[21] Wer sagt das?

Inzwischen bin ich mir sicher, dass mein Schutzengel, der eigentlich als unsichtbarer Schatten stetig meine Wenigkeit zu hüten hätte, in Wirklichkeit ein heimlicher Säufer ist, welcher nur ab und an aus seinem Alkohol-Koma erwacht und dann im Rausch den abgeknickten Zauberstab schwingt. Vor allem in letzter Zeit ist der Kontrast zwischen Katastrophe und Glück ziemlich extrem, wo ich doch vor knapp einer Stunde noch dachte, ich wäre irgendwo zwischen ANGST-Soldaten und verrückten Wissenschaftlern eingekerkert. Nun sitze ich mit einem Haufen stinkender Männer an einem Tisch, weil kein anderer Platz mehr frei war, und löffle schweigend die dunkelgrüne Brühe, die mir eine pummelige Dame mit Schürze und Haarnetz über eine provisorisch errichtete Theke gereicht hat. Durch die knappen, mit starkem Dialekt versehenen Dialoge zwischen den alten Bären komme ich zu den Schlussfolgerungen, dass sich diese Basis wohl am Stadtrand von Denver befinden muss, ungefähr 1 Stunde Fußmarsch vom Berklandeplatz entfernt. Bestimmt waren Thomas und Co schon längst angekommen, gerade deshalb werde ich mit jeder Sekunde, die verstreicht, nervöser. Zwar dürfte rein theoretisch nichts passieren, doch der Vorstellung, keine Konrolle mehr über die Geschehnisse zu haben, folgt das nagende Gefühl von Hilflosigkeit, welches ich so schnell wie möglich wieder loswerden will. Ich komme mir schon vor wie ein ruheloser Tiger, der stetig in seinem Zwinger auf und abläuft, eingesperrt zwischen den Mauern des Schicksals.

"Was quält Sie, junge Dame?"
Überrascht schrecke ich aus meinen Gedanken auf und blicke in das bärtiges Gesicht eines älteren Mannes, der direkt Gegenüber von mir hockt. Klappernd fällt mein Löffel in die leere Schüssel und ein leiser Seufzer entfährt mir. Dabei versuche ich, eine möglichst leidige Miene zu ziehen; denn der Blick des Alten hatte etwas so furchtbsr großväterliches, dass die Vermutung nahe liegt, ich könnte hier Hilfe schnorren.
"Ich muss irgendwie meine Freunde wiederfinden. Die laufen wahrscheinlich im Zentrum herum, wissen nicht einmal, dass ich hier bin... ach..."
Hätte Minho diese Ansage gehört, hätte er mich ausgelacht, was für eine mega Heulsuse ich doch wäre. Doch die weinerliche Stimme erfüllte ihren Zweck: Die Brust meines Gegenübers schwillt aufs doppelte an, als er übertrieben munter auflacht und mir beruhigend auf die Schulter klopft, wobei mein Kopf fast in die Suppenschüssel geschleudert worden wäre.
"Das ist das Problem? Ach was, in 10 Minuten fahre ich in die Innenstadt, da kann ich Sie natürlich mitnehmen! Wäre das eine Option?"
Sofort hellt sich meine Stimmung auf und ich nicke heftig, bis mir das Genick schmerzt.
"Ich wäre unendlich dankbar!"

Viel eher war ich unendlich dankbar, als ich endlich aus dem Schrottkarren steigen durfte, in dem ich von A nach B taxiert wurde. Der beissende Gestank von abgestandenen Zigarren raubte mir während der Fahrt fast den Atem, und ich brauchte alle meine Körperbeherrschung, um nicht ununterbrochen zu husten. Der Alte, der sich als Carter vorstellte, winkt mir noch freundlich hinterher, als er davonbraust, und ich winke halbherzig zurück. Sobald er hinter der nächsten Ecke verschwunden ist, mache ich auf dem Absatz kehrt und eile wie ein gehetztes Huhn Richtung der Einkaufsstraße, die mir Carter beschrieben hat. Wenn mein betrunkener Schutzengel vielleicht dazwischen einmal ein Tönchen von sich geben sollte, liegen meine Chancen relativ gut, dass ich den Lichtern zufällig über den Weg laufe.
Die Straße ist schnell gefunden, Massen an Menschen bahnen sich ihren Weg zwischen den hohen Gebäuden hindurch in die verschiedenen Geschäfte. Keiner der Namen kommt mir auch nur im Entferntesten bekannt vor, nicht einmal McDonalds oder Starbucks hat die Sonnenkatastropfe überlebt. Da ich so und so kein Geld bei mir trage, streune ich dann eben ziellos durch den Tumult, im Bauch nichts als eine herbe Suppe, die sich viel zu schnell abbaut. Eine große Uhr über einem Kleidergeschäft bietet mir etwas Zeitorientierung. Jedes Mal, wenn ich abermals eine erfolglose Runde gedreht hatte, muss ich erschrocken feststellen, dass der kleine Zeiger bereits auf die nächste Zahl übergesprungen war, trotzdem vergehen die Stunden quälend langsam wie zäh fließer Schleim. Mein Magen wird lauter, mein Hirn müder und meine Beine streiken ebenfalls schon bald, da ertönt nach ganzen 4 Stunden endlich mein Startschuss: Hektische Menschenschreie, Rufe und Warnungen.
"In dem Café da hinten ist ein Infizierter!"
Mein müder Blick wird von der einen Sekunde auf die andere wieder haarscharf, und es vergehen kaum Minuten, da sichte ich auch schon einen bekannten dunklen Haarschopf weit weg in der wuselnden Menge.
Mit neuer Energie springe ich von der Parkbank auf, wo ich mich niedergesetzt hatte, forme die Hande vor meinem Mund zu einem Trichter und brülle, so laut es mir meine trockene Kehle erlaubt:
"Minho!"
Keine Reaktion.
"MINHO!!"
Ich erkenne nun sein Gesicht, doch er sieht sich nicht einmal um.
"MINHOOOO!!!"
Brenda taucht neben ihm auf, gefolgt von Jorge. Doch keiner bemerkt mich.
"MINHO, DU VERDAMMTER STRUNK!"
Bei Strunk dürfte er sich dann doch angesprochen fühlen, verwirrt sieht er sich um, kann aber den Lärmmacher nicht entdecken. Mit wedelnden Armen versuche ich, gegen den flüchtenden Strom anzukämpfen, bis ich es schließlich schaffe, wenigstens Brendas Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Diese beugt sich zu Minho hinüber, flüstert ihm etwas ins Ohr; und kurze Zeit ändern sie ihre Gehrichtung, weg von mir.
Deren Ernst?
Deren aller Ernst?
Nun noch verbissener als zuvor ramme ich mein Umfeld brutal mit Ellbogeneinsatz beseite, doch das thomaslose Trio entfernt sich zu meinem Missgunsten immer weiter.
"BLEIBT STEHEN!"
Natürlich tun sie das nicht.
"LEUTE!"
Sie drehen sich nicht mal um.
"SIE WOLLEN THOMAS AN DEN KRAGEN!"
Jetzt habe ich doch ihre Aufmerksamkeit. Zum ersten Mal dreht sich der Asiate zu mir um und sieht mich an. Seine Miene ist kalt und undurchsichtig, wie glatt polierter Stein, und genauso perfekt.
Keine Zeit für Liebesgesulze, Alina. Mach mal Hinne!
Ich kämpfe weiter wie ein Samuraininja - ja, ich kann beides sein, ok? - bis ich es schließlich wirklich schaffe, zu ihnen zu gelangen. Zuerst bekomme ich keinen Ton heraus, so außer Atem bin ich,
dann presse ich mühsam hervor:
"Janson... Kopfgeldjäger... dritte Straße... irgendwo da hinten..."
Ich zeige in die Richtung, in die die Drei vorher unterwegs waren, wobei ich mir keinesfalls sicher bin, ob ich nicht komplett falsch liege. Der Polizeihubschrauber ist mir noch in Erinnerung geblieben, doch genaue Wegbeschreibungen habe ich mir damals nicht eingeprägt. So ein enormer MazeRunner Freak war ich dann doch nicht.

Ohne mich eines Blickes zu würdigen, läuft das Trio schnurstracks an mir vorbei, plötzlich ganz in Eile. Ich seufze genervt, dann mache ich kehrt und folge ihnen die Straße hinunter, in eine Seitengasse. Es ist nicht verwunderlich, dass ich dabei abermals zurückfalle; was sich sogleich aber als Vorteil zeigt, denn somit bin ich die einzige, die aus dem Augenwinkel bemerken kann, wie zwei Gestalten eine Gasse weiter um die Ecke huschen. Eine davon hat dem Vordermann definitiv eine Waffe an den Rücken gehalten; wer könnte das also bloß gewesen sein? Da die Anderen zu weit weg sind, und ich ihnen nicht auffällig hinterher schreien will, schleiche ich alleine Thomas und seinem Entführer nach. Als ich nach der dritten Straße, wo bereits keine Menschenseele sich mehr herverirrt, endlich das weiße Auto entdecke, in das Thomas gerade ziemlich verkrampfte hineinklettert.
Ich warte einige Augenblicke - den Blick abgewandt, wohl wissend, was nun passieren wird - bis der Kugelhagel fällt, die Schreie des Mannes verebben und Jansons Stimme aus dem Flugteil ertönt. Mit halbem Ohr höre ich dem Dialog zu, viel eher sehe ich mich nach einer Waffe um, um das Gerät ausschalten zu können. Eine abgebrochene Eisenstange, die in einen halboffenen Müllcontainer geschmissen wurde, erweist sich hierfür als Glanzstück. Zwar liegt sie mir zu schwer in der Hand, doch wenn ich richtig aushole und gut ziele, könnte ich das Ding ausschalten. Nicht, dass meine Chancen hoch liegen, zu treffen, aber...
"Es geht um deinen Freund Newt. Er steckt in großen Schwierigkeiten",
ertönt Jansons Geschnatter, und eine gesunde Portion Wut kocht in mir hoch. Nicht diesen Blödsinn, das will ich nicht hören. Bevor ich das Eisbad nicht an ihm ausprobiert habe, gebe ich ihn nicht auf. Appropo, der Strunk sitzt ja auch noch im Berk...
Ein metallisches Krachen, Eisen auf Eisen, lässt mir die Haare zu Berge stehen, obwohl ich es selbat verursache. Der Flieger kommt ins taumeln, die seitlich montierten Waffen drehen sich in meine Richtung und mir wird dezent schlecht. Achja, das Ding ist bewaffnet. Hatte ich vergessen.
Ich hole nochmals auf, diesmal aus Panik, und treffe die Verschalung seitlich, sodass sich das ganze Objekt im Kreis dreht und der Bildschirm zu mir herumgewirbelt wird. Jansons hässliche Rattenfresse blickt mir düster entgegen, ich starre nur perplex zurück.
"Keine Gehirnwäche hier!"
japse ich, mehr überfordert als selbstsicher. Jansons Augenbrauen schießen in die Höhe.
"Gehirnwäsche? Ich bitte dich, Alina. Ich gebe ihm Ratschläge."
Verkrampft umklammere ich die Stange, mein Blick ist ganz auf den Bildschirm fokusiert. Thomas blende ich komplett aus.

"Ihre Ratschläge sind genau so ernst zu nehmen, wie ich bei ihrer verdammten Organisation arbeite!"
Meine Stimme klingt gefasst, obwohl ich im inneren halb austicke. Ratschläge... pfff.
Jansons Mund öffnet sich, um erneut irgendwelchen Stuss auszuspucken, da hole ich zum dritten Mal aus und lasse die Stange genauauf den Screen heruntersausen. Das Bild wird schwarz, das Glas splittert und irgendetwas knackt im Inneren des Roboters. Scheinbar habe ich ausnahmsweise wirklich etwas getroffen; der Motor verlangsamt sich und das Gefährt landet unsanft suf den Boden.
"Ihr kontrolliert mich nie wieder, ihr kleinen Wixxer!"
entfährt es mir, zeitgleich wie die Eisenstange hart am Boden aufprallt, aus meinen schwitzigen Händen gleitet und davonrollt. Alle Blinklichter und Bewegungsapperate gehen aus und schalten sich ab, nur ein einziger Satz ertönt noch, bevor die Maschine ganz den Geist aufgibt.

"Wer sagt das?"

Woaaah, noch ein fettes Kapitel vor meinem Kroatienurlaub. Werde versuchen dort zu schreiben, kann aber nichts versprechen :D außerdem weiß ich nicht, ob ich überhaupt Internet habe, also... bis irgendwann xD

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