gebrochene Lanzen

Leseempfehlung: Dass jemand eine Lanze für sie bricht, wünscht sich auch Senga im zweiten Band von Irres_Irrlichts Wassermannreihe: Des Wassermanns Weib - berührt. Nachdem der Wassermann sie in eine Flussbraut verwandelt hat, entführt er sie durch Fluss und Meer an den Ort, wo sein Schwarm lebt. Dort soll sie ein Schwarmmitglied werden, ob sie will oder nicht. Zitat: "Liebes, das ist keine Hochzeit. Deine Einwilligung ist nicht erforderlich."

Der Weg ist lang und beschwerlich, aber auch gefährlich, da sie durch die Gebiete feindlicher Stämme schwimmen müssen (wobei auch schon einmal eine Lanze, bzw. ein Speer zum Einsatz kommt) und Senga erst einmal mit ihrem veränderten Körper zurechtkommen muss. Im Schwarm angekommen, muss sie entdecken, dass die Wassermenschen zwar nett zu ihr sind und es nicht gutheißen, dass sie ohne ihr Einverständnis entführt wurde - aber wieder ist keiner bereit, eine Lanze für sie zu brechen.

Es bleibt Senga also nichts übrig, als vorläufig zu gehorchen, sich allmählich in die von Lichti liebevoll und detailreich geschilderte Welt unter Wasser einzufügen und dabei insgeheim nach Fluchtmöglichkeiten zu suchen. Möglichst vor der gefürchteten Schwarmeinführung. Wieder einmal schildert Irres_Irrlicht mit viel Humor und sehr authentisch, wie sich Senga im Schwarm behauptet, sich sogar mit einigen Mitgliedern anfreundet, aber nicht bereit ist, sich selbst aufzugeben oder gar sich den Plänen des Wassermannes zu fügen.

Als die Sonne aufging, war Ordran bereits wach. Sie überprüfte ihre Rüstung, doch der Kampf mit dem Dra­chen hatte außer Blut und Schlamm keine Spuren hinterlassen. Bei diesem Kräftemessen hatte sie mehr auf Beweglichkeit geachtet und darum nur Har­nisch, Arm- und Beinschienen und Helm getragen. Darunter hatte sie die Le­der­rüs­tung angelegt, die ebenfalls leicht war.

Heute zog sie über Wams und Hosen aus leichtem Leder ein Kettenhemd und eine Art Strumpf­hose aus ei­ser­nen Kettengliedern an. Diese Kettenpanzer waren nicht so schwer wie die modernen Plattenpanzer. (Laut Ritterhandbuch sollte es schon vorgekommen sein, dass ein Ritter in voller Rüstung nicht mehr im­stande war, al­lei­ne auf sein Pferd zu steigen.) Die dicht ver­web­ten Ket­ten­glie­der hiel­ten recht gut; sie waren zwar leichter zu durchdringen als die Plattenpanzer, aber diese konnten dafür an den Verbindungsstellen durchbrochen werden, was bei den Kettenrüstungen nicht der Fall war.

Über dem Kettenhemd trug die Schwertmaid einen modernen Harnisch, der Oberkörper und Un­ter­leib zusätzlich schütz­te. Um die Unterschenkel schnallte sie die Beinschienen, die Schie­nen für die Oberschenkel konn­te sie wegen des langen Kettenhemdes nicht tra­gen. Doch das machte wohl nicht so viel aus, denn das Hemd reichte bis auf die Mit­te ih­rer Ober­schen­kel.

Atemlos hielt sie einen Moment inne. Die Rüstung ohne die Hilfe eines Knappen anzulegen war nicht gerade einfach. Aber sie hatte keine Lust, sich von Gorbrandts Mannen helfen zu lassen. Auch wenn diese sicher gerne dazu bereit gewesen wären.

Sie überlegte kurz, dann schnallte sie auch die Armschienen an. Das Kettenhemd hat­te ei­ne Kapuze, über die der Helm passte. So hatte sie die Vorteile beider Rüstungen vereint. Die einzigen ungeschützten Stel­len ih­res Kör­pers waren ihre Hände. Doch das konn­te sie nicht ändern. Die Me­tall­fäus­te hin­der­ten sie zu sehr, sie war noch nie mit ihnen zu­recht­ge­kom­men. Sie musste sich eben darauf verlassen, dass sie ihre Hände außer Reichweite hielt.

Als Ordran im Hof erschien, trug sie über der Rüstung den Waffenrock mit ihrem Wap­pen (es war eine gol­dene antike Krone auf dunkelblauem Grund und ließ sie etwas we­ni­ger düster er­scheinen, denn ihre Rüstung war schwarz) und feste Lederstiefel. Gorbrandt, der auf der anderen Seite des Hofes auf sie wartete, war ähn­lich gekleidet, doch seine Rüs­­tung, ein goldener Plattenpanzer, bestand weitgehend aus Ein­zel­tei­len. Sein lind­grü­ner Waf­fen­rock zeigte einen goldenen Stier. Die Schwertmaid ki­cher­te. Jeder, der sie be­­ob­­ach­tet hätte, hätte wohl den Ritter für den Befreier ge­hal­ten, denn er trug die klas­si­schen Farben des tap­fe­ren Ritters, während sie die ty­pi­schen Farben des Bö­sen trug. Aber leider war es nun einmal so, dass der vom Schmieden noch schwar­ze Stahl wesentlich bes­ser schützte als das schwache Gold und darum hatte die Schwert­maid Stahl als Ma­te­ri­al gewählt. Im Ge­gen­satz zu vielen, natürlich männlichen Hel­den war sie der Meinung, dass das Aus­se­hen ei­ner Rüstung nichts mit ihrer Funk­tio­nalität zu tun hatte.

Als Gorbrandt näherritt, erkannte Ordran allerdings, dass eine goldene Rüstung doch ei­ni­ge Vor­teile brin­gen mochte: Er blendete sie nämlich.

„Bist du bereit?" rief er, als er in die Schranken ritt.

„Ja!" erwiderte Ordran kurz und nahm ihren Platz ein.

„Dann mal los!" forderte Gorbrandt sie auf.

Die Prinzessin nickte nur. Der Herold gab das Zeichen und sie ritten aufeinander zu.

Bei­na­he jede Art des ritterlichen Kampfes ist von der Notwendigkeit diktiert wor­den. Der Dolch war die Waf­fe der Bergbewohner, das Schwert wurde in der Ebene zur Verteidigung gegen Wölfe und bei Streitigkeiten verwendet. Pfeil und Bogen wurden bei der Jagd auf Vö­gel er­fun­den. Der geworfene Speer ist bei der Bären- und Wildschweinhatz ein­ge­setzt worden, die Arm­brust bei der Jagd auf Rotwild.

Doch niemand fand je heraus, wozu die Lanze diente, welche die Ritter so gerne bei Tur­nie­ren verwenden. Es gibt einfach keinen vernünftigen Grund, warum zwei Men­schen mit waag­recht gehaltenen Lanzen auf­ein­an­der zureiten sollten, um diese Lan­zen je­weils am Schild des anderen zu zerschmettern. Die Lanze war um ihrer selbst wil­len er­fun­den wor­den und diente nur zum Zwecke des Kräftemessens.

Die­se Gedanken schossen der Prinzessin durch den Kopf, als sie und Gorbrandt auf­ein­an­der zuritten. Das Gan­ze erschien ihr plötzlich so sinnlos, dass sie sich fragte, was sie hier ei­gentlich suchte. Dann erinnerte sie sich wieder an Ivohiles ver­zwei­fel­tes Schluch­zen, als ihn der Ritter endlich in Ruhe gelassen hatte. Es gab einen durchaus guten Grund, dass sie hier war. Sie rich­tete ihre Lan­ze aus und lenkte sie im letzten Moment ab.

Der Aufprall war mörderisch. Ordran schnappte nach Luft, als seine Lanze sie traf. Da­bei hat­te sie die vol­le Wucht seines Stoßes gar nicht zu spüren bekommen, denn ihr schräg ­ge­hal­tener Schild hatte die Lan­ze nach außen gelenkt. Gorbrandt mochte alt und fett sein, doch er war gut. Verdammt gut. Ordran er­tapp­te sich bei dem Ge­dan­ken, dass sie gerne den Drachen und den Ritter im Kampf gesehen hätte. Sie hät­te nicht gewusst, auf wen sie setzen sollte.

Da­bei hätte sie sich das sogar denken können, überlegte sie. Sie hatte Ivohile noch im­mer nicht gefragt, wie er gefangengenommen worden war, aber er musste ja wohl von ei­nem Stär­keren besiegt worden sein. Und Gorbrandts Männer taugten nicht viel, je­denfalls nicht die­jenigen, die er zu Ivohile in die Arena geschickt hatte.

Die Schwertmaid wendete ihr Pferd und ritt zum Ausgangspunkt zurück. Dabei un­ter­such­te sie ihre Lan­ze. Sie war nicht gesplittert oder ge­sprun­gen und konnte noch einmal verwendet werden. Gorbrandts Lanze hatte diesen Waffengang ebenfalls überstanden.

Gorbrandt prüfte gerade seinen rechten Arm. Die Schwertmaid war unverletzt, doch sie hat­te ihm einen leich­ten Kratzer am Arm beigebracht, dort, wo die Armschienen auf­­ein­an­dertrafen. Er zuckte die Ach­seln. Die Waffen der Prinzessin waren sicher nicht ver­gif­tet und so kümmerte ihn die belanglose Wunde nicht.

Beim zweiten Anprall brach die Lanze der Prinzessin, Gorbrandts hielt stand. Das lag haupt­sächlich daran, dass die Schwertmaid den Stoß erneut abgelenkt hatte. Sie wuss­te nur zu gut, dass sie einem Volltreffer nicht standhalten konnte. Gorbrandt war zu stark für sie, sie musste es wieder mit List versuchen.

Ihr war jedoch bereits etwas eingefallen. Beide hatten sie fünf Lanzen bereit, doch der Kampf mit den Lan­zen dauerte traditionell so lange, bis einer der Gegner vom Pferd ge­wor­fen wurde. Ordran überlegte, dass sie gewonnen habe, wenn sie ihre fünf Lan­zen zer­brach, bevor sie oder Gorbrandt aus dem Sattel fiel.

Im Verlies war der Drache damit beschäftigt, auf einzelne Kettenglieder zu spucken, die sich daraufhin zischend und sprudelnd in Rauch auflösten. Es war nicht das erste Mal, dass er sich auf diese Weise von seinen Fesseln befreite und bisher hatten die Menschen nicht her­ausfinden können, wie er das anstellte. In den Sagen hatte es geheißen, nur gol­de­ne Fesseln könn­ten einen Drachen halten, doch Gorbrandt hatte dies nicht geglaubt und Ivo­hi­le hatte ihm wohlweislich nicht verraten, dass die Sagen in dieser Hinsicht halbwegs recht hatten. Gold näm­lich ist als einziges Metall säurebeständig und kann selbst der ekelhaft riechenden Magensäure eines Drachen standhalten. Andererseits kann das weiche Gold der Kraft eines Drachens nicht lange widerstehen. Um einen Drachen wirksam zu fesseln, braucht es vergoldete Stahlketten.

Als der Kampflärm bis in seinen Kerker drang, unterbrach Ivo­hi­le seine Arbeit und lausch­te auf den Kampf. Im Allgemeinen kann man einen Kampf schlecht ver­fol­gen, wenn man nur hört, doch Ivohiles Gehör war so gut und so differenziert, dass er den ru­hi­gen Atem der Prin­zessin vom Keuchen ihres Gegners un­terscheiden konnte. Ordran schien ganz ge­las­sen zu sein und das beruhigte wie­de­rum ihn. Offenbar wusste diese schö­ne, wilde Schwert­maid ganz genau, was sie da tat. Ivo­hi­le beugte sich vor und fuhr mit seiner seltsamen Tä­tig­keit fort.

Ein Splittern schreckte ihn auf. Sie hatte schon wieder eine Lanze zerbrochen! Wenn sie so wei­ter­mach­te, hatte sie bald keine mehr. Und dann? Dann ... ja, dann ...

Über Ivo­hi­les Gesicht glitt ein grimmiges Lächeln. Er hatte den Plan der Prinzessin er­kannt.

Das Bild oben zeigt Ordrans Schild mit dem Wappen von Rade, wie ich ihn mir vorstelle.

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