Kapitel 26
"Pass auf dich auf Liv?", wiederholte Ines Livs Worte mit hochgezogenen Augenbrauen. "Das war alles?", schob sie noch etwas empört hinterher.
"Naja-", setzte Liv zur Verteidigung an, doch sie wurde von Margot unterbrochen, die auf dem Sofa saß und bis gerade eben noch in ihre Schnulze aus dem sechzehnten Jahrhundert vertieft war. "Pass auf dich auf ist auch eine Art ich liebe dich zu sagen", meinte diese und augenblicklich wurde Liv knallrot. Das hatte ihr eindeutig den Rest gegeben.
"Ach kommt das etwa auch in deinem hochinteressanten Roman vor?", wandte sich Ines mit sarkastischem Unterton an ihre große Schwester. "Nein, Schwesterlein. Das nennt man für gewöhnlich Lebenserfahrung", konterte Margot.
"Komisch, da hast du ja noch gar nicht so viel", zischte Ines zurück und schon bald artete die Unterhaltung in einen heftigen Streit aus, während dem sich die beiden Geschwister die übelsten Sachen vor den Kopf warfen.
Liv beobachtete die beiden still und hatte nicht vor sich einzumischen. Sie hatte selbst genügend Probleme. Eine Woche blieben ihr, um sich und ihre Pferde in Bestform zu bringen, dazu bereitete Vincent ihr Kopfzerbrechen. Die Sache gestern warf einige Fragen in ihr auf. Zudem war sie sich immer noch nicht sicher, was sie nun für Vincent empfand. Eigentlich hatte sie gedacht, dass Ines sie ihr beantworten könnte, doch wie es aussah, war sie keine große Hilfe.
"Was ist denn hier los?" Gerade, als ein Kissen durch die Luft geflogen war, hatte Camille den Raum betreten und musterte ihre zeternden Töchter.
"Ist nicht so wichtig", antwortete Ines darauf ziemlich gleichgültig und Margot hob das Kissen auf, mit dem Ines nach ihr geworfen hatte.
"Ach ja? Liv?" Nun wandte sich die Brünette an Liv und sie merkte, wie ihr unbehaglich zu Mute wurde. Sie hatte keine andere Wahl, als ihr etwas vorzuflunkern. "Ich hab irgendwie den Faden verloren", meinte sie deshalb und zog die Ärmel ihres Pullovers über ihre Hände.
"Kurz gesagt, Liv hat Liebeskummer", sprach Margot schließlich die Wahrheit aus. Nun ja, zumindest die halbe Wahrheit.
"Also genau genommen-", setzte Liv an, doch sie wurde von einer grinsenden Ines unterbrochen. "Wegen Vincent"
"Das stimmt über-", versuchte Liv wieder das Wort zu ergreifen, doch Ines kam ihr wieder zuvor.
"Und ob das stimmt" Und schnell war die restliche Geschichte über die Ungewissheiten ihrer Gefühle erzählt. Liv war es etwas peinlich. Bestimmt hatte ihr Gesicht die Farbe eines Stoppschildes.
Camille hatte sich mittlerweile neben sie gesetzt. "Weißt du Liebes, Liebe ist wie der Wind. Man kann sie nicht sehen, aber spüren" Die Frau legte ihre Handfläche auf ihre Brust. Ungefähr auf der Höhe ihres Herzens. "Genau hier" Liv nickte langsam, doch dann seufzte sie. Sie hatte keine Ahnung, wie sich Liebe anfühlte. Sie wusste nicht, wie es war, wenn man sie spürte.
"Aber wie?", fragte sie schließlich etwas zögerlich und senkte den Kopf. Irgendwie war ihr das Gespräch immer noch unangenehm.
Nachdem Camille ihren Töchtern ein Zeichen gegeben hatte, zu verschwinden, antwortete sie: "Das kann ich dir leider nicht beantworten. Das musst du selbst herausfinden Liv. Aber glaub mir. So schwer ist das nicht. Wenn du wirklich in jemanden verliebt bist, dann wird sich das schneller herausstellen, als du denkst" Sie lächelte warmherzig und Liv konnte nicht anders, als zurück zulächeln.
"Vincent ist ein toller Junge. Ich kenne ihn schon seitdem er ein kleines Baby war und glaub mir, du musst ihm wirklich wichtig sein. Nicht umsonst ist er extra hergekommen, um dich zu sehen", erzählte sie weiter und Liv hob den Kopf.
"Er ist extra wegen mir hergekommen?", fragte sie etwas verwirrt und Camille nickte.
"François hat erzählt, dass er sich Sorgen um dich macht. Ist bei dir daheim alles in Ordnung?", wechselte die liebenswerte Frau so plötzlich das Thema, dass Liv sich etwas vor den Kopf gestoßen fühlte.
"Nein, nicht wirklich", antwortete Liv und erzählte ihr von ihrem neuen Trainer, von Dino und ihrer Mutter. "Demo's Dino" Camille lächelte bei diesen Worten. "Er ist ein französisches Pony, wusstest du das?" Liv nickte. Sie wusste, dass ihr kleiner Ponywallach in Bordeaux gezogen worden war. "Ein tolles Pony. Er hat etwas, was nicht viele Pferde besitzen" Liv lächelte leicht, da hatte sie sowas von recht. Dabei konnte sie nicht einmal genau bestimmen, was es war. Er war einfach einzigartig.
"Weißt du. Jeder Reiter begegnet im Laufe seiner Karriere diesem einen Pferd. Das Pferd zu dem er eine besondere Verbindung spürt. Seinem Seelenverwandten. Man sollte dankbar für die Zeit sein, denn so eines wird es nur ein Mal im Leben geben. Ich glaube Dino ist für dich dieses Pferd. Nicht war?" Liv merkte gar nicht, wie sich während Camilles Erzählung Tränen in ihren Augenwinkeln angesammelt haben. Sie wischte sich schnell mit dem Handrücken über die Augen. Liv wollte nicht, dass Camille sah, wie sie weinte.
Doch diese hatte bereits einen Arm um sie gelegt und drückte sie an sich. "Ach Liebes. Du hast es wirklich nicht leicht", meinte sie und strich ihr sanft über den Rücken. Das gab Liv den Anlass sich gegen ihre Schulter zu lehnen und den Tränen freien Lauf zu lassen. Unglaublich wie sehr sie die Frau in der letzten Woche liebgewonnen hatte. Hier fühlte sie sich beinahe, wie zuhause.
"Jetzt komm", sagte Camille nach einer gefühlten Ewigkeit und half Liv aufzustehen. "Sonst verpasst du noch dein Springtraining" Sie lächelte und führte Liv nach draußen. "Früher bin auch oft gesprungen, aber dieser Wahnsinn hat sich mit der Zeit gelegt. Darum kümmert sich jetzt ausschließlich mein Mann" Sie grinste, als sie vor Jumpers Box angelangt waren.
"Wirklich?", fragte Liv und schob die zweigeteilte Boxentür zur Seite, sodass sie ihr Pony aufhalftern und auf die Stallgasse führen konnte. Sie hätte Camille niemals als Springreiterin eingeschätzt. Eigentlich hatte sie nicht einmal gewusst, dass sie überhaupt reiten konnte.
"Natürlich Liebes. Zwar nicht Ponys und nicht so erfolgreich wie zum Beispiel du. Aber ja es gab Zeiten da hatte ich Spaß daran mit meinen Pferden über Hindernisse zu hüpfen. Allerdings sind diese längst vorbei" Liv wurde warm ums Herz. Immer wenn Camille lächelte, strahlten ihre Augen eine Wärme aus, die ein wundervolles Gefühl in ihr ausbreiteten. Irgendwie fühlte sie sich geborgen; wohl. So etwas hatte sie bei ihrer Mutter bisher nie verspürt.
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