Kapitel 22

Sanft schob mich meine Freundin in das schlicht eingerichtete Einzelzimmer. Leise trat ich ein, um ihn nicht zu wecken, falls er schlief. Ein leises Stöhnen verriet, dass er nicht gerade im Tiefschlaf war. „Lynea?" fragte er leise in den Raum. Es war recht dunkel und so entzündete ich die Kerzen, bevor ich mich an die Bettkante zu ihm setzte.

„Hallo mein Schöner." begrüßte ich ihn sanft lächelnd und über seine Wange streichelnd. Er hielt meine Hand fest und küsste sie mit seinen spröden Lippen.

„Die Nachricht von deiner Schwangerschaft ließ die Dunkelheit, die sich in mein Herz schlich, weichen. Du bist im sechsten Monat?"

Liebevoll lächelte ich ihn aufbauend an. „Ja. Die Nacht der Zeugung... unsere Nacht ist etwas über sechs Monate her." sinnierte ich.

„Die Nacht war der Wahnsinn!" raunte er amüsiert. „Oh ja ... sie war ... lebhaft und wunderschön. Danach konnte ich einige Tage zwar nicht richtig laufen ... aber das nahm ich gerne in Kauf." schilderte ich.

Der Hauptmann versuchte sich hochzustemmen. „Was tust du? Leg dich sofort wieder hin!" Eomér ließ sich von meinem Befehl beeindrucken und legte sich schmollend hin.

„Du bekommst einen Kuss, wenn du mir alles erzählst!"

„Dafür reicht unsere Zeit nicht meine Schöne. Komm in der Nacht zu mir, wenn alles schläft."

Dem würde ich natürlich nachkommen, also bekam er sofort einen Kuss von mir. Er genoss es und ließ mich nicht so schnell gehen. Das Stöhnen des Hauptmanns klang eher lustvoll als schmerzhaft und so fühlte sich auch der leidenschaftliche Kuss an. Erst das leise Klopfen an der Tür von Isolde riss uns auseinander.

„Schnell, zeig mir deine Wunde!" forderte ich ihn auf. Eomér schlug die Decke beiseite und präsentierte seine rechte Flanke. Eine Klinge verursachte einen tiefen, langen Schnitt, der sich zu allem Überfluss entzündete.

Theodréd kam durch die Tür.

„Wie macht sich unser Patient?" fragte er interessiert.

Gewichtig fummelte ich an Stoffen und Tinkturen herum, um den Schein zu wahren. „Isolde und Jolanda haben ganze Arbeit geleistet. Er wird wieder." antwortete ich zu seiner Zufriedenheit.

„Dein Schwiegervater ... ist ... sehr speziell... . Glückwunsch zu deiner Schwangerschaft. Boromir muss sehr glücklich sein." wechselte der Prinz das Thema.

„Ich danke dir! Ja er freut sich sehr. Natürlich hoffen alle auf einen Jungen ... aber das werden wir erst später herausfinden. Wie geht es dir? Hast du endlich eine passende Gemahlin, die dir einen Erben schenkt?"

Meine Frage hatte einen Hintergedanken. Ich wollte einfach wissen, ob Eomér's Plan fruchtete.

„Nun ... ich fühle mich etwas schlecht. Eomér's Verlobte hat es mir angetan ... sie ist aber hin und her gerissen... Es ist alles etwas verzwickt."

Mein Blut begann zu kochen. Geschäftig machte ich Eomér's Wunde sauber. Meine Wut kaum im Zaum haltend, drückte ich etwas fester auf die Verletzung, so dass mein Patient das Gesicht verzog.

„Eomér, davon sagtet ihr ja gar nichts. Glückwunsch zur Verlobung!" meinen Missmut konnte ich nur schlecht verbergen, was Theodréd scheinbar nicht auffiel- Eomér hingegen schon.

„Theodréd, ich habe kein Interesse an Lothiriel! Natürlich würde ich, ohne mit der Wimper zu zucken die Verlobung lösen, um Euer Glück nicht im Wege zu stehen!" Es kostete dem Hauptmann Mühe, mit so viel Nachdruck sich zu rechtfertigen.

„Ich weiß, dass es nicht an dir liegt, mein Freund! Du hast nur Augen für Lynea. Sagt der Prinzessin, dass sie euch nichts bedeutet, und sie würde sich in meine Arme schmeißen." aus unerklärlichen Gründen wusste der junge Thronfolger von der Gefühlswelt seines Hauptmanns.

Mit offenem Mund starrte ich ihn an.

„Theodréd – das habe ich! Sie glaubt, dass ich nur Zeit brauche, um die Frau zu vergessen, die ich Liebe und mich ihr zuzuwenden! Jeden Tag versuche ich sie in deine Arme zu treiben!"

Bevor ich etwas Falsches sagen würde, sagte ich lieber nichts und beobachtete das Schauspiel und beendete die vorgegaukelte Arbeit an der Wunde.

„Lass uns allein", bat mich Eomér leise. Scheinbar waren sie noch nicht mit ihrer Diskussion am Ende.

„Ich bin fertig und werde nachher nach dir sehen! Theodréd, er gehört dir." der Prinz hatte nun die Aufsicht für meinen Liebsten.

Jolanda und Isolde empfingen mich an der Tür. Gemeinsam entfernten wir uns schnellen Schrittes vor neugierigen Ohren und verzogen uns in meine Gemächer.

„Es ist Eomér's Kind?" fragte mich meine Freundinnen wie aus einem Munde. Meine Hand ruhte auf meinen seit sechs Monaten wachsenden Bauch. Ein zaghaftes Lächeln beantwortete ihre Frage.

„Das erklärt so einiges..." stellte Isolde fest.

„Was meinst du?"

„Eomér war von vornherein bemüht, Lothiriel sich vom Hals zu halten ... Doch seit deiner Nachricht legt er sich richtig ins Zeug. Außerdem war er erstaunlich oft bei bester Laune. Die Verletzung, die er sich zuzog, hätte ohne weiteres heilen können, doch er riskierte mit Absicht eine Entzündung, um hier her gebracht zu werden – zu dir!"

Ich war verzückt und erschrocken zugleich über den Bericht.

„Lynea, du musst ihm klar machen, dass das Kind mit Boromir als Vater aufwächst! Er scheint das nur allzu gerne zu verdrängen."

Kopfschüttelnd nahm ich meinen Liebsten in Schutz.

„Das weiß er sehr wohl! Doch die Tatsache, dass uns nun etwas verbindet, mehr als Worte der Liebkosung ... dass lässt ihn beflügeln, ebenso wie mich. Ich verstehe ihn, auch wenn ich nicht billige, dass er sich in Gefahr gebracht hat, um hierher zu gelangen ... ich rede mit ihm! Ihr habt mein Wort!" Meine Freundinnen berichteten mir alles, was sich in Edoras abspielte, nachdem diese Unstimmigkeit aus dem Weg geräumt war. Sie berichteten jedoch nicht nur gutes.

Unruhen machten sich im Land breit und so musste Eomér immer häufiger an der Seite des Prinzen kämpfen, um wieder für Recht und Ordnung zu sorgen.

„Es ist unheimlich Lynea und die Überfälle nähern sich immer mehr den Großstädten. Deine Eltern hatten ebenfalls damit zu tun. Außerdem ist der neue Berater vom König sehr unheimlich... . Die Dunkelheit scheint immer mehr an Macht zu gewinnen. Spürst du das auch Lynea?"

Tatsächlich konnte ich diesen Bericht nicht bestätigen. In Minas Thirith war mir nichts dergleichen aufgefallen. Wobei Rioa kürzlich erst beim Truchsess vortrug, dass haufenweise tote Fische aus dem Anduin angespült wurden. Dem wurde keine weitere Beachtung vom Truchsess geschenkt – vielleicht war das ein Fehler – überlegte ich.

Auf Nachfrage erzählten mir die beiden, wie sich Edda als Witwe schlug und was meine Cousine Malea so trieb.

„Sie ist ...." Jolanda stockte, als wollte sie nicht so recht mit der Sprache rausrücken und suchte mit ihren Blicken Halt bei Isolde.

„Was ist mit meiner Cousine?" hakte ich nach.

„Sie ist schwanger – von Halev und wurde wieder nach Hochborn geschickt. Sie hat sich von einem Mann einfachen Standes entjungfern lassen und trägt nun dessen Balg aus. Das arme Kind ... sie war doch noch so jung!"

Schockiert darüber, dass meine jüngere Cousine so ein Unfug machte, stammelte ich nur vor mir hin: „ Eomér sollte sie doch im Auge behalten...."

„Das hat er! Doch seit den Unruhen, war er mehr auf Schlachtfelder als zu Hause. Somit hat sich niemand um Malea geschert und sie konnte sich ungehindert Halev hingeben... Es ist nicht seine Schuld! Es ist auch nicht deine schuld!" beteuerte Isolde.

Das mochte so sein, doch das schlechte Gewissen nagte an mir.

Boromir suchte mich auf und unterbrach die Plauschrunde. „Lynea, komm schnell in die Königshalle! Isolde, Jolanda, kommt mit – Heiler werden gebraucht!"

Sein besorgter Ausdruck und die Dringlichkeit in seiner Stimme setzten mich in Bewegung ohne Fragen zu stellen.

Von weitem roch ich Blut und hörte Schmerzensschreie.

Beim Betreten der Halle bestätigte sich mein Verdacht, Verletzte tummelten sich, doch nur ein paar Menschen aus Osgiliath. Darunter machte ich Rioa aus. Eilig stürzte ich zu meiner Freundin, während meine beiden Begleiterinnen sich um die anderen Verletzten kümmerten.

„Sie spricht nicht ... wir wissen nicht, was passiert ist." flüsterte Boromir mir ins Ohr. Deswegen war ich hier – um aus ihr herauszubekommen, wer oder was die Menschen so zugerichtet hatte.

„Was ist mit den anderen Bewohnern geschehen?" fragte ich in die Runde, während ich Rioa mit meinen Augen nach Verletzungen absuchte.

„Unten im ersten Ring .... Von denen, die Überlebten... viele ließen ihr Leben..." Boromir's Stimme war rücksichtsvoll leise. Er wusste, dass viele meiner Freunde aus der kleinen Stadt am Anduin kommen.

Mein Mann zog sich zurück und eilte mit seinem Bruder zu einer dringenden Versammlung. Es bedurfte nicht viel außer Zuneigung und Raum, um Rioa 's Bericht zu erfahren. Als sie vermeintlich vernünftige Sätze bildete, die Sinn ergaben, schickte ich nach Boromir. Keuchend kam er angerannt und lauschte ihren schaurigen Worten.

Sie sprach von Kreaturen, entsprungen aus der Finsternis, Orks aus Mordor waren in diesem Moment dabei die Stadt vor Minas Thirith einzunehmen. Eine Tatsache, die sofortige Handlung bedurfte. Die Truppen versammelten sich und auch Boromir eilte in die Waffenkammer. Meine Freundin wurde von Heilern behandelt, während ich meinen Mann beim Anlegen der Rüstung unterstützte. Innerlich aufgewühlt vor Sorgen, bat ich ihn, auf sich Acht zu geben. Mit einem Kuss auf meiner Stirn besiegelte er sein Versprechen, dass er zu mir zurückkehren würde.

„Informiere Eomér. Rohan wurde bereits angegriffen. Wir können keine Soldaten zur Unterstützung schicken! Die Geschicke der Länder liegen nun jeweils in den Händen der Könige und Truchsesse. Der Hauptmann von Edoras muss heimkehren!"

Leider hatte mein Mann nur allzu recht. Nicht nur ihn schickte ich in den Krieg, sondern auch meinen Liebsten .... was waren das nur für furchtbare Zeiten?

Einen Moment blickte ich meinen Mann und Schwager nach, wie sie gefolgt von einem Heer nach Osgiliath galoppierten. Schweren Herzens trottete ich in die Hallen der Heilung und suchte Eomér auf. Meine Freundinnen saßen bei ihm und so konnte ich allen über die Ereignisse berichten. Mit offenen Mündern lauschte man meinen Worten, keiner wagte es, mich zu unterbrechen. Selbst nachdem ich endete, blieb es beängstigend totenstill „Jolanda, Isolde, berichtet den Prinzen von diesen Ereignissen! Dann bereitet unsere Abreise vor – wir brechen sofort auf! Ich benötige noch etwas Zeit mit Lynea."

Beide Freundinnen drückten mich kurz bevor sie das Krankenzimmer verließen. Der lädierte Krieger machte für mich Platz im Bett. Es bedurfte keiner Worte und ich verstand seine Geste blind. Behutsam legte ich mich zu ihm, meinen Kopf auf seinem Arm und meine Hand auf seine Brust.

„Sollen wir einfach einen Moment hier liegen und nicht reden?" fragte er rücksichtsvoll. Der Kloß in meinem Hals wurde immer größer, meine Augen immer feuchter. Irgendwann konnte ich den Damm nicht mehr halten und so floss über Eomérs Arm mein salziges Augenwasser.

Wir blieben so lange liegen, bis eine meiner Freundinnen leise an der Tür klopfte. Die Eorlinga waren bereit für den Aufbruch.

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