummelt, um keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Auch wenn es keine Ice-Bucked-Challenge ist, so halte ich trotzdem noch immer an der Hoffnung fest, mit genügend Kälte Den Brand einfach einfrieren zu können. Diese Option ist meine einzige Hoffnung, Newt zu retten. Ansonsten ist es hoffnungslos.
Der Anblick des schlafenden Newts erweckt beinahe den Anschein, das Virus hätte ihn noch gar nicht in den Wahnsinn getrieben. Er wirkt so harmlos, so schmerzhaft normal, wenn man von seinem verunstalteten Äußeren absieht. Ein fetter Verband prangt um seine Schulter, sodass er wahrscheinlich kaum den Arm wird anheben können, doch lieber das, als dass er mir nach all den Qualen einfach verblutet. Es wäre unendlich schade, wenn Newt jetzt wegen einer Nebensächlichkeit den Geist aufgeben würde.
Ein widerliches Knacken lässt meinen Blick hochschnellen, doch die kleine Gasse liegt völlig friedlich im kalten Mondschein vor mir. Warum diese Leute keines der leerstehenden Häuser beziehen, ist mir ein Rätsel, doch zu sehr wollte ich mich nicht aufregen. Immerhin bin ich ihnen mehr als nur einen Gefallen schuldig.
Ich bin ihnen die Heilung aus ihrer aussichtslosen Situation schuldig,die ich ihnen vielleicht sogar geben könnte...
Eine einzelne Wache hockt gekrümmt an der äußersten Ecke der kleinen Sackgasse, einen zerbeulten Granatwerfer im Schoß, den Kopf weit zur Seite gelehnt. Ich bekomme alleine Nackenschmerzen beim bloßen Anblick, doch es soll jeder machen, wie er will. Allerdings beunruhigt mich die seltsam eingesunkene Sitzposition doch ein wenig; vielleicht war er eingeschlafen? Kann ja mal passieren? Soll ich nachsehen? Stumm trage ich einen Kampf in mir aus, ob ich den Wächter stören soll oder nicht, doch die Unruhe übermahnt letztendlich meine Hemmungen und ich rappel mich vorsichtig hoch. Darauf bedacht, niemanden zu wecken, schleiche ich auf die Gestalt zu, deren Silhouette ich im schwachen Gegenlicht nur erahnen kann. Als ich neben ihr zum Stehen komme, braucht mein Gehirn einen kurzem Moment, um die Lage zu verarbeiten.
Der Kopf liegt unnatürlich tief im Nacken, aus dem Mundwinkel rinnt eine dünne Blutspur bis unters Kinn, wo es in winzigen Tröpfchen auf das zerrissene Holzfällerhemd fällt. Die Augen sind weit aufgerissen, doch starr und merkwürdig hohl.
Die Person ist tot. Eindeutig. Aber wer hat sie umgebracht? Wann? Womit?
Die Frage bleibt nicht lange unbeantwortet, da saust auch schon eine faustgroßer Stein nur wenige Zentimeter an meinem Kopf vorbei, prallt laut scheppernd von der Wand ab und landet auf der Brust einer schlafenden Frau, die sogleich schreiend hochfährt.
Irgendwas - oder jemand - ist da draußen auf der Straße.
Und es greift uns gerade an.
#123 in der Kategorie FanFiction! Danke dafür <3 ich versuche jetzt öfter zu updaten, bin gerade wieder im MazeRunner-Rush, vielleicht kommen wir zusammen ja noch höher :D
Keine Ahnung von was das abhängig ist, aber irgendwie kämpfen wir uns schon noch in die Top 100!
El Ge Kukitu
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