15. Bussi Bussi

Mit dem eigenen Gewand lässt es sich eindeutig leichter leben. Ich muss mir beispielsweise nicht die ganze Zeit die Hose hochziehen oder die Ärmel aufkrempeln oder den Ausschnitt zusammenhalten.
Es ist bereits Abend, bald wird es Abendessen geben und danach kommt Thomas aus dem Bau. Ich will unbedingt einmal mit ihm reden; einfach, was passiert ist, nachdem wir uns getrennt haben. Ich will wissen, ob es auch wirklich so abgelaufen ist wie im Buch.
Minho traue ich mich nicht zu fragen; die Gefahr, dass er irgendeinen dummen Spruch loslässt, ist einfach zu hoch. Und ich bin momentan einfach zu erschöpft für so etwas.

Gerade wird das Essen ausgegeben, aber Bratpfanne hat gemeint, er legt mir etwas zurück, damit ich mich nicht durchschlagen muss. Also sitze ich lieber etwas abseits und betrachte die wuselnde Menge, die gegen Ende hin langsam in eine geordnete Schlange übergeht.
Da tupft mir jemand auf die Schulter.
Ich wende mich um und sehe in das Gesicht eines Unbekannten. Rein von der Statur her ist er wahrscheinlich einer von Gallys Bauleuten, er wirkt massig und muskulös, aber nicht sehr wiff. Er grinst mich dreckig an.
"Hey Süße."
sagt er mit verstellt tiefer Machostimme und lehnt sich übertrieben lässig gegen den nächsten Baum. Stumm starre ich ihn an. Das ist doch wohl ein schlechter Scherz gerade, oder?
"Ich bin Toby"
stellt er sich vor und stößt sich betont cool vom Stamm ab. Was will der? Flirten? Bin nicht in Stimmung. Außerdem ist er hässlich. Sorry.
"Alina, richtig? Heißer Name."
Ich bringe immer noch nichts hervor. Diese Situation ist einfach zu irrwitzig, als das ich sie ernst nehmen kann. Fast schon wie ein dummer Streich, eine billige Verarsche.
"Weißt du, ich fand dich ja schon am Anfang geil, aber heute, als du so erotisch getanzt hast..."
Er wackelt mit den Augenbrauen.
Sein.
Ernst?
Erotisch?
Ich habe verdammt noch mal gebreakt, nicht gestrippt! Was hat dieser notgeile Perversling für Probleme?
"Äh..."
mache ich nur.
Toby lacht, als ob ich humorvoll zurückgeflirtet hätte.
"Du brauchst nicht so sprachlos zu sein. Ich weiß was du denkst."
Achja? Interessant. Warum haust du dann nicht sofort ab? Meine Gedanken sind nämlich gerade echt männerfeindlich. Ich glaube nicht...

Auf einmal packt er mich an der Hüfte - oder genauer gesagt am Arsch - zieht mich zu sich und drückt seine Lippen auf meine.
Und das, Ladies and Gentelman, war mein erster Kuss.
Danke für den grandiosen Beifall.

Das geht dann aber schlussendlich doch zu weit. Oder, wenn man es deutlicher beschreiben will, brennen jegliche Sicherungen bei mir durch, und mein Autopilot tickt total aus.
Ich reisse das Knie hoch und treffe Toby genau zwischen den Beinen.
Er stöhnt auf und lässt mich los, während er sich gleichzeitig vor Schmerz zusammenkrümmt. Ich reisse erneut das Knie hoch, drehe dabei aber das Becken ein und lasse meine Ferse seitlich nach vor schießen. Mit voller Wucht treffe ich seinen Bauch, schupse ihn aber mehr, als dass ich ihn wirklich trete. Toby fliegt nach hinten, stolpert und kippt seitlich um.

Und das, wehrtes Puplikum, war ein gefailter Flirtversuch.

Einige Lichter kommen angerannt, aber helfen müssen sie mir nicht mehr. Stattdessen ändern sie gezwungener Maßen ihre Taktik und halten mich zu dritt fest, als ich mich fauchend auf den sich krümmenden Jungen stürzen will.
Ich meine, er hat mir meinen ersten Kuss versaut! So ein Idiot...
"Was ist denn hier los?"
schallt Newts Stimme zu mir herüber und ich drehe knurrend den Kopf. Er, Alby, Thomas und Minho kommen gerade angerannt und schauen verblüfft zwischen dem Jungen und mir hin und her.
"Niemand"
presse ich krampfhaft hervor,
"Niemand fasst mich ungestraft an."

Das löst einen Dominoeffekt aus.
Minho stürmt auf Toby zu, packt ihn am Kragen und zerrt ihn hoch. Der Junge wimmert leise auf.
"Achja?"
grummelt der Läufer ihn an und schüttelt sein Opfer grob durch.
Alby hat sich neben ihn gestellt und blickt Toby finster an, dass es selbst mir kalt über den Rücken läuft.
Wäre ich jetzt nicht so aufgedreht, wäre ich gerührt, wie sich die Jungs für mich einsetzen.

"Sie ist halt geil."
flüstert Toby schwach, aber ich höre es trotzdem. Wieder zerre ich an den Umklammerungen um meine Arme, aber die Jungen halten mich eisern fest.
"Kommt, lasst mich ihm, und ich zeige ihm, was..."
zische ich wie eine Furie zwischen zusammemgebissenen Zähnen hervor und reisse energisch an den menschlichen Fesseln.
"Hejejej, ganz ruhig."
Newt hebt die Hände, als müsse er mich auf Abstand halten, seine Stimme klingt ruhig und beherrscht wie immer.
"Werft den Strunk in den Bau. Alina, reg dich ab, es ist ja nichts passiert..."
"NICHTS PASSIERT?!"
schreie ich los und zappel wie wild herum.
Langsam bricht Newts eiserne Fassade und sein Blick wird leicht verzweifelt.
"Sollen wir sie auch in den Bau werfen?"
fragt einer der Jungs fast schon ein wenig spöttisch und bekommt dafür meinen Ellbogen in die Rippen gerammt, was leider als eher schwacher Schachzug ausfällt. Ich werfe Newt einen drohenden Blick zu. Wage es nicht...
Der Blonde schüttelt hastig den Kopf, als habe er meine Gedanken gelesen.
"Komm, wir essen einmal was, ganz in Ruhe..."
versucht Thomas mich nun ebenfalls zu beschwichtigen, und ich gebe letztendlich doch nach. Mit dem Killerblick des Jahres funkel ich Toby ein letztes Mal an, dann lasse ich mich zu einem freien Tisch führen und auf die Sitzbank drücken, beidseitig von Thomas und Newt flankiert, dass ich auch wirklich nicht mehr ausbrechen kann. Dabei knurre und brumme ich leise vor mich hin und male mir die brutalsten Racheakte aus, von Prügeleien angefangen bis hin zur narkoselosen Kastration.

"He, der Braten kann aber nichts dafür."
Ich habe garnicht gemerkt, wie mir jemand einen Teller unter die Nase geschoben hat. Anstatt zu essen habe ich in meiner Wut begonnen, das Fleisch zu zermatschen, was nun mehr einer grauen Brühe als Rinderbraten ähnelt.
Seuftzend lasse ich die Stirn gegen die Tischplatte knallen.
"Reg dich ab. Der Strunk wird eine gerechte Strafe bekommen."
meint Newt tröstend und tätschelt mir die Schulter.
Mein Kopf schnellt ruckartig hoch.
"Es soll als Schwapper arbeiten. Statt Chuck. Chuck bekommt dafür frei."
sprudelt es aus mir heraus.
Alle sehen mich schief an. Newt kratzt sich unsicher am Hinterkopf.
"Das müssen wir erst mit den anderen Hütern besprechen..."
"Scheiß auf die anderen!"
Wütend lasse ich meine Faust auf die Tisch knallen, dass die Teller klappern.
"Einen Tag. Nur einen Tag, so richtig die Arscharbeiten. Die Ställen, das Bluthaus. Ein Tag. Danach geht eh alles den Bach runter."
Damit springe ich auf und schleiche mich.

Toby springt wirklich für Chuck ein am nächsten Tag. Der kleine Junge ist natürlich überglücklich und haltet doppelt so eifrig vor dem Badezimmer Wache wie sonst. Süßer kleiner Hobbit, muss ich schon sagen!
Den Ärger von gestern Abend habe ich schon einigermaßen verdaut, trotzdem komme ich nicht drum herum, dem Idioten beim Vorbeigehen vor die Füße zu spucken und etwas Dreck ins Gesicht zu schleudern. Er knurrt kurz etwas und funkelt mich sauer an, hält aber sonst die Klappe.

Heute ist der letzte Tag, bevor alles zusammenbricht. Heute kann ich noch entspannen und planen, dann muss ich handeln. Ich seuftze schwer. Es kommt mir vor wie der letzte Sommerferientag, der letzte Tag im Auslandsurlaub. Es ist bedrückend und gleichzeitig irgendwie tröstend, noch für eine kurze Weile das beschwerdelose Leben genießen zu können.
Fast den ganzen Tag helfe ich Newt bei den Gartenarbeiten, wir reden nicht viel miteinander. Aber ich muss jetzt einfach irgendetwas tun, wenigstens halbtags, bevor ich die Jungs vorwarne. Aber sollte ich das überhaupt? Vielleicht ändert ANGST dann das System. Vielleicht halte ich doch besser den Mund...
"Hallo? Erde an Alina?"
reisst mich Newt aus meinen Gedanken und wedelt mit einer Hand vor meinem Gesicht herum. Ich schrecke auf und lasse vor Überraschung die Schaufel fallen.
Ich habe garnicht gemerkt, wie ich mitten in der Arbeit innegehalten und gedankenverloren ins Nichts gestarrt habe. Beschämt lächle ich den Boden an und ramme die Schaufel wieder in den harten Erdboden, dass die Krümel nur so fliegen. Der Blonde schüttelt lachend den Kopf.
"Ich habe gefragt, ob du Pause machen und was essen willst!"
sagt er grinsend und abermals beginnen meine Wangen vor Scham zu glühen. Wie peinlich...!
Dann nicke ich, stecke das Werkzeug in den Boden und gemeinsam gehen wir zur noch leeren Küchentheke. Bratpfanne schiebt uns dort gleich unsere Portionen zu und lächelt mich freundlich an, was ich nur erwidern kann. Aus irgendeinem undefinierbaren Grund habe ich ein super Verhältnis mit dem Koch, auch wenn wir kaum miteinander sprechen.

Eine Weile essen wir schweigend nebeneinander, dann bricht Newt die Stille.
"Was meintest du gestern...?"
setzt er an und lässt die Andeutung unvollendet im Raum stehen, ihm ist die Frage sichtlich unangenehm. Ich stelle mich dumm und frage zurück:
"Mit was denn?"
"Das weißt du genau. Dass alles den Bach runter gehen würde."
Ich seuftze. Okay, jetzt bloß nicht verquatschen.
"Schreckt euch morgen früh einfach nicht."
Der Blonde zieht die Brauen hoch, seine Miene ist ernst.
"Verschweig mir nichts. Wenn ich dir schon glaube, dann sag mir doch wenigstens, was passieren wird."
Ich schüttel nach kurzen Zögern den Kopf.
"Ich hab Angst... dass die Schöpfer dann den Plan ändern. Wenn dann alles anders ist, kann ich euch nicht mehr helfen. Aber ich versuche euch so gut wie möglich da durchzunavigieren. Versprochen."
Einen Moment lang glaube ich schon, dass Newt mir das übel nehmen wird, aber dann nickt er verständnisvoll.
"Verstehe."
Damit isst er schweigend weiter und lässt mich mit meinen schwirrenden Gedanken alleine zurück.

Der Nachmittag verläuft belanglos. Ich plausche etwas mit Chuck, helfe Newt hier und da, wenn er mit seinem Humpelgang Probleme bekommt oder überlege auch einfach nur, wie ich den morgigen Tag organisieren soll. Gegen Abend kommt mir dann der Gedanke an das Buch, und frage Newt danach. Er gibt es mir auch ganz bereitwillig wieder - schließlich ist es mein Buch - und ich verbringe bis zum Abend mit Lesen. Die neue Geschichte lesen. Nur halt aus Thomas' Sicht. Und ich muss sagen, was ihm da teilweise so durch den Kopf geht, ist sehr... interessant. Vor allem der Part, an dem ich Minho im Labyrinth eines übergebraten habe.

Alina gibt Minho eine Ohrfeige, dass es nur so knallt. Der Asiate schaut sie einen Moment lang geschockt an, sagt aber überraschender Weise nichts dazu. Entweder hat die Begegnung mit dem Griewer ihm wirklich die Sprache verschlagen, oder die Blauhaarige dürfte ihm doch nicht so sehr missfallen, wie er immer behauptet. Thomas deutet eher auf letzteres, was ihm ein leichtes Grinsen entlockt; sonst hat der Läufer doch immer einen sarkastischen Spruch parat, selbst in solch kniffligen Situationen.

Als oooob....
Ich verdrehe seuftzend die Augen und lese weiter. Falls nicht irgendwer auf den dummen Gedanken kommt, mich mit Minho zu shippen, passts ja noch. Nicht dass mich das stören würde oder so... ich meine, hallo? Wir sprechen hier von Minho, dem gutaussehenden Hüter der Läufer! Aber wir wollen ja realistisch bleiben...
Der Krach der Jungsmenge, die sich ihr Abendbrot holen, reisst mich von meinem Buch hoch. Hastig klappe ich es zu und sehe mich prüfend um. Bevor ich essen gehe, bringe ich es doch lieber zurück zu meinem Schlafplatz. Irgendwie werde ich den Gedanken nicht los, dass diese neppigen Seiten noch ganz interessant werden könnten im Laufe der Geschichte, auch wenn es nur darum geht, Szenen nachzulesen und andere dafür auszulachen.
Ich strecke kurz alle Glieder, wobei meine Gelenke nach dem langen Sitzen protestierend knacken, und mache mich einiger Maßen gut gelaunt auf den Weg zu meiner Hängematte.
Ich werde diesen Abend jetzt noch genießen, werde den Jungs erzählen was sie wissen müssen - soweit glaubt mir jetzt eh schon fast jeder - und alles wird glattlaufen morgen. Da bin ich mir sicher. Es kann gar nicht anders laufen.

Haha. Zu früh gefreut...

DADADADAAAAAM
LESENAAAAACHT BEAM
Souuu...
Los gehts >:)

SEID IHR ALLE DA?

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