Freundinnen

"Molly Zorrowich!" Mrs Tyler spuckte meinen Namen durch die Klasse als wäre er pures Gift. Mit einem lauten Knall pfefferte sie mir meine Biologie -Schulaufgabe auf den Tisch. Eine eins! Mal wieder. Doch wirklich freuen konnte ich mich darüber nicht, als ich sah, wie meine Freundin Lara mit schockgeweiteten Augen auf ihr Blatt starrte. Eine vier für meine beste Freundin, und das obwohl ich mich schon Tage vor dem Test zusammen mit ihr vor den Schreibtisch gesetzt hatte, damit sie wenigstens eine vier schaffte. Diese Note erklärte mir auch die schlechte Laune von Mrs Tyler, die sich nichts sehnlicher wünschte, als dass ihre Tochter einmal so gut wäre wie ich.
"Kopf hoch, Lara. Wenigstens keine fünf mehr, so wie beim letzten Mal." versuchte ich sie zu trösten. "Das ist doch schonmal ein Fortschritt."
"Mum wird mich killen!" flüsterte sie zurück.
"Nun ja, wahrscheinlich denkt sie eher wieder, es sei meine Schuld..." Ich dachte daran, wie Mrs Tyler mir schon beim letzten Mal vorgeworfen hatte, dass Lara eine sechs geschrieben hatte. Kurz darauf stand dann der nächste Test an und meine Beste Freundin kam im Auftrag ihrer Mutter zu mir, damit ich ihr mal wieder beim Lernen half.
"Ich hoffe, Mum erlaubt mir trotzdem, dass ich heute Abend mit dir auf das Fest darf. Aber wirklich große Hoffnungen habe ich darauf leider nicht, freu dich bitte nicht zu früh... Und wenn ich nicht darf, dann nimmst du einfach meine Karte und gehst mit Timothy hin. Du weißt doch, dass ich eh keine Dinosaurier mag."
Oh, das Jurassic-Festival war ja schon heute! Meine BFF würde das tollste Ereignis des Jahres verpassen?! Daran wollte ich nicht mal im Traum denken! Nachdenklich und enttäuscht zog ich eine Schnute. Doch einen wirklichen Ausweg für Lara fand ich leider nicht.
"Klappe!" fauchte mich plötzlich die Lehrerin an, die anscheinend von ihrem Pult aus gesehen hatte, wie ich meinen Mund bewegt hatte. "Sonst setze ich euch auseinander!" An diese leere Drohung hatte ich mich schon lange gewöhnt, trotzdem hörte ich diesmal auf sie, ich wollte sie ja nicht noch saurer machen, solange es noch eine "rechtskonforme" Lösung gab um das Problem meiner Freundin zu lösen.
"Geistesblitz!" flüsterte Lara plötzlich, nachdem ihre Mutter uns nicht mehr anstarrte. "Kannst du nicht irgendwie meine Mutter ablenken, du weißt schon, mit deiner... Gabe."
Nicht schon wieder! Wieso musste ich ihr immer mit meiner Fähigkeit aus der Patsche helfen?! Warum hatte ich ihr mein Geheimnis nur anvertraut? Dass ich mich vor kurzem urplötzlich im Moor zu einem Alligator transformiert hatte, wusste nur sie. Ich hatte einfach jemanden zum reden gebraucht, und zwar jemand von dem ich wusste, dass er mich nicht als Verrückte abstempeln würde. Lara Tyler, meine beste Freundin schien mir da genau die Richtige zu sein. Schon so oft hatte sie mir von ihren Büchern erzählt, von den Feen, Meerjungfrauen, Trollen, Wichteln und Magiebegabten, die darin vorkamen und mir vorgeschwärmt, wie es wohl wäre, wenn sie selber Magie in sich tragen würde. Und ja, sie hatte mir geglaubt, aber leider war Lara jetzt darauf aus, mich jeden Tag darin zu trainieren und "Heldentaten" mit meiner Gabe zu begehen. Die "Heldentaten" ließen auf sich warten, was ich auch besser fand, ich hatte nämlich keine Lust, von irgendwelchen gestörten Titanen angegriffen zu werden, oder halt von dem was in Laras Fantasy-Büchern so vorkam.
"Das ist nicht dein Ernst, oder? Was wenn ich mich aus Versehen zurückverwandle?! Du weißt doch, ich habe es nicht unter Kontrolle!"
"Och kooomm! Du hast mich doch so lange dazu überreden müssen, damit ich mitkomme... Und jetzt will ich und du willst mir nicht helfen! Sowas nennt man Wille!" meinte meine Freundin ironisch und versuchte sich an einem Hundeblick.
Auch wenn es nicht wirklich süß aussah, musste ich unwillkürlich anfangen zu schmunzeln und sie hatte mich umgestimmt.
"Du musst gar nicht so dämlich grinsen!" ertönte plötzlich wieder Mrs Tyler's schrille Stimme direkt vor mir. "Larissa könnte das mindestens genauso gut, wenn sie sich einmal so anstrengen würde, wie du."

Eine Viertelstunde nach einem kurzen Mittagessen zuhause, traf ich mich mit Lara vor ihrem großen Pool, der gut versteckt zwischen Kokospalmen und Bananenstauden stand. Für die Bewohner des Hauses, die sich gerade drinnen befanden, war diese Lichtung zwischen dem ganzen Garten-Dschungel war er komplett unsichtbar, was in unserem Fall einfach perfekt war.
"Na los jetzt! Du weißt, dass wir den Zug erwischen müssen!" drängte Lara mich in meine zweite Gestalt. "Ich guck kurz weg, wenn du dich ausziehst. Und stell dir einfach vor du wärst ein langes grünes fettes Ding, das am Boden entlangkriecht. So schwer kann das doch wohl nicht sein, oder?"
"Also erstens, diese langen, fetten, grünen Dinger nennt man Alligator, zweitens, sie sind nicht fett, sondern muskulös und drittens: Dreh dich jetzt endlich weg von meinem Hintern, oder soll ich dich mit meinem langen muskulösen Schwanz schlagen, wenn er erstmal da ist?" konterte ich geübt ihren wörtlichen Angriff, bevor ich mich von meinen Shorts, meinem T-Shirt und meiner Unterwäsche befreite um mich zu verwandeln. Wohl oder übel musste ich mir vorstellen, wie mein tierisches Ich aussah, und ich murmelte leise vor mich hin, wie meine Freundin mein tierisches Ich beschrieben hatte: Lang, muskulös und grün. Nach ein paar weiteren Gedankengängen setzte schließlich das Kribbeln ein, das mich auf meine Transformation vorbereitete. Mein Gesicht wurde länger, meine Haut wurde grün und schuppig und mein Körper lang und schwer mit sehr kurzen Beinen.
Lara, du kannst dich wieder umdrehen versuchte ich zu sagen, doch ich hatte vergessen, dass ich das als langer grüner Fladen leider nicht konnte.
Na los jetzt, versuchte ich es nochmals - natürlich vergeblich - bevor ich auf die Idee kam mein breites Maul zu öffnen und mit atemberaubender Geschwindigkeit zuschnappen ließ. Mein Gebiss fühlte sich extrem gut an, genauso wie mein neuer Körper, das musste ich schon zugeben. Doch leider hatte er auch erhebliche Nachteile, denn mein Vegitarier-aus-Überzeugung-sein hatte ich mit meinem neuen Ich leider aufgeben müssen, wegen plötzlichem Heißhunger auf Fleisch nach meiner ersten Alligator-Erfahrung im Moor.

"Aaaah! Hiiiiilfeee! Moom! Ein Alligator im Pool!" schrie Lara sich nur ein paar Minuten später die Seele aus dem Leib, nachdem sie ausgiebig über meine prächtigen grünen Schuppen gefahren war.
Ich schwamm einfach gemächlich durch das warme Wasser des Pools peitschte das Wasser mit meinem Schwanz und wartete ab. Und siehe da: Schon wenige Sekunden später kam eine entsetzte Mutter barfuß durch die Bäume geflitzt und wollte sehen, was ihre Tochter denn nun schon wieder für ein Problem hat.
"Larissa, bitte! Schrei doch nicht so!" keifte sie auf halbem Weg zu uns. Doch sobald sie mich sah ertönte auch von ihr ein Schrei der Entsetzung - diesmal ein echter - und sie hechtete mit den Worten "Renn um dein Leben!" zurück in die Richtung aus der sie gekommen war. Lara hingegen joggte halbherzig hinter einen Busch, sodass Mrs Tyler sie nicht mehr sehen konnte, wenn sie sich umsah.

Innerlich grinsend, auch wenn ich immer noch ein wenig sauer war, auf Lara, kletterte ich mühsam aus dem Pool und verwandelte mich ebenso mühsam zurück. Lara reichte mir mit geschlossenen Augen meine Kleidung hinter ihrem Busch hervor, die ich mir einfach schnell überwarf. Jetzt bloß schnell weg, bevor die Tyler mit 'nem Alligatorjäger zurückkommt, dachte ich voller Vorfreude auf das Jurassic-Event, während ich mich - Lara hinter mir herziehend - zu mir nach Hause aufmachte, um mein Raptor-Cosplay abzuholen.

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