Flucht mit Schnaps
Leseempfehlung: Auf der Flucht befindet sich auch der unbekannte Erzähler in Drachenwoelfins Ein perfekter Plan. In dieser Kurzgeschichte kann man hautnah miterleben, wie ein Mensch zum Verbrecher wird. Einfach um seinen Verstand gegen den der Polizei und die Gesetze auszuspielen. Und sogar ein gewisses Verständnis für ihn empfinden. Und vor allem - nach dem gelungenen Ende - sich selbst ausmalen, was jetzt noch geschehen könnte. Drachenwoelfin schildert die Gedanken des Protagonisten klar und nachvollziehbar und hüllt ihn dennoch in eine packende Aura des Geheimnisvollen. Man spürt, dass in ihm noch Abgründe lauern - und weiß nicht, ob man sie erforschen will oder lieber nicht ...
Für so dumm hielt sich Ordran allerdings nicht. Sie stiegen in die Verliese hinab und Ivohile führte die Prinzessin zu dem Kerker, in dem die Jungfern schmachteten. Das war das beste Wort für das, was sie taten, denn kaum hatten die beiden Befreier den Wächter überwältigt und die Tür aufgebrochen, hingen die Mädchen an Ivohiles Hals.
„Oh, Ivo! Wir wussten, dass du uns hier herausholen würdest! Du bist so tapfer! So stark! So ..." Ordran hörte nicht mehr hin. Sie fand die Prinzessinnen unendlich albern.
Ivohile verdrehte die Augen und löste die Arme der Mädchen sanft von seinem Hals. „Dazu haben wir jetzt keine Zeit", sagte er leise. „Wir müssen sehen, dass wir hier wegkommen. Gorbrandt hat sein Gegenmittel bekommen und tobt bereits", wandte er sich an Ordran. „Wenn wir nicht bald weg sind, gibt's Ärger."
Die Prinzessinnen drehten sich zu Ordran um. „Oh, ein Ritter!" riefen sie und lächelten Ordran, die ihren Helm wieder aufgesetzt hatte, prompt mit jenem bezaubernden Lächeln an, welches jede Prinzessin für potientielle Heiratskandidaten bereithalten muss.
„Ja, ein Ritter aus dem Königreich Rade", erläuterte Ivohile. „Und für eure Befreiung müsst ihr ihm danken. Oh, Scheiße!"
Alle sahen ihn an. „Was ist?" fragte die blonde Soalaha.
„Gorbrandt hat gerade die Zugbrücke zerstören lassen!"
„Woher weißt du das?" erkundigte sich die brünette Antalaha.
„Ich hab's gehört."
„Im Ernst, Ivo!"
„Ja, gut, ich hab's im Ernst gehört! Kommt jetzt endlich und haltet die Klappe! Es gibt jetzt nur noch einen Weg für uns!"
Ivohile packte Antalahas Hand und zerrte sie hinter sich her, als er tiefer in die Verliese eindrang. Ordran rechnete damit, dass sie Soalaha ebenfalls mitziehen müsste, doch Ivohile hatte seine Cousinen richtig eingeschätzt, Soalaha riss dem Wächter, den Ivohile zuvor niedergeschlagen hatte, den Dolch aus dem Gürtel und stürzte den beiden freiwillig hinterher. Ordran folgte, leicht behindert durch die schwere Rüstung.
Ivohile lotste die Prinzessinnen in einen dunklen Gang, der sie immer weiter nach unten führte. „Wohin geht's denn da?" fragte Ordran keuchend, als sie ihn eingeholt hatte.
„Nach unten auf die Tiefebene. Das ist ein Fluchtweg, falls die Burg einmal erobert werden sollte."
„Und woher kennst du ihn?"
„Ich hab's mehrmals fast geschafft, auszubrechen. Einmal bin ich in der Bibliothek gelandet und statt des Liebeslebens der Frösche hab' ich den Bauplan der Burg studiert!" Ivohile grinste sie an.
„Das vergisst du mir wohl nie!"
„Nein, bestimmt nicht. Ich hatte so wenig zu lachen da unten, dass ich das richtig genossen hab'."
Soalaha sah sie an. „Irgendwann möchte ich mal erfahren, worum es da geht", meinte sie. Ivohile grinste. „Das ist kein Thema für die Ohren einer Jungfer."
„Danke", konterte Ordran. „Jetzt weiß ich Bescheid."
Die beiden Mädchen sahen sie erstaunt an. Sie hielten die gerüstete Schwertmaid für einen Mann (denn der Brustpanzer zeichnete Ordrans Formen nicht getreulich nach) und verstanden daher Ivohiles Bemerkung und Ordrans Reaktion darauf überhaupt nicht.
Ivohile blieb plötzlich stehen und schnupperte. Dann bog er rechts in einen Gang ab, bedeutete den Mädchen jedoch, stehen zu bleiben.
Er tauchte auch bald wieder auf, ein kleines Fass über der Schulter, das er bereits aufgeschlagen hatte.
Antalaha schnupperte nun ebenfalls. "Ivo! Musst du jetzt daran denken?"
Ivohile grinste nur und schüttete etwas von dem starken Apfelbrand auf den Boden.
„Kommt weiter", forderte er seine Gefährtinnen auf. Während sie tiefer in den Gang eindrangen, legte Ivohile eine feuchte Spur aus dem Apfelschnaps.
Ordran ging ein Licht auf. „Du willst Gorbrandt ein Andenken hinterlassen?"
„Ich möchte nicht, dass er mich so einfach vergisst", Ivohiles Gesicht verzerrte sich vor Hass. „Das soll nur eine Mahnung für ihn sein. Ich komme wieder. Das, was er mir angetan hat, soll er mir büßen!"
Ordran nickte. „Ich komm' mit. Ich möcht' den Ritter auch nicht ungestraft davonkommen lassen."
„Und was er uns getan hat, interessiert dich wohl nicht?" fragte Antalaha beleidigt.
Ivohile sah sie erstaunt an. „Was hat er dir denn schon groß angetan? Ich weiß, ihr hattet schreckliche Angst, doch ihr wusstest ja, dass ich alles tun würde, damit er euch nichts antut. Und ansonsten ging's euch doch gut. Ihr hattet zu essen und zu trinken, konntet über die Bibliothek verfügen und wart nicht angekettet. Abgesehen davon, dass ihr nicht ausreiten konntet, habt ihr doch kaum einen Unterschied bemerken können!"
„Du bist gemein!" Antalaha begann zu weinen.
„Heul ruhig, wenn's dir Spaß macht, aber lauf weiter", sagte ihr Cousin ungerührt. „Sonst lassen wir dich hier stehen. Ich trag' dich nämlich nicht!"
Antalahas Schluchzen verstummte abrupt und genau das hatte Ivohile mit seinen harten Worten wohl auch erreichen wollen. Ohne ein weiteres Wort lief sie weiter, bis sie die Pforte erreichten, die den Gang abschloss.
Ordran war als erste dort und betrachtete die Pforte ungnädig. „Hat mal jemand 'nen Schlüssel?"
„Halt dich mal daran fest", Ivohile drückte ihr das inzwischen fast leere Fass in die Hand und wich einige Schritte zurück.
„Er wird die Tür aufbrechen!" rief Antalaha entzückt, während Soalaha etwas ruhiger vorschlug: „Kannst du die Tür denn nicht verbrennen, Ivo? Sie ist aus Holz."
Ivohile schüttelte den Kopf. „Nicht mit dem Schnaps in der Nähe. Bis das alte Holz anfängt zu kokeln, sind wir alle schon Kohle."
Er lief los. Antalaha schmachtete ihn an. „Ivo ist so stark", verkündete sie. „Er wird's schaffen!" Ihr Gesicht wurde allerdings lang, als Ivohile nicht klassisch-ritterlich mit der Schulter gegen die Tür rannte (das hätte seine Schulter kaum überlebt, denn die Tür war aus dickem, schweren Holz, das einiges mehr aushält als eine Männerschulter), sondern mit den Füßen voran gegen das spröde, rostige Schloss sprang. Dieses brach sofort aus dem Holz heraus und Ivohile konnte die Tür öffnen.
„Bitte sehr, die Damen", er verbeugte sich galant und ließ die Mädchen vorangehen. Als Ordran sich ihm näherte, nahm er ihr das Fass ab und schob sie ebenfalls hinaus. Dann verschüttete er den Rest des Alkohols auf den Boden und die Tür, wobei er sorgsam darauf achtete, selbst nicht benetzt zu werden. Schließlich warf er das Fass auf den Boden, ging ein paar Schritte zurück und spie Feuer.
Es war großartig, fand Ordran. Eine lange Stichflamme schoss aus seinem Mund und setzte den Alkohol in Brand. Die mit Schnaps getränkte Tür fing ebenfalls Feuer und brannte lichterloh.
„Kommt!" Ivohile drehte sich herum und lief bereits los. „Es kann nicht sehr lange dauern."
„Wie viel Schnaps lagert denn noch da oben?" fragte Ordran.
Er grinste schwach. „Genug."
Sie liefen, bis ihre Kräfte nachließen, um dem drohenden Feuer zu entkommen. Keiner der vier wollte in der Nähe sein, wenn die Flammen das Schnapslager im Fluchtgang erreichten.
„Ivo!" rief schließlich Antalaha. „Ivo, ich kann nicht mehr! Verwandle dich in einen Drachen und trag' mich!"
Ivohile drehte sich nicht einmal zu ihr um. „Das kann ich jetzt nicht!"
„Dann trag' mich so", verlangte sie.
„Ich kann nicht gleichzeitig rennen und dich tragen", protestierte er. „Da überschätzt du meine Kraft."
„Aber ich kann nicht mehr!" Antalaha begann wieder zu weinen und diesmal erreichte sie ihr Ziel damit. Jedenfalls beinahe. Ivohile drehte sich zu ihr, packte ihre Hand und zog sie mit sich.
Als Ivohile endlich anhielt, war nicht nur Antalaha erschöpft. Soalaha keuchte ebenfalls und Ordran war total erledigt. Die anderen hatten ja nur sich selbst zu schleppen gehabt, sie jedoch hatte die schwere Rüstung noch tragen müssen.
„Hier dürften wir sicher sein", meinte Ivohile und sah zur Burg. „Und außerdem müsste es jeden Moment passieren."
Er hatte kaum ausgesprochen, da gab es einen fürchterlichen Knall. Aus der Burg stieg eine Feuerlohe auf und der Drache jubelte. „Das zu löschen wird ihm schwerfallen!"
Ordran ließ sich auf einen Stein sinken. „Freut mich", sagte sie trocken. „Hilft mir mal jemand aus dem Zeugs da? Oder besteht ihr darauf, dass ich der geheimnisvolle Ritter bleibe?"
„Oh, ja, das ist so romantisch", rief Antalaha. Ordran sah sie erstaunt an.
„Hör' nicht auf sie, die spinnt mal wieder", klärte Ivohile sie auf und trat zu ihr. „Komm, ich helf' dir. Darin hab' ich Erfahrung!"
Ordran lachte leise. „Das denk' ich mir!" Sie nahm den Helm ab und die Prinzessinnen starrten sie entgeistert an. „Wer bist denn du?"
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