29 | Der Mandarin
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Ich sitze auf einer Bank in der Nähe der Villa, deren Koordinaten Tony durchgestellt hat. Seitdem hat er sich nicht mehr gemeldet. Das ist ganz und gar nicht gut, denn das ist schon fast eine Stunde her. In der Zwischenzeit habe ich mir etwas zu essen geholt. Momentan bin ich hin und her gerissen zwischen Tonys-Burger-aufessen und Rettungsversuch-starten.
»Tess, kannst du mich irgendwie in die Villa bringen?« Eine hohe Mauer umgibt das Grundstück. Mit ein wenig Glück und viel Anlauf könnte ich da drüber springen. Und mit dem Anzug wäre es sogar noch einfacher.
»Mr Starks Anweisungen verbieten es mir, den Anzug zu öffnen.«
»Warum zur - Okay, hast du Zugriff auf Baupläne und Überwachungskameras?«
»Einen Moment ... die Dateien sind auf einem privaten Server gespeichert, soll ich sie für dich entschlüsseln?«
»Nichts lieber als das.« Wow, mit Tess geht das alles viel einfacher. Sonst hätte ich wahrscheinlich ewig an der Entschlüsselung gesessen.
»Zugriff erfolgreich. Kamera 1: Haupttor.«
»Nein, such nach Tony.«
»Kamera 7: Westflügel, Erdgeschoss.«
Auf der Innenseite meiner Brille wird jetzt die Aufnahme eines Überwachungsvideos abgespielt. Tony ist an ein metallenes Bettgestell gefesselt, vor ihm stehen zwei Männer in schwarzen Anzügen. Der linke von ihnen hat einen Männerzopf. Yep, das sind definitiv die bösen Jungs. Aber was macht Tony gefesselt in der Villa? Warum hat er sich schnappen lassen?
Etwas fliegt über meinen Kopf hinweg. Etwas rot-goldenes. War das etwa ... ein Teil von Tonys Iron Man Rüstung? Was macht die denn hier? Ich dachte, Tony wäre die ganze Zeit über in seinem Anzug?! Über die Brillengläser sehe ich jetzt, was sich in der Villa abspielt, soweit es mir die Überwachungskameras erlauben. Zusammengefasst: Tony schlägt alle Typen nieder und verschwindet dann durch einen Gang aus dem Raum.
Es ist mir egal, was er gesagt hat, ich gehe da jetzt rein. Hubschrauberlärm lässt mich aufblicken. Die Lärmquelle entfernt sich von der Villa, ebenso wie ein Roboteranzug in rot-weiß-blau.
»Tess, was ist das?«
»Der Iron Patriot. Willst du, dass ich Informationen über ihn im Internet suche?«
»Nein, jetzt nicht. Ich muss in die Villa.«
Den Koffer verstecke ich in einem Busch, bevor ich zum Gebäude laufe. Vor der Mauer bleibe ich stehen. Also dann. Ich nehme Anlauf, mein Fuß findet eine Nische und ich hieve mich auf die andere Seite des Grundstücks, wo ich erstmal auf dem Rasen aufpralle. Vielleicht hätte ich den Abgang besser koordinieren sollen. Ich reibe meinen schmerzenden Hintern.
»Wachposten?«, frage ich.
»Zwei an der Terassentür, zwei am Treppenaufgang - korrigiere, einer am Treppenaufgang. Zwei weitere Wärmesignaturen bewegen sich in Richtung Haupthaus.«
Das muss Tony sein. Aber wer ist die andere Person? Wenn Rhodes nicht im Anzug ist - wer dann?
Vorsichtig schleiche ich mich durch den Garten. An einer Säule steht ein Wachmann. Wie soll ich denn an dem vorbeikommen?
»Tess, wie kann ich den überwinden?«, flüstere ich.
»Soll ich im Internet nach Lösungen suchen?«
»Was? Nein!« Ich sehe mich um. Vor meinen Füßen liegt ein Stein. Der älteste Trick überhaupt. Ich kaue auf meiner Unterlippe und sehe zu dem Mann. Er sieht aus wie die Sorte Typ, die auf sowas reinfällt. Aus Mangel an anderen Vorschlägen hebe ich den Stein auf. Ich hole Schwung und werfe ihn in einen Baum auf der anderen Seite des Treppenaufgangs. Der Wachmann dreht sich tatsächlich um, und geht ein paar Schritte in die Richtung des Steins.
So ein Trottel.
Schnell und so leise wie möglich renne ich an ihm vorbei die Treppe hoch und presse mich an die nächste Säule. Das war knapp. Jetzt muss ich nur irgendwie Tony finden. Ich höre das Geräusch von zersplitterndem Glas aus der Richtung des Haupthauses. Wo ein Kampf ist, ist sicher auch Tony. Nett von ihm, dass er mir Spuren legt.
Das kaputte Fenster kann ich nicht übersehen. Aus dem Raum dahinter sind Stimmen zu hören. Tony und Rhodes? Ich nehme die Tür, die sich keine drei Meter neben dem Fenster befindet.
»Also dieses Glaszerschmettern hättet ihr euch auch sparen können«, sage ich.
Tony dreht sich zu mir um, Rhodes guckt irritiert, und auf einem Sessel hinter den beiden sitzt ein älterer Mann mit Bart und öffnet gerade eine neue Dose Cola.
»Judy!« Tony öffnet seine Rüstung, um mich in seine Arme zu schließen. Er streicht mir durch die Haare. »Ist alles okay? Du hättest in Gefahr geraten können.«
»Und das sagst du?«, sage ich und löse mich aus seiner Umarmung.
»Solltest du nicht warten, bis ich das Signal gebe?«
»Es kam kein Feuerwerk, also habe ich mich selbst eingeladen.«
»Ich unterbreche ja nur ungern diese rührende Szene, aber kann bitte jemand den Fernseher lauter stellen?«
Ich drehe mich zu dem Mann im Sessel. Es ist der Mandarin. Moment, das ist der Mandarin? Aber er ist so...
»Enttäuschend, ich weiß, ich erklär's dir später«, sagt Tony. »Hey, Ringo, hatten Sie nicht etwas von einem Super-Rennboot gesagt?«
Das Rennboot hätte ich mir größer vorgestellt. Und schneller. Bei der Geschwindigkeit brauchen wir ewig.
»Du wolltest mir erklären, was hier eigentlich los ist«, erinnere ich Tony.
»Ähm ja, also die kurze Version der Geschichte: Killian ist der Mandarin, der andere nur ein Möchtegern-Schauspieler, Rhodeys Anzug wurde geklaut und sie haben Pepper das Serum gegeben.«
Pepper? Nein, das kann nicht sein. Was, wenn dieses Serum sie tötet? Oder Schlimmeres?
»Und sie planen, den Präsidenten zu entführen, auf die Roxon Norco.«
Auf meinem rechten Brillenglas laufen Informationen über das Schiff. Ein ehemaliger Öltanker, aus dem fast vier Millionen Liter ausgelaufen sind. Aber keiner der Verantwortlichen wurde angeklagt - dank des Präsidenten.
»Es ist also diesmal nichts Persönliches?«
»Nicht in Bezug auf den Präsidenten. Das scheint ihm einfach nur Spaß zu machen.«
»Aber mit dir ist das was Persönliches. Sonst hätte er nicht Pepper entführt.«
»Das war vor vierzehn Jahren, an Silvester. Ich habe ihn stehen gelassen, wieso sind Menschen nur so nachtragend?«
Ich lege ihm eine Hand auf den Arm. »Dad. Wir werden Pepper retten. Weil es das ist, was Helden tun, oder nicht? Du kriegst das hin.«
Er zieht einen Mundwinkel hoch. »Das werden wir. Aber zuerst ist der Präsident dran.« Er setzt sich eine Art Brille auf. »Wo ist dein Anzug?«
»Scheiße, den hab ich vor der Villa vergessen«, fällt mir ein.
»Nicht schlimm. Jarvis, ist der Anzug bereit?« Er sieht zu mir. »Zeit für deine erste Mission, Küken.«
Ich fliege. Nicht ich selbst, sondern nur der Anzug, ferngesteuert von mir in einer Kabine des Rennboots. Tony steht irgendwo neben mir und lenkt seinen eigenen Anzug, aber alles was ich sehe ist der Himmel und Miami unter mir. Über den Himmel fliegt ein Flugzeug - die Airforce One. Tony fliegt in das Flugzeug hinein. Ich warte nervös. Er holt den Präsidenten, ich bin die Unterstützung falls etwas schiefläuft. Klar, ich sitze sicher auf diesem Rennboot, was aber nicht bedeutet, dass die ganze Situation nicht doch gefährlich werden könnte.
Plötzlich läuft etwas gewaltig schief. Ein großes Loch wird in den Flugzeugrumpf gesprengt und die Insassen fallen heraus.
Ich rase hinterher. »Dad?«
»Nimm so viele du tragen kannst!«, weist er mich an.
»Tess, wie viele?«
»Nicht mehr als drei.«
Ich schnappe mir den ersten Mann. Dann noch einen. Sofort wird der Anzug von dem Gewicht heruntergezogen. Trotzdem greife ich noch nach dem Arm einer dritten Frau.
»Fünftausend Fuß«, sagt Tess.
»Judy, hör zu, wir bilden eine Kette. Setz die Hände der Leute unter Strom, sobald sie sich anfassen.«
»Alles klar.« Ich wende mich an den Mann, der sich schreiend an meinen Anzug klammert. »Hey, schaffen Sie es, ihren Kollegen dort zu erreichen? Gut so, strecken Sie den Arm aus. Ja, sehr gut! Und der nächste!«
»Dreitausend Fuß«, sagt Tess.
»Tess, das ist nicht hilfreich!« Insgesamt habe ich jetzt fünf Leute aneinanderhängen. Der äußerste Mann greift nach dem Arm eines anderen, der an Tonys Anzug hängt. Ich zähle durch. Zwölf. Einer fehlt noch.
»Einhundert Fuß.«
Im letzten Moment wird der dicke Mann aufgefangen. Tony löst die Stromzufuhr und alle Leute fallen sicher ins Wasser. Ich atme erleichtert auf. Das war knapp.
»Gute Arbeit, Leute«, sagt Tony, »wir waren ein gutes Team, echt, ein hoch auf uns!«
»Pass auf!«, rufe ich noch, als ein LKW auf ihn zurast und der Anzug in Stücke gesprengt wird. »Tess, beende das Programm.«
Es wird hell in dem kleinen Raum, als Rhodey die Tür öffnet. »Sag mir irgendetwas Positives!«
»Alle haben's geschafft. Nur der Präsident ist weg.«
»Und du bist nicht mehr der Einzige ohne Anzug«, ergänze ich, bevor ich die kleine Treppe hoch zurück auf's Deck gehe.
Rhodes geht ans Steuer. »Wenn du den Präsidenten nicht mit Anzug retten konntest, wie sollen wir dann Pepper ohne einen retten?«
Ich setze die Brille ab, die ganzen Daten machen mich noch verrückt, und nehme mir eine kühle Flasche Wasser aus der Kühlbox. Es ist ein Rennboot, natürlich gibt es eine Kühlbox. Das Boot steuert direkt auf die Roxon Norco vor der Küste Miamis zu. Dort finden wir Pepper und den Präsidenten. Und Killian. Und wenn ich sage wir, dann bedeutet das, dass mich nichts und niemand davon abhalten kann, mitzukommen.
Tony setzt sich neben mich. »Ich weiß, was du fragen willst. Wir hatten das hier schon tausendmal, die Art Diskussion wurde schon viel zu oft geführt. Und deshalb weiß ich, dass ich dich nicht davon abhalten kann, mitzukommen. Wenn ich es dir verbiete, tust du's trotzdem und bringst dich dadurch nur noch mehr in Gefahr, es ist ein Teufelskreis.«
»Ist das ein ›Ja‹?«
Er wiegt die Entscheidung lange ab. »Wenn du es so hören willst: Ja. Aber du hältst dich an den Plan.«
»Und der lautet?«
~
Es ist ein relativ kurzes Kapitel, aber das nächste hätte ich unmöglich zerteilen können, also freut euch auf ein etwas längeres Kapitel beim nächsten Mal :)
(Außerdem habe ich ein neues Cover erstellt.)
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