☙Kapitel 47 - Eine alte Bekannte❧
Als die Nachricht umherging, dass man nun aufbrechen sollte, wurde es draußen vor den Kutschenfenstern wieder laut, als das Gefolge sich in Gang setzte. Den gesamten Weg durch die Stadt winkte Ionas aus dem Fenster, lächelte den am Straßenrand stehenden Bürgern zu und fing sogar einige der geworfenen Blumen grinsend auf. Das Volk in Nordja liebte ihn.
Effedra selbst hielt sich bedeckt und im Hintergrund und Ionas hatte das Gefühl, als wolle sie um keinen Preis mit ihm gemeinsam gesehen werden. In gewisser Hinsicht verstand er es. Er war schließlich ihr König und auch wenn ihm jedes Recht zustand sich zu zeigen mit wem er wünschte, so war es dennoch eine waghalsige Geste sich mit einer Frau in heiratsfähigem Alter an die Öffentlichkeit zu wagen. Außerdem stand ihm selbst wenig nach Konversation, denn die bisherigen Gespräche, die er mit Effedra gehalten hatte, waren alles andere als informativ oder angenehm gewesen. Was zuletzt daran lag, dass sie kaum etwas sagte, wenn man sie nicht direkt dazu aufforderte und Ionas gewiss kein Mensch war, der anderen Löcher in den Bauch fragte, so wie Cheiri das zum Glück ebenfalls mitbekommen hatte.
Sie war außerdem ebenfalls ein Grund, warum er nun schweigend und in sich gekehrt die Straßen vor seinem Fenster betrachtete und schließlich das Lächeln fallen ließ, als sie die dicken Stadtmauern hinter sich gelassen hatten. Er hatte heute Morgen keine Zeit gefunden mit Bahron persönlich zu sprechen, der Grund, weswegen sein Fürst ihm eine Leibwache, getarnt als Kammerzofe, zugestellt hatte, und es nicht als nötig empfunden hatte ihn darüber aufzuklären, wollte sich ihm noch nicht erschließen. Außerdem musste er ständig an das Blut denken, Cheiris Blut, nicht seines oder das des Attentäters, welches er trotz mehrerer Bäder – ohne Cheiri – immer noch meinte auf seiner Brust zu spüren.
Erst als auch die jubelnden Rufe nicht mehr zu hören waren und vor den Fenstern nur noch Weg und Wald vorbeizog, atmete Ionas auf. Er konnte passabel schauspielern, doch er mochte es nicht. Er war aufgewühlt, unzufrieden und versuchte seine Sorgen, die Bahron und Cheiri betrafen, zu Gunsten seiner anderen, älteren Sorgen zu dämmen. Er konnte es nicht erwarten endlich nach Magrad zu kommen. Ihr erster Zwischenstopp im Osten war das Fürstentum Sajanuwé und genau wo Ionas hinwollte. Von der Klippenstadt aus, führte der Seilzug hinunter in die endlose Grasebene in der auch die kleine Stadt Magrad nicht weit weg lag. Von der war es nur noch eine mehrstündige Reise zu Fuß bis zu jener schicksalshaften, kleinen Kapelle, die ihn schon seit Wochen nicht mehr losließ. Er würde bestimmt eine Nacht entbehren können, um von seinen eigenen Festlichkeiten zu fliehen und persönlich einen Blick auf den kleinen Gebäudekomplex zu werfen.
Ein verhaltenes Rascheln riss ihn zurück ins Hier und Jetzt und mit einem kalten Schlag in den Magen, wurde ihm bewusst, dass er ja nun nicht mehr alleine war und seine Gedanken besser in Zaum hielt.
„Tut mir Leid, ich muss fürchterlich unhöflich wirken, so in mich gekehrt", meinte er dann entschuldigend und wandte sich von dem Fenster ab, um seiner Begleitung ein freundliches Lächeln zu schenken.
„Keineswegs! In Gedanken versinken wir alle ein Mal, warum sollte sich das bei Euch als König anders verhalten? Gedankengut ist oftmals wertvoller als ein Sack voll Gold", entgegnete die Dame ihm gegenüber und in ihren Augen fing sich das Licht der Morgensonne.
„Du musst es wissen. Dein Vater hat mir von deinem Handelsgeschick und deinen Reisen erzählt", stieg Ionas höflich ein und lächelte.
Effedra lachte hinter vorgehaltener Hand. „Nun, Ihr könnt Euch sicher sein, dass ich Euch mit mehr als nur Tee erfreuen kann."
Ionas nickte schmunzelnd. „Bitte, versteh das nicht falsch, dein Vater ist ein sehr freundlicher Mann, aber der Tee scheint ihm zu Kopf zu steigen."
„Wohl wahr, wohl wahr", konstatierte Effedra mit leicht belegter Stimme und rückte die hübschen Blumengestecke in ihren Haaren zurecht. Den Blick auf ihre gebräunten Hände gerichtet, die wie Ionas feststellte gar nicht so fein und makellos waren, wie er es bei Hofdamen gewohnt war, wechselte Effedra mit leisem Ton das Thema.
„Eure Mutter, mein König", begann sie mit gedämpfter Stimme. „Verzeiht, wenn ich zu neugierig erscheine, doch die Sorge um die Königin des Landes geht weit umher. Selbst in den Provinzen im Süden und Osten spricht man von der rücksichtslosen Krankheit."
Ionas Mine wurde zu Stein. „Es ist in der Tat eine sehr rücksichtslose Krankheit, da hast du Recht. Doch ich möchte nicht darüber sprechen", meinte er abweisend und biss die Kiefer fest zusammen.
Effedra nickte. „Verzeiht."
Daraufhin war es eine Weile lang still und neben dem Hufgetrappel, dem Klirren der Rüstungen und dem Knirschen der Wagenräder, verlor sich Ionas erneut in niederringende Gedanken. Er fühlte sich mit einem Mal erdrückter und isolierter als zuvor und ein Teil von ihm wünschte sich, Cheiri würde statt Effedra bei ihm in der Kutsche sitzen. Er musste sich zusammenreißen.
Mit einem gefassten Seufzen wandte er sich von der Landschaft vor dem Fenster ab und richtete seinen Blick auf die Frau ihm gegenüber.
„Nein, ich muss mich entschuldigen. Die letzten Wochen waren ermüdend und zehrend, verzeih mir, wenn ich ein wenig unglimpflich wirke."
Effedras volle Lippen verzogen sich zu einem verhaltenen Lächeln. „Ihr wirkt keineswegs unglimpflich, Eure Hoheit. Bloß unwillig ein Gespräch mit einer Fremden zu führen, die Euer Alter mit elf Jahren übertrumpft und deren Gesellschaft allein aus dem Grund arrangiert wurde, um eine glückliche Hochzeit als Resultat herbeizuführen, währenddessen Euch doch ganz andere Gedanken durch den Kopf gehen."
Ionas starrte sein Gegenüber fassungslos an, während er die Hitze spürte, die in seine Wangen kroch. Hätte er doch bloß den Mund gehalten und weiterhin in Stille auf ihren ersten Zwischenstopp gewartet. Es missfiel ihm, dass sie ihn derart gut durchschaute, bloß eine Regung in seinem Kiefermuskel zu deuten wusste, ja gar seine Gedankengänge zu spüren schien und dass sie sich genau diese Themen herauspickte machte ihn ärgerlich und gab ihm das eklige Gefühl der Hilflosigkeit.
Als er es nicht schaffte eine adäquate Antwort zu geben, unterdrückte Effedra ein zu heftiges Grinsen und fuhr fort.
„Nun, Ihr müsst wissen, ich fühle mich wirklich geehrt in Eurer Privatkutsche mitreisen zu dürfen, versteht das nicht falsch, doch wir wissen beide, dass Euch nicht im Geringsten der Sinn nach Heirat steht."
Ionas fuhr sich rasch über das Gesicht und setzte sich gerade auf. „Könnten wir das Thema wechseln?" Er wusste ja, dass es äußerst merkwürdig erscheinen musste, dass er sich so wenig um eine Vermählung kümmerte, aber mit Shyra, Aredhel und Samiro im Hinterkopf erschien ihm jeglicher Gedanke daran wie glühende Kohlen auf nackter Haut.
Die Frau lächelte ihn entschuldigend an. „Natürlich, bitte verzeiht ... Liegt es daran, dass Ihr nicht an Frauen interessiert seid, Eure Majestät?"
Ionas verschluckte sich beinahe, schaffte es aber noch als ein Räuspern zu tarnen. „Meinst du es steht dir zu derartige Fragen an deinen König zu richten?"
Effedra, die anscheinend erst Spaß daran gefunden hatte sich zu unterhalten, legte den Kopf schief. „Ich entschuldige mich erneut vielmals, wenn ich zu direkt erscheine, Eure Hoheit. Ich bin nur neugierig – und zugegeben ein klein wenig enttäuscht, dass Ihr so abweisend sein könnt."
Worauf habe ich mich nur eingelassen, ging es Ionas durch den Kopf. Atme einfach. Tief und lang. Es wäre ihm lieber gewesen, Effedra wäre wie die letzten Male ihrer Konversationen verschlossen und still gewesen und spräche nur, wenn man sie dazu aufforderte, doch in der Abgeschlossenheit der Kutsche schien die Frau erst Recht zum Leben erwachen.
„Ich kann mich nicht entsinnen jemals verlautbart zu haben, dass es hierbei um eine Hochzeit geht. Fürst Bahron ist ein guter Freund und noch besserer Verbündeter. Seine Bitte war es, seine einzige Tochter auf diese Reise mitzunehmen – wegen Gründen derer Absichten ich mir noch nicht ganz im Klaren bin. Sei nicht undankbar, indem du mir Löcher in den Bauch fragst. Es erweckt sonst den Anschein, du würdest deinen König nicht schätzen", meinte Ionas dann mit angestrengter Stimme und kämpfte gegen den langsam immer stärker werdenden Schmerz in seiner Schläfe an.
Effedras Mine veränderte sich kaum merklich. Das freundlich milde Lächeln zog sich langsam zurück, ihr Blick ruhte aber weiterhin auf Ionas.
„Es gibt eine Menge Gründe, weswegen mein Vater tut, was er tut. Und es gibt eine Menge Absichten, die ich selbst verfolge, indem ich mich zu Euch in eine Kutsche setzen ließ. Aber Ihr habt Recht! Genug der langweiligen Heiratspolitik!" Ihr Gesicht hellte sich wieder auf, als sie sich leicht nach vorne beugte und die Hände im Schoß faltete. „Sagt man Euch häufiger, dass Ihr keine Ähnlichkeit mit dem Königspaar habt?"
Ionas Gesicht wurde zu Stein, als er Effedras Blick erwiderte. Nein. Nein, nein, nein. Das kann sie unmöglich wissen, schoss es Ionas durch den Kopf. Nein, woher auch? „Nein, du bist die Erste, die diese – verzeih den Ausdruck – absurde Vorstellung an den Tag legt."
„Hm", machte Effedra und lehnte sich wieder zurück. „Ich hätte schwören können Aredhels Lächeln wäre nie so verzerrt zu Tage getreten, wie es das bei Euch gelegentlich tut. Es war nicht ihre Art, müsst Ihr wissen."
Ionas zeigte keine Reaktion.
„Und sie hätte vermutlich in einer Situation wie dieser immer das genaue Gegenteil von dem getan, was Ihr getan habt."
„Möglicherweise lässt du außer acht, dass ich neben meiner Mutter auch die Gene meines Vaters besitze", antwortete Ionas um ein Lächeln bemüht, das seine in Zorn umschlagende Panik nur halb verdeckte.
„Wer das wohl sein mag ...", murmelte Effedra mit schelmischem Blick, als sie sich erneut an den Bändern und Gestecken auf ihrem Kopf zu schaffen machte. Es waren eigentlich wunderschön gewobene Bänder und genähte Stoffblumen, die ihr dunkles Haar durchzogen. Warme rot und orange-Töne, die ihre sandfarbene Haut in einen schönen Kontrast setzten und Ionas musste zugeben, dass diese Frau sehr hübsch war, doch als sie bedächtig damit fortfuhr ihre Frisur zu lösen, immer mehr der Bänder und Gestecke zu lockern, desto unruhiger wurde der junge König. Was hatte ihren scheinbar plötzlichen Gemütswandel verursacht? Ionas musste zugeben, dass er sie schon immer für eigen gehalten hatte, doch dass sie zu so einer akuten Persönlichkeitswandlung verfügte, war ihm nicht geheuer. Wie Cheiri, ging es ihm durch den Kopf und mit einem dumpfen, unguten Gefühl, kam ihm ein Verdacht.
Was wusste sie, das er nicht wusste? Sein Herzschlag verdoppelte sich, als sich ihre im Sonnenlicht glühenden Augen in seine bohrten und ihre schlanken Finger die letzten Knoten lösten.
„Wie Ihr mein Gesicht vergessen konntet!", schmollte Effedra, doch ihre Augen blitzen vor Arglist.
Ionas Herz setzte einen Moment aus, als die Frau die Gestecke neben sich auf die Sitzbank legte und sich durch das nun offene Haar strich. Irgendetwas war furchtbar schief gelaufen. Effedra, wenn das überhaupt ihr richtiger Name war, hatte ganz gewiss bestimmte Absichten. Und Fürst Bahron? Steckt er hinter all dem?!
„Wer bist du?" Ionas Stimme war heiser und nicht stark genug, dass sie das Rattern der Wagenräder und das Getrappel der Hufe übertönen konnte. Sein Blick war an den kaum erkennbaren Katzenohren hängen geblieben, die jetzt, befreit von den Blumen und Bändern, begannen zu zucken.
Effedras Grinsen wurde breiter. „Eine alte Bekannte."
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