Kapitel 2
Nach Liv hatte sich ebenfalls Vincent Chirac für das Stechen qualifizieren können, somit würde es etwas schwieriger werden zu gewinnen. Sie würde als zweite reiten. Die Schwedin war nicht wirklich eine Bedrohung, das wusste sie, deshalb musste sie volles Risiko reiten, um eine Chance auf den Sieg zu haben.
Den dritten Platz hatte sie zumindest sicher, auch wenn es nicht genau das war, was Liv, oder besser gesagt, ihre Mutter wollte. Ihre Mutter, Dorothea Langhoff hatte perfekte Vorstellungen von dem Leben ihrer Tochter. Es war das, was sie sich immer gewünscht hatte, aber nie bekommen hatte. Somit müsste es nun Liv für sie leben.
Der Stechparcours war nicht allzu schwer. Fünf Hindernisse, darunter die zweifache Kombination, sollte leicht zu schaffen sein. Liv atmete noch einmal tief durch, dann sah sie wieder vom Rücken ihres Pferdes aus zum Springplatz. Die junge Schwedin war als erste an der Reihe.
Als erstes ins Stechen zu gehen, war meistens am schwersten. Man musste auf volles Risiko reiten und bei den meisten versagten die Nerven, so auch bei ihr, sodass gleich an Sprung Nummer zwei die Stange fiel.
Liv sah ihr konzentriert zu. Sie musste schauen, wo sie Schwierigkeiten hatte und darüber nachdenken, wie sie es besser machen könnte und vor allem dann schneller zu sein, als Vincent Chirac.
Sein Pony war eindeutig schneller als Dino, dafür hatte dieser aber das größere Sprungvermögen. Beides waren große Vorteile, aber es kam immer auf die Situation an. In einem Stechen war bestimmt die Schnelligkeit relevanter, jedoch musste man auch fehlerfrei bleiben und da war ein Pferd, das solide sprang, eindeutig besser, wie Liv sich gerade dachte.
Erneut war der dumpfe Aufprall einer Stange in den Sand zu hören. Am Schlusssprung war ebenfalls eine Stange gefallen. Wenn Liv sich nicht vollkommen anstellen würde, wie eine blanke Anfängern, hätte sie jetzt den zweiten Platz sicher, aber auch das war nicht das, was sie, beziehungsweise ihre Mutter wollte. Nun musste sie etwas riskieren, um den Franzosen und sein Rennpony zu schlagen. Sie wusste, dass dieser Junge Nerven aus Stahl hatte und garantiert nicht patzen würde, deshalb ging es hier alleine um Schnelligkeit. Nebenbei wäre eine Nullrunde auch gar nicht so schlecht.
Liv griff die Zügel kürzer und trabte in den Parcours. Alles oder nichts, jetzt musste sie etwas riskieren!
Sie galoppierte Dino an und richtete ihren Blick bereits auf das erste Hindernis. Der Hengst unter ihr wollte laufen und diesmal gab sie ihm auch die Zügel. Sofort schoss er voran, wie eine Kanonenkugel.
Sie verließ sich nun voll ganz auf das Sprungvermögen ihres Pferdes, das sich gerade kraftvoll vom Boden abdrückte und über die Stangen segelte. Liv hatte keine Zeit nachzudenken, sie tat es einfach und ritt eine scharfe Wendung nach rechts, wie der zweite Sprung mit drei Galoppsprüngen auf die wartete.
Dino flog geradezu über das Doppelrick. Nun kam noch der Steilsprung danach und auch diesen überwanden sie fehlerfrei in einem halsbrecherischen Tempo. Nun die Kombination und dann auf langer Linie zum überbauten Wasser, hier konnte sie noch einmal richtig Gas geben. Sie merkte, wie ihr Pony zu schnell wurde.
Es würde zu eng werden, wenn sie ihn nicht zurückhielt. Sie gab ihm einige Paraden und versuchte ihn wieder vollständig zurück zu holen, was ihr auch gelang. Somit schafften sie die Kombination fehlerfrei, auch wenn sie das ziemlich viel Zeit gekostet hatte. Diese konnte sie nun aber wieder gut machen.
Sie lehnte sich tief über Dinos Hals und trieb ihn dazu noch mit den Zügeln vorwärts. Der Hengst beschleunigte, wie von null auf hundert und preschte über den Springplatz. Die Pfiffe, die als Anfeuerungsgeste dienten, waren deutlich zu hören. Der Sprung kam immer näher, doch Liv dachte gar nicht daran ihr Pferd zurückzuhalten. Sie setzte sich nun wieder in den Sattel und trieb ihn weiter vorwärts. Sie kam zu weit, doch sie trieb ihn dennoch weiter. 'Du musst etwas riskieren, um gewinnen können' meldete sich ihr Unterbewusstsein. Einen halben Galoppsprung vorher, hob sich der Schimmelhengst in die Höhe. Erst jetzt merkte, Liv, dass das auf gar keinen Fall gut gehen würde. Sie hatte ihn direkt in den Oxer springen lassen. Doch Dino schien die Stangen nicht zu berühren. Alles schien auf einmal still.
Doch dann war es vorbei mit der Stille. Mit der Vorhand kam er direkt in die Stangen, die sofort zu Boden gingen. Dino kam strauchelnd am Boden auf und hätte sich beinahe überschlagen, doch Liv hatte im richtigen Moment die Zügel nach oben gerissen, damit er sein Gleichgewicht wiederfinden konnte. Immer noch etwas perplex galoppierte sie ihn schließlich wieder an und überquerte die Ziellinie. Sie erntete einen vernichtenden Blick ihrer Mutter und einen besorgten von ihrem Trainer, als sie den Springplatz verließ. Jetzt hatte sie so gut wie keine Chance mehr auf den Sieg, selbst wenn Vincent Chirac auch vier Strafpunkte hätte, wäre er mit der Zeit bestimmt schneller, da sie durch die kurze Schrecksekunde viel Zeit verloren hatten.
"Alles in Ordnung?", fragte nun Peter, der auf sie zugekommen war. "Ja", antwortete Liv tonlos und ließ sich von Dinos Rücken gleiten. Dieser atmete schwer und schien den Schreck auch noch nicht ganz verdaut zu haben. Liv klopfte ihm den Hals, schließlich konnte er nichts dafür, dass sie Mist gebaut hatte, er hatte seine Sache, wie immer, gut gemacht.
Ihre Mutter kam geradewegs auf sie zu. Jetzt konnte sie sich wieder etwas von ihr anhören lassen. Liv stöhnte leise auf, ließ sich aber nichts anmerken. "Lilliana", ihre Stimme klang schrill, "Warum hast ihn beim Wasser nicht zurückgeholt, dann wäre er nicht in den Oxer hineingesprungen" Liv runzelte die Stirn. Hatte sie ihr nicht noch vorher eingebläut, dass sie unbedingt auf Risiko reiten sollte, da sie sonst zu langsam war? Jetzt sollte sie ihr aber lieber nicht widersprechen, deshalb nickte sie nur stumm. "Schön, dass du das einsiehst. Wenn du schon den Sieg an diesen jämmerlichen Franzosen abgibst"
Liv überhöhte die beleidigende Bemerkung und sah zum Springplatz. Bisher war Vincent Chirac fehlerfrei geblieben und Myocène du Blequin war wirklich ziemlich schnell. Schneller als Dino, da hätte sie sowieso meine Chance gehabt. Auch der letzte Sprung klappte bei dem Paar und nun fiel der Junge seinem Pony um den Hals. Allzu schwer hatte er es ja nicht gehabt, schließlich musste er einfach schauen, dass er null blieb und musste nichts mehr riskieren.
Somit war sie zweite geworden. "Zweiter ist doch auch gut", sagte sie nun zu ihrer Mutter. "Von zweiten Plätzen bekommst du nichts, der Sieg ist das, was zählt", antwortete sie darauf nur trocken und ließ sie und ihren Trainer neben dem Springplatz stehen. "Die Siegerehrung ist gleich, du solltest wieder aufsteigen!", ergriff nun Peter das Wort und Liv schwang sich wieder in den Sattel ihres Schimmels.
Als sie an Vincent Chirac und seinem Hengst vorbeiritt, murmelte sie ein Congratulations. Dieser drehte sich um. "Danke", antwortete er etwas verwirrt. Liv sah ihn etwas verwirrt an. Er sprach deutsch? Ok wenn man 'Danke' sagen konnte, dann sagte das noch gar nichts, jedoch wusste Liv nicht, was danke auf Französisch hieß. "Alles in Ordnung?", fragte er nun und lenkte Myocène du Blequin neben Dino. Liv nickte. "Wieso nicht?" - "Naja, für einen Moment hat es so ausgesehen, als würde dein Pony sich überschlagen" darauf nickte Liv wieder. Sie wusste nicht so recht, was sie sagen sollte, doch dann begann auch schon die Siegerehrung.
Dino bekam eine silberne Schleife an seine Trense gehängt und Liv ein paar Glückwünsche von wichtigen Leuten und eine hellblaue Schabracke. Sie wusste gar nicht, wie viele Schabracke sie schon von Turnieren daheim hatte. Es müssten fast hundert sein und davon benutzte sie vielleicht dreißig. Die anderen lagen alle daheim herum, während die anderen einen Platz in dem Spind von dem jeweiligen Pferd hatten.
Bei der Ehrenrunde war Dino kaum zu halten, er wollte hinter Vincents Hengst hinterher stürmen, doch Liv setzte sich in den Sattel und versuchte ihn so gut wie möglich zurückzuhalten, was ihr dann auch einigermaßen gelang.
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