32. Kapitel

Ich war in einem wilden Traum aus wunderbaren Lichtern und schwarzen, klebrigen Schatten gefangen. Die Sonne verwandelte sich in den Mond und die Wolken am Himmel wurden zu rosafarbenen Pferden, die vor dem tobenden Sturm davonritten.

Ich warf meinen Kopf hin und her, aber es tat nicht weh. Eigentlich spürte ich überhaupt nichts mehr. Das Einzige, was ich noch so eben vernehmen konnte, war wie mir der Schweiß von der Stirn tropfte. Immer wieder holte ich nach Luft, als wäre ich für eine längere Zeit unter Wasser getaucht, doch nie war der Sauerstoff, den ich einatmete, ausreichend. Ich fühlte mich so hilflos und schwach. Dort waren keine heilenden Hände, die mich hielten, als es am schlimmsten wurde. Doch mein Kopf schien auf meine Gedanken zu reagieren und machte es nur noch schlimmer. Aus der tiefsten Schwärze, die direkt vor mir lag, griffen plötzlich zwei Hände nach mir und ich verfiel in einen Schreikrampf. Es war als würden spitze, reißende Klauen nach mir schlagen und mich verletzen wollen. Schützend hob ich beide Arme vor mein Gesicht und strampelte mit meinen Beinen. Ich hörte sein Rufen, sein Flehen und Betteln, aber es kam nicht in meinem Kopf an. Ich wusste, was er getan hatte, auch wenn ich in einer Wabe aus schwarzem Teer gefangen war. Es war mein Dad, der weinend vor mir kniete und um Vergebung bettelte. Zwar konnte ich ihn nicht sehen, aber ich wusste, er war da.

Ich konnte dieses Bild, welches sich künstlich in meinen Kopf gebrannt hatte, einfach nicht mehr vergessen. Wie er Gas gab und mich ohne Rücksicht auf irgendwelche verdammten Verluste einfach so über den Haufen fuhr, sein eigen Fleisch und Blut, nur um mich loszuwerden.

„ Ich bitte dich, Madison! Ich bitte dich, lass mich dich in den Arm nehmen! Lass mich dir alles erklären!"

„ Nein! Geh weg von mir! Fass mich nicht an! Nein! Fass mich nicht an!" Meine Schreie waren verzehrt, wie nicht von dieser Welt, aber mein Überlebensinstinkt war größer und ich schlug ihn von mir fort. Es war ein ständiger Wechsel zwischen Traum und Realität.

Erst als die Polizisten und Feuerwehrmänner in mein Sichtfeld traten und meinen Dad von mir wegzogen, wusste ich, dass ich mich wieder im Hier und Jetzt befand.

Sie sprachen wildes Zeug über mir, Dinge, die ich nicht verstand. Ich würde wieder eine Beruhigung bekommen, irgendjemand streichelte mein Gesicht und ein anderer hatte bereits mein T-Shirt zerschnitten, um mir ein EKG anzulegen. Ich ließ sie machen, war ruhig geworden, sobald sie meinen Dad von mir weggeschafft hatten, doch dann kamen die Gedanken an Riley und Mikey zurück. Ich wollte sie sehen! Ich wollte sie so gerne sehen!

Ich vernahm Schreie und ordnete sie sofort Mikey zu. Ich wollte nach ihm rufen, aber meine Stimme versagte bereits, als sie mir über einen Zugang bereits die beruhigende Flüssigkeit spritzten. Ich spürte wie mir heiße Tränen aus den Augenwinkeln rannen und warf meinen Kopf nach links, in der Hoffnung, irgendetwas sehen zu können, aber ich erkannte nur die Statue des Sanitäters, der wie eine Wand neben mir hockte, und mir die Sicht auf die wirklich relevanten Dinge nahm.

Irgendwann wusste ich nicht mehr, welche Augenblicke sich mit der Realität und mit der Fantasiewelt, in die ich ab und an durch Überforderung und Medikamenten abdriftete, vermischt hatten. Ich war kurzzeitig ohnmächtig gewesen, hatte jedoch alles mitbekommen, was um mich herum geschehen war, hatte mich sogar durch Schreie zur Wehr setzen können. Doch wie viel davon war real? Was hatte ich mir eingebildet und was nicht? Oder beruhte alles was mein Kopf immer und immer wieder von vorne durchlebte auf wahren Begebenheiten? Vielleicht war es aber auch doch alles bloß reine Fiktion? Noch nicht einmal jetzt, wo mir all diese Gedanken durch den Kopf gingen, wusste ich, was richtig und was falsch war. Es war als wäre meine Seele in eine Parallelwelt hinabgestiegen, mein Kopf aber noch voll funktionstüchtig. Dabei wollte ich wieder in die normale Welt, ja ich wünschte es mir sogar! Noch nie hatte ich mir das so sehr gewünscht wie in diesem Moment, aber alleine schaffte ich es nicht, so sehr ich mich auch anstrengte, es wollte einfach nicht gelingen.

„ Madison."

Mein Körper spannte sich an. Diese Stimme war unverwechselbar und löste Alarmbereitschaft in mir aus. Wenige Sekunden später spürte ich, wie derjenige mir eine Hand auf meinen Unterarm legte. Und auch wenn es mir unangenehm war, so schien es der Eintritt zurück in mein Leben zu sein. Es war als würde sich ein Himmel voller Wolken lichten und die Sonnen hervorbrechen, die alles mit ihren Strahlen und ihrer wunderbaren Wärme heilen konnte.

„ Madison, kannst du das Licht sehen?" Eine weitere Stimme mischte sich ein, doch ich konnte sie nicht zuordnen. Sie klang unheimlich weit weg von mir, doch ich konnte es erkennen. Das Leuchten in der Dunkelheit. Ich beschloss ihm entgegen zu gehen.

„ Das Licht, Madison. Schaue ins Licht!"

Es wurde immer greller und durchdringender, nahm mich in sich auf. Die beruhigende Stimme und der helle Lichtstrahl führten mich und brachten mich schließlich an die Oberfläche. Doch als ich die Augen aufschlug, war dort kein gleißendes, alles umfassendes Licht mehr, sondern ein kaltes, kleines Licht, welches auf mich hinableuchtete.

Sofort kniff ich die Augen wieder zu und wollte sie gar nicht mehr öffnen.

„ Madison, mein Schatz! Du bist endlich aufgewacht!" Die Stimme riss mich erneut aus meiner Trance und ich hob unweigerlich die Lider. Dort saß er, so wie ich ihn kannte. Er kam mir immer noch unheimlich gealtert vor, aber sonst hatte sich nichts an ihm verändert. Mein Dad.

Wegen ihm war ich durch die Hölle gegangen. Wegen ihm hätte ich beinahe die liebsten Menschen auf dieser Erde verloren. Wegen ihm wäre auch ich beinahe gestorben. Und das nicht nur einmal.

„ Nein", keuchte ich direkt und versuchte mich zu bewegen, aber mein Körper war steif. Ich konnte mich keinen Zentimeter rühren, woraufhin ich hilflos wieder ins Licht schaute.

„ Kannst du mit deinen Augen dem Licht folgen?", fragte die männliche Stimme und ich tat es, während ich so unter Druck stand. Ich glaubte, den Test bestanden zu haben, da ich den Kombinationen aus nach rechts, links, oben und unten recht schnell folgen konnte.

Sobald ich wieder eine freie Sicht bekam und meine Augen kurz einen Moment Zeit benötigt hatten, um die bunten Kleckse von ihren Linsen zu bekommen, riss ich sie mit einem Mal weit auf.

„ Dr. Halliston", kam es gequält zwischen meinen Lippen hervor, als er einen Schritt nach hinten tat und erleichtert lächelte.

„ Du erkennst mich", sagte er bloß.

Ich nickte hastig und konnte es kaum glauben. „ Wo waren Sie die ganze Zeit?"

„ Ich war hier und habe auf ein Zeichen gewartet."

Ich verstand nicht recht. Von welchem Zeichen sprach er dort?

„ Ich dachte ... in der Zelle ..."

„ Hast du meinen Zettel denn nicht erhalten?"

Ich nickte kräftig. „ Doch."

„ Kameras haben uns beobachtet. Es ging nicht anders. Es tut mir so Leid."

Da fiel mir jedoch wieder mein verkorkster Dad ein, der direkt neben mir saß, und ich blickte ihn mit einem flehenden Ausdruck an. „ Bitte schaffen Sie ihn fort! Ich will nicht, dass er hier sitzt!"

„ Madison", flehte er und wollte wieder nach mir greifen, doch ich sah bitterböse zu ihm hinüber.

„ Nein!" Ich begriff weshalb mich seine Anwesenheit erst jetzt so schockierte. Als sich Riley in schwindelerregender Höhe befand, war mein Kopf bloß randvoll von ihm gewesen, ich hatte keine Zeit gefunden, um mir großartig Gedanken um meinen Dad zu machen. Nun war die Angst vorüber und ich konnte wieder klar denken. Und alles brach über mir herein wie ein reißender Wasserfall.

„ Madison, es ist alles gut. Dein Dad sitzt schon seit Stunden an deiner Seite!"

„ Aber ich will es nicht! Er soll weggehen!" Das viele Sprechen strengte meine Stimme an und ich begann zu husten.

„ Du solltest dich wirklich nicht aufregen! Dein Körper braucht jetzt Ruhe", mahnte mich Dr. Halliston und trat schon an meine Seite. Seine Hand griff nach meinem Arm.

„ Dann soll er verschwinden", presste ich zwischen meinen Lippen hervor.

Einen Moment musterten er und ich uns, ehe er zur Seite schaute und schließlich meinem Dad mit einer Kopfbewegung verdeutlichte, dass es wohl besser war zu gehen. Dad schien es sichtlich schwer zu fallen.

„ Aber ich bin ihr Vater ...", versuchte er Dr. Halliston zu beeinflussen, indem er mit der Ich-bin-ihr-Vater-Masche kam. Dr Halliston jedoch war steinhart und zeigte ohne auch nur noch einen Ton zu sagen auf die Tür. Als Dad den Ernst der Lage doch endlich zu verstehen schien, lief er rückwärts zur Tür hinaus. Sein Blick lag nur auf mir und wirkte vollkommen zerstört, doch er sagte nichts mehr und verschwand langsam und gequält auf dem Flur.

„ So", sagte er ruhig. „ Madison, kannst du dich noch an etwas erinnern, oder ist alles weg?"

„ Claire und Rosemarie", krächzte ich und machte eine kurze Pause, um meine Gedanken zu ordnen. Dann war alles wieder da. „ Sie sind tot. Claire hat sie erschossen, dann sich ..." Noch immer konnte ich das Geräusch der Pistole, selbst als sie sie nur in ihrer Hand hin und her gewiegt hatte, hören. Und der laute Knall, als sie den Abzug drückte.

Dreimal.

Unwillkürlich zuckte ich zusammen, als ich es in meinen Ohren widerhallen hörte. Dann fehlte plötzlich etwas. Claire hatte ihre Schwester und sich hingerichtet, aber der dritte Knall ... wem gehörte er?

„ Richtig. Ihr müsst wirklich Schreckliches erlebt haben. Ich kann es nachempfinden, aber ich werde nicht im Entferntesten an eure Eindrücke und Ängste herankommen. Mikey hat es den Umständen entsprechend gut aufgefasst und Riley ..."

Plötzlich sah ich das viele Blut, welches den Stoff einer Hose durchtränkte, spürte wie mein Herz stehenblieb, als ich es sah und mit dem Allerschlimmsten rechnete.

Riley.

„ Wo ist er?", platzte es sofort aus mir heraus. Meine Finger suchten krampfhaft nach irgendeinem Halt, während mein Brustkorb sich zu schnell auf und ab bewegte. „ Wo ist er verdammt? Ist er verblutet? Bitte sagen Sie mir, was mit ihm geschehen ist!"

„ Madison, hör mir zu." Dr. Halliston rückte sich den Stuhl meines Dad's zurecht und sah mich eindringlich an. „ Es gibt vieles zu besprechen, aber ich halte es für das Beste, wenn wir das auf einen späteren Zeitpunkt verlegen. Wenn du dich erholt hast."

Ich schüttelte bereits mit dem Kopf. „ Nein, ich bin nicht einverstanden! Ich will Riley und Mikey sehen! Bitte! Ich muss wissen, wie es ihnen geht!" Sobald ich die beiden vor meinem inneren Auge sag, stauten sich Tränen und flossen heiß über meine Wangen hinunter.

„ Das geht jetzt nicht, aber ich kann dir versichern, dass es ihnen gut geht."

„ Bitte sagen Sie mir die Wahrheit! Falls Sie mich nur beruhigen wollen, damit sich mein Gesundheitszustand nicht verschlechtert, dann können Sie zur Hölle fahren!" Ich hatte komplett den Verstand verloren und handelte reflexartig. Die Ungewissheit machte mich wahnsinnig, ich wusste nicht mehr wohin mit mir!

„ Um Gottes Willen, Madison, nein! Ich lüge dich nicht an! Das würde ich niemals tun, okay?"

„ Schwören Sie es! Ich liebe ihn so sehr, ich kann ihn nicht verloren haben!"

„ Das hast du auch nicht!" Er kam mir noch näher und hielt mein Gesicht mit seinen Händen, um mich zu beruhigen. Keuchend lag ich vor ihm und versuchte auf meine Atmung zu achten. Und tatsächlich brachte diese Berührung Heilung. Ich wurde immer ruhiger und atmete nach ein paar Minuten schon wieder fast normal.

„ Alles ist gut. Beide sind in Sicherheit, darauf hast du mein Wort." Ich sah einen Moment in seine stechend grünen Augen und erkannte eine Klarheit in ihnen, welche mich sofort überzeugte. Ich glaubte ihm und es war eine Erleichterung, welche ich so in meinem Leben noch nie gespürt hatte.

„ Wo sind sie? Hat Riley viel Blut verloren?"

Dr. Halliston lächelte. „ Riley erholt sich genauso gut wie du. Wir haben eine Blutübertragung bei ihm vorgenommen, da er große Mengen an Blut verloren hat. Riley hat wirklich Glück gehabt. Viel länger hätte er nicht auf Hilfe verzichten dürfen."

In Gedanken verloren ließ ich mich allmählich wieder ins Kopfkissen sinken.

„ Er hat auch schon nach dir gefragt." Ich schaute wieder auf und spürte wie mein Herz einen Überschlag machte. „ Leider musste ich ihm dasselbe sagen wie dir. Er ist noch zu schwach für Besuche und wird gleichzeitig therapeutisch behandelt, genauso wie Mikey."

„ Ist Mikey verletzt? Weint er viel?"

„ Es geht ihm wirklich ganz gut. Dafür was er erlebt hat, ist er wirklich sehr stark."

„ Ich will sie sehen. Auf der Stelle."

„ Madison, dafür ist es wirklich noch zu früh ..."

„ Sie können nachempfinden, aber nicht verstehen. Ganz richtig. Sie wissen nicht, was wir dort in Baltimore erlebt haben! Diese Ängste und Qualen. Dauernd musste ich damit rechnen sie für immer zu verlieren. Claire wollte uns alle erschießen! Sie hat uns durch die Schulflure gejagt, sie haben Mikey eingeredet, jemand anderes zu sein. Ein Mädchen namens Valerie, Riley wollte sich umbringen ... Sie können nicht von mir verlangen, sie erst in ein paar Tagen zu sehen. Das verkrafte ich nicht."

Besorgt sah er zu mir hinunter. „ Das kann ich dir nicht zumuten."

„ Warum? Ist ihr Anblick doch schlimmer, als Sie tun?"

„ Nein", bestritt er sofort. „ Es geht mir um deine Gesundheit." Er fasste nach meiner Hand und drückte sie fest. Zu fest. Nicht, dass es wehtat, aber es drückte etwas aus, was nicht sein durfte.

„ Ich bitte Sie. Halten Sie mich nicht fern von ihm. Ich liebe Riley. Er ist mein Leben geworden." Er schaute mich ununterbrochen an. Er versuchte mich zu verstehen, versuchte seine Sicht der Dinge beiseite zu legen, um mich loszulassen.

„ Übermorgen."

„ Das ist zu spät."

„ Und morgen?"

Ich schüttelte mit dem Kopf. „ Heute."

„ Madison ..."

„ Nein, heute. Und wenn Sie mich nicht lassen, werde ich einen Weg zu ihm finden. Und wenn ich in jedem Zimmer dieses Krankenhauses nach ihm suchen muss. Dann werde ich es eben tun."

„ Ich könnte die Tür verschließen."

„ Nein", hauchte ich und schreckte hoch. „ Bitte, werden Sie nicht so wie Claire, nur, weil es Ihnen nicht passt. Sie hat mich so oft eingesperrt, ich ... das ertrage ich nicht ..."

Sofort war Dr. Halliston wieder im Hier und Jetzt und legte seine Hände auf meine Schultern.

„ Nein, das mache ich nicht. Es ... es tut mir Leid." Gestresst fuhr er sich durch sein Haar und seufzte erschüttert. Anscheinend nahm auch ihn die ganze Situation mehr mit, als er zugab. Er wollte alles richtig machen, verlor sich manchmal in etwas, was nie aus uns entstehen würde und bemerkte erst, dass es falsch war, als die Panik in meine Augen trat.

„ Du wirst ihn heute Abend sehen dürfen."

Ich lächelte dankbar und wollte ihn umarmen, doch da wich er schon zurück und lief zur Tür hinaus. Er konnte wohl noch immer nicht fassen, dass er tatsächlich hatte vorgehen wollen, wie Claire es immer getan hatte, wenn sie etwas durchsetzen wollte.

Er machte Halt vor der Tür, die Klinke bereits in der Hand, als ihm noch etwas einfiel. „ Mikey wollte dich übrigens auch schon sehen. Er fragt jedes Mal die Krankenschwestern, wann er endlich zu dir kommen kann."

Meine Lippen bebten bereits.

„ Jetzt haben wir erst mal seine Eltern verständigt. Sie sind gerade bei ihm."

Ich riss die Augen auf. „ Jetzt? In diesem Moment?"

Er nickte. „ Ja, sie sind vor zwei Stunden angekommen. Ich möchte aber, dass du dir um diese Dinge nun erst mal keinen Kopf mehr machst. Du brauchst Ruhe und Schlaf. Bitte tu mir den Gefallen und leg dich etwas hin."

Ich musste unbedingt mit Mikey's Eltern reden, ihnen alles erklären, es wiedergutmachen! Aber gegen Dr. Halliston würde ich solange nicht ankommen, bis ich einigermaßen geschlafen und mich ausgeruht hatte.

„ Bevor Sie gehen ... bitte halten Sie mir meinen Dad vom Leib. Ich will nicht, dass er bei mir ist."

Dr. Halliston presste die Lippen aufeinander und nickte einmal. „ Ich werde sehen, was sich machen lässt." Ohne noch einmal zu mir zu schauen, verschwand er hinter der Tür und schloss sie leise.

Sobald er fort war, wurde alles leise um mich herum. Nun erst fühlte ich einen Kopfschmerz und das Gefühl der Leere. Ich konnte es kaum aushalten, bis heute Abend zu warten. Müdigkeit und Schwäche beherrschten mich noch immer, weshalb ich meine Lider für einen Moment schloss. Dass ich einschlafen würde, hätte ich nicht gedacht, aber es geschah und ich trat erneut aus der Realität.

Das nächste Mal als ich erwachte, war ich allein. Ich brauchte erst wieder ein paar Minuten bis ich mich an die Neonröhren über mir gewöhnt hatte und wieder vollkommen angekommen war. Mein Hals fühlte sich an wie ein Reibeisen und ich hielt Ausschau nach einem Glas Wasser. Und tatsächlich hatte sich jemand darum gekümmert und mir eines auf den Nachttisch gestellt. Ich griff danach und trank ein paar große Schlucke. Erst da bemerkte ich den Zugang, der in meinem Handrücken steckte. Ich wollte danach greifen und ihn loswerden, als sich die Tür öffnete und jemand: „ Nicht", sagte.

Sofort ließ ich ab von der Kanüle und schaute nach vorn. Dort stand wieder mein Dad. In seiner Hand ein Kaffeebecher, das Gesicht in Alarmbereitschaft versetzt.

„ Was willst du schon wieder?", fauchte ich so gut ich konnte.

„ Du bist meine Tochter. Meinst du, du würdest mich davon abhalten können, nicht bei dir zu sein, wenn es dir so schlecht geht?" Er bewegte sich keinen Zentimeter. Ja, er atmete nicht einmal in diesen Sekunden, in denen er meine Reaktion abwartete. Doch ich war zu überrumpelt, um überhaupt irgendetwas zu sagen. „ Sie haben dir ein Beruhigungsmittel verabreicht. Es läuft noch immer. Deswegen solltest du die Nadel schön drin lassen."

„ Sag mir nicht, was ich zu tun habe!", fauchte ich, wobei ich ziemlich überrascht war und die laufende Infusion erst jetzt bemerkte.

„ Das mache ich doch gar nicht ..." Seine Stimme brach.

„ Ich will dich nicht sehen, verstehst du das denn nicht? Ich brauche nur den Notknopf zu betätigen und Dr. Halliston wird dich wieder rausschmeißen und das werde ich so oft machen, bis du es endlich kapiert hast!"

Seine Miene war leidvoll, als er die Tür schloss und nicht wusste, wohin mit sich. Mein Finger schwebte bereits drohend über dem roten Schalter.

„ Ich will doch nur für dich da sein."

„ Sag mal, schämst du dich eigentlich gar nicht? So skrupellos hätte ich nicht einmal dich eingeschätzt", begann ich und merkte, wie mir dieses Gespräch schon jetzt an jegliche Substanz ging.

„ Oh Maddy", schluchzte er bereits und kam mit einem leidenden Gesichtsausdruck auf mich zu.

„ Nenn mich nicht so! Niemals, okay? Die Zeiten sind vorbei!"

„ Wenn du mich doch nur erklären ließest ..."

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür erneut und Dr. Halliston trat ein. Es war als hätte er geahnt, was hier drinnen vor sich ging. Er warf Dad einen vorwurfsvollen Blick zu, der nur hilflos mit den Schultern zuckte und ohne jegliche Reue bei mir blieb.

„ Wie geht es dir?", fragte Dr. Halliston mich und leuchtete erneut in meine Augen hinein. „ Folge bitte dem Licht", befahl er. Ich tat wie mir gesagt wurde und folgte den erneuten rechts-links-Kombinationen. „ Hast du etwas geschlafen?"

„ Ja."

„ Sehr schön. Ist dir übel oder hast du irgendein anderes Symptom?"

„ Bis auf den Hass in mir, seit er hier ist, nein."

Dr. Halliston atmete einmal tief ein und knipste seine Taschenlampe aus. „ Nichts gegen dich, Andrew, aber du solltest Madison den Freiraum geben, den sie gerade benötigt." Bevor mein Dad auch nur antworten konnte, horchte ich auf und sah Dr. Halliston entsetzt an.

„ Ihr kennt euch?"

Er presste die Lippen aufeinander und senkte kurz den Blick, ehe er aufschaute und seicht nickte. „ Ja, wir kennen uns. Das heißt, noch nicht sehr lange, jedoch lange genug, um einander zu vertrauen."

„ Das glaube ich jetzt nicht! Ich dachte ... ich dachte, Sie wären auf meiner Seite! Ich will sofort hier raus! Ich kann auf mich selbst aufpassen! Und diesen Zugang brauche ich auch nicht!"

„ David, bitte tu doch etwas!", flehte Dad ihn an, als ich dabei war völlig überstürzt die Kanüle aus meiner Hand zu ziehen und aus dem Bett zu springen.

„ Madison, bitte! Beruhige dich! Nicht schon wieder so eine Szene!", rief Dr. Halliston etwas wütender aus und drückte mich zurück in mein Kissen. Mit einem Mal wirkte er sehr mächtig und respekteinflößend, weshalb ich mich bedeckt hielt. „ Wenn du zuhören willst, musst du ruhig bleiben, ansonsten kann das nicht funktionieren, verstanden?" Ich musterte ihn sicher eine halbe Minute lang. „ Verstanden?", wiederholte er seine Frage noch einmal, woraufhin ich schließlich nickte. „ Gut, dann lasse ich dich jetzt los. Und keine Anstalten mehr!" Mit drohendem Zeigefinger ließ er ab von mir und trat ein paar Schritte zurück. Nun lag ich dort, eingekesselt von meinem Dad, der zu meiner Rechten, und Dr. Halliston, welcher zu meiner Linken stand.

„ Ich habe gute Gründe nicht in seiner Gegenwart zu sein", begann ich. „ Mein sogenannter Dad hat mich umgefahren, es war ihm scheißegal, ob ich dabei sterbe! Aber ich bin nicht gestorben, sondern auf eine mir völlig fremde Schule gekommen, auf der ich versuchen musste, mich irgendwie zurechtzufinden, weil ich in keinster Weise darüber informiert noch vorbereitet wurde! Es wurde alles hinter meinem Rücken geplant und man hat mich geradeaus ins offene Messer laufen lassen! Ich wurde dort gequält, misshandelt und eingesperrt! Und nicht nur das! Sie haben all die Menschen, die mir etwas bedeutet haben und sogar Unbeteiligte, damit hineingezogen. Viele mussten wegen ihnen sterben und auch wir wären beinahe ums Leben dabei gekommen. Nennen Sie mir einen Grund, weshalb ich meinen Dad neben mir sitzen haben wollen würde."

„ Es ist nicht so, wie du denkst", begann Dr. Halliston.

„ Aber Sie waren derjenige, der mir erzählt hat ..."

„ Ich hatte falsche Informationen, okay? Claire hat uns allen andere Geschichten erzählt, um ihren persönlichen Vorteil daraus zu ziehen." Schlagartig kamen mir Riley's Erzählungen in den Sinn, als er mir von ihren Joylights erzählte. Menschen, die Dinge für sie ausführten. Sie waren alle Mittel zum Zweck.

Dad holte sein Handy aus der Jackentasche und trat unruhig vom einen auf das andere Bein. „ An deinem Unfallabend traf ich mich mit ihr."

„ Natürlich. Du hast mich ja auch umgefahren!", warf ich aggressiv ein und bleckte die Zähne. Dad kniff kurz die Augen zusammen, reagierte gar nicht auf meine Aussage und machte einfach weiter.

„ Claire hat mich um dieses Treffen gebeten, denn es sollte dabei um dich gehen. Ich hatte nie gewusst, wie es enden würde. Was ich wusste, dass es nichts Gutes bedeuten konnte, wenn sie mich unbedingt treffen wollte. Sie stellte so oft Bedingungen und Ultimaten, dass ich auf alles vorbereitet sein musste, wenn ich sie traf."

Mittlerweile kam ich nicht mehr hinterher. Dad und Claire hatten sich bereits lange Zeit vor meinem Aufenthalt in ihrer Schule getroffen? Ob es so üblich für sie gewesen war, wenn sie auf einen neuen Schüler hoffte? „ Ich wollte das nicht länger mitmachen, mich nicht länger von ihr erpressen lassen, weshalb ich beschloss, sie ein für alle Male dingfest zu machen. Dieser Abend sollte das Ende ihrer Machenschaften bedeuten, aber es ist mir nicht gelungen." Niedergeschlagen ließ er den Kopf sinken.

„ Ich verstehe gar nichts mehr", flüsterte ich heiser. „ Von welchen Machenschaften redest du da? Wusstest du von alledem?" Bevor ich wieder explodieren konnte, hielt Dad mir das Handy hin.

„ Ich habe alles hier. Auf Video. Wenn du mir nicht glaubst, kann ich es dir gerne vorspielen. Du brauchst es dir aber auch nicht anzusehen. Ich spreche die Wahrheit und du solltest genug Vertrauen in mich, deinen Vater setzen, um mir zu glauben."

Ich zögerte keine Sekunde und entriss ihm das Handy. Mein Daumen startete das Video. Man konnte nichts sehen, außer das beleuchtete Armaturenbrett. Dad hatte heimlich gefilmt. Claire wäre ausgerastet, wenn sie davon gewusst hätte.

„ Madison, willst du das wirklich?", fragte mich Dr. Halliston, der sich in eine Ecke verzogen hatte und angespannt in meine Richtung blickte. Er kannte dieses Video. Natürlich. Er und mein Dad waren ja nun anscheinend die besten Freunde. Ich konnte nicht fassen, dass er es tatsächlich geschafft hatte, ihn auf seine Seite zu ziehen. Ich erwiderte seinen Blick kurz, ging jedoch nicht weiter darauf ein und richtete meine Augen nach wenigen Sekunden wieder auf den Bildschirm.

„ Du weißt, warum du hier bist", hörte ich ihre Stimme. Sofort bildete sich eine schmerzvolle Gänsehaut auf meinem Körper, als ich sie vernahm. Es war so merkwürdig die

Stimme eines verstorbenen Menschen zu hören. Als wäre sie noch immer da.

„ Wegen meiner Tochter. Sie soll auf deine Schule gehen. Das wird sie. Das weißt du doch schon." Ich machte einen abfälligen Laut als ich meinen Dad über mich reden hörte, als wäre ich bloß eine Marionette, mit der sie anstellen konnten, was auch immer sie wollten.

„ Du hast uns oft genug mit den Konsequenzen gedroht, wenn wir sie nicht zu dir schicken." Diese Aussage machte mich plötzlich stutzig und ich hielt inne.

„ Nein", erwiderte sie plötzlich und die Situation veränderte sich. „ Es gehen Dinge vor sich, die ich nicht weiter tolerieren kann."

Ich umklammerte das Handy noch etwas stärker.

„ Was genau meinst du?"

„ Deine Tochter, Madison ... sie ist so oft in dieser Bar. Das muss aufhören. An meiner Schule gilt striktes Rauschgiftverbot, in jeglicher Form!" Sie schien erzürnt und haute irgendwo gegen.

„ Natürlich. Und Madison wird darauf verzichten können."

„ Das denke ich nicht. Sieh sie dir doch an. Wie sie schwankt. Manchmal muss man den etwas härteren Weg gehen, um einen Menschen auf den richtigen Weg zu bringen. Ich hoffe du verstehst, wie ich das meine."

„ Lass ihr diesen Kontakt, bis sie zu dir kommt. Jim ist ihre einzige Ansprechperson."

„ Er verdirbt sie und das kann ich nicht zulassen."

„ Sie ist nicht abhängig, okay?" Er wurde etwas lauter.

„ Ach und das weißt du so genau? Ihr habt ja so oft etwas miteinander zu tun, nicht?"

„ Du versuchst mir Vorwürfe zu machen."

„ Niemand hat euch dazu gezwungen, es so weit kommen zu lassen."

„ Für uns war es das Beste so", hauchte er betroffen. Ich hatte keine Ahnung über was sie da sprachen. Natürlich ging es dabei um mich. Ihr Gespräch war tiefsinniger und drückte noch etwas anderes aus, woraus ich jedoch noch nicht schlau wurde.

„ Claire, ich möchte auch nicht weiter darüber reden. Ich möchte einfach, dass meine Tochter bei dir in guten Händen ist."

„ Oh, das wird sie. Das kann ich dir versichern. Nachdem sie sich erholt hat, wird alles gut für sie werden."

„ Was meinst du damit? Wonach erholt?"

„ Fahr sie an."

Stille. Mein Herz brach in zwei Teile.

„ Was?", fragte er heiser, beinahe benommen von ihrer Aufforderung.

„ Fahr sie um", erwiderte sie erneut.

„ Nein ... was verlangst du da von mir? Sie ist meine Tochter!"

„ Na und? Überbewertet. Du sollst sie ja nicht überfahren, bloß ... anfahren. Das wird ja wohl nicht so schwer sein."

„ Du bist ein Monster, Claire! Ein wahrhaftes Monster!"

„ Dann wünsche ich angenehme Träume", lachte sie, als ich schon einen Arm vor die Kamera schnellen sah und hörte, wie mein Dad laut brüllte. Man hörte die quietschenden Reifen des Autos und einen Aufprall, der so ohrenbetäubend war, dass ich zusammenzuckte.

Das Auto kam zum Stehen, ehe ein langes, erschütterndes Einatmen, gefolgt von einem furchtbaren Schrei meine Ohren zum Klingeln brachte. Dad schrie nach mir, weinte laut und wollte nach Claire schlagen, als diese schon das Handy in die Hand nahm und damit wild herumfuchtelte. Trotzdem erhaschte ich immer wieder Dad's entstelltes, traumatisiertes Gesicht. „ Und du denkst, ich hätte nicht bemerkt, was du vorhast? Dass hast du ganz alleine zu verantworten! Mit mir sollte man sich keine Scherze erlauben! Ich werde dafür sorgen, dass du und deine missratene Frau sie nie mehr wiedersehen werden! Die wenige Zeit, die euch noch geblieben ist, ist hiermit gestrichen. Nachdem sie aus dem Krankenhaus kommt, wird sie umgehend zu mir in die Schule kommen! Deswegen würde ich dir empfehlnen, sie dir noch einmal genau anzuschauen. Der Anblick könnte etwas verstörend sein, aber sie ist immer noch deine Tochter!"

Dad weinte mittlerweile herzergreifend laut, während Claire das Video beendete und alles schwarz wurde. Genau in diesem Moment tropfte eine Träne auf sein Display und ich schaute auf. Auch Dad's Wangen trugen Tränenspuren und liefen noch immer ungehindert an seinem Kinn hinunter.

„ Verstehst du jetzt?"

Ich war sprachlos, als wären meine Stimmbänder gelähmt. Ich war so durcheinander, dass ich das Gefühl hatte, mir würde der Kopf platzen.

„ Wir wollten dich nie, niemals an diese Schule bringen, aber Claire hat uns bedroht. Wenn wir es nicht getan hätten, hätte sie dir etwas angetan. Sie hat es uns so oft angedroht."

„ Sie ... sie wollte mich haben und mir gleichzeitig etwas antun?"

„ Ja, auf diese Art und Weise hätte sie es uns heimgezahlt. Es ist so, wir ..."

Ich hatte eine Hand gehoben, woraufhin Dad sofort inne hielt und merkwürdig zu mir schaute.

„ Würdest du bitte einfach nur noch gehen?", flüsterte ich bittend.

Bestürzt schüttelte er mit dem Kopf und stützte sich mit den Händen auf meinem Bett ab.

Da öffnete sich plötzlich die Tür. Fertig von all den neuen, erschreckenden, unbegreiflichen Informationen, schaute ich auf und sah Mabel in der Tür stehen. Hinter ihr war Richard, der besorgt in meine Richtung schaute.

„ Madison", flüsterte Mabel und kam ohne auch nur eine weitere Sekunde zu vergeuden auf mich zu. Dad rückte verstört zur Seite und wusste gar nicht, was plötzlich los war.

„ Mabel", schluchzte ich, blendete unwillkürlich alle schlechten Gedanken aus und breitete meine Arme aus. „ Richard", sagte ich noch, ehe sie bei mir waren und mich wie ihr eigenes Kind an sich drückten.

„ Ich habe euch ja so vermisst!", schluchzte ich und konnte mein Glück mit einem Mal kaum mehr fassen, als ich über Mabel's Schulter blickte. Vor lauter Freude hätte ich am liebsten geschrien.

„ Madison!", rief Mikey und kam auf mein Bett zugerannt. Er landete direkt auf mir und umklammerte mich wie ein kleines Äffchen. Es war vorbei. Ich musste einfach weinen, um meinen Gefühlen Freiheit zu gewähren. Mikey erdrückte mich beinahe, während ich seinen Duft einatmete, seine Haare mein Gesicht kitzeln ließ und seine Wärme auf mich überging. Wie oft hatte ich um ihn gebangt. Wie oft hatte ich ihn beinahe verloren. Doch ich hatte ihn niemals aufgegeben. Und ich hatte es geschafft. Er war wohlauf. Und er lebte.

Plötzlich war ich von so liebevollen Menschen umgeben, dass mein Herzschlag immer langsamer wurde. Ich hätte vor lauter Zufriedenheit schlafen können. Sie vertrieben Dunkelheit und Schmerz und holten mich zurück in ihre helle, wunderschöne Welt.

„ Dir geht es gut, dir geht es gut, dir geht es gut, dir geht es gut", wiederholte ich immer und immer wieder, während ich ihn in meinen Armen wiegte. Es war immer noch schwer zu glauben, dass wir nun in Sicherheit waren. Unsere Situation schien so aussichtslos. Als Claire mit einer Waffe vor uns stand, hatte ich mit allem abgeschlossen. Und nun waren wir hier.

„ Fehlt dir etwas? Hast du Schmerzen?"

„ Nein, mir fehlt nichts. Jetzt nicht mehr."

„ Oh, Mikey", schluchzte ich und senkte meinen Kopf auf seine Schulter.

„ Wirst du wieder gesund?", fragte er mit zarter Stimme.

„ Aber ja doch."

„ Ich habe mir viele Gedanken gemacht. Bin ich schuld daran, dass du hier liegst? Ich war so gemein zu dir gewesen ..."

„ Oh nein, Mikey, nein!" Ich drückte ihn noch etwas fester an mich. „ Du bist an gar nichts schuld, okay? Mir geht es gut! Sogar sehr gut! Und wenn wir hier draußen sind, wird alles wieder gut werden."

„ Und ob es das wird." Mabel's Hand legte sich auf meinen Kopf und streichelte ihn. Nun erst tauchte ich wieder auf in die Realität und betrachtete sie beschämt. Ihre Augen glänzten wie ein flüsternder Bach an einem Sommertag und ihr goldschimmerndes Haar schien wie eine Harfe zu klingen, wenn es sich bewegte.

„ Entschuldigt, ich ...", murmelte ich Mabel und Richard zu, die uns vollkommen gerührt und mit unzähligen Lachfältchen betrachteten.

„ Madison", sagte Mabel und ihre Stimme klang wie warmer Honig. Sie legte eine Hand auf meinen Arm und lächelte selig. „ Du brauchst dich für gar nichts entschuldigen. Für gar nichts, verstehst du?"

Verstohlen blickte ich zu ihr. Zuerst traute ich mich nicht, doch als ich sah, wie ehrlich sie es meinte, nickte ich schließlich. Wir hatten so viel zu besprechen.

„ Ihr habt eine Menge durchgemacht. Du musst wissen: Was auch passieren mag, du stehst für immer in unserer Schuld und wir werden alles was du benötigst, ob eine neue Arbeitsstelle, ein Auto oder ein Zuhause, für dich möglich machen. Du brauchst es uns einfach nur zu sagen", versprach mir Richard und machte mich erneut vollkommen sprachlos.

„ Das kann ich nicht annehmen", flüsterte ich.

„ Und ob du es kannst", grinste Mabel und strich Mikey durch sein Haar. „ Du gehörst jetzt zu uns."

„ Dürfte ich mich auch in die Runde gesellen?"

Es waren viel zu viele Eindrücke, um sie alle auf einmal zu verarbeiten.

Verwirrt schaute ich auf, als ich jemanden in der Tür stehen sah. Es war eine Frau. Sie war in einen roten, langen Mantel gehüllt und lächelte in meine Richtung.

„ MRS MARS?", schrie ich beinahe.

Mit einem riesengroßen, breiten Lächeln kam sie auf mich zu und nahm auch mich in den Arm, obwohl Mikey noch immer an mir hing und mich auch für die nächsten Momente nicht mehr loslassen zu schien.

„ Sie leben!", rief ich schockiert aus, während meine Lippen gegen ihre Schulterpolster presste.

„ Natürlich, lebe ich," lachte sie und gab mir einen Wangenkuss. „ So schnell legt mich keiner um!"

„ Aber Claire hat gesagt ..."

„ Was auch immer Claire gesagt hat, war alles manipulativ und unehrlich gemeint."

Meine Hände wischten über mein nasses Gesicht. Mars Mars hatte recht. Nichts von alledem hatte je gestimmt. Ich hatte ihr niemals über den Weg trauen können.

„ Sie hat mich überwältigt, das stimmt, aber ich habe mich gewehrt. Ich habe nicht umsonst einen Kurs für Selbstverteidigung gemacht. Auf meiner Flucht habe ich die Waffe leider verloren. Ich hätte sie nie dabei haben dürfen, dann hätten wir Schlimmeres vermeiden können, aber im Endeffekt sollte es wahrscheinlich so sein. Sie hat dazu geführt, das wir von ihr und Rosemarie befreit worden sind."

Es stimmte. Nur durch sie, waren Claire und Rosemarie jetzt tot.

„ Ich bin ja so froh." Mrs Mars lächelte und rieb mir aufmunternd über die Schulter. „ Bekommen Sie nun Ärger, wegen der Waffe?"

„ Ich denke nicht. Es ist ja nicht so, dass ich keinen Waffenschein besitze." Sie grinste. Ich schaute sie nur ehrfürchtig an. So etwas hätte ich ihr niemals zugetraut, doch nun bewunderte ich sie dafür.

„ Und schließlich habe ich nicht damit geschossen. Gut. Dass ich sie an der Schule dabei hatte, wird wohl noch einigen Gesprächsstoff bei der Polizei bieten, aber ich gehe davon aus, dass ich glimpflich dabei wegkomme."

„ Dafür werden wir sorgen", flüsterte ich, fasste nach ihrer Hand und drückte sie fest. „ Sie wissen gar nicht, wie schön es ist Sie hier zu sehen. Zu wissen, dass wir es überstanden haben und die Bösen alles verloren haben."

„ Das finde ich auch sehr schön. Ihr habt es so tapfer durchgestanden."

„ Wie geht es den anderen? Den Schülern? Wissen Sie etwas darüber?"

„ Sie sind alle in Sicherheit. Auch die Lehrer, die mit ihnen gefahren sind. Claire hatte es nur auf euch drei abgesehen und wollte anscheinend viel Platz und keine Zeugen für das, was sie mit euch anstellen wollte. Deswegen evakuierte sie einfach die ganze Schule."

Nachdenklich starrte ich gegen die Decke. „Wahrscheinlich wäre es nie so weit gekommen, wenn ich nach meinem Aufenthalt in der Zelle einfach abgehauen wäre, um Hilfe zu holen, oder als Sie mich ein zweites Mal darum gebeten haben. Ich hatte solche Schuldgefühle, als Claire meinte, Sie seien tot. Ich habe Ihnen nicht geholfen!"

„ Oh, mein armes Kind", sang sie leidvoll und fasste mit ihren Händen nach meinem Gesicht.

„ Wenn wir schon früher davon gewusst hätten, hätten wir alles daran gesetzt, alle aus den Fingern der Archer-Schwestern zu befreien", mischte sich nun auch Mabel wieder ins Gespräch mit ein und sah Mrs Mars über mein Bett hinweg an.

„ Das konnte leider keiner ahnen, außer Madison selbst, die alles miterlebt hat. Ich habe selbst viel zu spät erkannt, was wirklich vor sich ging, doch da war es auch schon zu spät für mich. Irgendwann habe auch ich nicht mehr mitgemacht und es wäre auch mir beinahe zum Verhängnis geworden."

„ Mikey, willst du Madison nicht mal ein wenig Freiraum lassen? Komm, du kannst auf meinen Schoß", bot Richard Mikey an. Mikey ignorierte ihn und klammerte sich stattdessen noch etwas weiter an mich. Richard ließ die Schultern sinken. Ein Versuch war es wert.

„ Das ist schon in Ordnung, Richard. Mikey und ich haben viel nachzuholen."

„ Wo waren Sie, nachdem Sie entkommen sind?", fragte Mabel Mrs Mars in einem besorgten Tonfall.

„ Ich habe mich sofort mit Dr. Halliston in Verbindung gesetzt. Wir haben gemeinsam überlegt wie wir vorgehen. Wir durften nichts überstürzen, da wir nicht wussten in welche Gefahr wir euch damit bringen konnten. Ich ahnte ja auch gar nichts von dem Feueralarm und der Evakuierung, das habe ich alles auf dem Polizeipräsidium erfahren. Sonst hätten wir viel eher Hilfe geschickt. Nicht du musst dir Vorwürfe machen, mein Kind, sondern ich. Wenn euch dreien, oder auch nur einem etwas angekommen wäre, dann wäre das ganz allein meine Schuld gewesen. Wir hätten nicht zögern dürfen."

Da keiner danach fragte, was Dr. Halliston mit der ganzen Situation zu tun hatte, ging ich davon aus, dass sie längst über alles Bescheid wussten. Über meine Flucht, Dr. Halliston's kriminelle Machenschaften, denen er abdanken wollte, meine Entführung aus dem Krankenhaus, dass ich in eine Gummizelle eingesperrt worden war ... einfach alles. Es tat gut zu wissen, dass sie davon wussten. Ich musste meine Gedanken nicht mehr mit mir alleine teilen, sondern hatte Menschen um mich herum, die mir jederzeit mit einem netten Gespräch und schönen Worten zur Seite standen, falls ich es benötigte.

„ Aber Sie konnten nicht anders. Sie haben getan, was Sie für richtig gehalten haben." In diesem Moment erinnerten mich meine Worte an etwas. Und auch, wenn sie versuchten mich zu überzeugen, wollte ich mich nicht weiter mit ihnen beschäftigen. Mein Kopf allerdings steuerte meine Augen zu meinem Dad hinüber, der sofort zu mir schaute. Als unser Blick zu intensiv wurde, sah ich sofort wieder weg. Ich wollte ihn nicht sehen, denn sobald ich ihn sah, hatte ich wieder die Bilder des Videos vor meinen Augen.

Sie saßen alle stundenlang an meinem Bett, hielten meine Hände und sprachen mit mir über alles, was vorgefallen war. In diesen Stunden verarbeitete ich viel. Dr. Halliston brachte immer wieder wichtige Informationen mit ein, während Dad bloß still in einer Ecke lehnte.

„ Ich denke, wir müssen Madison nun etwas Ruhe gewähren. Es ist wirklich schön, dass sie alle da sind, aber sie muss sicher etwas schlafen", mischte sich Dr. Halliston wieder mit ins Geschehen ein und schaute in die Runde als es allmählich Abend wurde.

„ Wenn du Ruhe benötigst musst du uns das nur sagen. Wir sind dir nicht böse. Keineswegs."

Ich lächelte hinüber zu Mabel. „ Das ist schon in Ordnung. Ich könnte nicht mehr brauchen, als das hier gerade", erwiderte ich und schaute von ihr flehend zu Dr. Halliston.

Mabel ergriff als Erste die Initiative und blickte zu meinem Dad. „ Entschuldigen Sie, dass wir noch nicht dazu gekommen sind, uns vorzustellen. Ich bin Mabel Greenwald. Mikey's Mum."

„ Richard Greenwald", stellte sich Richard vor und reichte Dad die Hand. Er bemerkte schnell, dass Dad es nicht erwidern wollte, und setzte sich wieder. Mabel und er tauschten einen kurzen Blick miteinander, ehe Mabel weitererzählte. „ Madison hat ihre Sommerferien bei uns zu Hause verbracht und ist sehr gut mit unserem Sohn befreundet. Es ist schön, sie auch einmal kennenzulernen."

Dad verdrehte die Augen und neigte den Kopf zur Seite. „ Was heißt hier auch? Wollen Sie mir irgendetwas sagen?" Mit einem Mal wirkte er angriffslustig und schockierte mich zutiefst mit seiner plötzlich aufbrausenden Art.

„ Beruhigen Sie sich. Wir sind uns zuvor noch nie begegnet. In dem Falle ist meine Aussage, dass es mich freut Sie auch einmal kennenzulernen, berechtigt."

„ Sie wissen gar nichts!", zischte er in ihre Richtung hinein. Seine Atmung wurde schneller und sein Körper türmte sich auf. „ Auch wenn du sie brauchst, Madison, und sie alle für dich da sind, so weiß keiner im Entferntesten warum das alles geschehen ist! Selbst wenn sie so tun!"

Sprachlos sah ich zu Dr. Halliston hinüber, der selbst verdutzt drein schaute. Sein Blick wanderte zu meinem Dad hinüber, der sich von der Wand gelöst hatte und mittlerweile mitten im Raum stand. Fassungslos sah ich zu ihm. Auch die anderen sahen ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Es war mir unsagbar peinlich und doch wusste ich, dass er noch viel zu erzählen hatte. Dieses Video, welches er in ihrem Auto gedreht hatte, verbarg so viele Geheimnisse.

„ Andrew", mahnte ihn Dr. Halliston. Dad schien sofort auf seine Stimme zu reagieren und blickte beinahe ängstlich in seine Richtung. Er hörte auf ihn. Ich erkannte deutlich wie seine Schultern sich immer weniger auf und ab bewegten.

„ Da haben Sie wahrscheinlich recht", ergriff nun wieder Mabel das Wort. Dad sah ab von Dr. Halliston, wieder hinüber zu ihr. „ Vielleicht könnten Sie uns, und vor allem Madison, endlich einmal aufklären."

„ Andrew, ich weiß nicht, ob ..."

„ Ob es jetzt gerade passt? Ich habe Jahre darauf gewartet und wusste nie, ob ich jemals dazu kommen werde, ihr zu erzählen, wie es wirklich war! Und wenn man mich auch noch dazu herausfordert, dann werde ich den Teufel tun, nicht von dieser Leidensgeschichte zu berichten!", fiel Dad Dr. Halliston ins Wort.

Dieser konterte nicht zurück, sondern schien Dad's Verzweiflung zu verstehen. Ohne noch etwas zu sagen, zog er sich wieder zurück und lauschte nur noch.

„ Claire hat es bewusst auf dich abgesehen, Madison. Und das aus gutem Grund."

„ Wie kam sie auf mich? Woher kanntet ihr sie?", fragte ich und versuchte mich zu fassen. Alles hatte sich schlagartig verändert. Meine Sichtweise schlug um und verwirrte mich.

„ Sie hat uns in der Stadt zusammen gesehen als du vier Jahre alt warst. In einem Cafe sprach sie uns schließlich auf dich an. Sie war beinahe selbst noch ein Kind. Siebzehn Jahre jung. Sie wirkte so normal und gleichzeitig unglaublich fasziniert von dir. Wir haben uns nichts dabei gedacht, bis sie mir eine Nummer zusteckte, auf die ich mich melden sollte. Sie wollte dich wiedersehen, sagte sie. Babysitten, sie war schon lange auf der Suche nach einem Job. Ich wollte ihr Gutes tun und rief sie an. Es war mein größter Fehler, den ich hätte begehen können. Nachdem sie uns ein paar Mal besuchen kam, um auf dich aufzupassen, wenn wir mal ausgingen, wurde sie immer aufdringlicher. Sie stand jeden Tag vor unserer Tür und rief täglich bis zu fünf, sechs Mal an, fragte wie es dir geht, wann sie uns wieder besuchen kommen konnte. Sie wollte dich für sich beanspruchen. Irgendwann haben wir versucht das zu unterbinden, aber es ist außer Kontrolle geraten. Sie begann uns zu bedrohen, meinte wenn wir den Kontakt zwischen dir und ihr abbrechen würde, könnten wir uns niemals mehr in Sicherheit wiegen, da sie dir etwas antun würde. Damit hatte sie uns in der Hand. Wir ließen sie nur noch unter Aufsicht zu dir und versuchten so normal wie möglich weiterzuleben, doch ihre Bedingungen wurden immer mehr. Irgendwann mussten wir ihr versprechen dich eines Tages auf ihre Schule zu geben, die sie eröffnen wollte, damit sie dich von Grund auf neu erziehen kann. Wir haben alles versucht, um es wieder rückgängig zu machen, aber wir landeten immer nur in einer Sackgasse."

„ Ihr habt nie daran gedacht, mal die Polizei zu verständigen? Ihr habt mich weiter in die Nähe dieser Verrückten gebracht?"

„ Madison, versteht du denn nicht, wir hatten große Angst! Alles was wir hätten tun müssen, hätte für dich vielleicht verhängnisvoll geendet! Natürlich haben wir uns überlegt, wie wir sie endlich loswerden! Wir saßen nächtelang in der Küche und haben uns die Köpfe darüber zerbrochen! Wir wollten sogar auswandern, aber wir kamen schnell dahinter, dass sie uns überall finden würde, egal wohin wir auch gehen würden. Deine Mum versuchte irgendwann Abstand von dir zu gewinnen, sie wäre sonst vor die Hunde gegangen. Und auch ich habe diese Methode irgendwann angewandt. Und ich weiß, wie weh wir dir damit getan haben. Aber wir mussten tun, was sie sagte, weil wir uns Sorgen um dich gemacht haben. Entweder hätte sie uns aus dem Weg geschafft, nur um an dich heranzukommen, oder hätte dir wirklich etwas angetan, um sich an uns zu rächen. Es ist schmerzvoll es zu sagen, aber Nichtstun war der einzige Weg, dich vor ihr zu beschützen."

Mittlerweile konnte ich nicht mehr an mich halten. Ich weinte bitterlich in meine Hände hinein. Alles ergab auf merkwürdige Art und Weise einen Sinn. Seit ich dieses Video gesehen hatte, glaubte ich Dad alles. Er wirkte so authentisch und ehrlich während er sprach, dass ich gar nicht anders konnte, als ihm aufrichtig zuzuhören und es ohne jeglichen Widerspruch in mir aufzunehmen.

„ Um Gotteswillen", flüsterte Mabel und streichelte meinen Rücken. Mikey hatte sich inzwischen aufgesetzt und folgte konzentriert den Worten meines Dad's. Immer wieder schaute er dabei zu mir und musterte mich eigenartig.

„ Sie hat dich uns weggenommen. Obwohl es Jahre gedauert hat, ist es zu dem Zeitpunkt geschehen, als sie dich das erste Mal gesehen hat!" Nun weinte auch Dad und gab ein herzzerreißendes Bild damit ab. Mrs Mars wusste gar nicht, wen sie zuerst trösten sollte und stand förmlich zwischen den Stühlen.

„ Das bedeutet ... Mum hat mich nie gehasst? Und du auch nicht?"

„ Um Gottes Willen, Madison", schluchzte Dad und kam mit wackligen Beinen auf mich zu. Bei mir angekommen, wichen alle etwas zurück, sodass Dad Platz hatte, um an meine Seite zu gelangen. Langsam fasste er mit seiner Hand nach meinem Haar. Noch immer war diese Berührung zu viel des Guten und ich wich ein Stück nach hinten, ließ es mir jedoch irgendwie gefallen.

„ Wir haben immer an uns gezweifelt und wussten nicht wohin mit all unseren Gefühlen und Gedanken, wenn wir dir nur ins Gesicht geschaut haben. Wir sahen dich aufwachsen und wussten, dass sie dich uns irgendwann wegnehmen würde. Dich zu ignorieren, war das Schwerste, was ich je in meinem Leben hatte tun müssen."

„ Ich dachte die ganze Zeit, dass ihr mich nicht wollt und, dass ihr mich nur dorthin gegeben habt, damit ihr mich endlich los seid und nie wieder sehen müsst."

„ Wir haben dir so eine Last aufgebürdet und dich leiden lassen. Das können wir nie wieder gutmachen. Und leider kommen solche Erkenntnisse immer erst dann, wenn es zu spät ist."

„ Ich habe davon nichts gewusst, stand ebenfalls unter Claire's Befehl und musste dich an sie ausliefern", erzählte Dr. Halliston, aber davon wusste ich ja bereits. „ Dass der Unfall geplant war, davon hatte ich keine Ahnung. Sie konnte so gut lügen und hatte ein ausgeklügeltes System."

„ Und ich habe mich bei ihr ausgeheult, weil ich dachte, dass ihr mich nicht liebt."

Sie hatte mir die ganze Zeit nur etwas vorgemacht. Sie hatte mich seit ich klein war gekannt und es von der ersten Sekunde an, in der sie mich gesehen hatte, auf mich abgesehen. Diese Erkenntnis schmerzte so sehr, dass ich mit einem Mal Angst bekam, überhaupt nochmal jemandem langfristig vertrauen zu können.

Dieses Wort löste etwas in mir aus.

Vertrauen.

Ich hatte vielen Menschen vertraut, was sich im Nachhinein als ein großer Fehler herausgestellt hatte. In Tira hatte ich immer Vertrauen gesetzt, doch auch sie hatte mich verraten. Allerdings, weil es dabei um ihre Tochter ging. Claire hatte ihr gedroht, sie ihr auf kurz oder lang wegzunehmen. Mit einen Mal fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Hatte sie mit ihr dasselbe vorgehabt, wie mit mir? Nur für den Fall, dass ich als ihr Experiment missglückte? Eine schreckliche Vorstellung, was ihrer Tochter dort widerfahren wäre. Wahrscheinlich hätte sie dasselbe durchlebt wie ich. Doch Claire war Vergangenheit. Sie stellte nicht länger eine Gefahr für die Menschheit dar.

„ Das ist sicher jetzt alles sehr viel für dich", begann Dr. Halliston. „ Du musst wissen, dass dein Vater und ich uns verbündet haben, nachdem Claire dich vor meinen Augen aus dem Krankenhaus verschleppt hat."

„ Jim war auch die ganze Zeit über ein Teil dieser Gruppe", fügte Dad noch hinzu.

Jim.

Ich hatte ihn seit meinem letzten Krankenhausaufenthalt nicht mehr gesehen. Wo war er bloß? Er hatte mich verlassen, mich auch im Stich gelassen, weil er mit meinen Problemen nichts mehr zu tun haben wollte.

„ Ich dachte, er ist ausgestiegen!"

„ Das war alles Teil unseres Plans. Er war immer mit ganzem Herzen dabei. Er war erst derjenige, der mich auf all das gebracht hat und mir den Mut gab für dich und gegen sie zu kämpfen. Es gibt so viele Dinge, die in der ganzen Zeit passiert sind, in denen du belogen wurdest, die jedoch von uns geplant worden sind."

„ Es wird dauern, bis du alles aufgeklärt haben wirst", ergänzte Dr. Halliston. „ Doch Claire und Rosemarie sind tot und werden niemandem mehr wehtun können."

„ Er war dort. Auf dem Dach. Er hat dich in seinen Armen gehalten, so lange er konnte. Dann mussten die Sanitäter dich weiterbehandeln", erzählte Dad mit brüchiger Stimme. Und als er davon sprach, war es so, als wäre ich wieder dort oben. Mikey kreischte neben mir, während ich hilflos dalag und gen Himmel starrte. Doch ein Rufen mischte sich in das Geschehen mit ein. Ein Klang von Hoffnung hatte mir Kraft gegeben, um all das zu überleben. Und es war Jim's Stimme gewesen, die nach mir gerufen hatte, so als wollte sie mich mit ihrer Melodie bewahren.

„ Ich will ihn sehen", flüsterte er.

„ Er ist noch auf dem Polizeipräsidium. Wir wurden alle nacheinander verhört, dich werden sie auch noch verhören. Vielleicht sogar noch heute, aber ich werde versuchen, es auf morgen zu vertagen." Dr. Halliston war eine liebevolle Person. Ich konnte ihm nichts Schlechtes abgewinnen, selbst wenn er Schüler an Claire übermittelt hatte, er war nie warm mit seiner Aufgabe geworden und bereute nun. Er wusste, dass es falsch war und hatte mir sogar geholfen. Vielleicht war dies ein kleiner Trost für sein schlechtes Gewissen all den anderen Schülern, die in ihren Fängen verloren gegangen waren, gegenüber.

„ Claire und Rosemarie wurden geborgen und werden nun in der Pathologie obduziert. Perez haben sie wenig später hier im Krankenhaus aufgesucht und abgeführt. Er wird sich für seine Verbrechen verantworten müssen."

„ Und was ist mit Ihnen?", fragte ich direkt.

„ Richard hat mich vorerst freigekauft."

Verblüfft sah ich zu Richard hinüber, der ihm zunickte.

„ Ihr wusstet davon?"

Mabel lehnte sich zu mir hinüber und ihr Duft von Magnolien stieg mir in die Nase. „ Wir wussten zum Teil davon. Dr. Halliston hat sich rührend um Mikey und auch um uns gekümmert. Als wir ebenfalls von der Polizei verhört wurden und mitbekamen, dass er bereits in U-Haft wegen Beihilfe zum Mord und Menschenhandel saß, trafen wir auf Mrs Mars, die uns alles aus ihrer Sicht erklärte. Claire hatte ihn unter ihrer Kontrolle und er kam von ihr nicht los. Umgebracht hatte er auch niemanden aus eigener Hand, oder etwas davon geahnt. Wir zahlten seine Kaution, um selbst mit ihm darüber zu sprechen."

„ Ich habe viel falsch gemacht und werde alle Konsequenzen, die auf mich zukommen werden, hinnehmen und für sie geradestehen."

„ Heißt das, Sie dürften gar nicht mehr hier sein?", fragte ich.

„ Man sieht mich hier nicht mehr gern. Verständlicherweise. Der Chefarzt dürfte mich nicht sehen, nein."

„ Ich werde für dich aussagen, David", flüsterte ich und erregte mit einem Mal seine ganze Aufmerksamkeit. Es war an der Zeit ihn endlich bei seinem Namen zu nennen und nicht mehr in förmlicher Weise mit ihm zu sprechen. Er war ein Teil des Plans gewesen, der mich letztendlich gerettet hatte. Ich hatte ihm so viel zu verdanken und ich würde für ihn vor Gericht aussagen und nur das Beste über ihn erzählen, damit er die Chance auf ein mildes Urteil bekam.

„ Ich danke dir", flüsterte er ergriffen zurück. Es war das erste Mal, dass ich ihn kurz vor einem Tränenausbruch sah.

„ Wir werden dir helfen, es zu überstehen", sprach nun auch Dad gut auf ihn ein und drückte dabei fest meine Hand. Ich wusste noch nicht so recht, was ich davon halten sollte, ließ es mir aber gefallen. Er und Mum waren ebenfalls durch die Hölle gegangen. Sie konnten nichts dafür und doch war in mir noch immer eine Schranke, die alles blockierte.

„ Wir werden alle unser Bestes geben. Ohne Sie wären die Kinder wahrscheinlich gar nicht mehr hier", warf Mrs Mars mit verschränkten Händen ein und zog die Brauen mitleidig in ihre Stirn hinein. Dr. Halliston stand in der Mitte der kleinen Gruppe, die sich für ihn einsetzen wollte. In diesem Moment schien er angekommen. Ich glaubte, dass er sehr alleine war. Er hatte nicht mal eine Frau oder Freunde. Wir wollten zu ihm stehen. Aus uns war eine Gemeinschaft entstanden, die sich für jeden von uns eingesetzt hätte. Ein wunderschönes Gefühl, wenn man bedachte, durch welche Dunkelheit jeder einzelne von uns hatte gehen müssen.

Als es allmählich Abend wurde verabschiedete ich Mabel und Richard liebevoll, versprach Mikey morgen in aller Früh mit ihm Frühstücken zu gehen und tausche Nummern mit Mrs Mars. Als sich nur noch Dad im selben Raum wie ich befand, drehte ich mich von ihm weg.

„ Das waren ziemlich viele Eindrücke heute", seufzte er und setzte sich auf meine Bettkante. Anscheinend wusste Dr. Halliston, dass er uns nun alleine lassen konnte. Vielleicht schaute er aber durch irgendein geheimes Fenster oder Guckloch, um auf Nummer sicher zu gehen.

„ Ich bin wirklich froh darüber, wie viele Menschen dich lieben und in der Zeit, in der du durch die Hölle gegangen sein musst, an deiner Seite waren. Es ist mir auch klar, dass du mich immer noch als deinen Feind ansiehst. Verständlich. Ich war mit in dieses ganze Geschehen eingewoben und habe in deinen Augen zu wenig versucht. Vielleicht habe ich das sogar tatsächlich, aber Angst kann einen Menschen so unheimlich lähmen."

Ich schluckte den dicken Kloß in meinem Hals hinunter und drehte den Kopf noch etwas weiter von ihm weg. „ Du brauchst mir nicht zu antworten. Du hast heute auch genug geredet. Sicher möchtest du jetzt etwas schlafen. David wird sich weiterhin gut um dich kümmern." Er wartete noch einen Moment, ehe er aufstand und zur Tür lief. Ohne, dass er es mitbekam, schaute ich ihm hinterher und kniff in meine Bettdecke hinein.

„ Wirst du wieder nach Hause fahren?", fragte ich, bevor er durch diese Tür geschritten war, und wir uns nie wiedersahen.

Langsam drehte er sich auf seiner Sohle zu mir um. Seine Hand fuhr durch sein Haar, welches ihm bereits in die Stirn hing.

„ Ich muss noch einiges klären."

„ Natürlich", murmelte ich ernüchternd.

„ Wir werden uns wiedersehen. Falls du Kontakt zu mir aufnehmen möchtest, David hat meine Nummer. Ich bin jederzeit für dich erreichbar." Meine Stimme wollte ihm nicht antworten. Ich wollte es lieber zwischen uns in der Luft hängen lassen. „ Schlaf nun gut, mein Engel und träum nur von schönen Dingen", verabschiedete er sich und verließ wenig später ebenfalls mein Zimmer.

Sobald er verschwunden war, wurde ich unruhig. Mir war überhaupt nicht nach schlafen zumute. Ich musste Riley endlich sehen, schauen, ob es ihm wirklich gut ging. Ich brauchte ihn so sehr. Für den Augenblick schob ich Dad's Angebot beiseite. Mein Kopf war so randvoll von neuen Informationen, die erst alle verarbeitet werden mussten.

Wie sollte ich mit dem Gedanken, dass Claire mein ganzes Leben auf mich gelauert und gewartet hatte und meine Eltern nie aufgehört hatten mich zu lieben, weitermachen? Es war alles eine einzige Lüge gewesen, die so viel zerstört hatte. Ohne Claire, wäre es niemals so weit gekommen. Ich hätte ein tolles Verhältnis zwischen meinen Eltern behalten, hätte mich gestärkt durch ihre Liebe weitergebildet, einen guten Beruf erlangt und niemals so einsam geendet, wie in vielen Momenten meines Lebens. Ich verlor mich allmählich in meinen Gedanken und driftete in etwas hinein, wo ich keine Kontrolle mehr über mich und meinen Körper hatte.

Als David den Raum betrat, erwachte ich wieder aus den schwarzen Schatten meiner Vergangenheit, die umgehend verschwanden und mich in Ruhe ließen.

„ Eure Kutsche, Milady."

Ich machte Stielaugen, als er mit einem Rollstuhl auf mich zukam.

„ Ich kann selbst laufen", entgegnete ich sofort.

„ Madison, ich bitte dich. Tu mir diesen Gefallen. Dann geht es mir innerlich besser, ja?"

„ Das ist lächerlich."

„ Das denke ich nicht. Du hast eine ganz schön harte Zeit hinter dir und mehrere Hämatome davongetragen. Dein Körper ist geschwächt, du solltest ihm wirklich etwas Ruhe gönnen." Er schob den Rollstuhl noch ein Stück weiter zu mir und versuchte ein einladendes Grinsen zustande zu bringen, doch es gelang ihm nicht wirklich. Trotzdem wehrte ich mich nicht länger, sondern stieg aus meinem Bett und setzte mich hinein. Ich merkte deutlich wie schwer meine Glieder waren und diese Art von Fortbewegungsmittel vielleicht doch nicht die schlechteste war, doch das hätte ich nie zugeben.

Es war schön, etwas anderes zu sehen. Natürlich gab es schönere Orte, als Krankenhausflure, doch ich konnte Menschen beobachten, ob Patienten oder Krankenschwestern. Es gab mir Kraft, sie zu sehen. Ich fühlte mich nicht mehr so allein mit meinen Problemen.

„ Hast du dich mit deinem Dad noch etwas aussprechen können?", fragte David hinter mir.

„ Nein", murmelte ich. „ Dazu bin ich noch nicht bereit."

„ Er konnte für all das überhaupt nichts. Genauso wenig wie deine Mutter."

„ David ..."

„ Ich will nichts schön reden! Aber ich wollte es nur nochmal erläutern."

„ Es tut mir Leid, ich kann nicht klar denken. Es war einfach alles zu viel."

„ Das kann ich gut verstehen", bestätigte er. „ Generell war es heute sehr, sehr viel. Es könnte hart werden dies alles selbst zu verarbeiten. Wenn du möchtest, stelle ich dir gerne einen Therapeuten zur Verfügung. Du würdest sofort einen bekommen, bei dem, was du erlebt hast."

„ Ich bin nicht verrückt."

„ Das sagt auch keiner, aber es kann wirklich helfen mit jemand Unbeteiligtem zu sprechen."

„ Aber derjenige könnte nicht im Entfernten nachempfinden, was ich erlebt habe", zitierte ich Dr. Halliston so gut, ich konnte. Es schien Jahre her, als er mir seine Gefühlswelt schilderte. „ Ein Beteiligter aber doch. Er kann verstehen."

„ Wir machen es so, wie du es möchtest", lenkte er ein, weil er verstand, was ich meinte.

Die weitere Fahrt über sprachen wir kein einziges Wort miteinander. Jeder Meter, welche die Räder hinter sich ließen, kam ich Riley ein Stückchen näher. Meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, da ich eine gefühlte Ewigkeit darauf hoffte, endlich vor seinem Zimmer zu stehen. Wir fuhren mit dem Aufzug in die dritte Etage, von wo aus es durch eine elektronische Tür ging, weiter auf einen neuen Flur. Vor der vierten Zimmertür rechts, machte mein Rollstuhl plötzlich Halt.

„ Ist er hier?", fragte ich sofort atemlos und spürte mein Herz fest gegen meine Brust schlagen.

„ Ja", sagte David und lief um mich herum. „ Bitte bleib nicht zu lange. Ihr beide braucht eure Ruhe und das sage ich nicht als eifersüchtiger Mann, sondern als euer behandelnder Arzt. Du bist eine tolle, mutige Frau, Madison. Riley kann sich sehr glücklich schätzen, dich zu haben." Mit seinem Daumen strich er schnell über meine Wange, ehe er zögerlich aufstand und mich alleine ließ. Ich sah ihm noch eine Weile nach, ehe mein Blick wieder nach vorne gerichtet war. Es schien ihm sichtlich schwer zu fallen, mich einem anderen Mann zu übergeben, den ich auch noch unsagbar liebte. Ich wünschte ihm auch solch eine Liebe, die ihn endlich glücklich werden ließ.

Ich atmete noch einmal tief durch und öffnete schließlich die Tür seines Zimmers. Meine Hände betätigten den Rollstuhl nicht sofort. Für ein paar Sekunden wollte ich einfach nur dasitzen und ihn sehen. Und ich erkannte ihn. Er lag in seinem Bett, die Augen geschlossen, der Brustkorb hob und senkte sich gesund. Seine Schönheit und der gleichzeitig verstörende Anblick ihn in einem Krankenhausbett liegen zu sehen, zerstörten mich innerlich vollends, während meine Sehnsucht verlangend nach Nähe bettelte.

Ohne zu zögern gab ich ihr nach und betätigte mit zitternden Fingern die Räder, sodass ich nur schwerfällig voran kam. Je näher ich ihm kam, desto mehr stauten sich die Tränen in meinen Augen. Seine Haut war von Schrammen übersät, die Fingerknöchel aufgerissen und die Arme voller blauer Flecken. Wahrscheinlich war es passiert, als Dad ihn von der Kante des Daches gerissen hatte.

Plötzlich brach alles wieder über mir herein und ich weinte hemmungslos in meine Hände, passte jedoch darauf auf, keinen Laut dabei von mir zu geben. Riley hatte das alles nicht verdient. Sein Leben lang war er immer nur gestrauchelt und nun war er gefallen und aufgeschlagen.

Ich wollte seine Hand halten, seine Wange streicheln, in seine Augen schauen, aber ich konnte ihn nicht wecken. Er lag dort so friedlich, als wäre nichts geschehen, wenn man die äußerlichen Wunden einmal ausblendete. Damals hatte ich nie geahnt, wie schlimm er es gehabt hatte. Ich sah ihn immer nur als Vicky's Freund und als jemanden, der anderen gerne half. In der ganzen Zeit war so viel aus uns geworden, doch nun wusste ich nicht, wie es mittlerweile um uns stand. Nach alledem was geschehen war, hatte sich vielleicht auch seine Sicht auf die Dinge verändert. Ich hätte es nicht ertragen, ihn zu verlieren, hätte es jedoch akzeptieren und damit weiterleben müssen, in der Hoffnung irgendwann nochmal auf jemanden so wie ihn zu treffen.

„ Madison."

Sofort verharrte ich in meiner Position und wäre am liebsten wieder hinausgerollt. Langsam hob ich meinen Blick und schaute ihm direkt in seine blauen Augen.

Riley hatte mich tatsächlich entdeckt und schaute mich an, als wäre ich eine Lichtgestalt aus einer anderen Sphäre.

„ Madison", hauchte er wieder. Seine Stimme war bloß ein Krächzen, aber sie löste eine unmittelbare Gänsehaut auf meiner kompletten Haut aus. Zitternd streckte er eine Hand nach mir aus, um mich zu berühren. „ Sag, bin ich im Himmel oder bist du bloß ein Engel, der mich besucht und gleich wieder verlassen will?" Verwirrt zog ich die Brauen zusammen. Riley schien zu halluzinieren. „ Ich bitte dich, nimm mich mit zu dir! Ich kann hier ohne dich nicht sein!" Er wurde immer verzweifelter und griff nun mit beiden Händen nach mir.

„ Riley, nein." Alle meine Gedanken wehten davon, wie Blätter im Wind. Er liebte mich noch immer. Er hatte es nicht vergessen. „ Wir sind beide noch hier! Auf der Erde!"

Ungläubig blickte er mich an. „ Wir haben es überlebt? Wir alle drei?"

„ Ja", lächelte ich. „ Das haben wir."

„ Ich träume wirklich nicht?" Er schien es noch immer nicht so recht glauben zu wollen.

„ Nein, ich verspreche es dir."

Seine Pupillen schnellten noch immer hin und her, als er plötzlich nach meinen Armen griff. „ Komm zu mir", flüsterte er und zog mich mit aller Kraft aus meinem Rollstuhl zu sich, sodass ich auf ihm landete und unsere Lippen sich fanden. Sie schmeckten nach Tränen und Leid und doch war es ein Gefühl wie den ersten Sommerregen auf seiner Haut zu spüren, wenn die Tage leichter waren, als der Winter und man sicher war, dass alles gut werden würde. Riley weinte in den Kuss hinein, während meine Tränen sein Gesicht und seinen Hals benetzten. Wir konnten unser Glück kaum fassen, weshalb wir uns nicht weiter zurückhalten konnten. Die Trauer, der Argwohn und das Glück uns wieder in den Armen zu halten, war so überwältigend, dass wir nicht anders konnten, als unseren Gefühlen freien Lauf zu lassen.

„ Ich dachte die ganze Zeit, du seist tot und dass der Arzt mir nur sagte, es gehe dir gut, damit ich mich nicht aufrege," erzählte er mir jämmerlich und wischte sich die nassen Augen mit dem Handrücken trocken, während die eine Hand noch immer fest um meine Taille lag.

„ Das habe ich auch gedacht", wimmerte ich. „ Ich kann es erst jetzt so wirklich glauben."

„ Ich habe so oft nach dir gefragt und mich so sehr danach gesehnt, dich zu sehen! Mein Herz hat dich so vermisst." Wir küssten uns noch einmal. „ Wie geht es Mikey? Ist er wohlauf?", fragte er wie ein Vater nach seinem Kind.

„ Ja, es geht ihm wunderbar! Er war heute Nachmittag schon bei mir mit seinen Eltern. Und Riley, kannst du dir vorstellen, wen ich noch getroffen habe?"

„ Deinen Dad?"

Mir stockte der Atem. Riley bemerkte wie heikel das Thema noch immer für mich war und presste schuldbewusst die Lippen aufeinander.

„ Ja, ihn auch, aber das ist ein anderes Thema. Ich habe Mrs Mars getroffen. Sie war bei mir. Sie lebt!"

„ Nein", hauchte er. Riley konnte sein Glück kaum fassen und schlug die Hände vor den Mund. „ Das ist ... es ist wundervoll." Vor lauter Freude zog er meinen Kopf zu sich und küsste mich überall. Ich musste lachen, weil es mich kitzelte. „ Madison, ich liebe dich! Ich liebe dich so sehr!"

Ich schaute ihn einen Moment lang an, ehe ich die Stimme erhob. „ Es tut mir alles so leid. Das alles hast du dir nicht verdient. Du musstest durch solche furchtbaren Zeiten hindurch, ich ..."

„ Hey", flüsterte er und fasste nach meiner Wange.

„ Ich will versuchen, dir immer eine gute Frau zu sein, immer an deiner Seite zu stehen, wenn du etwas aufarbeiten musst, oder einfach nur eine Schulter zum Anlehnen brauchst. Ich liebe dich, Riley Winters. Und ich werde niemandem mehr so lieben, wie ich dich liebe! Das weiß ich ganz genau. Du bist mein Leben und ich will immer an deiner Seite sein, egal wie schwer es auch sein würde."

Ich sprach mit so einer Intensität, dass ich selbst überrascht davon war. Riley berührte es nur noch mehr und es flossen weitere Tränen aus seinen Augen, während er sprachlos unter mir lag und mich musterte. Dieses Mal wischte er sie nicht fort, griff stattdessen mit seiner Hand nach meinem Gesicht und zog es zu sich.

Wir küssten uns verlangend, stillten jede Sehnsucht in uns, und hörten nicht mehr damit auf. Es war alles so realistisch, nichts fühlte sich mehr wie in einem Traum an. Riley's Haut war so warm, seine Liebe so greifbar und die Gefahr aus der Welt geschafft. Nun gab es nur noch uns und unsere Ideen, uns ein Leben zu erbauen, wo uns nichts und niemand mehr weh tun konnte.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top