Ketten und Wassergräben


Leseempfehlung: Über eiserne Ketten und Wassergräben sind Magie und Technik in LittlePolarfox' Der Tanz von Sonne und Mond schon längst hinaus. Es sind magische Ketten, die Chander sprengen muss und Gräben zu überwinden, welche von Vorurteilen und Lügen geschaffen wurden, um seine Unschuld zu beweisen. Nicht, dass Chander besonders rein und unschuldig wäre, aber die eine Tat, für die er eingekerkert wurde, hat er ausnahmsweise mal nicht begangen. Mit aller Energie eines Magielosen in einer magietechnischen Welt, jeder Menge Sturheit, der Unterstützung einer verblüffend brav gewordenen Straßengang und vor allem der Hilfe Anatols, der in allem das komplette Gegenteil von Chander darstellt, versucht er seine Unschuld zu beweisen. Wobei vor allem die Gegensätze zwischen Chander und Anatol immer wieder die Lachmuskeln reizen.

Gorbrandt hielt Wort. Ordran bekam ein schönes Zimmer, ein gutes Abendessen und so­gar leidlich angenehme Unterhaltung beim Essen. Denn eine der kaiserlichen Cousinen war eine glänzende Cembalo-Spielerin und der Ritter holte sie einfach ins Zimmer, ket­tete sie ans Cembalo und befahl ihr, zu spielen und zu singen.

Während des Essens grübelte die Prinzessin darüber nach, warum das Cembalo auf einem Podest inmitten eines künstlichen Sees stand. Vorher war ihr schon aufgefallen, dass die Burg von künstlichen Gräben geradezu durchzogen war. Alles, was einem zur Flucht entschlossenen Gefangenen irgendwie hätte nützlich sein können, war nur über ei­nen fünf Meter breiten und zwei Meter tiefen Wassergraben zu erreichen. Gorbrandt und Ordran wurden von zwei Männern mit einer starken Bohle begleitet, welche je nach Bedarf über die Gräben gelegt und nach Überqueren derselben wieder entfernt wurde.

Gorbrandt fürchtete ganz offensichtlich ein Wesen, welches sich nur von Wasser abschre­cken ließ. Ordran dachte nach und kam dann zu dem Schluss, dass der Drache, von dem der Burgherr gesprochen hatte, wohl auch nicht freiwillig hier war. Obwohl - das ergab auch keinen Sinn. Was sollte denn der Drache mit dem Cembalo oder dem daran geket­teten Mädchen anfangen oder mit den Waffen, die ebenfalls auf diese Art gesichert wa­ren? Also irgendetwas anderes, kein Drache - aber was?

Ein weiterer Gedanke kam ihr. Konnte der Leibwächter vielleicht nicht schwimmen? Und hatte er bereits so viele Fluchtversuche hinter sich, dass Gorbrandt diese Sicherungen für notwendig hielt? Denn der Leibwächter hätte sicher versucht, an die Waffen zu gelan­gen. Und er hätte versucht, das blonde Mädchen mitzunehmen, das gerade so hinge­bungsvoll kitschige Liebeslieder sang, dass Ordran sich fragte, ob sie diese Maid wirk­lich befreien wollte. Andererseits - ein Leibwächter, der nicht schwimmen konnte?

Ordran kam zu keinem vernünftigen Schluss und verschob die Beantwortung dieser Fra­ge auf später.

Ritter Gorbrandt schien ziemlich früh schlafen zu gehen und er schickte die Prinzessin ebenfalls ins Bett. Ordran zog einen Flunsch, ging aber in ihr Zimmer, knabberte weiter Marzipan, las ihren Liebesroman zu Ende (der Held bekam die Heldin schon auf der zehntletzten Seite und brachte dann die letzten neun Seiten damit zu, die ganzen Ver­wirrungen und Missverständnisse aufzuklären, die ihn die ersten dreihundert Seiten von seiner Liebsten getrennt hatten) und dann hatte sie immer noch keine Lust, schlafen zu gehen. Außerdem hatte sie Durst und die Diener hatten ihr nur Wein hingestellt. Das war zwar das übliche Getränk für eine Prinzessin, aber Ordran trank lieber ein kühles Bier, wenn sie Durst hatte.

Die Prinzessin zog sich wieder an und verließ ihr Zimmer auf der Suche nach einem kühlen Trunk. Es waren jedoch kei­ne Diener in den Gängen, die ihr den Weg gewiesen hätten und Ordrans Orientierungs­vermögen kam ihren Kenntnissen in Nadelmalerei gleich. Prompt verirrte sie sich und landete statt in der Küche in den Verliesen.

Das war eigentlich gar nicht so schlecht, konstatierte sie für sich. Da konnte sie den ihr versprochenen Prinzen doch wenigstens einmal in Augenschein nehmen, falls sein Kerker ein Gitter oder Fenster zum Gang besaß. Sie war inzwischen sehr neugierig geworden, nachdem Kaiserin Erido ihren Neffen und Adoptivsohn als sehr hübsch beschrieben und Gorbrandt seinen Gefangenen sogar schön genannt hatte. Männer wurden im Allgemeinen als stattlich oder gutaussehend bezeichnet, aber schön?

Licht und Stimmen warnten sie gerade noch rechtzeitig, beinahe wäre sie einem Wächter in die Arme gelaufen. Er hatte sie jedoch nicht gesehen, da er vollauf damit beschäftigt war, durch die Tür in den Raum zu sehen, den er bewachen sollte. Ordran dachte bei sich, dass dies eine sonderbare Methode war, jemanden zu bewachen. Wenn sich allerdings in der so bewachten Kammer der offenbar recht renitente Gefangene befand, den Gorbrandt so ungern hergab, war es sogar verständlich, wenn sich der Wächter mehr vor einen Angriff aus dem Raum heraus als von außen fürchtete.

Die Schwertmaid wich zur Seite aus und fand einen Alkoven, der ihr eine ähnlich gute Sicht bot, wie sie der Wächter hatte. Und da der Alkoven vergittert war, sah sie in der unge­wissen Beleuchtung auch niemand, solange sie sich nicht aufrichtete. Ordran lächelte und beugte sich vor, um zu sehen, was sich unter ihr abspielte.

Das Lächeln verging ihr sofort. Sie sah in einen tiefen, gewaltigen Raum, ziemlich grob in den Felsen gehauen, der eher einer Bühne als einem Verlies glich. In einem Alkoven rechts von ihr saß Gorbrandt gemütlich in einem riesigen Sessel, einen Krug Wein neben sich. Er wirkte auf Ordran wie jemand, der sich auf ein Schauspiel freut, aber die Prinzessin konnte sich nicht vorstellen, dass Gorbrandt sich Schaustücke ansah. Auf einem weiteren Alkoven standen zwei Mädchen, von denen sie eines bereits kannte. Beide waren mit schweren Ketten gefesselt und ne­ben ih­nen standen zwei Reisige mit gezogenen Schwertern.

In der Mitte des Raumes war etwas wie eine kreisrunde Arena, ziemlich groß. Und die­se Arena war von einem ähnlichen Wassergraben umgeben, wie sie überall in der Burg zu fin­den waren. Inmitten dieser Arena stand das Wesen, das auf diese Weise an der Flucht ge­hindert werden sollte.

Und Ordran verstand nun alles. Sie sah Ivohile, den ihr die Kaiserin zum Gemahl be­stimmt hatte.

Sein Haar war tatsächlich golden, bräunlich-golden wie Nuggets, die man im Flussbett fand, leicht gelockt und nach Maleraner Sitte schulterlang. Die sommergebräunte Haut schim­merte in einem helleren Goldton. Die großen, dunkelbewimperten Augen schienen von dunklem, fast braunem Gold zu sein.

Er war noch jung. Ordran schätzte, dass er sicher nicht älter war als sie selbst, eher jünger. Sie hätte ihn für einen Jüngling gehalten, wäre er kleiner gewesen. Der Prinz war hochgewachsen, beinahe riesig. Sein Körper war sehr schlank, jugendlich schlaksig, doch nervig und mus­kulös. Ordran konnte ihn eingehend betrachten, denn außer Stiefeln und Lendenschurz trug er nichts, und sie bewunderte seine Proportionen. Der Mann war fantastisch gebaut, fand sie.

Aber er war mehr als ein Mann. Die goldenen Augen wiesen keinerlei Weiß auf, die Pu­pillen waren geschlitzt. Die Ohren waren ein wenig zu groß und spitz wie Elfenohren. Die schön geformten Lippen enthüllten scharfe Reißzähne und eine lange, gespaltene Zunge, die er Gorbrandt gerade herausstreckte, offenbar als Antwort auf eine Bemerkung des Ritters. Aus der schmalen, geraden Nase stieg leichter Rauch auf. Die langen Finger tru­gen starke, kurze Krallen statt der Fingernägel.

Hatte die Kaiserin nicht erwähnt, ihre Schwester, Ivohiles Mutter, sei von einem Dra­chen entführt worden? Nun wusste Ordran auch, wer Ivohiles Vater war.

Die Prinzessin hatte Mühe, nicht laut herauszulachen. Sie, die Jungfrau, war ausgezogen, um einen Drachen vor einem Ritter zu ret­ten!

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