Kapitel 20

"Das ist ja hier alles total luxuriös, nicht war?" Jumper reckte den Kopf aus der Box mit den funkelnden, goldenen Gitterstäben und durchsuchte Livs Taschen nach möglichen Leckerlis. Ines' Vater hatte ihr einen Teil der Anlage und ihr Zimmer gezeigt. Den Rest würde sie schon nach und nach kennen lernen, denn um ihr alles zu zeigen, müsste er sich ein bisschen länger Zeit nehmen, hatte er lachend gemeint. Und das war eindeutig nicht gelogen. Liv hatte sich bereits einmal verlaufen, als sie auf dem Weg zu Jumpers Box war und war in der Sattelkammer gelandet, wo sich gerade ein kleiner, rundlicher Mann über die Unordnung darin aufregte. Als er Liv bemerkte, funkelte er sie nur wütend an und Liv verschwand auch schon wieder durch die Tür.

"Da hast du allerdings recht! Als ich zum ersten Mal hier war, hab ich mich gleich sieben Mal verlaufen. Dabei ist sieben eigentlich meine Glückszahl!" Ein dunkelhaariger Junge hatte sich neben Liv vor der Box aufgebaut. Sie hatte diesen gar nicht bemerkt und zuckte leicht zusammen, als sie die fremde Stimme vernahm. "Hab ich dich erschreckt? Tut mir leid!" Er sprach perfekt deutsch, jedoch ließ sich ein leichter, französischer Akzent nicht vermeiden. Somit tippte Liv, dass er Franzose war - musste aber nicht sein, denn hier in der Gegend sprachen die meisten Französisch, wie Ines und Margot sie bereits belehrt hatten.

Liv wandte sich an den Jungen und blickte direkt in ein wunderschönes, grünes Augenpaar. Auf irgendeine Weise faszinierte er Liv und sie wurde in eine Art Trance gezogen, der sie nur schwer wieder entfliehen konnte.

"Ähm ... Eigentlich nicht"

"Gut" In seinen Mundwinkeln bildeten sich kleine Grübchen. Irgendwie süß. Sofort schüttelte Liv diese Gedanken aus ihrem Kopf, aber er fuhr mit dem wunderschönen Lächeln im Gesicht fort. "Ich bin übrigens François" Er reichte ihr seine Hand. "Du musst Liv sein, nicht war? Vincent hat schon viel von dir erzählt" Vincent? Etwas irritiert blickte Liv in François' Gesicht. Woher kannte er Vincent Chirac? Naja vielleicht gehörte er ja zur Familie. Aber warum redete Vincent von Liv? Wahrscheinlich, weil sie Konkurrenten waren. Liv redete mit ihrer Mutter nicht über ihre Konkurrenz, aber sie sprach beinahe nie mit ihr. Für alles gab es logische Erklärungen. Du musst nicht hyperventilieren!

Dennoch stieg Liv leicht die Röte in die verwirrten Gesichtszüge. François bemerkte es und hob belustigt die Brauen. "Vincent ist mein Bruder und keine Angst, er hat nur Gutes erzählt. Ich muss sagen, dass er Recht hatte - auch wenn ich meinem kleinen Bruder nicht gerne Recht gebe - du bist wirklich hübsch!" Nun war Livs Gesicht endgültig feuerrot. Noch nie hatte jemand zu ihr gesagt, sie wäre hübsch - abgesehen von ihrer Mutter natürlich -, geschweige denn ein gutaussehender Springreiter. Sie senkte den Kopf und hoffte so, dass François es nicht bemerkte, wie ihre Wangen brannten.

"Alles in Ordnung kleine Tomate?" Schmunzelnd fuhr er sich durch die schokoladenbraunen Haare. Seine Augen glitzerten, wie Smaragde. Außergewöhnlich. Stumm nickte Liv. "Weshalb ich eigentlich da bin: Claude ruft dich zum Essen und ich sollte dich holen. Komm, dann lernst du den Rest auch noch kennen!" François führte Liv hinaus aus dem Stall hinüber zum Haupthaus. Er behielt die Schuhe an, weshalb sie es gleich tat. Dorothea Langhoff bestand immer darauf die Schuhe beim betreten des Hauses auszuziehen, weshalb Liv anfangs etwas irritiert war.

An einem langen Tisch saßen eine Handvoll Personen. Bei Livs Anblick, erhob sich eine Frau mit dunklen Haaren und einem freundlichen Gesichtsausdruck, um sie zu begrüßen. "Ah unser Gast aus Deutschland! Ich bin Ines' und Margots Mutter, Camille. Willkommen bei den Rouvieres. Wie es aussieht, kennst du François bereits. Vincent ja sowieso von den ganzen Turnieren, die ihr gegeneinander geritten seid, aber er ist ja jetzt nicht hier." Sie zog Liv in eine Umarmung - so konnte sie wenigstens nicht sehen, wie Liv erneut bei der Erwähnung von Vincents Namen errötete. Na toll, hoffentlich würde das jetzt nicht immer so sein, sonst hätte sie ein ganz schönes Problem.

Es wurde ein gemütlicher Abend. Liv fühlte sich vom ersten Moment an mehr als wohl und ihr wurde schmerzlich bewusst, wie zerstört ihre Familie doch war. An keinem Abend war sie mit ihrer Mutter zusammengesessen und hatte sich nett unterhalten, nie hatte es sich angefühlt, als würde sie wirklich geliebt werden - viel mehr wurden ihre Erfolge geliebt. Als Liv in dem Gästezimmer auf ihrem Bett lag, ertastete sie die Kette um ihren Hals. Ein kleiner Anhänger, der an einem braunen Lederband befestigt war. Er war von ihrem Vater, so hatte es Dorothea Langhoff behauptet. Es war ein L, das wohl für Liv stand. Ihr Vater hatte sie zurückgelassen - und einen Silberanhänger. Sie erinnerte sich an die Bilder und den Bericht im Internet. Thomas Langhoff besaß nun eine neue Familie. Sie fühlte sich verraten, hilflos, zerbrechlich.

Ihr wurde alles genommen - aber für was? Für das Leben, das sie jetzt führte? Sie wusste, dass sie darauf auch liebend gern verzichten würde. Der ganze Erfolg, die Turniere, die Verluste. War es wirklich das, was sie wollte? Wollte sie wirklich ein Leben führen, indem nach jedem Erfolg ein herber Rückschlag kommen wird? Wollte sie noch mehr Pferde, die sie liebte, verlieren? Wollte sie mit dem Erfolg, dem Jubel der Mengen, dem täglichen Training der Pferde leben? Eine Träne rollte ihr über die Wange. Sie führte ein verkorkstes Leben, dass Liv nie wollte. Sie brauchte die Vierbeiner, aber sie brauchte den Erfolg und den ganzen Trubel darum herum nicht. Sie wollte endlich frei sein. Frei von ihrer Mutter, die ihre Regeln schrieb, frei von Trauer über ihre Pferde, frei von der ewigen Einsamkeit.

Sie musste ihren Vater finden!

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Hey :)

Nach einer halben Ewigkeit endlich mal wieder ein Kapitel *freu*, auch wenn es nicht so lang ist ^^ 13. Dezember bis 6. Februar ist schon eine ganz schöne Zeitspanne :D In der nächsten Woche bin ich zum Glück mit Ferien gesegnet worden, weshalb ich auf jeden Fall versuchen werde ein zwei Mal zu updaten :)

Liebe Grüße Marie



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