16 | Home Alone


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Heute ist Tonys Geburtstag. Was so viel bedeutet wie: Heute werde ich meinen überaus perfekt geplanten Plan ausüben. Tony und Pepper haben mir nochmals strengstens eingeschärft, dass ich keinen Fuß aus meinem Zimmer setzen soll. Trotzdem konnten sie mich nicht daran hindern, einen Kuchen zu backen. Er war oben zwar ein bisschen angebrannt, aber dank der Schokoglasur hat man das nicht gesehen. Geschmeckt hat er jedenfalls.

Die Party läuft jetzt schon seit knapp zwei Stunden, es dämmert draußen. Spätestens jetzt machen sich Pepper und Tony keine Sorgen mehr, dass ich doch noch auftauchen könnte. Wie falsch sie da liegen.

Ich checke mein Outfit im Spiegel. Zur Feier des Tages trage ich eine weiße Bluse und einen bordeauxroten Rock. Ich lächele selbstbewusst mein Spiegelbild an, zupfe an den Saiten der Geige und raffe die Notenblätter zusammen.

So leise und unscheinbar wie möglich schleiche ich aus meinem Zimmer ins Erdgeschoss hinunter. Niemand beachtet mich, ein Vorteil, wenn man klein ist. Es fließt eine Menge Alkohol. Und das um diese Uhrzeit. In dieser Sache werde ich Erwachsene wohl nie verstehen können. Schnurstracks laufe ich zum Flügel hinüber, wo unter anderem auch ein Streicherquartett sitzt. Das war bestimmt Peppers Idee, Tony steht eher nicht auf klassische Musik, erst recht nicht bei seiner Geburtstagsparty.

Ich reiche der Pianistin ein paar Notenblätter. Sie nimmt sie verwirrt entgegen. Dann stelle ich mich vor die Menge. Mein Herz klopft wie wild, ich wische meine schwitzigen Hände an meinem Rock ab. Immer noch hat mich keiner wirklich wahrgenommen. Ich nicke der Pianistin zu, und sie beginnt zu spielen. Einige Töne später setze ich den Bogen an die Saiten meiner Geige. Mit klopfendem Herzen fange ich an.

Ein dunkelhäutiger Mann, den ich als Colonel James Rhodes, Tonys langjährigen Freund, identifiziere, bemerkt mich zuerst. Er stößt Tony an und deutet mit seinem Glas zu mir. Ich fange seinen Blick auf, und fühle mich in meiner Entscheidung immer mehr bestätigt, je länger ich spiele. Es ist zwar gewöhnungsbedürftig, meine linke Hand zu schonen, aber ich denke, ich bekomme das trotzdem gut hin.

River Flows In You.

Eigentlich ein Lied für Klavier, aber auf der Geige klingt es mindestens genauso schön.

Anfangs sieht Pepper auch nicht gerade begeistert aus. Aber sie kann ja schlecht zu mir stürmen und mir die Geige aus der Hand reißen, oder? Bald schon haben sich alle zu mir umgedreht. Sie hören nur mir zu, wie ich, vom Klavier begleitet, das Stück auf der Geige spiele. Auf mir liegt die ungeteilte Aufmerksamkeit. Auch Pepper lächelt schließlich.

Als ich ende halte ich den letzten Ton lange aus. Ich suche Tonys Reaktion. Er klatscht mit den anderen. Und liegt da nicht auch etwas Stolz in seinem Blick, als er mich anlächelt?

Er drängelt sich zu mir vor und zieht mich ein Stück zur Seite, als die anderen Leute ihre Gespräche fortführen. Die meisten von ihnen beachten uns nicht mal mehr.

»Das war wirklich gut«, sagt Tony lächelnd.

»Danke. Das war mein Geburtstagsgeschenkt für dich. Hat es dir gefallen?«

»Sehr. Ich frage mich nur, wo du dieses musikalische Talent herhast. Von mir garantiert nicht. Aber meine Mutter hat wunderbar Klavier gespielt.«

»Hat sie?« Er hat sich noch nie mit mir über seine Eltern unterhalten. Am liebsten würde ich mehr wissen. Wie war Maria Stark? Ich hätte wirklich gerne meine Großmutter kennengelernt.

»Aber eigentlich sehe ich dich gar nicht, denn die wahre Judy sitzt brav in ihrem Zimmer, denn sie hört auf das, was Erwachsene ihr sagen«, flüstert Tony und wirft mir einen tadelnden Blick zu. »Und genau das solltest du jetzt tun. Bevor die Leute anfangen zu reden.«

»Lass sie doch reden.« Ich verstehe das sowieso nicht. Wieso darf niemand wissen, dass ich Tonys Tochter bin? Ganz ehrlich, das hat er sich alles selbst eingebrockt.

»Hey Tony, was ist mit der Story über New York, die du uns versprochen hast?«, ruft jemand zu uns rüber.

»Die kommt sofort mit allen Details und Insider-Informationen!« Dann wendet er sich zu mir. »Das Stück war wirklich toll, aber jetzt musst du vernünftig sein und wieder nach oben gehen.«

Ich verschränke die Arme. »Wann warst du jemals vernünftig, hm?«

»Judy, bitte. Bevor Pepper herkommt.« Ich ziehe einen Schmollmund. Aber Tony klopft mir nur auf die Schulter. »Wirklich gute Arbeit, Küken.« Damit verschwindet er wieder zu seinen Partygästen und lässt mich am Treppenaufgang stehen. Ich sehe ihm hinterher, bemerke kurz darauf aber Peppers mahnenden Blick. Nicht ohne ein kleines Triumphlächeln kehre ich in mein Zimmer zurück. Das hat sich auf jeden Fall gelohnt.


Am nächsten Tag prangt nicht ›Großer Skandal bei Tony Stark‹ in der Zeitung. Auch nicht am übernächsten. Pepper ist sichtlich erleichtert und kann beruhigt nach New York fliegen, um die Fortschritte am neuen Tower zu überwachen. Das bedeutet Partystimmung in der Stark-Villa. Vormittags natürlich nicht, da kommt Ilona vorbei. Als Lehrerin ist sie eigentlich voll cool.

»Ilona?«, frage ich, als wir gerade über binomische Formeln brüten. »Denken Sie, Sie könnten mir vielleicht ein wenig Russisch beibringen?«

Sie zögert. »Ich weiß nicht, möchtest du nicht lieber etwas Klassisches lernen, wie Französisch oder Spanisch?«

»Französisch hatte in drei Jahre in London, und Spanisch... eher nein.«

Sie zögert immer noch und richtet ihren blonden Dutt.

»Bitte«, sage ich mit dem überzeugendsten Blick, den ich aufbringen kann. »Mr Stark hat auch ganz sicher nichts dagegen.«

Nach diesem Argument kann Ilona gar nicht Nein sagen. »In Ordnung. Aber zuerst beenden wir diese Gleichungen.«

Da Pepper nicht da ist, liege ich nachmittags und abends auf der Couchlandschaft im Wohnzimmer und gucke stundenlang Filme. Tony scheint tagsüber zu schlafen und nachts zu arbeiten, und wenn er einmal aus seiner Werkstatt kommt, dann nur um sich etwas zu Essen oder neues Kaffeepulver zu holen. Danach verschwindet er aber fast sofort wieder. Manchmal fühlt es sich an, als wäre ich allein in der Villa.

Ich habe natürlich mit einer Antwort von Celly gerechnet, allerdings bin ich schon überrascht, als ich mein Zimmer betrete. Frodo die kleine Eule sitzt auf dem Ficus in der Ecke, einen Brief ans Bein gebunden. Diesmal starrt sie mich aber nicht an, sondern ist in eine Art Gespräch mit Josh verwickelt, das hauptsächlich aus Summen, Krächzen und Quieken besteht. Ein komischer Anblick. Vorsichtig nehme ich Frodo den Brief ab, rolle ihn auf, werfe mich auf mein Bett und fange an zu lesen:

»Hey Judy!

Man war ich froh, dass der Brief angekommen ist, aber noch glücklicher war ich über deine Antwort! (Die Muschel ist wunderschön, vielen Dank dafür!) Aber wieso hast du mir das mit Loki nicht schon früher erzählt? Vielleicht hätte ich dir helfen können. Ich weiß zwar nicht wirklich wie, aber moralische Unterstützung ist immer gut, oder nicht?

Hast du mit Tony über das mit Loki geredet? Und hast du meine Grüße übermittelt? Erinnert er sich an mich? Ich hoffe schon, denn ich bin ihm so gut wie es ging auf die Nerven gegangen.

Manchmal können Alpträume und Schlafstörungen und sowas nach solchen traumatischen Ereignissen auftreten. Ich bin mir sicher, ein Gedankenbann gehört dazu. Ich glaube ich kenne ein paar Zaubertränke, die dagegen helfen können, aber ich glaube nicht, dass du welche zur Hand hast. Apropos Zaubertränke, Conrad hat sich letztens im Zaubertränke-Unterricht fast die Nase weggesprengt. Das sah lustig aus. (Chris fand das nicht, er hat ihn sofort an Mom verpetzt.)

Was ich noch fragen wollte: durftest du eigentlich schonmal mit einem der Iron Man Anzüge herumfliegen? Das wollte ich schon immer mal machen...«

Grinsend lese ich auch noch den Rest des Briefes, in dem sie haarklein von ihrem Schulleben erzählt. Dabei benutzt sie unter anderem sehr verwirrende Begriffe wie ›Pukwudgie‹, was ich kaum aussprechen kann. Und sie scheint ganz begeistert von einem Sport namens ›Quidditch‹ zu sein. Aus irgendeinem Grund wünsche ich mir, mit Celly an diese Schule zu gehen, alltäglichen Schulkram zu erleben, mir Freunden rumzualbern... Stattdessen sitze ich tagtäglich in dieser Villa fest.

Ich träume wieder von Mum. Wir sitzen in der flirrenden Hitze im Sandkasten eines Spielplatzes. Alice Springs. Der dritte Ort, an den wir gezogen sind. Ich versuche eine Sandburg zu bauen, aber sie stürzt immer wieder ein. Der Sand ist zu trocken. Es ist zu heiß. Die Sonne brennt unerbittlich auf uns herab. Mum streicht sich eine Strähne ihres braunen Haares aus den Augen, der Pixi-Haarschnitt wächst langsam heraus. Ich fülle neuen Sand in ein Förmchen, als der Baum, unter dessen dürren Ästen wir sitzen, Feuer fängt. Es breitet sich immer schneller aus. Ein brennender Ast fällt zwischen uns.

»Mum!«, schreie ich, muss aber hilflos ansehen, wie Mums trauriges Gesicht hinter den Flammen verschwindet.

Mit klopfendem Herzen wache ich auf. Ich blinzele. Im Schlaf habe ich angefangen zu weinen. Ich drücke mir meine Handballen auf die Augen. Diese bescheuerten realistischen Träume. Das ist nie so passiert. In Alice Springs gab es kein Feuer. Als ich aufstehe wird mir bewusst, dass ich zittere, trotz der Wärme in meinem Zimmer. Ob Tony schon wach ist? Im Schlafzimmer ist er nicht.

Ich gehe runter in die Werkstatt. Er arbeitet tatsächlich und probiert irgendwelche Repulsoren aus, als ich an der Glastür klopfe.

»Judy? Was machst du denn hier?«

»Ich kann nicht schlafen«, beichte ich kleinlaut.

Tony legt den Antrieb zu Seite und sieht auf die Uhr. »Du solltest noch ein paar Stunden schlafen. Geh wieder hoch.«

Ich hätte eigentlich ein wenig mehr Mitgefühl von ihm erwartet. »Ich hatte einen Albtraum.«

Tony seufzt und kommt näher. »Ich habe auch manchmal Albträume. Aber weißt du, was dagegen hilft? Nicht daran denken. Lass das Licht an und lass dir von Jarvis ein Hörbuch vorlesen.«

»Und wenn das nicht hilft?«, frage ich.

»Das wird es schon, versprochen.« Er klopft mir aufmunternd auf die Schulter. »Und jetzt geh wieder ins Bett.«

Widerstrebend gehe ich die Treppe hoch. Ich habe das Gefühl, dass er mich nur loshaben wollte. Er sagt, ich soll schlafen, während er die ganze Nacht in seinem blöden Keller hockt. Ich verkrieche mich in mein Bett und rolle mich fest in meine Decke ein.

Nicht daran denken.

Jetzt im Nachhinein ist der Traum nichtmal das größte Problem. Es ist eher die Angst, allein zu sein. Ich will nicht allein sein. Die Stille ist erdrückend. Ich höre das Surren der Klimaanlage, das Blut in meinen Ohren rauschen, meinen Atem, meinen eigenen Herzschlag.

Ich will nicht allein sein.

»Jarvis?«, flüstere ich.

»Ja, Miss?« Er hat mich gehört.

»Kannst du... kannst du mir etwas vorlesen? Egal was.« Ich will nur nicht weiterhin diese verdammte Stille ertragen müssen.

»In einer Höhle in der Erde, da lebte ein Hobbit. Nicht in einem schmutzigen, nassen Loch, in das die Enden von irgendwelchen Würmern herabbaumelten und das nach Schlamm und Moder roch. Auch nicht etwa in einer trockenen Kieshöhle, die so kahl war, dass man sich nicht einmal niedersetzen oder gemütlich frühstücken konnte. Es war eine Hobbithöhle, und das bedeutet Behaglichkeit.«


Zwei Tage später kommt Pepper wieder, und Tony lässt sich häufiger in ›der Oberwelt‹ blicken. Einmal gucken wir sogar einen Film zusammen, mit selbstgemachtem Popcorn. Vielleicht ist das Leben hier drin doch nicht so übel.

Dann habe ich wieder einen Albtraum. Hört das denn nie auf?

Ich bin in London. Genauer gesagt in Marthas Küche. Sie kocht, während Will und ich am Tisch sitzen und ein Kartenhaus bauen. Ein plötzlicher Windstoß lässt es zusammenstürzen. Merkwürdig, denn das Fenster ist geschlossen. Der Wind greift das Feuer auf dem Gasherd an, und schon steht die Gardine in Flammen. Ich springe auf und will mich ängstlich hinter Will verstecken, aber er ist nicht mehr da. Martha auch nicht. Mittlerweile steht die gesamte Küche in Flammen. Ich bin inmitten des Feuers eingesperrt.

»Hört mich denn keiner?«, rufe ich verzweifelt. »Hört mich denn-«

Ich fahre hoch. Und lausche. Außer meinem Herzschlag und meinem heftigen Atmen ist nichts zu hören.

»Es geht mir gut«, murmele ich. »Gut.«

Kurzerhand setze ich meine Kopfhörer auf und verdränge den Traum mit einer Ladung Musik. Was sind das nur für Träume? Ich will das nicht, wieso erinnern sie mich an Mums Tod? Kann ich nicht einfach damit abschließen?

Etwa eine Stunde später höre ich jemanden den Flur entlanglaufen. Das ist bestimmt Pepper. Soll ich aufstehen? Mein Magen gibt mir knurrend seine Bestätigung, also hieve ich mich aus den Kissen hoch und tapse zur Tür.

In der Küche holt Pepper gerade eine Packung Milch aus dem Kühlschrank, den Blick dabei die ganze Zeit auf ein Tablet gerichtet. Sie stellt die Milch auf der Küchentheke ab und scrollt mit ihrem Finger auf dem Bildschirm herum. Dann bemerkt sie mich.

»Oh, Hallo Judy! So früh schon wach?«

Ich zucke mit den Schultern und nehme mir Müsli aus einem der Küchenschränke. Mit der Schüssel setze ich mich auf die Theke und lasse meine Füße baumeln.

Pepper seufzt. »Setzt du dich bitte an den Tisch? Auf einen Stuhl?«

Augenverdrehend gehe ich ihrer Bitte nach. »Wo ist Tony?«, frage ich müslikauend.

»Im Bad. Anscheinend ist er schon vor mir aufgestanden.«

Nach diesem unglaublich nahrhaften Frühstück gehe ich wieder nach oben. Tatsächlich ist aus dem Badezimmer prasselndes Wasser zu hören. Seit wann benutzt er eigentlich dieses Bad?

»Bis später!«, ruft Pepper hoch und sobald sich die Tür unten schließt, hören auch die Wassergeräusche auf. Stirnrunzelnd drücke ich die Türklinke nach unten. Es ist offen. Und im Badezimmer ist niemand. Ich laufe die Treppen zu Tonys Werkstatt-Keller hinunter.

»Das ist nicht sein Ernst«, murmele ich. Tony steht vor einen Tisch, auf den ein paar Teile seiner Iron Man Rüstung liegen, und wischt nebenbei auf einem Holobildschirm herum. Mich bemerkt er nicht. Erst, als ich die Glastür öffne und fast vor ihm stehe, sieht er kurz auf.

»Was machst du denn hier unten?«, fragt er.

»Wieso tust du das?«

»Was?«

Ich verschränke die Arme. »Bist du schon die ganze Nacht hier unten?«

»Nein«, lügt er, ohne inne zu halten. Er läuft an mir vorbei.

Ich lege den Kopf schief und gehe näher an den Tisch. »Versteckst du dich vor Pepper? Was war das mit der Dusche?«, frage ich und betrachte eine Handvoll Chips, die unbeachtet am Rand liegen. Sie sehen aus wie überdimensionale SD-Karten.

»Dusche? Ich weiß von nichts«, bestreitet Tony weiter. Er stellt eine Tasse unter die Kaffeemaschine und drückt auf einen Knopf. Während die dunkle Flüssigkeit in die Tasse läuft, reibt er sich die Augen. Und gähnt. Okay, es ist sinnlos ihn weiter darüber auszufragen.

»Wozu sind die hier?«, frage ich, um das Thema zu wechseln und deute auf die Chips.

Tony dreht sich nicht einmal um. »Das sind weitere KI. Ich wollte ein paar als Sicherung. Falls Jarvis mal ausfallen sollte. Nichts für ungut, Kumpel.«

»Wenn ich Gefühle hätte, wären diese jetzt sicherlich verletzt, Sir.«

Interessiert nehme ich einen Chip in die Hand. »Wann hast du die gemacht?«

»Es sind nur Prototypen, nur schlechte Kopien von Jarvis. Wahrscheinlich funktionieren sie sowieso nicht. Sie müssten weiter programmiert werden und so.« Anscheinend hat Tony das Interesse an den KI verloren und bastelt jetzt weiter an den Anzügen. Typisch Tony.

»Also brauchst du sie rein theoretisch nicht?«, frage ich und lasse unauffällig einen Chip mit der Aufschrift ›Jocasta‹ in meiner Hosentasche verschwinden.

»Also rein theoretisch - weißt du was, du störst mich.« Er nimmt einen großen Schluck aus seiner Kaffeetasse.

»Beim Arbeiten?«

»Bei allem, also tschüss.« Er wedelt mit einer Hand in meine Richtung, als Zeichen, dass dieses Gespräch nun beendet ist.

»Is ja gut, bye«, sage ich und verlasse die Werkstatt.

In meinem Zimmer nehme ich den Chip hervor. Vielleicht lässt sich damit ja doch noch etwas anstellen. Ich starte das Notebook und den Holobildschirm auf meinem Schreibtisch. Dann übertrage ich den Inhalt des Chips. Langsam baut sich ein 3D-Modell auf. Zuerst denke ich, es wäre ein Gehirn, aber es ist viel... kantiger. Aber diese Verbindungen und Datenströme haben eine gewisse Ähnlichkeit zu den Nervenbahnen in einem Gehirn. Es ist wunderschön. Aber es weist noch ein paar Lücken auf. Ich drehe das Modell hin und her. Irgendwie bekomme ich das schon hin. Wenn Tony das kann, kann ich es schon lange.

Nach ein paar weiteren Unterrichtsstunden mit Ilona renne ich wieder in mein Zimmer. Gespannt setze ich mich zurück an meinen Schreibtisch. Eigentlich sollte das System in der Zwischenzeit ein Back-up erstellt haben. Hat es aber nicht. Frustriert raufe ich meine Haare. Jetzt habe ich keine Lust mehr. Meine Motivation für diese Sache hat ihren Tiefpunkt erreicht. Hat ja lange gehalten. Ich gehe zur Kommode und nehme meine Geige herunter. Damit kann ich mir genauso die Zeit vertreiben und einen klaren Kopf bekommen.


Ich werfe mich unruhig hin und her. Ich kann nicht einschlafen, so sehr ich es auch versuche. Ich habe alles ausprobiert: Schafe gezählt, aber irgendwo nach siebenhundert habe ich mich verhaspelt, und die Schafe haben gebockt. Sie sind einfach durcheinander gesprungen. Daraufhin habe ich Kopfstand an der Wand gemacht, solange bis mir schwindelig wurde. Auch die dreißig Liegestütze haben nichts gebracht. Seufzend nehme ich Josh auf die Hand.

»Und du? Kannst du auch nicht schlafen?« Zur Antwort rollt er sich zusammen und beginnt, friedlich zu summen. »Na vielen Dank auch«, murmele ich. Jetzt rede ich auch noch mit einem Knuddelmuff.

Ich setze mich wieder an meinen Schreibtisch und drehe ein paar Runden. Und noch ein paar. Ich werfe einen Blick auf den Holobildschirm und zögere. Ich könnte jetzt weitertüfteln. Denn Tony störe ich nicht nochmal mitten in der Nacht. Eigentlich ist nicht mehr viel zu tun. ›Jocasta‹. Was ist das überhaupt für ein Name? Vielleicht kann ich ihn irgendwie umprogrammieren... Stirnrunzelnd wische ich auf dem Bildschirm herum. Dabei murmele ich vor mich hin.

»Irgendwie muss das doch funktionieren...«

Mein Wecker klingelt. Erschrocken fahre ich hoch. Ich blinzele in das helle Licht, das sich durch die glänzenden Fensterscheiben ergießt. Ich muss wohl vorhin über dem Schreibtisch eingeschlafen sein. Wenigstens habe ich es geschafft, die KI umzubenennen. Bleibt nur noch die Frage, ob sie darauf anspringt. Dafür müsste ich sie an irgendein System anschließen, aber nur für mein Notebook wäre sie zu schade. Mein Blick fällt auf eine Sonnenbrille, die im Regal liegt, und eine Idee nimmt in meinem Kopf Gestalt an. Aber damit muss ich wohl bis heute Nachmittag warten.

»Tony?« Vorsichtig strecke ich meinen Kopf zur Tür herein. »Ich wollte fragen, ob - Was zur Hölle tust du da?«

»Ich bereite mich auf einen kleinen Ausflug vor.« Er steckt in einem neuen Anzug, einem silbernen Modell, während eine Maschine um ihn herumfährt, um letzte Teile zu verlöten.

Ich runzele die Stirn. »Um diese Uhrzeit?«

»Wieso nicht? Gerade nachts ist die Aussicht am Schönsten«, sagt er, bevor der Helm zuklappt.

»Ja aber«, gebe ich zu bedenken, »wenn das der erste Flug ist, du quasi keine Sicherheitsgarantie hast, dass dieses Ding funktioniert und du nicht ins Meer abstürzt... Wäre es dann nicht besser, den Testflug wenigstens tagsüber zu machen?«

Tony überlegt kurz. »Yep, das wäre es vermutlich. Jarvis, zehn Prozent Kraft auf die Schubdüsen.«

Warte, was? Hat er mir überhaupt zugehört?

»Hey! Ich wollte-« Doch bevor ich noch etwas sagen kann, fliegt Tony auch schon durch die Garageneinfahrt nach draußen. Ich wollte ihn doch nur fragen, ob er mir Tipps wegen der KI geben kann. Ist wahrscheinlich sowieso eine bescheuerte Idee. Genervt will ich wieder gehen. Doch dann fällt mein Blick auf einen Iron Man Helm, der ungeachtet auf einem Tisch liegt. Ich setze ihn auf. Blinzele. Flackernd bauen sich kleine Diagramme vor mir auf, zerfallen kurz danach aber wieder. Enttäuscht setze ich den Helm wieder ab.

»Jarvis? Was für Informationen werden über den Helm gespeichert und abgegeben?«, frage ich in den Raum hinein.

»Das ist ganz unterschiedlich, Miss. Wärmesignaturen, Energiebilanzen, mögliche Hindernisse, Schädigungen am System...«

»Und diese Daten speicherst du?«

»Ganz genau.« Nachdenklich nicke ich. Wenn ich meine KI an Jarvis' Datenbank anschließen könnte... Ich meine: er weiß alles. Wie Wikipedia. Aber dafür müsste ich Tony nach den Zugangscodes fragen. Und der geht mir ja lieber aus dem Weg. Aus welchem Grund auch immer. Und ichhocke ganz allein in dieser riesigen Villa.

~

*räusper*

Ich frage mich, ob euch ein paar Kapitel aus Cellys Leben eventuell interessieren würden? (Falls keine Dagegen-Stimmen kommen mache ich es einfach lol)

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