Retter gesucht

Es war ein wunderschöner Spätsommertag, als sich die Kaiserin Erido von Mal auf Schloss Forbesy melden ließ. Es war nicht üblich, dass sie dieses tat, denn Forbesy war der Stammsitz des Königs von Rade und Mal und Rade hatten noch nie in freundschaft­lichen Beziehungen miteinander gestanden und pflegten so gut wie keinen Kontakt miteinander. Doch das Anliegen der Kaiserin war ein durchaus übliches, wenn man nach den Legenden aus jener Zeit urteilt: Ein böser Ritter namens Gorbrandt - denn auch Ritter können böse sein - hatte ihre jung­fräuliche Tochter mitsamt Gesellschafterin und Leibwächter entführt und wie Mütter so sind, wollte sie sie unbedingt wiederhaben. Zumindest die Tochter, wenn möglich, alle drei.

Mogel, der König von Rade, war durchaus bereit und willig, der Kaiserin zu helfen, wie er ihr mitteilte. Doch es tauchten Probleme auf: Der König selbst konnte seiner Gicht we­gen nicht aushelfen und außerdem war er verheiratet. Mit einem seiner Ritter aber woll­te und konnte sich die Kaiserin nicht zufriedengeben. Denn der Entführer hatte deutlich klargestellt, dass er sich nur von einem standesgemäßen Bewerber um die Hand einer der Gefangenen herausgefordert fühlen würde. Da seine Burg von einem Heer nicht einzunehmen war und auch eine heimliche Befreiung aufgrund der örtlichen Gegebenheiten ausgeschlossen war, war eine Herausforderung die einzige Möglichkeit, die Gefangenen zu befreien.

Nun war guter Rat teuer. Die Kaiserin hatte schon verschiedene Königreiche aufge­sucht, doch heiratsfähige, aber unverheiratete Prinzen waren in letzter Zeit rar geworden. Ledige Prinzen sind nämlich ein bevorzugtes Jagdwild von Jungfrauen und die meisten Prinzen erliegen ihnen trotz aller Kraft und Tapferkeit.

„Ich sehe wirklich nicht, wie ich Eurer Majestät helfen könnte", erklärte Mogel schließ­lich leicht entnervt, nachdem er der Kaiserin mehrere Lösungen vorgeschlagen hatte, die von ihr allesamt abgelehnt worden waren, da sie nicht Gorbrandts Bedingungen entsprachen.

Die Kaiserin seufzte. „Habt Ihr denn gar keinen Sohn?"

„Doch, natürlich."

„Na also!"

„Nichts na also. Er ist gerade erst sechs Jahre alt geworden. Ich nehm' ja nicht an, dass Eu­re Tochter warten kann, bis mein Sohn alt genug ist, um gegen einen Ritter zu kämp­fen?"

„Nein, das geht auf gar keinen Fall. Bis dahin ist ihre jungfräuliche Schönheit da­hin!"

Der König wollte soeben widersprechen und sagen, dass bei seiner Königin beispiels­weise die jungfräuliche Schönheit keineswegs dahin sei, nur eben ihre Jungfräulichkeit verloren habe nach drei Kindern - da fiel sein Blick auf die Kaiserin und er schwieg be­treten. Sollte die kaiserliche Prinzessin nach ihrer Mutter geraten, war vermutlich höchs­te Eile angebracht.

Die Kaiserin seufzte wieder. „Irgendeine Person königlichen Geblüts, die meine Toch­ter retten kann!" forderte sie. „Es braucht ja nicht Euer Sohn zu sein. Habt Ihr nicht einen Bruder, der auf Abenteuer in die Welt hinauszieht, da Ihr die Krone und die Frau, die er liebte, bekommen habt?"

„Nein, ich hab' nur 'ne Schwester, die vor dreißig Jahren mit 'nem Wandermusikanten davongelaufen ist", murmelte der König. „Soweit ich weiß, hat sie noch einen un­ver­hei­rateten Sohn ..."

„Der Sohn eines Wandermusikanten! Ich bitte Euch, so einer kann doch unmöglich mei­ne Tochter heiraten!"

„Wieso heiraten? Ich denke, er soll sie retten?"

„Ja, aber dann muss er sie doch heiraten! So wird es immer gemacht! Und Gorbrandt sagte ausdrücklich, er würde eine Herausforderung nur annehmen, wenn sie ernst gemeint sei. Er erwartet einen standesgemäßen Bewerber und für eine Prinzessin erkennt er nur jemanden aus königlichem Geblüt an."

Der König zuckte die Achseln. „Ja, dann ..."

„Erlaubt, Majestät, dass ich helfe", sagte plötzlich einer der Ritter, die hinter dem Thron standen.

Die Kaiserin blickte etwas ärgerlich drein. Die Ritter hatten der Etikette gemäß in ihrer Rüstung stumm und steif neben dem Thron zu stehen, dekorativ auszusehen und Darm und Blase unter strengster Kontrolle zu halten. Keineswegs hatten sie sich in die Ge­spräche einzumischen, die direkt vor ihnen stattfanden.

Der König jedoch blickte auf und sah erfreut drein. „Ja, das wäre eine Möglichkeit", meinte er.

„Wer seid Ihr?" fragte die Kaiserin. „Seid Ihr vielleicht der Sohn eines fernen Königs, des­sen verräterischer Bruder Eurem Vater Lügen über Euch erzählt hat und Ihr musstet flie­hen, um hier Ruhm und Ehre zu sammeln und eines Tages wiederzukommen, die Lügen Eures Bruders zu entlarven und Eurem Vater zu vergeben, dass er dem Lügner glaub­te?"

„Nichts dergleichen, Majestät", der Ritter klang ein wenig belustigt. Er trat vor, und die Kaiserin bemerkte unwillig, dass der Ritter kaum mittelgroß war und, soweit man trotz der Rüstung urteilen konnte, eher schlank als kräftig. Auch seine Stimme war nicht das, was sie von der Stimme eines schönen und tapferen Prinzen erwartet hatte; sie klang dun­kel, voll und angenehm, jedoch ein wenig weich für einen Mann.

Der Ritter verbeugte sich vor ihr. „Ich bin von königlichem Geblüt und un­ver­hei­ra­tet. Und ich kann Euch garantieren, dass die Jungfräulichkeit Eurer Tochter bei mir ab­so­lut sicher ist. Mein Geschmack geht nicht in diese Richtung."

„Ihr würdet meine Tochter also nicht heiraten, wenn Ihr sie retten würdet?"

„Nein, und ich glaube auch nicht, dass Eure Tochter das von mir fordern würde", er­wi­derte der Ritter. „Doch ist das denn so wichtig? Ihr wollt doch Eure Tochter wie­der­ha­ben und nicht gleich wieder an einen Ehemann verlieren, oder? Und wenn Eure Tochter erst einmal befreit ist, kann uns Gorbrandts Forderung, sie zu heiraten, auch egal sein. Ein unter Zwang gegebenes Versprechen gilt nicht."

Die Kaiserin schnappte nach Luft. „So geht das nicht", protestierte sie. „Ihr könnt nicht auf einen Rettungsfeldzug ausgehen und dabei schon wissen, dass Ihr die Prin­zes­sin gar nicht heiraten wollt."

„Na, dann nicht", meinte der Ritter nur und nahm den Helm ab. „Ich dachte ja bloß, ich könnte Euch helfen."

Die Kaiserin sah äußerst überrascht drein. Kurzgeschnittene schwarze Locken um­ga­ben ein schönes, schmales Gesicht mit zarter, gebräunter Haut, großen, blauen Au­gen und feinen Lippen. Der Ritter war hübsch, sehr hübsch. Und er war eine Frau.

„Wer seid Ihr?" fragte die Kaiserin erstaunt.

Die Ritterin lächelte und verneigte sich vor der Kaiserin. „Ordran, die Kronprinzessin von Rade."

Die Kaiserin schluckte. „Und Ihr wollt meine Tochter retten?"

Die Schwertmaid verbeugte sich erneut. „Wenn ich sie dann nicht heiraten muss."

„Aber das geht nicht! Es muss ein Mann sein, der meine Tochter rettet!"

Die Prinzessin zuckte die Achseln. „Ich hab' halt nur das Pech, dass so wenig Prinzen in eine Lage geraten, aus der ich sie retten kann. Aber Ihr sagtet doch, dass euer Leibwächter ebenfalls entführt wurde? Und für den dürfte ich sicher standesgemäß sein."

„Prinzen!" rief die Kaiserin erregt. „Das ist die Lösung!" Sie wandte sich an den Kö­nig. „Dieser Leibwächter ist der Sohn einer mei­ner Schwestern, jener Schwester übrigens, die einstmals vom Drachenkönig entführt wurde. Er ist ... nun, er hat keinen Vater, doch wir haben ihn adoptiert und deshalb ist er ein Prinz und er besitzt ein schönes Schloss und kann eine Prinzessin standesgemäß hal­ten."

„Das klingt ja zu schön, um wahr zu sein", sagte die Schwertmaid sarkastisch. „Und wie sieht er aus, dieser prinzliche Leibwächter, der sich fangen lässt, anstatt seine Schütz­lin­ge zu bewachen? Hat er goldenes Haar und blaue Augen und ist er noch unberührt?"

Die Kaiserin sah Ordran verblüfft an. „Er ist tatsächlich blond, doch seine Augen sind eher braun und unberührt ... nun, ich bin mir ziemlich sicher, dass er es nicht mehr ist! Ich wäre sehr er­staunt, wenn er ... nun ja, er ist sehr hübsch und er mag die Frauen sehr."

„Auch noch ein Lebemann! Na, macht nichts, blaue Augen und Jungfräulichkeit brin­ge ich ja in die Ehe ein", meinte die Prinzessin grinsend.

„Ihr würdet ihn also heiraten?" vergewisserte sich die Kaiserin. „Gorbrandt sagte ausdrücklich, nur ernstgemeinte Forderungen."

„Sehen wir uns ihn mal an", schwächte die Prinzessin ab. „Doch wenn er nett ist, wa­rum nicht? Ich hab' so viele Prinzen kennengelernt, doch ein Bastardprinz, der sich als Leib­wächter verdingt und reihenweise die Damen verführt, ist mir neu."

Plötzlich lächelte die Kaiserin. „Oh, er wird Euch lieben!"

„Neben hundert anderen", meinte die Prinzessin skeptisch.

„Oh, nein. Ihr könntet das sein, was er gesucht hat. Er sagte mir einmal, er verachte die Frauen, die vor ihm in die Knie sänken. Ich bin nur froh, dass er Antalaha und Soalaha eher als Schwestern sieht."

Die Schwertmaid schob die Lippen vor und überlegte. „Das klingt allerdings äußerst ver­lockend. Aber wer um alles in der Welt sind An­talaha und Soalaha?"

„Meine Tochter und meine Nichte", erklärte die Kaiserin.

„Wer kam bloß auf die Namen?"

Die Kaiserin versteifte sich ein wenig. „Solche Namen sind in meiner Heimat Olansic üb­lich. Meine Großtanten hießen so. Es sind sehr schöne alte Namen, die in unserer Dy­nastie häufig sind." Dann jedoch räumte sie ein: „Ivohile ruft sie nur Anna und Sol. Und spricht er von ihnen beiden, nennt er sie Antasolaha oder so ähnlich."

„Aha. Und wer ist Ivohile?"

„Euer zukünftiger Gemahl."

„Um Gottes willen!"

„Wir nennen ihn Ivo", warf die Kaiserin hastig ein.

„Na, das klingt besser. Aber sprecht von ihm nicht als meinem zukünftigen Gatten, schließ­lich habt Ihr ihn ja noch nicht gefragt. Und er sollte doch auch zustimmen, oder etwa nicht?"

„Oh, er wird nichts dagegen haben", versicherte die Kaiserin wenig überzeugend. Und dann bekräftigte sie: „Er wird Euch lieben, Ordran."

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