26 | Die Blechdose hat auch ein Herz
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Aufgrund der Tatsache, dass Tony vorhin nicht sonderlich gut auf mich zu sprechen war, traue ich mich erst ein paar Stunden später wieder zur Treppe hinunter. Das erste, was in mein Blickfeld rückt, ist ein riesiger Plüschhase vor der Eingangstür.
»Was zur Hölle-«
»Der ist für Pepper«, erklärt Tony gut gelaunt. Anscheinend geht es ihm wieder besser. Jedenfalls ist er nicht mehr so mürrisch drauf wie vorhin.
»Wie willst du den denn hier reinkriegen? Die Wand einreißen?«
»Gute Idee.«
»Wo ist Pepper eigentlich?«, frage ich.
»Pepper? Pepper hat noch ein Treffen mit Aldrich Killian.« Diesen Namen spricht er mit tiefsitzender Abneigung aus.
Ich ziehe neugierig eine Augenbraue hoch. »Und wer ist das?«
»Ach, nur so ein Typ.« Mit einer wegwerfenden Handbewegung füllt er seinen ekelhaft-grünen Smoothie in eine Flasche und will wieder gehen, da meldet sich Jarvis zu Wort.
»Sir, darf ich Sie daran erinnern, dass heute Date-Night ist? Miss Potts wird bald eintreffen.«
»Oh, stimmt«, antwortet Tony und nimmt einen Schluck aus der Flasche. Er stellt eine Flasche Champagner und zwei Gläser auf den Couchtisch. Dabei fallen mir ein paar Zeichnungen von Kindern auf, die ebenfalls auf dem Tisch liegen.
»Guck mal, deine kleinen Fans haben dir Post geschickt«, sage ich und betrachte die Bilder.
»Hab ich schon geseh'n. Sind echte Kunstwerke.«
»Ich wette, Captain America bekommt doppelt so viel Fanpost«, ziehe ich ihn auf. Auf einigen der Bilder ist Iron Man über New York zu sehen. »Wirst du eigentlich jemals das Geheimnis lüften, wie du es aus dem Portal geschafft hast?«
»Nein«, sagt Tony angespannt. »Falls du mich suchst, ich bin unten. Nein warte, such mich lieber nicht. Und ruinier mir ja nicht die Date Night mit Pepper.«
Ich verdrehe die Augen und lege die Bilder zurück auf den Tisch. »Mach ich schon nicht.« Im gleichen Moment nimmt eine Idee in meinem Kopf Gestalt an. Ich könnte Can You Feel the Love Tonight über alle Lautsprecher der Villa abspielen. Aber wenn ich das umsetze, werde ich garantiert aus drei Kilometer Höhe über der Sahara abgeworfen, also mache ich das lieber nicht.
»Jarvis, sind die Reparaturen am Mark 42 abgeschlossen?«, fragt Tony während er auf der Treppe nach unten verschwindet.
Moment mal, 42? Während Lokis Angriff hat er den Mark 7 benutzt. Wie kann er innerhalb von zwei Jahren dreißig Iron Man Rüstungen gebaut haben?
Später bekomme ich mit, wie jemand die Villa betritt. Ich stelle den Fernseher auf stumm und lausche. Meine Zimmertür ist zwar offen, aber leider kann ich nichts verstehen. Okay, Tony und Pepper sind wahrscheinlich im Wohnzimmer, und ich im ersten Stock, und die Wände hier sind mehr oder weniger schalldicht. Aber Tony ist nicht aus seiner Werkstatt gekommen. Oder doch?
Neugierig luge ich um die Ecke ins Wohnzimmer hinunter. Ich weiß, ich bin eine elende Spionin, tut mir nicht leid. Dort unten stehen Pepper und eine sehr elegante Version des Iron Man Anzugs. Warum trägt Tony den jetzt schon hier drinnen? Jetzt ist Pepper weg, Tony hastet ihr hinterher. Mist, sie sind außer Hörweite. Soll ich das Risiko eingehen, in die Werkstatt runterzugehen? Zu Not könnte ich sagen, ich würde etwas suchen.
Auf Zehenspitzen schleiche ich gerade so weit, dass die beiden mich nicht sehen können, ich aber sie. Sollte ich mich schlecht fühlen, dass ich sie belausche? Möglicherweise.
»Seit New York ist nichts mehr wie's war«, sagt Tony gerade.
»Ach tatsächlich? Also das ist mir gar nicht aufgefallen, gar nicht.« Pepper klingt genervt.
»Man erlebt diese Dinge«, fährt Tony fort und verschränkt die Arme. »Dann sind sie vorbei, und man kann nicht erklären, was passiert ist. Götter, Außerirdische, andere Dimensionen. Ich bin nur 'n Typ in 'ner Blechdose.«
Aber er ist so viel mehr als das! Er hat ganz New York gerettet, auch wenn er dabei fast draufgegangen wäre. Das ist es - das ist der Grund, warum er sich seit den Kämpfen in New York so komisch verhalten hat. Warum er mit niemandem darüber reden wollte. Es wurde ihm einfach zu viel.
»Der Grund, weshalb ich nicht zusammenklappe, ist bestimmt, weil du hier eingezogen bist. Und das ist klasse. Ich liebe dich, ich bin glücklich. Judy und du, ihr seid wundervolle Menschen, und ich kann mir nichts Besseres vorstellen. Aber Schätzchen, ich kann nicht schlafen. Wenn ihr im Bett seid, komme ich her und tu das, was ich kann. Ich tüftele.«
Okay, das erklärt einiges. Die vielen Male, die ich ihn mitten in der Nacht bei den Anzügen erwischt habe, die ständige Müdigkeit und diese grauenvollen Smoothies.
Er lehnt sich an auf einen Servierwagen, auf dem allerhand Desserts stehen. »Aber die Bedrohung ist allgegenwärtig. Und ich muss das beschützen, ohne das ich nicht leben kann. Und das seid ihr beide.«
Ich denke, ich habe genug gehört. Vorsichtig schleiche ich zurück in mein Zimmer. Wieso hat Tony das alles nicht schon viel früher gesagt? Schleppt er das seit dem Alienangriff mit sich rum? Dabei habe ich ihn mehrmals nach New York gefragt...
Ich schalte den Fernseher wieder ein, höre aber nicht hin. Tony hat anderthalb Jahre gebraucht, um Pepper dieses Geständnis zu bringen. Wie konnte er die Sache nur so lange geheim halten? Vielleicht haben wir einfach nicht genau hingesehen, nicht genug zugehört...
Durch ein plötzliches Scheppern schrecke ich aus meinem Schlaf hoch. Der Fernseher läuft immer noch. Ich bin wohl während des Films eingeschlafen. Als ich die Tür von meinem Zimmer öffne, kommt mir Pepper aus dem Schlafzimmer entgegen.
»Was ist los?«, frage ich verwirrt.
Kopfschüttelnd geht sie die Treppe hinunter. Im Schlafzimmer sitzt Tony vor einem Haufen Iron Man Teilen. Er vergräbt sein Gesicht in den Händen.
»Dad?«, frage ich leise.
Er holt tief Luft. »Geh wieder ins Bett, Küken.«
Ich habe nicht vor, dieser Anweisung zu folgen. Stattdessen komme ich näher. »Ich... ähm... habe gehört, worüber ihr euch unterhalten habt«, beichte ich.
Tony bleibt ruhig. Vielleicht ist er einfach nur zu müde, um jetzt mit mir zu streiten.
»Du hast viele Menschen gerettet, damals in New York.«
»Bitte, Judy.« Wenn er nicht so erschöpft wäre, würde er mich beharrlich wegscheuchen.
Ich schüttele den Kopf. »Ich lass dich nicht allein. Ich weiß, wie das ist, und es ist kein schönes Gefühl.« Mum hat mich allein gelassen, sie tut es immer noch, jedes Mal, wenn ich sie brauche. Sogar Tony hat mich im Stich gelassen, als ich nirgendwo anders hinkonnte. Doch seit Tante Marthas Tod hat sich alles geändert. Die einzige Familie, die ich jetzt noch habe, ist hier. Und die gebe ich nicht auf.
Mit angezogenen Knien setze ich mich neben ihm auf den Boden. »Aber du bist nicht allein. Du hast mich. Und Pepper. Und-« ›deine Anzüge‹ will ich sagen, aber irgendwie passen die hier überhaupt nicht rein. »-Jarvis auch. Und Happy natürlich«, beende ich meinen Satz.
Tony blickt auf. »Das weiß ich doch, Küken. Aber es ist komplizierter. Das verstehst du nicht.«
»Vielleicht muss ich es auch gar nicht verstehen.« Ich kuschele mich an seine Schulter. »Wahrscheinlich brauchst du wirklich nur eine Mütze Schlaf, sonst kannst du bald als Nebendarsteller bei The Walking Dead mitspielen.«
Mein schlechter Witz lässt ihn kurz schmunzeln. Er entspannt sich ein wenig. »Diese Anzüge waren immer mein Leben.« Er stößt die Teile mit seinem Fuß an. »Aber jetzt ruinieren sie's mir.«
»Ach Quatsch«, murmele ich müde.
»Aber ich kann's einfach nicht lassen. Dabei würde ich es vielleicht sogar tun. Für Pepper. Ich weiß, ich verstecke mit hinter diesen Anzügen. Sie sind ein nutzloses Hobby.«
»Ich glaube sie sind eher wie eine Schale. Ein Schutz gegen die Außenwelt, verstehst du?« Im Halbschlaf stelle ich mir Tony als Wassermelone vor. Die hat auch eine harte Schale, aber einen weichen Kern. Was für ein Unsinn. »Aber du kannst auch ohne diese Anzüge ein Held sein«, sage ich.
Tonys Antwort höre ich nicht mehr. Ehe ich mich versehe, bin ich auch schon eingenickt.
♦
Ein Handy klingelt. Es ist definitiv nicht meins, denn mein Klingelton ist nicht Born to be Wild. Langsam öffne ich die Augen und bin erstmal verwirrt. Dann fällt mir das Gespräch und Tonys Schlaflosigkeit wieder ein. Dieser sitzt immer noch neben mir und ist wahrscheinlich auch gerade erst aufgewacht. Er nimmt den Anruf an.
»Stark?«, sagt er und hievt sich hoch. »...Was ist mit ihm? ... Gestern Nacht?! Und da rufen Sie erst jetzt an?« Wütend legt er auf und rauft sich die Haare.
»Tony, ich habe gerade einen Anruf bekommen-«, fängt Pepper an, die jetzt auch ins Schlafzimmer gelaufen kommt.
»Ich weiß«, unterbricht er sie. »Ich fahre sofort ins Krankenhaus.«
»Warum? Worum geht es?« Ich hasse es, wenn etwas passiert, und ich die Einzige bin, die nicht weiß, was.
»Happy wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Er ist schwer verletzt.« Tonys Gesicht ist wieder in sich zusammengesunken. Erst die Sache mit dem Mandarin, dann das mit Pepper und jetzt auch noch Happy - oh Mann, das sind ja grauenvolle Weihnachten.
»Was ist eigentlich passiert?«, frage ich, als ich wenig später neben Tony auf dem Beifahrersitz seines weißen Audis sitze.
»Ich hab ihn nicht davon abgehalten, diesen Typen zu beschatten«, murmelt er. »Das war so dumm von mir.«
»Welchen Typen?«
»Diesen Bodyguard von Aldrich Killian. Happy wollte ihn im Auge behalten.«
Als Tony nicht weiterredet, hole ich mein Handy heraus und rufe die News auf. »Das sieht nach dem Werk des Mandarin aus«, sage ich und scrolle durch einen Artikel.
»Er war es. Das hätte alles nicht passieren dürfen.« Dieser Mandarin beschert Tony echt Kopfzerbrechen.
Ich lese die neuste Nachricht des Mandarin:
›Die Wahrheit über Glückskekse: Sehen chinesisch aus, klingen chinesisch - aber eigentlich sind sie eine amerikanische Erfindung. Deswegen sind sie auch hohl, voller Lügen und hinterlassen einen fahlen Geschmack. Meine Gefolgsleute haben soeben eine weitere billige amerikanische Fälschung zerstört. Das Chinese Theatre.‹
Da war Happy. Ein unglücklicher Zufall oder volle Absicht? Eins ist klar, Tony wird das nicht auf sich sitzen lassen.
›Mr President. Ich weiß, es muss äußerst frustrierend sein, aber die Zeit des Terrors nähert sich ihrem Ende. Und keine Angst. Das Beste kommt zum Schluss. Ihre Reifeprüfung.‹
Tony parkt das Auto direkt vor dem Krankenhaus, und nach einem ungeduldigen Gespräch mit einer Krankenschwester dürfen wir in Happys Zimmer.
»Er wacht doch wieder auf, oder?«, frage ich, als wir vor seinem Krankenbett stehen. Er sieht wirklich übel zugerichtet aus. Überall Verbrennungen, zugeschwollene Augen und ein dicker Verband um seinen Kopf gewickelt. Tony gibt mir keine Antwort, sondern lässt sich auf einen Stuhl fallen.
»Hat er... Familie?« Ich setze mich ebenfalls auf einen Stuhl.
Tony schüttelt den Kopf. »Seine Arbeit ist ihm wichtiger. Er war so stolz auf seinen neuen Posten als Sicherheitschef, nachdem er immer nur mein Bodyguard und Fahrer war, der Beste...«
Wir schweigen eine Weile. Happys Brust hebt und senkt sich langsam. Warum bin ich überhaupt mit hier? Ich kenne ihn nicht genug, aber Tony scheint in eine Art Schockzustand verfallen zu sein.
Schließlich regt sich Tony. »Hol dir doch was zu essen, Judy.« Er reicht mir einen Geldschein.
»Und du?«
»Ich hab keinen Hunger, ist schon in Ordnung.«
In der Krankenhauscafeteria hängt ein Fernseher, auf dem Nachrichten laufen. Auch von dem Anschlag letzte Nacht wird berichtet. Aufmerksam verfolge ich den Beitrag. Anscheinend hat jemand eine Bombe gezündet und damit mehrere Menschen mit in den Tod gerissen. Es werden auch Großaufnahmen vom Ort des Geschehens gezeigt. Aber irgendetwas kommt mir dabei chinesisch vor.
Ich setze mich an einen Tisch in der Ecke. Wird wohl Zeit, die Brille wieder zu benutzen. Vor ziemlich genau einem Jahr hat Tony mir diese zum Geburtstag geschenkt. Aber es ist keine gewöhnliche Brille. Sie lässt mich nicht nur viel schlauer aussehen, als ich ohnehin schon bin, sie besitzt auch diverse Scanner, ein Headset und Internetzugang. Und noch anderes Spielzeug. Tetris, zum Beispiel.
Mithilfe der Brille und meines Handys hacke ich mich in den Server der zuständigen Polizeieinheit, der mich weiter zur CSI leitet, und rufe den Bericht von gestern Abend auf. Leichter als gedacht. Mit zusammengezogenen Augenbrauen lese ich ihn durch. Als nächstes sehe ich mir eine Simulation des Tatortgeschehens an. Diese Wärmesignaturen passen überhaupt nicht zu einer Bombenexplosion. Und dazu die Todesursachen dieser Leute...
Tony hebt den Kopf, als ich wieder zurück in Happys Krankenzimmer komme.
»Das war keine Bombe«, erläutere ich ihm meine Erkenntnisse. »Alle Menschen im Umkreis von zehn Metern oder so sind innerhalb von Sekunden verdampft, Dad. Verdampft. Weißt du, wie heiß das gewe-«
»Natürlich weiß ich das.«
»Also was auch immer das war, normal sicher nicht.«
Tony steht abrupt auf. »Wir fahren nach Hause. Gute Besserung, Happy.«
Schon von der Drehtür aus kann ich den Haufen an Journalisten sehen, die vor dem Krankenhaus auf den berühmten Tony Stark warten. Mit unbewegter Miene schiebt dieser sich durch die Menge, ich dicht hinter ihm, damit ich nicht erquetscht werde. Die Reporter bombadieren Tony mit Fragen über den Mandarin, die er geflissentlich, wenn auch deutlich genervt, ignoriert.
»Mr Stark!« Ein junger Mann drängelt sich vor und filmt mit seiner Handykamera. »Wann legt endlich einer den Kerl um? Ich mein' ja nur.«
Wir haben fast das rettende Auto erreicht, da dreht sich Tony um. »Das wollen Sie also?«
»Nicht gut«, murmele ich.
Er starrt direkt in die Kamera. Und das mit einem sehr wütenden Gesichtsausdruck. »Jetzt kommt mein Festtagsgruß, live und inklusiv für den Mandarin. Ich war mir nur über die Wortwahl bis eben unklar: Mein Name ist Tony Stark und ich habe keine Angst vor dir. Ich weiß, dass du ein Feigling bist. Ich habe also entschieden, dass du gerade gestorben bist, Kumpel! Ich werde deine Leiche abholen. Hier geht's nicht um Politik, sondern einfach um die gute, alte Rache.«
Alle Reporter sind verstummt. Ich seufze. Das kann nicht gut enden.
»Vergiss das Pentagon! Nur du und ich. Also, falls du mutig genug bist, dann komm doch einfach zu mir. 10880 Malibu Point, kannst ruhig dein Navi benutzen. Ich lass dir die Haustür offen.«
Hat er - hat er gerade wirklich unsere Adresse öffentlich bekannt gegeben? Und nicht nur das, der Mandarin weiß jetzt, wo wir wohnen. Der Irre, der Menschen massakriert und Häuser in die Luft jagt.
»War es das, was Sie wollten?«, fragt Tony angespannt. Er reißt dem Mann sein Handy aus der Hand und wirft es an einen Pfeiler. »Rechnung an mich.« Er steigt ins Auto.
Ich schlängele mich an den Journalisten vorbei zur Beifahrertür. Sobald ich diese zuschlage, rast Tony los, als wäre der Teufel hinter ihm her. Oder eher der Mandarin, was ja jetzt auch nicht mehr so unwahrscheinlich ist.
»Ähm, dir ist schon klar, dass der Mandarin jetzt weiß, wo wir wohnen, wo er dich finden kann?«, frage ich.
»Soll er doch kommen«, grummelt Tony angespannt.
»Was, wenn er die Villa in die Luft jagt?«
»Nicht, wenn ich ihn vorher erwische.«
»Dad, der Typ tickt nicht richtig. Der hält nichts von Ehre und spielt mit gezinkten Karten, hundertpro.«
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