Kapitel 2
Prüfend warf meine Ausbilderin einen Blick auf mein Werk und nickte zufrieden.
„Da hast du dir ja besonders große Mühe gegeben, Kind. Du kannst dich geehrt fühlen, Eomér. Lynea's erste Naht ist ein Meisterwerk geworden. Reib seine Brust noch mit Pferdesalbe ein, damit der Junge bald wieder trainieren kann."
Edda drückte mir einen Pott mit nach Menthol riechender Salbe in die Hand. Nicht umsonst hieß sie Pferdesalbe, denn in der Tat wurde sie dafür benutzt, um den Vierbeinern überstrapazierte Beine zu behandeln oder wenn sie lahmten.
Es kostete mich große Mühe, weder albern zu kichern, noch schneller zu atmen ... . Mein Gesicht war bereits rot von der Anstrengung, das machte also keinen Unterschied mehr.
„Wo tut es weh?" fragte ich betont gelangweilt, um meine Aufregung zu verschleiern. Zu meiner Überraschung griff Eomér nach meiner Hand und legte sie seitlich auf seine linke Brust. Sein Herz schlug recht schnell, ich konnte es fühlen. Erstaunlich – wirkte er doch so ruhig.
„Die Salbe fühlt sich kühl auf der Haut an und du wirst nach einem Kräutergarten riechen, doch sie hilft ausgesprochen gut." Schnell nahm ich meine Hand runter und lächelte zaghaft.
„Woher weißt du das? Wie viele Verletzungen hast du schon gehabt, die du mit dem Zeug behandelt hast? Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Gräfin so schwere Arbeiten verrichten musste, dass es zu sowas kommt."
Er klang ernst und nicht, als wollte er mich veralbern oder wegen meines Standes aufziehen.
„Hochborn ist umgeben von Felsen und Stein. Ein falscher Tritt und das Geröll bricht einem unter den Füßen weg. Ich habe mir schon so oft dadurch den Knöchel verstaucht... das ging aber nicht nur mir so, so dass unsere Heiler ganze Fässer von der Salbe anfertigen."
Aufmerksam sah mich mein Patient an, während ich vorsichtig seine Brust mit der Salbe bestrich.
„Ich bin in Hochborn geboren, wurde aber noch als Kleinkind, nach dem Tod meiner Eltern, hierher gebracht zu meinem Onkel. Wir kennen uns schon seit dem ersten Tag, als du hierher kamst, aber ich wusste nicht, dass wir solch eine Gemeinsamkeit haben... Wie ist es dort? Erzähl mir bitte davon."
Erstaunt über seine Freundlichkeit und Interesse, wurde die Behandlung nebensächlich und wir vertieften uns in eine angenehme Unterhaltung. Er war sehr neugierig und stellte viele Fragen. Da ich bis zum 12. Lebensjahr dort lebte, konnte ich eine Menge berichten.
Meine Eltern wollten mich so früh wie möglich in der Hauptstadt wissen, damit ich mich hier einlebte und eine gute Partie heiratete ... was ich wollte, war nicht von belangen. Gefühlt war ich noch ein Kind, das ganz allein in die Fremde geschickt wurde. Mein Bruder durfte in Hochborn bleiben, nicht einmal ihn hatte ich an meiner Seite. Selbst die Wachen, die mich auf der Reise begleiteten, hatten sich mit mir angefreundet - verließen mich noch vor den Toren Meduseds. Wie ein Waisenkind stand ich vor dem Eingang der goldenen Halle – verunsichert und eingeschüchtert. Der freche Eomér war es, der mich keck fragte, ob ich Wurzeln schlagen wollte und mich dann freundlich zum König begleitete. Da war es schon um mich geschehen ... vom ersten Tag an...
Everard kehrte Edda den Rücken zu, nachdem sie zustimmend nickte. Sie hatten eine Vereinbarung getroffen.
„Eomér, du solltest dich wohl dem Training fern halten, solange die Fäden nicht gezogen sind. Damit du nicht allzu untätig bist, hilfst du hier in dem Haus der Heilung. Du wirst ohne Widerworte tun, was dir unsere Hohe Heilerin Edda beauftragt!"
Ich konnte in seinem Gesicht lesen – er war höchst unzufrieden, man könnte auch sagen – mürrisch. Ich wiederum hatte nichts gegen seine Gesellschaft einzuwenden. Sicherlich würde er ebenso unliebsame Arbeiten verrichten, wie ich und wir würden mehr Zeit zusammen verbringen, als in den letzten Jahren. Früher traf ich ihn ab und zu in der Bibliothek an. Er eignete sich Wissen über Kriegsführung an, doch hin und wieder erwischte ich ihn mit einem Buch in der Hand, dessen Inhalte weniger barbarisch, eher romantischer Natur waren. Damals redeten wir nicht viel miteinander, viel zu schüchtern wie ich war, traute ich mich nicht und beobachtete ihn stattdessen. Leider ertappte er mich dabei und sprach mich darauf an – nur so entstand damals eine kurze und angespannte Unterhaltung.
„Wann werden mir die Fäden gezogen?" fragte er mich missmutig und riss mich aus den Gedanken. Knapp antwortete ich: „In zehn Tagen. Es tut mir leid, aber würde ich sie früher ziehen, könnte die Wunde aufgehen und sich entzünden. Deine Heilung würde sich dann noch mehr in die Länge ziehen und es könnte zu Komplikationen führen." eliminierte ich seine Folgefrage, die ihm schon im Gesicht stand.
Seufzend erhob er sich und zog sich sein Hemd über. „Danke.... Wann soll ich morgen zum Dienst erscheinen?" Dabei mied er jeglichen Augenkontakt mit mir und blickte Edda fragend an.
„Morgen müssen wir einige Samen ernten, die vor Sonnenaufgang vom Feld geholt werden müssen. Ich schlage vor, ihr geht heute früh schlafen." wies ihn meine Ausbilderin an.
Gesagt, getan. Noch in der Dunkelheit brachen Edda, Jolanda, Isolde und ich auf.
Ich wurde von allen dreien ausgebildet – sie waren die besten Heilerinnen in ganz Rohan. Jolanda und Isolde waren Edda's Töchter, bereits Anfang zwanzig und derzeit glücklich vergeben. Die beiden waren meine besten Freundinnen und wussten um meine Gefühle für Eomér.
Ich wurde angewiesen, mich um die Mohnblumen zu kümmern, zunächst allein, bis unser vorübergehender Helfer dazustoßen würde.
Es verging eine Zeit, bis der lädierte Kriegerlehrling wenig motiviert angeschlendert kam. Seine Müdigkeit zeigte mir, dass er sonst nicht unbedingt der Frühaufsteher war.
„Guten Morgen." grüßte ich ihn freundlich und reichte ihm ein kleines Messer. Murmelnd erwiderte er den Gruß und nahm ungläubig sein Arbeitsmittel an. „Wollt ihr die Hallen mit Blumen schmücken?" Ich hörte deutlich seine schlechte Laune heraus.
Kopfschüttelnd erklärte ich ihm den Zweck der Ernte von Mohnblumen. „Wir stellen Saft daraus her, der stark Verletzten die Schmerzen nimmt. Man muss aufpassen bei der Dosierung, zu viel davon könnte jemanden töten. Auch macht diese Substanz bei Übergebrauch süchtig. Dennoch ist es hilfreich, wenn wir amputieren müssen oder jemand Mehrfachverletzungen hat."
„Gut, was soll ich machen?" fragte er wenig interessiert. Etwas beleidigt von der scheinbar geringen Anerkennung, deutete ich auf die Blüten. „Drei Finger breit unter der Blüte, den Stängel abschneiden. Das war's." Nickend bestätigte er mir, dass er seine Aufgabe verstand und machte sich ans Werk.
Ich gesellte mich zu ihm und arbeitete stumm, bis die ersten Sonnenstrahlen sich am Horizont schlichen und den Sonnenaufgang angekündigten – das Ende unserer Erntezeit. Eomér und ich hatten das Feld, was uns zugewiesen wurde, geschafft und so konnte ich den Anblick genießen. Ich setzte mich auf einen Hügel, unweit von unserem Arbeitsbereich entfernt und schaute dabei zu, wie ein neuer Tag begann. Überraschenderweise ließ sich mein Patient neben mir nieder. „Wunderschön." kommentierte er das Naturspektakel. Ich schaute ihn an und schenkte ihm ein kleines Lächeln.
„Normalerweise ist es lustiger mit mir." entschuldigte er sich. Verständnisvoll sah ich ihn an. „Kurze Nacht, hmmm?" Nickend bestätigte er meine Vermutung. „Hast du Schmerzen?" fragte ich besorgt. Meinen Verdacht bestätigend nickte er stumm. „Ist es die Wunde?"
„Nein, ... jeder Atemzug schmerzt."
Seine Prellung saß an einer ungünstigen Stelle. „Lass mich einen Blick darauf werfen." bat ich ihn höflich. Ohne Worte zog er sein Hemd hoch und ließ mich ihn untersuchen. Ich wollte seine Lunge abhorchen. „Lass mich hören, ob mit deinen Organen alles in Ordnung ist." Bereitwillig ließ er das zu und legte sich ins Gras. Nervös legte ich meinen Kopf auf seine Brust und gab ihm Atemkommandos. Ich konzentrierte mich und schloss die Augen. Die umliegende Stille machte es mir leicht, einen klaren Befund zu stellen. Doch aus purem Eigennutz verweilte mein Kopf etwas länger auf seiner Brust. Meine Wange berührte seine weiche, haarlose Haut. Ich zwang mich, ruhig zu atmen und bemerkte, dass der Hauch meines Ausatmens Gänsehaut bei Eomér auslöste. Zusätzlich legte ich meine Hand auf seine Brust. „Atme bitte tief ein und langsam aus." Er tat, worum ich ihn bat. Nach wie vor war alles, was ich hörte, unauffällig. Ich entfernte mich mit Bedauern von ihm.
„Die Organe sind unbeschädigt. So eine Prellung tut sehr weh, mehr als ein Knochenbruch. Wenn die Salbe nicht wirkt, muss ich mit Edda Rücksprache halten, ob du vielleicht zum Schlafen etwas Mohnblumentrank bekommen solltest."
„Nein danke! Das Zeug ist mir nicht geheuer. Vielleicht verschafft die Pferdesalbe mir noch etwas Linderung." Das war eine vernünftige Sichtweise. Ich wollte aufstehen, um mit ihm in die Hallen zu gehen, doch er hielt mich am Arm fest. „Warte... "Es eilt nicht!" Erstaunt ließ ich mich wieder nieder.
„Ich habe, wenn überhaupt, schon lange keinen Sonnenaufgang in der Schönheit gesehen." erklärte sich mein Begleiter, vermutlich wegen meines fragenden Blickes. Ich griff in meine Tasche und holte ein kleines Leib Brot, welches im Stoff umwickelt war, heraus. Nach dem Aufstehen war es noch zu früh zum Essen, also nahm ich das mit. Ich zupfte es in zwei Hälften und gab Eomér die größere davon. Unüberhörbar knurrte nämlich sein Magen.
Er wirkte verwundert, nahm das Angebot aber zögerlich an. „Warum bist du so nett zu jedem Lynea?"
„Was denn - stört dich das?" stellte ich lachend die Gegenfrage.
„Nein, nicht im geringsten. Doch du bist auch zu den Menschen freundlich, die dich abwertend behandeln. Meine Schwester Eowyn zum Beispiel. Sie ist gemein zu dir, macht sich bei jeder Gelegenheit lustig über dich. Du wehrst dich nicht .... wieso?"
Schlichtweg hielt ich es nicht nötig... Ihre Worte prallten an mir ab. „Sie ist es nicht wert, dass ich mich auf Ihre Gehässigkeiten einlasse. Ich brauche mehr als genug Energie für meine Ausbildung. Du weißt, was als Lehrling von einem abverlangt wird."
„Ja, das verstehe ich nur zu gut, doch mich mögen alle... Deine Eltern schicken dich hierher, um einen ehrbaren Ehemann zu finden. Doch keiner der Adligen bekundet Interesse an dir." stellte er fest.
„Ja, so scheint es.... Das soll mir recht sein ... Das, was hier an Adel geboten wird, ist nicht gerade verführerisch..."
Eomér begann laut los zu lachen. Von da an wuchs unsere Freundschaft. Wir verbrachten jede Minute der Arbeitszeit miteinander – Tag für Tag. Er half mir bei meinen Pflichten, auch bei körperlich schwerer Arbeit, denn seine Prellungen und Wunde verheilten erfolgreich und schnell.
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