☙Kapitel 24 - Unter Söldnern und Kleinkriminellen❧

Sie war schneller geeilt, als zuvor als sie mit Juna unterwegs gewesen war und ein entmächtigendes Schwindelgefühl machte sich in ihr breit, als sie sich verfrüht gegen ihre Zimmertür lehnen musste, um nicht den Halt zu verlieren. Ihre Rippen schmerzten und jeder Atemzug war von einem unbehaglichen Stechen begleitet.

Kaum hatte sie es bis an ihr Bett geschafft, fiel sie ungelenk auf dieses und von so wenig Bewegung bereits völlig geschafft, schloss sie im Mittagslicht die Augen. Sie wollte jetzt zwar nicht alleine sein, aber da sie vergessen hatte Juna nach ihrem Quartier zu fragen, blieb ihr nichts anderes übrig, als auf die Frau zu warten, bis diese sie holen kam.

Unruhig verbrachte das Mädchen also ihren Nachmittag, immer wieder an Ionas denkend und sich in Gedanken ausmalend, was sie ihm berichten konnte, bis ihr wieder Saíras Erklärung zu diesen Schutzsiegeln in den Sinn kam. Konnte sie überhaupt über ihren Aufenthaltsort schreiben? Von Juna erzählen und ihrer Krankenpflege? Ionas wird ausrasten, wenn ich ihm schreibe, dass ich hätte sterben können, dachte sie mit Sorge bei sich und kaute unentschlossen auf ihrer Lippe. Aber anlügen wollte sie ihn auch nicht.

Außerdem waren all ihre Sachen immer noch verschwunden, solange Saíra ihren Tornister nicht mitbrachte, waren auch ihre Notizhefte verschollen. Aber sie wollte verflucht sein, wenn sich hier kein Stift und kein Papier finden lassen würde.

Mit einem dumpfen Keuchen stemmte sich die Prinzessin erneut hoch und rieb sich die Stirn, bis ihr Blickfeld nicht mehr schwankte. Vorsichtig begann sie die wenigen Schubladen nach etwas nützlichen zu durchsuchen, fand aber weder Papier noch Schreibmaterial. Was sie allerdings schon fand, war ihr Kompass. Sie sog die Luft scharf ein und griff nach dem in Leder gebundenen Navigator. Als sie ihn aufschnappen ließ, entkam ihr ein ersticktes Schluchzen und sie ließ sich zurück auf das Bett sinken.

Ihr kam es so ewig lang vor, seit sie das letzte Mal Ionas Lächeln gesehen, etwas von ihm in Händen gehalten hatte und die Trauer um seine hilflose Sorge brach ihr fast das Herz. Sie war unsagbar froh endlich hier zu sein, aber die innere Leere, die sich seit ihrem Aufwachen hier begann auszubreiten brannte nun bloß heftiger, als sie an all die Dinge dachte, die sie zurückgelassen hatte.

Shyra betrachtete die zitternde rote Nadel unter dem kostbaren Kristallglas und wandte sich nach Norden. Sie wusste nicht einmal mehr, wo sie eigentlich war, wie weit weg von Zuhause, von Nordja, vom Meer. Wusste nicht einmal mehr ob ihre Heimat überhaupt noch im Norden lag, aber es war alles, was sie hatte.

Glücklicherweise wurden ihre Grübeleien unterbrochen, als es sanft an der Tür klopfte und kurz darauf Juna eintrat.

Erleichtert richtete sich das Mädchen auf und lächelte der Frau zu.

„Shyra, wie geht es dir?", begrüßte sie das Oberhaupt der Aposperitis. Sie war im Vergleich zum Vormittag in dunkles, enganliegendes Gewand gehüllt, welches nur an den empfindlichsten Punkten ihres Körpers mit geschwärztem Leder verstärkt wurde. Als wäre sie ein Splitter der Nacht, ging es Shyra mit großen Augen durch den Kopf.

Allein die vielen Schnallen und Haken an der Kleidung würden im Dunkeln das Licht verräterisch auffangen, doch irgendwie hatte das Mädchen das Gefühl, dass dies bei ihrem Unterfangen keine Rolle spielen würde.

Jetzt strich sich Juna durch die Haare, die diesmal zu einer Reihe an kompliziert aussehenden Zöpfen an ihren Hinterkopf verschlungen waren. Als sie Shyras Starren bemerkte, lachte sie.

„Deine Zofe ist nicht die Einzige, die das Talent besitzt Haare effektiv zu bändigen." Sie wurde wieder ernst und warf kurz eine Hand in die Luft, ehe sie diese wieder fallen ließ. „Ich muss nach dem Abendessen leider fort, deswegen auch das dunkle Gewand – die Arbeit ruft! Aber zurück zum Wesentlichen, konntest du ruhen? Wie war dein Besuch?"

Shyra blinzelte. Sie war es nicht gewohnt, dass jemand derartig viel belangloses Zeug redete, aber vielleicht lag das nur daran, dass sie selbst, seit sie hier war, den Mund kaum aufgemacht hatte.

„Mal besser, mal schlechter", gestand sie nun und hob versuchsweise eine Schulter. „Die Schmerzen kommen, je mehr ich mich anstrenge ... weshalb ein Besuch bei Samiro wohl eher unzuträglich war", meinte sie leicht verärgert.

Das schien Juna zu überraschen, denn sie blinzelte nun selbst etwas irritiert. „Das tut mir Leid zu hören, ich dachte, du würdest dich über ein vertrautes Gesicht freuen. Aber er war schon immer ein schwieriges Kind. Das mit den Schmerzen wird wieder, mach dir da keine Sorgen. Aber ja, vielleicht solltest du nervenaufreibende Situationen vermeiden", lachte sie dann und deutete dem Mädchen ihr zu folgen. „Fürs erste aber, möchte ich dich unserem innersten Zirkel – beziehungsweise Teilen davon – vorstellen, während wir dich mit einer etwas eindrucksvolleren Mahlzeit bewirten", zwinkerte sie dann und Shyra folgte Juna nach draußen.

Als sie an Samiros Gang vorbeikamen, ertappte sich das Mädchen dabei, wie sie kurz den Korridor entlang schielte, aber dieser war dunkel und nur am Ende durch das bunte Licht der durch das Bleiglasfenster fallenden Sonnenstrahlen erhellt. Dabei kam ihr ein Gedanke.

„Ist das alles, was zu eurem Stützpunkt gehört?", fragte sie daher neugierig.

Juna blickt kurz zu ihr nach unten, als sie in den Trakt mit der Speisehalle einbogen. „Keineswegs. Ein großer Teil unseres Quartiers befindet sich tatsächlich unterirdisch. Keine Sorge, du wirst es noch früh genug kennen lernen."

Shyra blickte automatisch zu ihren Füßen, auch wenn sie wusste, dass sie nicht durch den Boden hindurch sehen konnte. Sie war viel mehr die luftigen Höhen Nordjas gewohnt und konnte sich kaum vorstellen, so tief unter die Erde zu gehen. Fürs erste allerdings blieb ihr das ohnehin erspart, denn sie schritten auf die Speisehalle zu.

„Aber dieser Stützpunkt ist auch nicht der einzige", fuhr Juna dann fort und öffnete die Tür. „Wir haben kleinere Quartiere in jeder der großen Städte im Norden und führen enge Korrespondenz mit den Vertretern aus Saar'Akand. Schau mich nicht so erschrocken an, Mädchen", grinste sie dann. „Die Fíer-Sen sind unglaublich begabte Ätherkundige. Informanten und Spitzel haben wir überall."

Shyra schluckte und folgte Juna schweigend durch den Speisesaal, sich mit einem Mal der vielen Anwesenden bewusst, die sie nun doch häufiger als zuvor anblickten. Eigentlich sollte sie als Prinzessin solche Aufmerksamkeit gewohnt sein, schließlich war sie immer noch ein wichtiges Mitglied der Königsfamilie, dennoch war sie nervös und achtete darauf, dicht bei Juna zu bleiben. Gewöhnt von Adel und Gleichrangigen beachtet zu werden, ja. Aber doch nicht von schmuddeligen ... Kleinkriminellen und Söldnern.

Glücklicherweise ging Juna auch nicht auf all die fragenden Blicke ein, die sie ernteten und führte sie schnurstracks zu einem etwas abseits stehenden Tisch, an dem schon drei weitere Erwachsene saßen.

Als sie nun ankamen, erhoben sie sich und schüttelten ihr nacheinander die Hand. Der einzige anwesende Mann klopfte ihr zusätzlich auf die Schulter, als würde er ihr sagen wollen, dass es ihm besonders Leid täte, was mit Aredhel passiert war.

„Das hier sind Barlor, Neva und Tilia", stellte Juna ihre drei Kollegen vor und deutete Shyra sich dann neben sie zu setzen. „Und umgekehrt brauche ich wohl kaum erwähnen, dass dies hier Shyra, Aredhels Tochter ist."

Das Mädchen lächelte ihnen allen etwas verlegen zu, sagte aber nicht viel, was nur zum Teil an ihren Verletzungen lag. Es war völlig anders zwischen Leuten zu sitzen, die vermutlich Mörder und Betrüger waren, ganz gleich wie freundlich sie sich auch gaben.

Die Erwachsenen fingen an sich untereinander auszutauschen, sprachen über Belange, zu denen Shyra selbst keinen Bezug fand, doch die Prinzessin war froh darüber. Sie fühlte sich trotz der Umstände – oder gerade wegen derer – wohl dabei fürs erste außen vor gelassen zu sein.

Hin und wieder schnappte sie Gesprächsfetzen auf und obwohl sie ihr nichts sagten, versuchte sie sich den Inhalt einzuprägen, um jegliches Bisschen an Information zu sammeln, während sie gleichzeitig die drei anderen am Tisch musterte.

„... sind ihre Aktivitäten zurückgegangen. Wir haben auch leider die letzten Monate immer weniger Aufträge aus dem Westen erhalten", meinte jene Frau, die allen voran am ältesten aussah und Neva genannt wurde.

„Dann versucht ihr es eindeutig nicht gut genug", schnupfte die neben Shyra jüngste Frau und strich ihre seidig schwarzen Haare hinter ihr Ohr.

„Tilia", ermahnte Juna die jüngere tadelnd. „Wenn unsere Klienten keinen Auftrag geben, können wir auch keine forcieren."

Die junge Frau schnaubte nur und der Mann, schüttelte seinerseits den Kopf.

„Ansonsten, wie sieht es aus mit der Verteilung?", fragte Juna dann an Neva gewandt nach.

Diese warf Tilia noch einen ernsten Blick zu, ehe sie die Finger auf dem Tisch verschränkte. „Relativ gleich verteilt. Der Süden braucht uns nicht, die Erén-Fatah, übernehmen verständlicherweise ihr Land und benötigen unsere Unterstützung derzeit nicht. Aber da fällt mir ein, Tscha-Sad hat einen Brief geschrieben. Er kam gestern Nacht mit einem unserer Rekruten."

Junas Mine versteinerte, als sie diesen Namen hörte, nickte allerdings kurz angebunden. „Danke. Gibt es sonst Neuigkeiten von Tscha-Sad?"

Neva schüttelte den Kopf.

„Meister Cycas meinte, er hätte Bitten aus dem Süden erhalten", fing Tilia wieder an und als sie den Arm hob, um nach dem Becher vor ihr zu greifen, erkannte Shyra eine Stoffbinde um ihren Oberarm, welche eine offene Hand mit geöffnetem Auge abbildete. Ihr schauderte.

„Und dir fällt nicht ein, das früher zu erwähnen?", fragte Juna mit gehobener Braue.

Die junge Frau hob die Schulter und nahm einen Schluck. „Es liegt nicht in meiner Aufgabe Meister Cycas Korrespondenzen zu vermitteln."

„Und doch hast du es eben getan", schmunzelte der Mann namens Barlor mit einem hinterlistigen Glitzern in den schwarzen Augen. Shyra fand, dass es aussah wie ein Sturm. Zerzauste, schief abstehende Haare, einen Bart, der sein halbes Gesicht verdeckte und die Kleidung, die er trug wirkte ebenso, als wäre sie vom Winde gepeitscht worden.

Tilia schürzte die Lippen und ging nicht darauf ein.

„Na schön", seufzte Juna dann und rieb sich die Stirn. „Danke, Tilia. Ich werde dann ebenfalls mit Cycas sprechen, wenn ich wieder zurück bin."

Es war merkwürdig, wie wenig Beachtung man der Prinzessin schenkte. Shyras Augen huschten zwischen den Anwesenden hin und her, als sie nicht nur versuchte sich die Gesichter und Namen zu merken, sondern auch die fremd klingenden Wörter. Einen Zusammenhang mit sich selbst, ihrer Mutter und dem Süden festzustellen wagte sie aber noch nicht, denn sie spürte jetzt schon das vertraute Pochen zwischen ihren Augen erneut auflodern.

Glücklicherweise verstummten die Gespräche der anderen vier nun, als man vor sie ein Tablett mit Fleisch, gekochtem Gemüse und einem grün-weißen Brei stellte, von dem sie lieber nicht wissen wollte, woraus er bestand.

„Deinem Blick nach zu urteilen, hat auch das nicht gereicht, um deinem Gaumen zu schmeicheln", meinte Juna plötzlich an sie gewandt und schmunzelte.

„Ich-", fing Shyra an und stockte mit einem mal peinlich berührt.

„Schon in Ordnung", lachte Juna und winkte ab. „Keiner hier ist deswegen ungehalten. Es tut mir nur Leid, dass wir hier nicht haben, was du gewohnt bist."

„Mit der Zeit gewöhnt man sich aber daran", meinte Barlor und zwinkerte ihr zu.

Shyra lächelte verlegen zurück und senkte den Blick. Sie wollte nicht unhöflich erscheinen, zu oft war sie die letzten Tage bereits ins Fettnäpfchen getreten und sie fragte sich, ob diese beschämenden Momente je ein Ende finden würden.

Eben wollte sie anfangen zu essen, als sie erneut stockte und die anderen beobachtete, wie sie ihre Hände falteten und wie Samiro damals im Gasthaus zu beten schienen. Etwas unbehaglich warf Shyra Juna einen Blick zu, die sie ebenfalls leicht belustigt musterte und dann zu essen begann.

„Du hast keine Ahnung, was wir eben gemacht haben, oder?", meldete sich nun Barlor zu Wort, ehe er sein Besteck in die Hände nahm.

„Gebetet", gab das Mädchen zurück, ihre Stimme war zart aber nicht minder fest. Sie kam nicht umhin ein wenig die Nase zu rümpfen, denn in den gehobenen Kreisen tat man so etwas nicht. Aber anderseits, was hatte sie sich erwartet?

„Ganz Recht. Dann lass es mich kurz erklären", lächelte er.

„Barlor", ermahnte ihn nun Juna und schüttelte kurz den Kopf. „All das können wir nach dem Essen besprechen, siehst du nicht, dass das arme Kind völlig ausgehungert ist?"

Shyra blickte an sich herab und obwohl sie nie behauptet hätte, dass sie mager war, so wirkten ihre dünnen Arme in der lockeren Kleidung doch ein wenig fehl am Platz. Ein Großteil ging auf die Rechnung ihrer Verletzungen und der tagelangen Bettruhe ohne Bewusstsein, redete sie sich ein und umklammerte ihr Besteck ein wenig fester.

„Also es würde mich aber schon ... interessieren", brachte sie dann hervor und blickte zwischen Juna und Barlor hin und her. Das war nicht gelogen. Shyra war neugierig aber gleichzeitig fühlte sie diesen inneren Widerstand, der ihr sagte, wie verkehrt das alles war. Sie durfte das alles gar nicht wissen, diese Dinge zu lehren war verboten, das was sie tat war verboten, Fragen zu stellen, bei denen sich Endris vermutlich tagelang die Haare gerauft hätte. Endris ist jetzt aber nicht hier. Genauso wenig Ionas, glitt es ihr durch den Kopf und obwohl sie sich wie ein Verräter fühlte, nickte sie entschlossen, als Juna sie mit gehobener Braue musterte und dann lachend an Barlor übergab.

„Also schön, wenn ihr es nicht lassen könnt! Ich aber werde zuerst meinen Hunger stillen, lasst mich aus euren Kabbeleien außen vor."

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