27 | Definitiv kein guter Plan


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Wenige Minuten, nachdem wir zu Hause angekommen sind, rauscht Pepper herein.

»Judy, pack deine Sachen, wir fahren irgendwo hin, wo es sicherer ist.«

»New York?«, frage ich hoffnungsvoll.

»Ich dachte eher an die Schweiz. Wie konnte er nur so unüberlegt handeln?«, regt sie sich auf.

Ich packe ein paar Sachen in meinen Rucksack. Ob wir am Weihnachtstag wieder zurück sind? Bestimmt nicht. Zur Sicherheit lege ich Cellys Geschenk zu meinen Klamotten. Zum Schluss stecke ich noch die Brille in die Seitentasche. Man kann ja nie wissen.

Ich lege mich auf mein Bett und starre an die Decke. Was wäre, wenn der Mandarin wirklich herkommen würde? Er würde auf jeden Fall einen wütenden Iron Man antreffen. Ich glaube nicht, dass er einfach so in seiner lächerlichen Robe hier rein spaziert kommt. Vielleicht stolpert er ja.

Hubschrauberlärm reißt mich aus meinen Gedanken. Ich gucke aus dem Fenster. Kommt der Mandarin in einem Hubschrauber? Zur Hilfe schalte ich noch den Fernseher ein. Ganz groß ist die Stark Villa zu sehen, aus Hubschrauberperspektive. Und noch mehr kreisen am Himmel. Stöhnend schalte ich den Fernseher wieder aus. War ja auch nicht anders zu erwarten, wenn Tony der Weltpresse unsere Adresse gibt.

Ich greife nach dem Rucksack und verlasse mein Zimmer, nachdem ich mich vergewissert habe, dass alles seine Ordnung hat. Pepper wirft gerade zwei große Reisetaschen nach unten.

»Tony, ist jemand bei dir?«

»Ja, es ist Maya Hansen«, ruft er zurück. »Alte Botaniker-Freundin, wir kennen uns von früher, flüchtig.« Tony schält sich aus einem fast komplett goldenen Iron Man Anzug. Neben ihm steht eine brünette Frau. Sie unterhalten sich flüsternd.

Ich schiebe mich an dem Riesenplüschhasen vorbei, der jetzt auf der Treppe steht. Auch im Wohnzimmer ist der Fernseher an und zeigt das Geschehen rund um die Stark Villa. Noch ist nichts wirklich Spannendes passiert. Ich setze die Brille auf. Nein, immer noch nichts Interessantes. Aber jetzt kann ich mehr über diese Maya Hansen herausfinden. Botanikerin, ja klar. Sie forscht ihm Bereich der Biogenetik. Und sie arbeitet bei AIM. Moment mal, gehört die Firma nicht diesem Aldrich Killian? Was will sie eigentlich hier?

»Und das ist Judy? Deine... Tochter?« Sie deutet auf mich.

»Hi.«

»Wie aus dem Gesicht geschnitten.«

»Entschuldige mal, hab ich 'nen Bart?«, widerspreche ich.

»Und sie teilt meine Meinung, dass wir hierbleiben, ihr seid überstimmt«, sagt Tony entschieden.

»Wir fahr'n von hier weg«, sagt Pepper.

»Wir haben das besprochen, werden wir nicht.«

»Und ob.«

»Der Mann hat nein gesagt.«

Während der - wie erwartet ergebnislosen - Diskussion zwischen Pepper und Tony mache ich mich daran, die Weihnachtsstrümpfe vom künstlichen Kamin abzunehmen.

Tony bemerkt das. »Was soll das, Judy, häng sie zurück!«

»Wenn wir fahren, müssen wir die Socken mitnehmen«, protestiere ich.

»Siehst du, stur wie ein Esel«, wendet er sich wieder zu den anderen.

»Von wem sie das wohl hat«, murmelt Maya.

Pepper bleibt bei ihrer Meinung. »Wir fahren jetzt gleich ganz weit weg.«

Maya pflichtet ihr bei und greift nach den beiden Reisetaschen. »Großartige Idee, also los.«

Ich verstaue die Weihnachtstrümpfe in meinem Rucksack. Man muss sich halt Prioritäten setzen.

»Entschuldige, das ist eine furchtbare Idee«, regt sich Tony auf. »Wenn du ihre Taschen bitte stehen lässt!«

Ich beschließe, mich nicht in den Streit einzumischen, stattdessen gehe ich zur Haustür und beobachte die ganzen Autos, die die Einfahrt blockieren. Etwas blinkt in meinem Blickfeld. Ich blinzele ein paar Mal, bis ich bemerke, dass das von der Brille kommt. Anscheinend nähert sich irgendetwas der Villa...

»Leute, können wir ... ähm naja, müssen wir uns darüber Sorgen machen?« Maya deutet auf den Fernseher. Die Hubschrauberaufnahmen zeigen, dass etwas im Anflug ist. Es steuert direkt auf uns zu.

Ich reiße die Augen auf und wende mich zur Glasfront. Die Schockwelle, die folgt, wirft uns alle ein paar Meter zurück, ich pralle gegen die Wand im Flur. Die Fenster zerspringen sofort und die Decke bröckelt. Ich huste. Wo sind die anderen? Eine weitere Erschütterung lässt mich wieder zu Boden fallen. Ich sehe nichts mehr. Ein Trümmerteil hat meinen Arm getroffen. Neben mir brennt irgendetwas. Noch ein Raketeneinschlag, und die Decke gibt vollständig nach. Ich kneife die Augen zusammen. Der Beton wird mich unter sich begraben.

Aber nichts passiert. Ich öffne die Augen wieder. Ein silberner Iron Man beugt sich über mich. Aber er ist nicht so groß wie die Anzüge, die Tony immer trägt. Dad. Wo ist er?

»Hol sie und dann raus hier! Los!«, ruft eine Stimme. Er steht dicht an der Stelle, an der vorher die Fensterfront war. Zwischen ihm und der Tür klafft ein großer Spalt. Jetzt droht das Stück abzubrechen und in die Tiefe zu stürzen.

Eine Person im Iron Man Anzug läuft an mir vorbei, Maya im Arm, und greift nach mir. Wir schießen aus der gläsernen Eingangstür heraus und ich pralle hart auf dem Boden auf. Wo ist Tony? Unter der Rüstung verbirgt sich nur Pepper.

Als noch mehr Raketen die Villa treffen, lösen sich die Teile der Iron Man Rüstung von Pepper und fliegen zurück in die einstürzende Villa. Ich stehe auf und klopfe mir den Staub von der Hose.

»Er schafft es doch, oder?«, frage ich.

Pepper kann nur entgeistert in die Trümmer starren. Ein Hubschrauber trudelt ins Meer. Ein zweiter explodiert. In diesem Moment bricht ein Großteil der Villa ab und stürzt ins Meer.

Dann breitet sich Stille aus. Gefährliche Stille. Alle Geräusche werden aus meinem Kopf ausgeblendet. Ich nehme verschwommen wahr, wie Pepper zurück ins Haus läuft. Wie benommen starre ich in die Flammen, die auf den verbleibenden Resten der Villa züngeln. Ein so vertrautes Feuer...

Alles ist weg. Tony auch. Wo ist er? Er ist schonmal beinahe gestorben, er kann nicht - nicht schon wieder. Ich blinzele ich die blinkenden Lichter der Rettungswagen. Wie durch einen Sog werde ich zurück in die Realität geschleudert. Als ein Sanitäter auf mich zukommt schüttele ich ihn ab und stolpere zu Pepper. Sie sieht genauso miserabel aus, wie ich mich fühle. Tränen laufen über ihr Gesicht.

»Pepper«, flüstere ich heiser.

Sie nimmt mich in den Arm.

»Er kann nicht weg sein«, murmele ich immer wieder. Pepper sagt nichts.



Schweigend sitze ich auf einem Trümmerteil und starre auf das Meer. Mein Blick schweift zu den Klippen unter der Villa - oder was davon übriggeblieben ist. Auf einem schmalen Felsvorsprung liegt etwas, vermutlich von den Wellen dorthin gespült. Es ist ein Stück Holz. Ich sehe genauer hin. Die Reste einer Geige. Etwas in mir zieht sich zusammen. Meine Geige. Ein Geschenk von Martha. Jetzt wurde sie zerstört, genauso wie alles andere. Vom Mandarin.

Ich balle meine Hände zu Fäusten. Tony wollte den Mandarin finden, richtig? Dann werde ich das jetzt tun. Ich stehe auf und laufe zu meinem Rucksack. Er ist zwar etwas staubig, aber immerhin intakt geblieben. Etwas in der Seitentasche blinkt. Mit gerunzelter Stirn ziehe ich die Brille heraus. Was ist das? Nach kurzer Überlegung setze ich sie auf und starte die empfangene Nachricht. Noch nie war ich so erleichtert, diese Stimme zu hören.

»Ich muss mich für vieles entschuldigen und habe wenig Zeit dafür. Zunächst mal, entschuldigt, dass ich euch in Gefahr gebracht habe. Das war egoistisch und dumm und kommt nie wieder vor. Außerdem ist Weihnachten und der Hass ist zu groß, verstanden, 'tschuldige. Und entschuldigt im Voraus, dass ich noch nicht nach Hause kommen kann. Ich muss diesen Kerl finden. Bringt euch in Sicherheit, soviel ist klar. Und Judy: Keine Alleingänge.« Ein kurzes Seufzen. »Ich hab 'nem Holzindianer den Poncho geklaut.« Die Übertragung endet.

Tony lebt! Das muss ich Pepper sagen. Sie steht schon seit einer Weile am Rand der Klippe und starrt auf das Meer. Ich renne förmlich auf sie zu, vorbei an Rettungskräften, Reportern und CSI-Agenten.

»Pepper!«

Sie hält einen Iron Man Helm in der Hand. Auch darin blinkt etwas.

»Setz ihn auf«, sage ich ungeduldig.

Etwas verwirrt tut sie es. Als die Nachricht endet, hat sich ein erleichtertes Lächeln auf ihrem Gesicht ausgebreitet. »Er lebt«, flüstert sie glücklich. Sie zieht mich in eine Umarmung. Dann legt sie ihre Hände auf meine Schultern. »Wir müssen weg von hier.«

»Was? Nein!«

»Doch, wir werden uns in Sicherheit bringen. Wie Tony gesagt hat.«

»Du willst nach all dem wirklich auf ihn hören? Wir müssen ihn suchen, er kann uns sagen, wo er ist und was er vorhat-«

Pepper schüttelt energisch den Kopf. »Maya?«

Die ist ja auch noch da. Hab ich ganz vergessen.

»Sie haben ein Auto, oder?«

»Versuch etwas zu schlafen, Judy«, sagt Pepper, als wir wenig später im Auto sitzen.

»Wo fahren wir hin?«, frage ich. Also wenn es nach mir ginge, würden wir jetzt Tony suchen und mit ihm gemeinsam auf Mandarin-Jagd gehen. Aber mich fragt hier ja keiner, wie üblich.

Pepper antwortet nicht, und Maya Hansen sitzt nur stumm auf dem Beifahrersitz. Mein Rucksack ist anscheinend das Einzige, was aus der Stark Villa gerettet werden konnte, und ich bin wirklich verdammt froh darüber. Auch meine Kopfhörer sind heil geblieben, was mir ermöglicht, Musik zu hören. Irgendwann dämmere ich weg.

Als ich wieder aufwache, halten wir vor einem Hotel. Pepper redet mit dem Portier und wir bekommen ein Zimmer. Es ist genauso luxuriös, wie ich es gewohnt bin und dementsprechend auch erwartet hätte.

»Ich geh mal duschen«, erkläre ich. Ich brauche wirklich sehr dringend eine Dusche. Mein Gesicht ist noch voller Dreck und meine Klamotten sehen aus wie aus einem Altkleidercontainer gezogen. Mal sehen, was ich noch so für Klamotten mithabe. Da ich dachte, dass wir nach New York fliegen würden, habe ich mir wärmere Sachen mitgenommen. Also entscheide ich mich für einen bequemen Hoodie und eine schwarze Hose. Ich bemerke eine Verbrennung an meinem Oberarm, noch dazu zwei aufgeschürfte Knie und jede Menge blaue Flecken. Wenigstens diesmal kein Schnitt über meine komplette Handfläche.

Gerade als ich das Bad wieder verlassen will, höre ich einen Schrei. »MAYA, WEG-«

Schnell ducke ich mich hinter die Tür.

»Hi Pepper.« Eine angenehme Männerstimme spricht. Was will er von Pepper? Und wo ist Maya? »Verrätst du mir bitte, was du bei Stark Zuhause wolltest?«

»Ich hatte vor, die Dinge zu klären, ich hatte keine Ahnung, dass du und der Meister alles hochjagen wolltet.«

Der Mann arbeitet also für den Mandarin, und Maya gehört dazu. Wie viele schlechte Nachrichten kommen denn heute noch?

»Alles klar. Also wolltest du Stark retten, nachdem er uns bedroht hat.«

»Wie ich schon sagte, Killian, wir können ihn brauchen. Wenn das Produkt nächstes Jahr auf den Markt kommen soll, brauche ich Stark. Er hatte bisher nur nicht den richtigen Anreiz, und den hat er jetzt.«

Sie hat Tony verraten? Und jetzt nimmt dieser Killian auch noch Pepper als Geisel? Killian... war das nicht dieser Kerl, mit dem Pepper sich getroffen hat, und über den sich Tony so aufgeregt hat? Was für ein Produkt überhaupt? Mir schwirrt der Kopf von so vielen Fragen.

»Was ist eigentlich mit der Kleinen?«, fragt Killian.

Ich erstarre. Verdammt. Maya weiß, dass ich hier bin. Ich sehe mich um. Neben der Badewanne ist ein Fenster, wenn ich mich beeile könnte ich dort rausspringen. Aber ich weiß nicht, wie tief das ist, und ein gebrochenes Genick riskiere ich ganz sicher nicht.

»Pepper hat sie zum Flughafen gebracht. Meinte es wäre sicherer, wenn sie zu Verwandten fliegt.«

Warte... schützt sie mich gerade? Die Frau, die uns alle verraten und Pepper ausgeliefert hat? Einen kurzen Moment lang herrscht Stille. Ich wage es kaum zu atmen. Er darf mich nicht entdecken.

»Na dann, worauf warten wir noch? Bringen wir unseren Gast zur Basis.«

Und dann sind sie weg. Maya, Killian und Pepper. Sie haben Pepper! Was soll ich tun?! Okay, ganz ruhig. Tief durchatmen. Was würde Tony tun? Ich könnte ihnen folgen. Ich hätte Killian zumindest eine Wanze anheften können. Nein, ich muss Tony finden. Egal, wo er ist.



Ich laufe an einem Elektronik-Geschäft vorbei. Eine Menschenmenge hat sich vor dem hell erleuchteten Schaufenster versammelt. Mit Ellenbogenarbeit drängle ich mich nach vorne.

»Mr President. Es sind noch zwei Lektionen übrig. Und ich will bis zum Weihnachtsmorgen fertig sein.«

Der Mandarin sitzt auf einem Stuhl, vor ihm auf dem Boden liegt ein Mann.

»Dies ist Thomas Richards. Ein guter, starker Name, eine noch bessere Stellung. Thomas ist leitender Buchhalter der Roxon Oil Cooperation. Bestimmt ist er ein richtig netter Kerl. Ich schieße ihm in den Kopf, live auf allen Fernsehsendern in dreißig Sekunden.«

Der Mann wimmert und der Mandarin deutet auf einen Beistelltisch.

»Die Nummer dieses Telefons hier ist in ihrem Handy gespeichert, das ist aufregend, oder? Sich zu überlegen, wie sie da hineingelangt ist. Amerika, wenn euer Präsident in der nächsten halben Minute anruft, wird Tom leben. Los.« Er wartet, den Lauf der Pistole am Kopf des Mannes.

Das Telefon neben ihm klingelt.

Der Mandarin lächelt. Und drückt ab.

Einige der Leute schreien auf oder halten sich erschrocken die Hand vor den Mund.

»Nur noch eine Lektion wartet auf Sie, Präsident Ellis. Verkriechen Sie sich, geben Sie ihren Kindern einen Abschiedskuss, weil nichts, nicht ihre Armeen, nicht ihr rot-weiß-blauer Wachhund sie noch retten kann. Wir sehen uns bald.«

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