23. Aufbruch
Minho steht keine 3 Meter von uns entfernt und sieht alles andere als fröhlich aus.
◇◆◇◆◇◆◇◆
Bis zum Abend wusste jeder - und mit jeder meine ich wirklich jeder einzelne - dass Newt und ich uns geküsst haben. Einige gratulierten dem Blonden überschwänglich zu diesem "tollen Fang", andere blickten ihn nur düster an, wiederum andere beklagten sich lauthals, warum er das denn dürfe und sie selbst nicht. Ein Lichter hat mich sogar gefragt, was denn nun der Unterschied zwischen Toby und Newt sei, worauf ich ihm - so dumm wie ich bin - gesagt habe, Newt hätte gefragt und Toby nicht. Und was hat der Schwachmat dann darauf geantwortet?
"Darf ich auch mal, wenn ich frage?"
Aber als ich ihn dann angefaucht habe, schien er ehrlich verwirrt, weshalb ich ihm die ganze Sache noch mal in Ruhe erklärt habe.
Jedenfalls sieht mich die Hälfe der Jungs nun als vergeben, ein Bruchteil als Bitch und der Rest als aufmerksamgeile Tusse, die sich an den zweiten Anführer ranschmeisst um die Kontrolle über die Lichtung zu erlangen. Gegen die Flucht hat sich aber bisher noch niemand entschieden.
Nervös gehe ich auf und ab und denke über meine neu hinzugekommenen Probleme nach.
Problem 1:
Ich habe Newt geküsst. Wie bekomme ich jetzt diesen Schwer-zu-haben-Status wieder her?
Problem 2:
Minho.
Was geht mit dem Strunk eigentlich ab? Nachdem er uns "erwischt" hat, hat er sich nicht mehr blicken lassen. Ich habe sogar die Anderen gefragt, doch alle meinten, er sei wie vom Erdboden verschluckt. Das bereitet mir geringfügig Sorgen, zugegeben, aber Minho ist nicht dumm. Er wird nicht als einziger hier auf der Lichtung bleiben, während alle anderen um ihr Leben kämpfen.
Clint steht ziemlich verlassen neben mir und sieht mir mit hilfloser Miene zu, wie ich einen Graben in den Boden renne.
"Jetzt beruhig dich doch einmal!"
versucht er schon zum x-ten Mal mich runterzubringen, doch wie schon davor schüttel ich nur stumm den Kopf und folge weiter meinen eigenen Fußspuren.
Clint macht einen Schritt auf mich zu und packt mich an den Schultern, sodass ich gezwungen bin stehen zu bleiben und ihn anzusehen. Seine unschuldigen Welpenaugen blinzeln mich beruhigend an.
"Vielleicht hilft es, wenn du über deine Gefühle redest."
Fauchend reisse ich mich los und verschräke bockig die Arme vor der Brust.
"Welche Gefühle? Ich bin nicht verliebt. Warum sagt das jeder?"
motze ich ihn an und starre stur auf den Boden. Der Sani seuftzt.
"Ist klar."
gibt er sarkastisch von sich und lässt sich an einem Hüttenpfal zu Boden gleiten. Auf seine Aufforderung hin tue ich es ihm widerwillig gleich, ziehe die Beine an und bette mein Kinn auf die Knie. Wir schweigen eine Weile, dann seuftzt Clint wieder tief.
"Nun sag schon, was du denkst. Ich werde es niemandem verraten. Ich schwöre."
Ungläubig sehe ich ihn an. Was checkt dieser Strunk eigentlich an Ich bin nicht verliebt nicht? Aber er redet von "was ich denke", nicht "was ich fühle". Da kann ich ihm ja einiges auftischen. Also beginne ich zu sprechen.
"Also, ich mag Minho, ja. Er ist mein Lieblingscharakter im Buch. Und da bin ich natürlich enttäucht wenn er sich so gegen mich stellt, vor allem, weil ich dachte er vertraut mir..."
Gedankenverloren zeichne ich mit den Fingerspitzen Kreise in den Erdboden.
"Aber naja. Kann man nichts machen. Aber zurücklassen werde ich ihn auf keinen Fall, so viel steht fest."
Einen Moment lang sagt Clint nichts, dann nuschelt er leise:
"Wie sehr magst du Minho?"
Ich hebe den Kopf und sehe ihn stumm an. Er erwidet den Blick mit ruhiger, gelassener Miene, weder Spott noch Schalk glitzert in den Augen. Ich kann ihn soweit vertrauen, das weiß ich.
"Ich weiß es nicht"
sage ich wahrheitsgemäß und lasse meine Augen über die Lichtung schweifen, auf der Suche nach einem asiatischem schwarzen Wuschelkopf. Stattdessen sehe ich nur aufgeregte Jungs, die ständig wie die Hühner auf und ab rennnen und notdürftig ein paar Hiebe mit dem Messer einüben.
Bald wird es soweit sein, die Lichter werden aufbrechen und durchs Griewerloch flüchten. Und ich werde versuchen so viele wie möglich durchzubringen. Ich platze schier vor Vorfreude... yey... Sarkasmus...
"Hm"
macht Clint und streicht sich übers Kinn.
"Okay. Aber wenn du mehr weißt, kommst du zu mir, ja? Ich kann dich sehr gut verstehen."
Kurz lasse ich seine Worte auf mich wirken, dann blicke ich verwirrt zu ihm hinüber.
"Was? Wie sollst du mich verstehen können? Du bist ein Junge..."
Auf einmal wird der Sani knallrot im Gesicht, wendet schnell er sein Gesicht ab und kratzt sich unruhig am Nacken.
"Äh, naja, eben. Ich verstehe die Männerwelt halt besser..."
stottert er herum und verhaspelt sich dabei mehrere Male.
Perplex sehe ich ihn an.
Moooment mal...
"Clint?"
Er schluckt hörbar und sieht scheu zu mir hinüber.
"Kann es sein, dass du schwul bist?"
Die rote Farbe verblasst, nimmt dafür einen weißlichen Ton an.
"Ähm äh..."
stammelt er herum, fährt sich immer wieder durchs Haar und kaut an seiner Wange herum. Spontan muss ich lachen, halte mir aber sofort den Mund zu als ich den beschämten Ausdruck in seinem Gesicht sehe. Ich rücke näher zu ihm, schlinge meine Arme um seinen Oberkörper und drücke ihn an mich.
"Du Strunk! Das ist doch überhaupt nicht schlimm. Was stotterst du denn da so rum?"
grinse ich und lasse ihn nach einigen Sekunden wieder los. Clint sieht mich mit großen Augen an.
"Wirklich?"
"Ja sicher."
Er atmet hörbar aus und lässt sich nach hinten gegen den Pfahl fallen.
"O...okay. Aber sags niemanden, ja? Bitte."
Er sieht mich flehend an und ich nicke ernst.
"Geht klar."
Dafür bekomme ich ein dankbares, warmherziges Lächeln, was ihn bei meiner Sympathieskala gleich ganz weit nach oben schießen lässt. Welches Mädchen hätte nicht gerne einen schwulen Freund, mit dem sie über Jungs quatschen kann?
Der Zeitpunkt kommt, an dem sich alle vor dem Tor versammeln. Fast jeder trägt verschiedene Waffen, selbstgemachte Speere und Lanzen, Messer so lange wie mein Unterarm, kleine Dolche und Spitzhacken bei sich. Newt wollte mir eine seiner Mancheten geben, doch ich habe dankend abgelehnt. Ich habe nicht vor mich ins Kampfgetümmel zu stürtzen; ich werde die Codewörter eingeben, wie Thomas und Teresa im Buch. Trotz dieser einigermaßen sicheren Aufgabe steht mir die Angst wahrscheinlich ins Gesicht geschrieben, Thomas, Newt und sogar Jeff klopfen mir immer wieder auf die Schulter und schenken mir aufmunternde Worte, die leider gänzlich an mir abprallen und in meiner aufsteigenden Panik verrauchen.
Auf einen Pfiff hin wird alle Aufmerksamkeit auf den zweiten Anführer gelenkt, der an der Spitze der Truppe steht und nun das Wort ergreift.
"Na dann mal los. Ihr kennt die Spielregeln, den Weg zeigen wir euch.
Und nicht vergessen, macht Alina und Thomas den Weg frei zum Griewerloch!"
ruft er über die murmelnde Menge hinweg und setzt sich hinkend in Bewegung. Die ganze Masse an Lichtern kommt ebenfalls ins Rollen, Körper stoßen sich hin und her und rempeln sich den Weg frei, bis jeder seinen Platz gefunden hat. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie jemand mir zuwinkt, und drehe den Kopf.
Chuck deutet "unauffällig" - man beachte die Gänsefüßchen - nach hinten, wo ein ziemlich angespannt aussehender Minho angejoggt kommt. Ich deute dem Jungen, dass ich den Asiaten gesehen habe, und wende mich wieder nach vorne.
Auch wenn ich es schwer zugeben will, fällt mir doch ein riesiger Stein vom Herzen, dass der Läufer sich von alleine umentschieden hat, doch an der Flucht teilzunehmen. Dass er mitkommt, und ein winziges Körnchen Hoffnung flackert in meiner Brust auf, dass er seinen Fehler einsehen und sich entschuldigen wird.
Wir laufen eine Weile durch das Labyrinth, immer hinter Thomas und Newt her, bis sie schließlich vor einer Abzweigung anhalten. Ich bin etwas aus der Puste, rund um mich keuchen die Lichter ebenfalls, aber keiner jammert oder bittet um eine Pause. Die Anspannung, aber auch die Entschlossenheit und der Wille, endlich hier rauszukommen, liegt wie Rauch in der Luft und fast meine ich diese Gefühle greifen zu können.
Der zweite Anführer hebt mahnend die Hand, obwohl es ohnehin totenstill ist unter der Menge, und späht in den Gang hinein. Ich dräge mich an schwitzenden Jungskörper vorbei nach vorne und sehe ihn fragend an. Newt deutet um die Ecke.
"Da stehen die ersten Griewer"
wispert er ängstlich und ich nicke. Meine Augen schweifen besorgt zu Alby, der mit ausdruckslosem Gesicht vor sich hin starrt und keine Gedankenregungen zeigt.
"Wir müssen an ihnen vorbei. Alle auf einmal. Okay?"
flüstere ich heiser, mein Blick verweilt weiterhin beim Anführer. Der rührt sich immer noch nicht. Okay, anscheinend hat Alby nicht vor, sich in den Tod zu stürtzen...
Kaum habe ich zu Ende gedacht, geht ein Ruck durch den eingesunkenen Körper und er macht einen Hechtsprung nach vorne.
"Ich lenke sie ab!"
brüllt er, und sprintet geradewegs auf dir Griewer zu und wachelt dabei wild mir den Armen herum. Newt neben mir schnappt entsetzt nach Luft und will schon etwas nachschreien, aber ich bin schneller; mit wenigen Schritten habe ich den immer noch etwas kränklichen, wankenden Anführer eingeholt und stelle ihm das Bein. Alby fällt im vollen Tempo auf die Nase, schlittert einige Meter über den Stein und bleibt dann hustend liegen.
"Neppdepp!"
fauche ich und will ihn an der Schulter packen, da ertönt der erste Griewerschrei. Verdammt, die Viecher sind ja auch noch da!
Die Angst packt mich aufs Neue, als ich an die Nacht im Labyrinth zurückdenke, da stößt mich jemand und ich stolpere einige Schritte rückwärts. Zeitgleich schnellt ein Greifarm knapp an meinem Gesicht vorbei, schnappt aber in Leere und zieht sich genauso flink wieder zurück.
Mir bleibt keine Zeit mich bei meinem Retter zu bedanken, da werde ich auch schon den Gang entlang gezerrt, weg von der Klippe, weg von den Griewern. Als ich aufsehe blicke ich direkt in Thomas panisch geweitete Augen.
"Sag mir die Codewörter. Bitte!"
schreit er über den aufgekommenen Kampflärm hinweg.
"Treiben
Fangen
Bluten
Sterben
Fallen!
Und dann auf einen Knopf drücken!"
gebe ich in der gleichen Lautstärke zurück. Er nickt als Zeichen, dass er mich verstanden hat und blickt zum Kriegsschauplatz hinüber. Der Gang ist erfüllt mit Kampfgebrüll von Mensch und Monster, die ersten Schmerzensschreie hallen zu mir herüber.
"Beeilen wir uns!"
versuche ich Thomas zu sagen, aber meine Worte werden von einem lautes Knirschen verschluckt, als zwei Griewer aufeinanderprallen, die sich gleichzeitig auf einen Jungen stürtzen wollen. Ich schlucke schwer bei diesem Anblick.
Auch ohne meine Worte sprintet der Läufer los, ich renne ihm reflexartig hinterher und tauche ein ins Kampfgetümmel.
Schon beinahe elegant taucht er unter den Hieben der Griewer hindurch und lässt sich dann und wann auch einmal über den Boden gleiten, wie in einem dramatischen Actionfilm. Ich dagegen werde zwei Mal fast gepackt - zum Glück haben sich irgendwelche Lichter in den Weg geworfen und mit ihren Waffen auf die Ungetümer eingeschlagen - und einmal sogar von einem Bein geschreift. Doch jetzt kommt der Hammer: Ich wurde nicht verletzt.
Die Klinge hat den Stoff meines Shirts angeritzt, ich habe den Druck des Messers deutlich an meinem Arm gespührt... aber ich wurde nicht verletzt. Als hätte der Griewer absichtlich haarscharf an mit vorbeigezielt, um mich zu verschonen.
Ehe ich mir mehr Gedanken darüber machen kann, ertönt hinter mir ein angstvoller Schrei. Nicht dass hier nicht alle Brüllen würden wie am Spieß, aber diese Stimme... kenne ich. Ruckartig bleibe ich stehen und wirbel am Stand herum. Ein Griewer bäumt sich gerade vor einer kleinen Gestalt auf, den Stachel ausgefahren, bereit, zuzustoßen. Mein Autopilot übernimmt wie auf Knopfdruck jegliche Kontrolle über meinen Körper und mit einem Laut, der sowohl ängstlich, wütend, als auch verzweifelt sein könnte, laufe ich auf die am Boden kauernde Person zu. Diese hat anscheinend schon mit ihrem Leben abgeschlossen und hält das Gesicht wimmernd in den Armbeugen vergraben.
Die Arme weit von mir gestreckt, werfe ich mich vor Chuck, als just in diesem Moment der Greifarm hinabgeschossen kommt.
Hallo.
Meine Laune ist irgendwie gerade auf 0.
Der scheiß Friseur... ach egal ich verschone euch mit meinem Gejammer, jedenfalls habe ich mir meine Haare heute doch nicht gefärbt und zweifel gerade echt an dieser Grüne-Haare-Idee. Wurst.
Tschuss.
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