☙Kapitel 27 - Tee aus Farí❧

Beim Frühstück, welches er Trotz Endris' Beschwerden hatte reduzieren lassen, da eine voll beladenen Tafel, die bereits unter dem Gewicht der Köstlichkeiten knarrte, nun wirklich überflüssig geworden war, betrat Alysia nach kurzem Anklopfen den Speisesaal.

Endris, welcher neben seinem Sohn saß, hob leicht verärgert den Kopf, sichtlich unzufrieden mit der Störung.

„Vergiss nicht, Ionas, dass du dich heute mit Bahron zum Tee treffen musst", schloss er ihr Gespräch und erhob sich, warf seine Stoffserviette auf das Teller und verließ den Speisesaal.

Ionas nickte nur und winkte Alysia zu sich. Sie trug einen ganzen Stapel Briefe in der Hand und wirkte gestresst. Seit dem Verschwinden der Prinzessin wirkte sie viel älter und weitaus weniger fröhlich. Ionas hatte nicht einmal gewusst, dass das möglich war.

„Eure Hoheit! Es tut mir Leid, dass ich Euch so früh störe, aber die Briefe sind eben aus dem Drachenturm angekommen. Dringlichste Stufe."

„Oh, was ist es diesmal?", fragte Ionas und stellte sein Geschirr zusammen. Über die Dringlichkeit einiger Schreiben ließ sich oftmals nur lachen.

„Das Komitee des Erntedankfestes, einige Gildenmeister mit Ersuchen auf Erhöhung des ihnen zur Verfügung gestellten Budgets und, nun ja. Dieser hier, Eure Hoheit." Etwas unbehaglich überreichte sie Ionas die Briefe und verschränkte leicht verstimmt die Arme vor der Brust. „Ich bin mir sicher, dieser letzte, wird keines Falls der einzige bleiben."

Ionas nahm die Briefe entgegen und blätterte sie kurz durch, ehe er sie neben sich auf den Tisch legte. Alysia verschränkte ihre spindeldürren Finger und ihr runzliges Gesicht verzog sich besorgt. „Sagt, Ionas ... gibt es bereits, Ihr wisst schon."

Der junge König seufzte schwer und schüttelte den Kopf, als die Diener kamen, um die Tafel zu räumen. Sie war eine der wenigen Leute gewesen, die Ionas aus eigener Entscheidung heraus in den Grund für Shyras Verschwinden eingeweiht hatte. Schließlich war diese Kammerzofe es gewesen, die über die Jahre hinweg eine ehrlichere Mutter für Shyra gewesen war, als Aredhel selbst. Sie hatte ihn ausgeschimpft, wie einen kleinen Jungen und war in Tränen ausgebrochen. Ionas hatte ihr die restliche Woche frei geben wollen, doch Shyras persönliche Kammerzofe hatte nur zittrig den Kopf geschüttelt. Arbeit würde die Trauer erträglich machen, hatte sie gesagt und Ionas würde ihr sicher nicht widersprechen. Auch er versuchte seine Wut in Tatendrang zu ersticken – wenn er denn dazu kam.

„Ich werde dir Bescheid geben, sollte ich etwas von ihr hören", meinte Ionas dann. „Ich muss dann meinen Pflichten nachgehen, die Politik schläft leider nie", schloss er das Gespräch und lächelte ihr ermunternd zu, ehe sie nickte und den Speisesaal verließ. Er blickte ihr mit einem Stich im Herzen nach. Über seine eigene Trauer hatte er ganz vergessen, dass er nicht der einzige war, den der Verlust der kleinen Prinzessin schmerzte.

Seit Alysia wusste, wohin Shyra gegangen war, hatte sie begonnen ihm täglich morgens persönlich die Post zu bringen, in der Hoffnung, ein Melden der Prinzessin zu finden, doch bis jetzt ohne Glück.

Ionas beschloss sich die Briefe in aller Ruhe in seinem Studierzimmer durchzusehen, um den Dienern nicht im Weg zu stehen, verabschiedete sich also von den momentan anwesenden und wunderte sich auch nicht, dass er Cheiri durch die Küchentür schlüpfen sah. Als er an ihr vorbeiging neigte er kurz den Kopf und unterdrückte ein Grinsen. „Also doch wieder Töpfe und Pfannen?"

Das Mädchen kniff nur die Augen leicht zusammen und Ionas wusste, dass sie sich selbst daran hindern musste, ihm die Zunge herauszustrecken. Wenn sie nicht alleine waren, dann benahm sie sich seinem Gefallen nach vorzüglich und so schritt er zufrieden von Dannen und betrachtete im Gehen die Briefe.

Der letzte, vor dem Alysia ihn gewarnt hatte, dass es keines Falls der letzte seiner Art sein würde, ließ ihn geschockt und fassungslos vor der Türe innehalten. Er war auf halben Weg ins Zimmer, als er den Betreff einmal und noch einmal las. Eheliche Angelegenheiten. Für einen Moment dachte Ionas, man habe sich beim Empfänger geirrt, aber sein Name stand in formeller Anschrift auf dem Umschlag. An seinem Schreibtisch schlitze er den Schrieb mit einem Brieföffner auf und las mit klopfendem Herzen. Im Grunde hatte er gewusst, dass es eines Tages so weit sein würde, würde man kommende Woche doch seinen achtzehnten Geburtstag feiern. Aber dass so rasch Briefe mit Vermählungsanliegen eintreffen würden, hatte er nicht erwartet.

Anderseits, was habe ich erwartet?, fragte er sich missmutig. Ein mürrisches Lächeln huschte über sein Gesicht. Er war mit seinen siebzehn Jahren einer der jüngste König seit Menschengedenken geworden und vermutlich schlugen sich die Fürsten und Könige aus anderen Ländern schon seit Wochen um den Vortritt. Jetzt, wo er bald achtzehn – und somit volljährig war – musste er heiraten, um die Linie seines Vaters fortzusetzen. Auch wenn ich das im Grunde gar nicht tue, schoss es ihm durch den Kopf. Mit Endris war die Blutlinie der Verenden versiegt, auch wenn deren Name weiterhin mit seiner Regentschaft fortbestand. Aber Ionas wollte nicht heiraten. Nicht solange er nicht wusste, ob es Shyra gut ging, je wieder gut gehen würde.

Frustriert legte er den Brief beiseite, entschlossen auf keines der Werbeangebote einzugehen, ehe es nicht unumstößlich wurde und wandte sich seiner eigentlichen Arbeit zu. Das Erntedankfest am besten gleich mit seinem Geburtstag kombinieren, wenn man es denn zuließ. Natürlich müssen sie das, ich bin der König, dachte er grimmig bei sich und machte sich eine handvoll Notizen. Zwei Feste so knapp hintereinander würden die Reichskassa ordentlich belasten und oben drein eine unmögliche Menge an Ressourcen verschwenden, was sie sich bei diesen ertragslosen Ernten kaum leisten konnten.

Er ließ das Mittagessen ausfallen und verlangte erst wieder zum Nachmittagstee mit Fürst Bahron gestört zu werden.

Als es dann also nach einigen weiteren Stunden an seinem Arbeitszimmer klopfe, seufzte Ionas schwer – eine recht unattraktive Eigenschaft, die er sich die vergangenen Wochen zugelegt hatte – und stand auf. Er verzichtete auf die langen Roben, die sein Vater immer getragen hatte und warf sich stattdessen nur eine noble Jacke über das Seidenwams, ehe er zur Tür schritt und diese öffnete.

Cheiri machte einen höflichen Knicks und musterte ihn von oben bis unten. „Die Krone. Sie fehlt", stellte sie fest und blickte auf sein Haupt.

Ionas fasste sich ins Haar, das mittlerweile schon wieder viel zu lang gewachsen war und merkte, dass seine Zofe Recht behielt.

„Danke", meinte er schlicht und eilte zu seinem Schreibtisch zurück, auf dem er den schweren Goldreif irgendwann im Laufe des Tages abgenommen und unter seinen Papieren begraben hatte.

„Wenn er dir, ich meine Euch zu schwer ist, kann ich ihn auch tragen", schlug Cheiri vor und stemmte ihre braunen, feingliedrigen Hände in die Hüften.

Ionas würdigte sie nicht einmal einer Antwort und reichte ihr ebenso wortlos seine Unterlagen für die Besprechung. Zumindest hatte er vor, es zu einer Besprechung zu machen. Was Bahron sich von diesem Treffen erwartete, wusste der junge König nicht. Endris hatte ihm nahe gelegt sich mit dem Fürsten zu treffen, also tat er es, aber bis jetzt hatte er noch nicht mehr über die Motive des anderen herausfinden können. Bis auf das eine beunruhigende Mal, als er ihm sein Beileid wegen Aredhel ausgesprochen hatte, waren sie sich nicht mehr über den Weg gelaufen. Aber zumindest sagte ihm sein kindlicher Instinkt, dass Fürst Bahron nichts Böses wollte, dafür kannte er ihn dann doch zu lange und auch wenn die Besuche zwischen ihrer beider Familien die letzten Jahre immer magerer geworden wurden, sprach immer noch eine gewisse Herzlichkeit aus den Gesten des Fürsten, die Ionas einfach nicht ablehnen wollte.

Cheiri nahm die Mappen folgsam entgegen und führte Ionas dann durch die Flure hinauf bis in den Wintergarten, hielt ihm die Türe auf und folgte ihm dann bis zu einem fein säuberlich angerichteten Tisch mit Tee und Gebäck.

Bahron war bereits anwesend und erhob sich mit einem einladenden Lächeln von seinem gepolsterten Sessel zwischen den exotischsten Blumen und Sträuchern, die Aredhel zu ihren Lebzeiten hatte auftreiben können und welche nur in dem künstlich warm gehaltenen Wintergarten überhaupt gediehen. Ionas bedankte sich erneut bei seiner Zofe und ergriff Bahrons ausgestreckte Hand.

„Mein König", grüßte ihn der Fürst und verneigte sich hochachtungsvoll.

„Ah, das ist doch nicht notwendig", widersprach Ionas und fühlte sich mit einem Mal seltsam unwohl, als sich dieser ältere, größere und weitaus erfahrenere Mann vor ihm verbeugte.

„Mit Verlaub, Eure Hoheit", fing Bahron wieder an und ein warmes Lächeln umspielte seine Lippen und erhellte sein schmales Gesicht. „Es gibt Etiketten einzuhalten."

„Ja nun", stammelte Ionas, ehe er sich zurück in Erinnerung rief, was Endris zu ihm gesagt hatte. Gebieterisch ist es, wie du erscheinen sollst, verkrampfe deine Hände nicht und sieh deinem Gegenüber in die Augen, wenn du mit ihm sprichst. So bekommst du eher, was du erwartest. Der junge König räusperte sich und nickte Fürst Bahron zu, ehe er wieder auf die gepolsterten Sessel deutete. „Bitte, Fürst Bahron, nehmt doch Platz."

„Ihr könnt mich ruhig Viista nennen", entgegnete der Fürst mit einem weiteren Neigen seines Kopfes. „Etiketten sind wichtig, doch sollten wir über all dies nicht unsere Verbundenheit außer acht lassen!"

Ionas schaffte es zu lächeln, was die Lage aber nicht minder merkwürdig machte. Er nickte und ließ sich als erster in den prunkvoll verzierten Polstersessel sinken, da sein Fürst darauf wartete, ehe er sich selbst wagte niederzulassen.

„Ich bin froh, dass Ihr zugestimmt habt, mir heute beim Tee Gesellschaft zu leisten", fing Viista dann an zu sprechen und schenkte ihm sogleich eine Tasse dampfenden Tee ein, während Ionas sich an seiner ernste Maske übte.

„Beste Blätter aus Farí. Ganz wunderbar, vertraut mir! Eine der schönsten Gegenden, wenn man die richtigen Plätze kennt! Aber dass muss ich Euch gewiss nicht sagen", strahlte der Fürst und wedelte sich aus seiner eigenen Tasse den aromatisierten Dampf unter die Nase.

Ionas verzog das Gesicht zu einer ernsten Maske – ging doch – ehe er den Kopf schüttelte. „Es müsste in Saar'Akand liegen, doch unglücklicherweise wurden mir die detaillierten Handelsrouten und politischen Grenzen noch nicht näher gebracht."

Viista stellte seine Tasse zurück auf den Tisch und blickte Ionas entschuldigend an.

„Ich bitte vielmals um Verzeihung, dessen war ich mir nicht bewusst. Im Grunde spielt es keine große Rolle, aber Cheiri hier kann uns bestimmt auf die Sprünge helfen, nicht wahr, meine Liebe?"

Ionas schnupperte nun ebenso vorsichtig an seiner Porzellantasse und blinzelte Aufgrund des starken Aromas, welches von dem dunkelgoldenen Tee aufstieg, wandte sich dann aber zu Cheiri um, die, ihre Schürze glatt streichend, den Kopf neigte.

„Sehr wohl. Farí ist meine Heimat, Eure Hoheit, im östlichen Saar'Akand."

„Und nebenbei wie bereits erwähnt ein unglaublich schöner Urlaubsort." Der Fürst stockte kurz und seine stechenden Augen ruhten für einige Augenblicke auf der Kammerzofe. „Leider wird es immer schwieriger dorthin zu gelangen, das Misstrauen wächst und wächst."

Ionas lächelte entschuldigend. „Ich fürchte, das wird auch eine Weile so bleiben. Der Urlaub, meine ich", meinte er rasch und schielte kurz zu Cheiri, die sich aber zu benehmen versuchte und nicht einmal mit der Wimper zuckte.

Im Gegensatz zu Fürst Bahron trank Ionas seinen Tee gerne pur, kein Zucker und keine Milch und als er von dem Getränk kostete, musste er überrascht feststellen, dass er tatsächlich um Längen besser war, als die heimisch angebauten Teesorten.

„Also, weswegen darf ich mich deiner Anwesenheit erfreuen?", frage Ionas dann und sein Fürst nickte, aus seinem Genuss erwachend.

„Ah, Ionas, ich wollte einfach wissen, wie es dir geht."

Der junge König zögerte einen Moment, zuerst nicht sicher, was ihn aus der Fassung brachte, doch schüttelte dieses Gefühl dann ab, ehe er antwortete.

„Den Umständen entsprechend. Aber ich habe mir zu Herzen genommen, was du mir das letzte Mal geraten hast."

„Gut, gut", lächelte Bahron.

„Ich hoffe, dein Befinden ist ein wenig besser", sagte Ionas, ehe er sich zurückhalten konnte. Es war so seltsam mit Viista zu plaudern, nun von Mann zu Mann, von politischer Position zur anderen, wo er doch noch vor wenigen Jahren als Kind in seinem Haus zu Gast gewesen war.

„Blendend", lächelte sein Fürst nun und legte den Kopf schief, wodurch eine seiner nach hinten gekämmten Strähnen sanaft aus der Frisur fiel. „Ich bin nur froh, dass ihr Cheiri zu mögen scheint, sie hatte es bestimmt nicht leicht, als Sonderling, selbst unter der Dienerschaft nicht."

Ionas runzelte die Stirn. „Sie ist ... entschlossen", meinte Ionas zögerlich, da er seine Zofe nicht ins schlechte Licht stellen wollte. Vor allem, wenn Bahron sich so darüber zu freuen schien.

„Gibt es denn Probleme?", wollte er dann wissen und warf wieder einen Seitenblick zu Cheiri, die mit einem leicht missbilligenden Gesichtsausdruck aus dem Wintergarten in die mittlerweile nebelfreie Stadt hinunter starrte.

„Sprich", forderte Ionas das Mädchen auf und erst das brachte sie dazu, sich von der Kulisse zu ihren Füßen abzuwenden.

„Naja, manchmal geben sie mir Namen, die ich hier gar nicht nennen kann", meinte sie dann mit einem Unterton, den Ionas unangenehm an Reserviertheit erinnerte.

Die du vor Bahron nicht nennen kannst, dachte Ionas bei sich, denn so wie er Cheiri kannte, wenn keiner sonst zugegen war, dann nahm sie sich selten ein Blatt vor den Mund. Aber etwas in ihrem Gesicht ging ihm nahe. In ihrer Stimme und in ihrem Blick lag echtes Unwohlsein.

„Sie werden aber nicht handgreiflich", stellte Ionas nach einer Weile des Schweigens in den Raum und dachte das erste Mal tatsächlich darüber nach, dass Cheiris Anderssein tatsächliche Folgen haben könnte. Sie schüttelte kurz den Kopf und Ionas wandte sich wieder seinem Gast zu.

„Ich war mir dessen gar nicht bewusst."

Bahron wiegte bedauernd den Kopf. „So ist das nun einmal. Die Welt ist so groß und weit und wir schlagen uns Aufgrund Engstirnigkeit gegenseitig die Köpfe ein. Aber um diese Engstirnigkeit geht es mir heute, Ionas. Ich halte es für klug und ratsam, dass Ihr eine Rundreise antretet, um zumindest einmal bei Eurem eigenen Volk ein wenig – nun ja – unters Volk zu kommen. Euch sehen lassen, die Gebräuche der Bauern und einfachen Leute kennen lernen, damit man Mädchen wie Cheiri vielleicht bald nicht mehr so harsch begegnet."

Ionas blinzelte Bahron leicht überrascht an. Eine Rundreise zu dieser Zeit?

„Was soll denn mein Tun im Schloss, oder unter dem Volk, Mädchen wie Cheiri anderswo helfen?", wollte er dann irritiert wissen und sein Fürst leerte seine Tasse mit einem kräftigen Zug, nur um sich gleich nachzuschenken.

„Ihr müsst wissen, mein König, dass Veränderungen immer klein angefangen haben. Denkt doch nur einmal an die Alte Welt. Bevor das Blutvergießen begonnen hat. Wie das Blutvergießen überhaupt erst begonnen hat. Ich weiß, ich weiß", seufzte der Fürst beinahe theatralisch, „viel ist uns allen nicht bekannt, aber seid versichert, dass es damals genauso harmlos begonnen hat. Es ist die Hetze, die Panikmache unter dem Volk selbst, geschürt von Zeiten der Not, in welche wir träge aber gewiss hineinschlittern, die das niedere Volk zum Handeln zwingt."

Ionas schauderte. Die Dinge, die Bahron hier auf den sonnenerhellten Tisch brachte, gefielen ihm gar nicht. Was weiß er von der Alten Welt, wieso bringt er diese Dinge genau jetzt zur Sprache? Ionas schluckte und musterte den anderen Mann eindringlich. Er wirkte so normal mit seinen edlen Kleidern, dem polierten Schmuck und jener bodenständigen Mine. Was konnte ein Mann wie er schon über die Alte Welt wissen? Es tut mir sehr Leid um Eure Mutter. Sie ist ein guter Mensch gewesen. Ionas schüttelte kaum merklich den Kopf, als er Viitas vor sich anblickte. Unmöglich, dass er etwas wusste. Unmöglich, dass er etwas wusste, dass er wusste und verheimlichte. Ganz zu schweigen von seinen Nachforschungen. Er beschloss sich also ganz auf den trivialen Teil dieser Unterhaltung zu konzentrieren und so zu tun, als fiele ihm nicht einmal auf, was für Anspielungen sein Fürst machte.

Er konnte nämlich ebenso wenig leugnen, dass die Kernaussage Bahrons Worte ins Schwarze trafen. Sie näherten sich einer ernsthaften Nahrungsknappheit und er als frisch gekrönter König hatte so wenig Einfluss und Bezug zu seinem Volk wie ein Fisch mit dem Land. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er seine Tasse immer fester in seinen Händen gehalten hatte, bis Bahron ihn mit einem nun wieder freundlichen Nicken drauf aufmerksam machte.

„Euer Tee wird kalt, mein König, was ich damit sagen will ist, dass ich fürchte, dass einige Veränderungen getätigt werden müssen, selbstverständlich nur, wenn Ihr erlaubt."

Ionas trank nachdenklich seinen Tee und blickte nun auch aus dem Fenster. Er konnte nachvollziehen aus welcher Ecke Bahron kam, worauf er hinaus wollte, aber ging es im Moment nicht eher darum, Stabilität im Reich zu garantieren, anstatt Veränderung zu erzwingen? Im sonnendurchfluteten Wintergarten wurde ihm allmählich heiß und er legte seine Jacke ab.

„Genau das meine ich!", rief Bahron mit einem Mal aus und deutete auf sein Kleidungsstück.

„Wie bitte?", fragte Ionas irritiert und hielt in seiner Bewegung inne.

„Wie Ihr Euch kleidet, Ionas. Das Ablegen der königlichen Roben und das Umsteigen zu einfacherem, pragmatischerem Gewand, aus reiner Selbstverständlichkeit wegen, oder auch Eure Veranlassung die Mahlzeiten auf Eurem Teller zu reduzieren. Ihr denkt mit dem Volk, für das Volk und ich finde, es wird an der Zeit, dass man das auch außerhalb der Schlossmauern erfährt."

Ionas starrte Bahron ungläubig an. Was hatte denn seine Kleiderwahl mit politischen Standpunkten zu tun?

„Fragt Cheiri. Ihr habt genügend Diener und Zofen und dennoch nahmt Ihr sie in Eure ganz persönlichen Dienste, aus freundschaftlicher Geste mir gegenüber oder aber Aufgrund der Tatsache, dass Cheiri eine schwere Vergangenheit mit sich herumträgt, die Ihr, als König gewiss nicht nachvollziehen könnt, aber dennoch beachtenswert genug empfindet, um dahingehend zu handeln."

Ionas wandte sich mit großen Augen zu seiner Zofe, die allerdings demonstrativ den Blick abgewandt hatte.

„Ionas, Ionas, hört mir zu, Euch stehen so viele Tore offen, schlagt diese nicht zu! Ich möchte dir helfen", sagte er dann etwas ruhiger und ließ sich wieder in seinen gepolsterten Sessel zurücksinken. Sein Brustkorb hob und senkte sich hektisch, doch der Glanz in seinen Augen begann langsam zu weichen.

Ionas stellte seine Tasse zurück auf den Tisch und versuchte seine Gedanken zu ordnen, dem was Bahron gesagt hatte, anzupassen.

„Ich werde darüber nachdenken", meinte er dann schlicht und mit leichtem Unbehagen in der Stimme.

„Ich sehe, Ihr traut der Sache, mir, noch nicht ganz", lachte der Fürst und nahm sich etwas von dem klebrigen Nusskuchen, der neben dem Tee auf den Tisch gestellt worden war. „Ihr müsst wissen, dass Misstrauen eine immer bessere Überlebensstrategie wird, je höher man in seinem Amt aufsteigt – vertraut mir, ich weiß in dem Fall wovon ich spreche. Aber Ionas, ganz alleine kämpft man nicht gegen die Welt, das wäre Wahnsinn. Nicht, dass ich Euren brillianten Geist auf irgendeine Weise beleidigen möchte", lachte Bahron dann wieder und von seiner ernsten Mine war kurz nichts mehr zu sehen. Dann aber wich die Belustigung erneuter Nüchternheit und er fuhr fort. „Ich kenne Eure Familie bereits seit sehr langer Zeit und Mondrodij ist ebenso meine Heimat wie die Eure, ich möchte nur das beste für Euer Reich."

Ionas seufzte und rieb sich die Stirn „Ich danke dir, Viista. Ich werde auf jeden Fall auf dich zurück kommen, doch im Moment habe ich so viel um die Ohren, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll."

„Anfangen womit?"

„Das ist es ja", meinte Ionas matt. „Ich weiß nicht einmal womit eigentlich. Die ... Krankheit in meiner Familie ist erdrückend und überschattet jede meiner Entscheidungen."

Der Fürst nickte verständnisvoll. „Es tut mir aufrichtig Leid, dass nun auch Eure Schwester von dieser rätselhaften Krankheit befallen ist. Gibt es Neuigkeiten?"

Ionas schüttelte unbehaglich den Kopf. „Leider nein, die Hofärzte wissen ihnen nicht zu helfen, abgesehen von intensivster Bettruhe und Isolation", hauchte Ionas mit zugeschnürter Kehle und ertränkte seine zittrige Stimme in einem Schluck Tee.

„Seid Euch sicher, dass ich mir der vollen Auswirkung dieser Einschränkung bewusst bin, genau deswegen sitzen wir jetzt auch hier. Ich möchte dir helfen", meinte Bahron nun mit sanftem Nachdruck und Ionas konnte beim besten Willen nicht sagen, ob es gespielt oder echt war.

„Ich danke dir. Ich würde mich gerne mit Endris wegen einer Rundreise beraten, aber komme bestimmt darauf zurück."

Bahron seufzte und rieb sich die Brauen. „Euer Vater, mit Verlaub, mag in dieser Hinsicht ein wenig konservativ sein. Aber tut, was Ihr tun müsst, mein König. Wie schmeckt Euch eigentlich der Nusskuchen? Ebenfalls Importware aus dem Süden, herrlich zimtig mit einem Hauch Zitrus im Nachgeschmack."

Ionas biss die Kiefer zusammen beim Klang von Zitrus und wandte sich zu Cheiri um, die immer noch den Blick abgewandt hatte, sich aber ein Grinsen kaum verkneifen konnte. Auch er hatte Mühe seine Züge von einem Schmunzeln zu befreien und schüttelte den Kopf.

„Wenn das Zitrus ist, wie du sagst, dann darf ich mir das wirklich nicht entgehen lassen."

Bahron lachte. „Dessen bin ich mir sicher. Nun, denkt darüber nach und schickt einfach nach mir. Im Moment befinde ich mich in meiner Sommerresidenz keine Wegstunde südlich von Nordja, Ihr kennt sie ja", zwinkerte er. „Meine Tochter wartet dort bereits auf mich, geschäftiges junges Ding!"

Ionas nickte. Er erinnerte sich an die hübschen Stoffblumengestecke in Effedras wallenden Haaren, den bronzenen Hautton und die vollen Lippen, doch gesprochen hatte er noch nie mit ihr.

„Richtet ihr meine Grüße aus", meinte er mehr aus Höflichkeit als wahrem Interesse, doch Bahron lächelte breit.

„Werde ich, mein König, werde ich. Vielleicht wäre es auch interessant für Euch zu Zeiten mit ihr ins Gespräch zu kommen. Sie reist sehr viel und treibt Handel in fernen Ländern, lasst sie Euren Horizont erweitern – ach, was rede ich schon wieder so ausschweifend. Verzeiht, ich bin in dieser Hinsicht wohl wie jeder Vater, vernarrt in seine Tochter, hört bloß nicht auf mich!", lachte der Fürst und obwohl Ionas sich seit heute Morgen angespannt gefühlt hatte, ließ diese Anspannung durch die ewig fröhliche Stimmung seines Gesprächspartners langsam nach.

Es war lange her, dass er sich mit jemandem unterhalten hatte, der das Gespräch so leichtfüßig trug wie Bahron, selbst wenn die Thematik alles andere als leicht gewesen war, fand Ionas.

„Nun denn, ich bin mir sicher, ich halte Euch von anderen wichtigen Angelegenheiten ab und möchte Eure Aufmerksamkeit auch gar nicht länger beanspruchen. Denkt über meinen Ratschlag nach", wiederholte der Fürst mit einem wohl gemeinten Lächeln und Ionas erhob sich mit einem Nicken. „Werde ich, vielen Dank für deine ganz persönliche Sorge", sagte er dann und Bahron drückte ihm herzlich die Hand.

Hinter sich hörte er, wie sich Cheiri räusperte und die Unterlagen vom Tisch nahm, um sie Ionas zu reichen. Dem jungen König ging ein Licht auf und er ließ Bahrons Hand wieder los. „Ach, bevor ich es vergesse, hätte ich noch eine kleine Angelegenheit, die ich anbringen möchte", meinte er rasch und nahm seine Mappe in die Hand. „Einen ... Rat", fügte er dann noch hinzu und zog einige Blätter hervor.

„Selbstverständlich, mein König", lächelte Bahron und lugte neugierig in Ionas Notizen.

„Das Erntedankfest, wie auch mein Geburtstag stehen bevor und ich dachte mir, wegen all der Knappheiten, dass ich diese beiden Feste gerne vereinen würde. Wäre das machbar?"

Der Fürst fing an zu lachen. „Ihr seid der König, für Euch ist alles machbar, Ionas! Gebt dem Komitee, Euren Sekretären und Schreibern Bescheid. Sie werden sich gewiss mit Freuden um alles kümmern."

„Danke", erwiderte Ionas fast schon ein wenig beschämt, dass er wegen solch niederer Belange einen seiner Fürsten um Rat ersucht hatte. Einen Freund.

Damit verabschiedete sich Bahron endgültig und überließ Ionas wieder sich selbst.

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