23. Kapitel

Unsere Fingerspitzen fassten noch immer nacheinander, spielten im staubigen Licht der Dämmerung, die durch das Fenster schien. Ich war in einem Rausch gefangen, der nicht mehr abebben wollte. Realität war mit Träumen verschmolzen worden und hielt sie fest in ihren Fängen. Ich wollte nie mehr daraus erwachen. Immer nur dieses Gefühl der Unbeschwertheit haben, welches sich in meinem Körper zu aalen schien. Nie mehr hergeben, es für immer behalten.

Es fühlte sich an als wären längst Stunden vergangen.

Die Zeit war stillgelegt worden und so konnte es noch Ewigkeiten weitergehen. Wir lagen beieinander und blickten uns an, nahmen alles vom anderen in uns auf und unterhielten uns einzig durch unsere Körpersprache. Immer wieder streckte er seine Hand nach mir aus, steckte eine Strähne hinter mein Ohr, strich zärtlich mit zwei Fingern über meine Wange, über meine Lippen. Meine Hand fuhr durch sein Haar, zog sanft an ihnen und zeichnete seine Wangenknochen nach.

„ Sag etwas", flüsterte er mir zu und ein Lächeln des Himmels erschien auf seinen Lippen.

Ich schluckte. Wie sollte ich jemals mehr meine Stimme erheben? Ich wusste nicht mehr wie das ging und alles drehte sich einmal um die eigene Achse.

„ Wie ...", hauchte ich fragend.

Unsere Blicke trafen sich und sofort verspürte ich wieder dieses Verlangen und die Sehnsucht nach ihm, nach seinen Berührungen. Er war alles, was ich je gewollt hatte.

„ Es fühlt sich so unwirklich an", sagte er und verschränkte seine Finger schließlich mit meinen.

„ Es ist kein Ausdruck", flüsterte ich zurück, zögerte kurz und lehnte mich dann hinüber, um seine süßen Lippen zu küssen. Sie schmeckten nach Verlangen und Paradies.

„ Ich bin glücklich und ich würde es gerne allen zeigen."

Für einen Moment schaute ich ihn an, ehe ich an die Decke starrte. „ Wir sind Promis."

„ Wie?"

Ich zuckte mit einer Schulter. „ Die müssen doch auch immer aufpassen."

„ So so."

„ Dann bin ich Angelina Jolie."

„ Und ich Brad."

„ Die sind doch gar nicht mehr zusammen."

„ Wirklich nicht?"

Ich verdrehte die Augen. „ Männer."

„ Manchmal denke ich, du bist männerfeindlich." Ich grinste und lehnte mich zu ihm hinüber. Erst jetzt fühlte ich mich so richtig in der Lage dazu. Sofort schlangen sich seine Arme um mich und zogen mich näher an seinen warmen, nackten Körper.

„ Okay, und wer soll ich dann sein?", flüsterte er heiser.

Er vernebelte meine Gedanken mit seiner Stimme und seinem ganzen Sein, dass ich einen kurzen Moment brauchte, um ihm zu antworten. „ Wie wär's mit Johnny Depp?"

„ Ja, der ist cool!"

„ Wir sind das Traumpaar schlechthin", versicherte ich ihm.

Seine Augen begannen zu leuchten. „ Aber warum sollten die beiden das vor der Presse verheimlichen?"

„ Naja, sie wollen sich Zeit lassen. Außerdem geht das niemanden etwas an."

„ Klingt logisch."

„ Hab ich ja auch gesagt."

„ Du bist süß."

„ Du noch viel mehr."

Ich wusste nicht, wie lange wir schon so beieinander lagen, uns immer nur anschauten und vor uns hin blödelten. Mit Riley fühlte ich mich freier als je zuvor. Sein Humor steckte mich an und brachte mich zum Lachen. Wenn es keine Probleme um uns herum gab, war alles so einfach mit ihm.

„ Ich hoffe, ich konnte dem gerecht werden, was du vielleicht gewohnt warst."

Zuerst verstand ich nicht, ehe die Zahnräder in meinem Kopf sich wieder zu drehen begannen.

„ Du meinst ..."

Er nickte mit zusammengepressten Lippen und schaute mich beinahe schon etwas besorgt an.

Ich strich mir ein paar Haarsträhnen, die mir ins Gesicht gefallen waren, zurück hinter mein Ohr und wirkte schon beinahe überrascht. „ Zweifelst du etwa daran?"

„ Ich weiß nicht", flüsterte er bekümmert.

„ Riley, es war wunderschön. Schöner ... als je zuvor." Meine Finger strichen über seine errötete Wange. „ Es hätte nicht schöner sein können."

Er schien mir zu glauben, kostete den Augenblick noch ein bisschen mehr aus, als er auch schon nach vorne schnellte und mich erneut küsste, als würden wir den nächsten Morgen nicht mehr erleben. Ich strich über seine Wange, woraufhin er seine Augen schloss. „ Ich kann wohl eher hoffen. Es ist komisch zu wissen, dass es Victoria war."

Blitzartig öffnete er sie wieder und zog die Brauen zusammen. „ Victoria?"

„ Ja", sagte ich langgezogen.

„ Wir haben nie etwas miteinander gehabt. Vicky wollte immer, aber ich habe es nicht zugelassen."

Ich konnte nicht glauben, was er mir da versuchte weiß zu machen. „ Ihr habt nie ... ich meine, wirklich nie ...?"

„ Nein", lächelte er und lehnte sich zurück. „ Wir haben nie miteinander geschlafen. Wieso überrascht dich das so?"

Ich musste kurz überlegen. Vicky hatte mir doch des Öfteren davon erzählt, dass die beiden Spaß miteinander hatten und dass es für sie auch sehr schön war, mehr aber auch nicht. Hatte sie mich etwa angelogen? Und konnte ich Riley nun davon erzählen? Ich wollte es jetzt nicht und versuchte mich herauszureden.

„ Ich wundere mich nur, weil ihr ja schon eine ganze Zeit zusammen ward."

„ So richtig waren wir das eigentlich nie, weshalb ich das nicht wollte. Nicht unter diesen Umständen. Meine Unschuld hatte ich längst verloren, aber es war nicht mein schönstes Erlebnis, weshalb ich mir fest vornahm beim nächsten Mal ... sicher zu sein."

„ War das nicht unheimlich schwer? Ich meine, du hast sie sehr geliebt und die Sehnsucht killt einen doch beinahe."

Er verzog die Miene und nickte mit gesenktem Blick. „ Da sagst du was, aber es ging. Mit diesem Vorhaben in meinem Kopf, konnte ich ausharren."

„ Und nun hast du es eingelöst."

„ Ja", er lächelte wie ein Engel. „ Und das Warten darauf hat sich mehr als nur gelohnt."

Ich wusste nicht wie viel mein Körper an Gefühlen für heute noch aushielt. Peinlich berührt senkte ich den Blick und schaute nieder auf unsere verschränkten Hände.

„ Mit Vicky konntest du dir deiner Sache nie so richtig sicher sein, oder?"

„ Nie. Und das hat mich oft fast aufgefressen. Und es hat mich ja sogar noch aufgefressen, wo du längst hier warst."

„ Und ...," ich zögerte und biss mir kurz auf die Lippe, „ ... wann bin ich dir aufgefallen?"

Er lachte ein leises, heiseres Lachen. Es machte mich glücklich und ließ mich in seinen Armen geborgen fühlen. „ Unsere Konversationen fand ich sehr merkwürdig."

„ Ich auch!", warf ich ein.

„ Aber auch ziemlich spannend." Wieder lachte er. „ Aber es gab da einen Moment ... es war nachdem wir uns einen langen Zeitraum über wegen Emma nicht mehr gesehen haben. Ich merkte, dass mir da etwas fehlte. Zuerst konnte ich es nicht einordnen, aber dann ..." Nun war seine Stimme nur noch ein leises, honigwarmes Flüstern. „ Dann fiel es mir ein und zwar genau an dem Tag als wir uns das erste Mal wieder in der Cafeteria sahen."

„ Als ich mit Mikey in der Schlange stand", erinnerte ich mich.

„ Ja, oder was auch immer ihr da gemacht habt."

Ich kicherte. „ Er wollte, dass ich ihn auf meine Schultern hob!"

„ Das war der Moment, wo alles plötzlich ein Bild ergab. Einen Sinn." Nun konnte ich nicht länger in den leeren Flur hineinstarren, sondern blickte auf, um ihn zu sehen. Er musterte mich unergründlich.

„ Er hat auch in mir etwas ausgelöst", sagte ich und streichelte seine Wange. Er öffnete seine Lippen und legte sie sacht auf meine. Sofort war ich verschwunden in seiner Welt, in der Ruhe, bunte Träume und Hoffnung existierten. Er nahm mich vollkommen für sich ein, zog mich immer nur noch mehr an sich und ließ unseren Kuss leidenschaftlich ausarten.

„ Zu Anfang habe ich dich immer nur so nebenbei wahrgenommen", erzählte ich, als wir eine Pause einlegen mussten und unsere Lungen wertvollen Sauerstoff filterten. „ Ich konnte dich schlecht einschätzen, als ich mit dir auf dem Balkon auf Stevens Party gesprochen habe. Dann warst du einfach nur ein netter Mensch, der mir ein wenig unter die Arme griff. Irgendwann fingst du an mich zu beschützen und als wir uns nicht mehr gesehen haben, habe ich dich unheimlich vermisst."

„ Ich auch", lächelte er und schaute so fasziniert drein, da ich ihm anscheinend aus der Seele sprach. „ Die Ferien bei meinem Freund waren zwar wunderschön, aber abschalten konnte ich nie. Du bist mir wie ein nach Ruhe suchender Geist in meinem Kopf herumgeschwirrt und hast nicht mehr von mir gelassen. Oft saß ich auf der Veranda seines Hauses, abends, wenn es schon dunkel wurde und ich die Sterne beobachtete habe. Da warst du immer sehr präsent für mich. Und ich genoss es immer, aber manchmal war es beinahe zerstörerisch, weil ich nichts damit anfangen konnte und nicht wusste, wie es weitergehen sollte."

Die Person über die er dort sprach, die ihm sogar in den Ferien keine Ruhe mehr gelassen hatte, war tatsächlich ich gewesen und es war unglaublich, sich das zu vorstellen. Ich hätte ihm noch stundenlang zuhören können, ich hätte es dennoch nicht glauben können.

„ Als ich dich dann in der Cafeteria wiedergetroffen habe, ist da schon etwas in mir passiert, aber ich konnte es noch nicht so recht einschätzen. Es hat sich allmählich angeschlichen," beendete ich meine kleine Erzählung der vergangenen Momente, die nun ein Ganzes ergaben. Niemand von uns hätte damals geglaubt, dass sich so etwas zwischen uns entwickeln würde.

Er grinste. „ Mir war klar, dass ich dich danach unbedingt wiedertreffen musste und war unfassbar aufgeregt, als ich vor deinem Zimmer auf dich wartete. Und nach diesem Treffen war mir auch klar, dass du diesen Ball unbedingt verdientest. Du warst immer freundlich und höflich zu Vicky und zu mir gewesen, obwohl so viel um dich herum passierte, was du selbst gar nicht steuern konntest. Deswegen habe ich ihr davon erzählt und sie war hellauf begeistert von dieser Idee. Wir brachten nachts alles was wir benötigten rüber in die Hütte und bereiteten alles heimlich vor. Auch wenn es niemals den wirklichen Ball ersetzen könnte. Claire ist ein Teufel."

Ich legte meine Hand auf seine, als seine Wangen begannen sich rot zu färben und seine Zähne ungesund laut aufeinandermahlten.

„ Nein, Riley. Es ist alles in Ordnung. Das war alles, was ich gebraucht habe. Und selbst wenn ihr nicht auf so eine Idee gekommen wärd, wäre ich zufrieden gewesen. Es ist unfassbar, dass ihr das überhaupt für mich gemacht habt. Ich bin noch immer ganz hin und weg." Ich streichelte ihm über die Wange, was er genoss und die Augen schloss, als benötigte er fiel mehr von diesen Zärtlichkeiten. Doch bei Vicky hatte er nie diese Beziehung erlebt, die er sich immer so gewünscht hatte. „ Ich habe es für Mikey getan und damit kann ich mir helfen, denn ich bin froh, dass ich es getan habe und ich würde es wieder tun, selbst wenn ich wüsste, was für eine Konsequenz auf mich warten würde. Genauso würde ich wieder zu meinem besten Freund fahren, um danach in Eiswasser zu baden."

Er öffnete die Augen und musterte mich eine Weile. „ Dass sie dir das wirklich angetan hat."

„ Ich glaube viel mehr, dass es Rosemaries Idee war. Zumindest war sie diejenige, die die ganze Zeit über geredet hat. Claire hat sich doch schon etwas bedeckter gehalten."

„ Trotzdem", knurrte er.

„ Das entschuldigt gar nichts, ich weiß." Ich nickte und fuhr über seine Hände, die auf meinen Oberschenkeln ruhten. „ Sie hat mich vorgestern Abend durchsucht, weil sie dachte, dass ich Drogen an meinem Körper trage."

„ Bitte was?" Riley fiel aus allen Wolken. „ Was erlaubt sie sich dir gegenüber?"

„ Dabei waren es nur die Bonbons von Mikey. Ich schätze, sie hat eine riesengroße Antipathie gegen Drogen und wäre enttäuscht gewesen, auch welche bei mir zu finden. Hat sie natürlich nicht. Danach hat sie sich ja auch bei mir entschuldigt, aber sie hat deutlich eine Grenze überschritten und ich habe keine Lust es mir länger von ihr gefallen zu lassen."

„ Wir werden nicht viel gegen sie ausrichten können."

„ Ich weiß auch nicht, was ich mir vorgestellt habe." Ich wurde nachdenklich. Leider konnte man wirklich nichts gegen sie ausrichten. Sie war die Leiterin dieser Schule, hatte hier das Sagen und die Macht, jeden einzelnen zu verbannen, der sich ihr in den Weg stellte. Doch sie hatte sich vor mir klein gemacht und sich bei mir ausgeweint. Das bedeutete eine weitere Hürde, um gegen sie arbeiten zu können, zumal ich ihr versichert hatte, nochmals neu anzufangen.

„ Du willst die Schule hier fertig machen, oder?", fragte ich Riley, obwohl ich es längst wusste.

„ Ja", erwiderte er direkt. „ Und ich will, dass du es auch tust."

„ Zwei Jahre sind lang, aber immer noch zu kurz, um sich all die Bildung anzueignen, die hier von einem verlangt wird."

„ Aber wir packen das." Er griff nach meinen Händen. „ Du packst das! Vor allem du! Schau dir doch mal dein Halbjahreszeugnis an! Es ist nur noch ein Jahr, dann haben wir es geschafft!"

„ In einem Jahr kann so viel passieren. Wenn ich mir nur vorstelle, was in diesem halben Jahr jetzt schon alles passiert ist."

„ Aber schau, wo wir beide nun stehen." Ich sah auf das Bett. „ Oder liegen", fügte er leicht grinsend hinzu. „ Wir sind zusammen und alles andere haben wir überstanden. Ich sage nicht, dass es leichter wird, jetzt wo wir ein Paar sind, aber jetzt haben wir uns und wir konnten vorher schon alles besiegen, wie mächtig sind wir dann erst jetzt zu zweit?"

Wir waren ein Paar. Ich konnte es nicht fassen. Es war ein unfassbar elektrisierendes Gefühl. Er küsste mich noch einmal. Und es hätte noch stundenlang so weitergehen können, doch wir mussten aufhören. Claire würde bald hier sein, um ihren Rundgang in jedem Zimmer zu machen.

„ Ich würde so gerne bleiben", flüsterte er mir atemlos in mein Ohr.

„ Das würde mich sehr freuen", hauchte ich. „ Aber du musst gehen. Ich will nicht, dass du hinterher wieder in Eiswasser baden musst."

„ Ich glaube, das wäre es mir wert." Er zwinkerte mir zu.

„ Das würde ich niemals mehr zulassen."

Er schaute mich fassungslos an, ehe er seicht nickte und meine Hände küsste. Dann stand er auf und begann sich seine Hose anzuziehen.

Ich senkte den Kopf, doch er hob ihn sofort wieder an, indem er unter mein Kinn griff.

„ Ich sag dir etwas." Er rutschte vom Bett und kniete sich vor mich hin, seine Hände auf meinen Beinen. Mit rasendem Herzen sah ich zu ihm hinunter. Er war ein wahr gewordener Traum. „ Wenn wir hier fertig sind, steht mir eine große Menge Geld zur Verfügung von dem ich gerne ein Haus bezahlen möchte. Wie du weißt, werde ich nicht mehr in das Haus meiner Eltern zurückgehen, sondern mein eigenes Leben beginnen. Und ich werde dich dorthin mitnehmen."

Mit riesengroßen Augen starrte ich ihn an. Das konnte doch wohl nicht sein Ernst sein.

„ Riley", flüsterte ich und schüttelte schon mit dem Kopf. „ Das kann ich nicht annehmen. Das geht nicht."

„ Und ob das geht. Und du wirst es annehmen, weil dir nichts anderes übrig bleiben wird." Er lächelte siegessicher, nachdem er mir mit vollem Ernst die Lage geschildert hatte.

„ Du bist völlig verrückt."

„ Das habe ich schon mal gehört", scherzte er und legte den Kopf schräg.

„ Wie sollte ich dir jemals dafür danken?" Ich hatte geglaubt, dass er sich mit dem Ball schon übertroffen hatte, aber ein eigenes Haus, in das ich mit ihm einziehen sollte, sprengte jeglichen Rahmen.

„ Indem du einfach bei mir bleibst und mich liebst. Mehr brauche ich nicht."

Ich legte die Hände vor mein Gesicht, um einen Augenblick lang darüber nachzudenken.

„ Du kannst dieses Haus liebend gerne nach deinen Wünschen einrichten, du kannst Gäste einladen, Mikey könnte uns besuchen."

Ich nahm die Hände fort und schaute ihn an. „ Warum das alles, Riley?"

„ Weil ich dich liebe und mir eine Zukunft mit dir vorstellen kann", sagte er frei heraus und musterte mich eine Weile. „ Denk darüber nach. Du würdest mich sehr glücklich machen."

Er stand auf und war dabei sich wieder anzuziehen. Ich saß dort, überfordert mit all den neuen Informationen. Ich hätte mir nichts Schöneres vorstellen können, als mit ihm zusammenzuwohnen und dann noch in einem Haus, wenn man bedachte, dass ich nichts, außer einen Abschluss haben würde, sobald ich diese Schule wieder verließ. Aber ich konnte das nicht annehmen. Und woher bekam ich das Glück, dass mir plötzlich alles nur so zuflog, ohne dass ich nur einen Finger dafür krumm machen musste? Es war doch immer anders gewesen und ich hatte gelernt damit umzugehen. Vielleicht fühlte es sich deswegen so falsch an. Es entsprach nicht der Norm. Meiner Norm zumindest nicht.

„ Riley, ich ... wir müssen nochmal darüber reden, okay?"

„ Ja. Ja, natürlich." Nun wieder bekleidet, kam er auf mich zu und küsste mich einmal sehnsüchtig. „ Ich wollte auch nicht so mit der Tür ins Haus fallen, aber ich fand das den besten Zeitpunkt. Und mach dir nicht so viele Gedanken. Ich würde mich freuen, wenn du es einfach nur annehmen würdest."

„ Das könnte schwer werden", antwortete ich wahrheitsgemäß.

„ Es ist ja noch ein bisschen Zeit, um alles zu planen."

Auch ich stand nun auf und zog mir schnell ein T-Shirt über, um nicht nur in Unterwäsche vor ihm zu stehen. Er war gerade dabei den letzten Knopf seiner Jacke zu schließen, als ich meine Arme von hinten um ihn legte und meine Wange gegen seinen Rücken presste.

„ Ich will nicht, dass du gehst."

Sofort ließ er ab von dem Knopf und griff nach meinen Armen. „ Das will ich auch nicht. Du weißt nicht, wie schwer mir das gerade fällt."

Er wollte sich herumdrehen, weshalb ich von ihm ließ und wenige Sekunden später in seinen Armen lag.

„ Ich will dich bald wiedersehen", verlangte ich und spürte die Wärme seines Körpers auf meinem.

„ Das werden wir so schnell wie möglich versuchen zu wiederholen."

„ Alles?", fragte ich und biss mir auf die Unterlippe.

Er lachte in sich hinein, ehe ich den Kopf hob und zu ihm aufschaute. „ Was denkst du denn?", fragte er anzüglich und küsste mich. In seiner Nähe, fühlte es sich an wie im Himmel. So viel Licht war um mich herum, eine wohlige Wärme und eine Zufriedenheit, die es so nur dort geben konnte.

Ich schrie auf, als er mich bei meiner Taille kurz in die Luft hob und meine Füße den Boden verließen.

Ich zog mich von ihm zurück, meine Hand noch immer auf seiner Wange.

Schweren Herzens brachte ich ihn schließlich zur Tür. Wir küssten uns noch einige Male, konnten kaum voneinander lassen, ehe ich die Tür aufschloss und meinen Kopf hinausstreckte, um zu schauen, ob sich jemand auf dem Gang befand.

„ Die Luft ist rein", flüsterte ich wie ein Detektiv und drehte mich lächelnd zu ihm.

„ Versteckspiele haben wir doch gelernt", erinnerte er mich und lächelte mich sehnsüchtig an.

„ Das stimmt", erwiderte ich.

„ Aber wir werden versuchen, so viel Zeit wie möglich für uns rauszuschlagen, okay?"

„ Okay." Ich strahlte ihn an. Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal so glücklich gewesen war. Doch. Es war bei Mikey gewesen, aber es hatte sich anders angefühlt, als das hier mit Riley.

„ Wir sehen uns morgen. In der Cafeteria?"

„ Nein."

„ Nein?" Irritiert sah er mich an.

„ Ich träume heute Nacht von dir. Vielleicht treffen wir uns schon vorher", lächelte ich.

Er lachte kehlig über meinen Gesichtsausdruck, ehe er unsere Lippen ein weiteres Mal miteinander verschmelzen ließ und mich leicht vom Boden hob. Langsam ließ er mich wieder nach unten sinken und fasste nach meinen Wangen und meinem Haar.

„ Ich denke an dich."

„ Und ich an dich."

Mit diesen Worten verabschiedeten wir uns voneinander.

Ich hielt meine Fingerspitzen noch einen Moment an seiner Wange, ehe ich sie schmerzlich verlassen musste, um in mein Zimmer zu kommen. Riley lief langsam rückwärts davon, ohne mich auch nur einmal aus den Augen zu lassen. Dann jedoch, musste er nach rechts abbiegen, blieb noch einen Moment stehen und winkte mir sacht. Ich erwiderte es genauso leicht, wartete bis er sich umdrehte und hinter der Ecke verstand.

Ich seufzte und lief wieder in mein Zimmer hinein. Als ich die Tür hinter mir zuzog, kam ich mir mit einem Mal schrecklich einsam vor. Rileys Nähe und Worte waren nicht hier, ich hörte Mikeys glückliches Lachen nicht mehr oder Vickys hohe Stimme als sie von Brian schwärmte. Es schien alles so unendlich lange her zu sein.

Ich ließ mich auf mein Bett fallen und starrte an die Decke. Es hatte sich alles sehr gewandelt, von Gut zu Schlecht und von Schlecht wieder zu Gut. Es war eine ständige Achterbahnfahrt mit riesigen Höhen und den tiefsten Tiefen.

Rileys Lippen auf meinen, sein Körper gepresst an mich, seine liebevollen Worte für mich. Ich konnte nicht fassen, was passiert war und musste lachen. Obwohl es halbsieben in der Früh war. Ich zuppelte noch ein paar Mal an meiner Uniform herum, während ich in den eingelassenen Spiegel meines Schranks hineinschaute. Und immer wenn ich an diesem Morgen mein Spiegelbild betrachtete, sah ich Viktoria.

Eigentlich wollte ich mich nie mehr bei ihr blicken lassen. Sie veranstaltete eine Party für mich, war da, wenn ich sie brauchte, versuchte mich aus jedem Mist wieder herauszuholen und zum Dank küsste und schlief ich später mit ihrem Ex-Freund, mit dem sie erst wenige Tage auseinander war? So benahm sich definitiv keine Freundin. Ich hätte so jemanden gehasst. Doch vielleicht würde sie mich gar nicht hassen. Schließlich wollte sie Riley nie so, wie er sie gewollt hatte. Das hatte sie mir immer wieder deutlich gemacht und erklärt, aber vielleicht würde es sich trotzdem komisch für sie anfühlen, wenn sie von uns erfuhr. Sie wollten ihn doch nie und hatte es ihm nur nie gesagt, weil sie dann ein schlechtes Gewissen bekommen hätte. War es vielleicht auch der Grund, warum sie es mir bisher noch nicht erzählt hatte? Wegen eines schlechten Gewissens? Und was dachte sie nun, jetzt wo die Katze aus dem Sack war und sie stürmisch mein Zimmer verlassen hatte, weil sie seine Gegenwart und diese Erniedrigung nicht ertrug? Ich fühlte mich überfordert mit diesem Problem. Sollte ich ihr jetzt gleich davon erzählen, um es nicht noch schlimmer zu machen oder lieber warten, um es jetzt nicht noch schlimmer zu machen? Natürlich bestand noch immer die Option zu gehen, aber Riley hatte mit seiner Aktion deutlich an meinen Gedanken gerüttelt. Konnte ich das alles einfach hinter mir lassen, ohne auch nur herauszufinden, was das zwischen uns nun war? Ich hatte ihn immer gemocht und plötzlich so viel für ihn gefühlt. Auch jetzt wünschte ich mich zu ihm. Den Moment der Wärme an meinem Körper, er war so intensiv, dass ich ihn mir jetzt zurückwünschte, aber es war keine Zeit, um weiter zu träumen. Claire würde bald auf der Matte stehen und die graue Realität mit sich bringen.

Der Unterricht begann in zehn Minuten. Claire war noch nicht aufgetaucht, was völlig untypisch für sie war. In meiner ganzen Zeit in der ich hier Schülerin war, war sie kein einziges Mal nicht erschienen. Irgendetwas musste geschehen sein.

Als ich die Uhr nun schon zum zehnten Mal angestarrt hatte, beschloss ich mich zu den Klassenräumen aufzumachen. Vielleicht konnte mir dort jemand Auskunft geben.

Es war wieder eine Menge an Schülern, die sich vor den Klassenräumen tummelten. Mittlerweile machte mir das gar nichts mehr aus. Ich fühlte mich nicht mehr verloren in diesem Strom von Menschen, sondern hatte alles unter Kontrolle. Wahrscheinlich hätte ich nun einem Neuling helfen können sich zurecht zu finden.

Wie schnell die Zeit doch verging und was alles in ihr passiert war. Riley hatte schon recht damit. Wir hatten alle Hürden mehr oder weniger zusammen gemeistert, denn die Umstände ließen eine Kooperation nicht immer zu. Und wie weit waren wir nun? Wenn ich an den gestrigen Abend dachte, begann mein Herz zu flattern.

Ich bog in meinen Raum hinein und wäre beinahe in zwei Schüler geknallt, die mitten im Eingang standen. Ich stoppte ruckartig und sah, dass keiner von ihnen auf seinen Stühlen saß, sondern alle in einem Halbkreis vor den Tischen und Stühlen stand. Irritiert zog ich die Brauen zusammen und suchte nach jemandem, dem ich mich zuwenden konnte.

„ Was ist denn hier passiert?" Vicky war zur Tür hereingekommen, woraufhin ein paar Schüler und ich mich zu ihr umdrehten.

„ Da sind zwei rote Stühle", sagte Isabella und warf ihr Haar zur Seite.

„ Okay", erwiderte Vicky wenig überrascht. „ Explodieren sie beim draufsetzen?", hinterfragte sie, worauf sie nur ratlose Blicke erntete. Augenverdrehend wand sie sich von ihnen ab.

„ Hi Vicky", begrüßte ich sie.

„ Morgen, Madison." Wir umarmten uns.

„ Ist Claire heute Morgen bei dir erschienen?"

„ Nein. Und das ist noch nie vorgekommen."

„ Bei uns war sie auch nicht", erzählten uns Kira und Annabelle.

„ Merkwürdig. Und was soll diese Aktion mit den Stühlen? Warum kann sich keiner setzen, nur, weil da zwei rote Stühle stehen? Anscheinend verlieren hier immer mehr Leute ihren Verstand." Vick's Blick schweifte über die Köpfe der Schüler, als sie auch schon ihre Arme abwehrend vor der Brust verschränkte. Das bekam ich jedoch nur am Rande mit, da ich mir die Stühle von hier etwas genauer beschaute. Mir war nie aufgefallen, welche Farbe sie trugen, weshalb mich zwei rote Stühle auch nicht davon abgehalten hätten, mich einfach zu setzen. Aber Vicky schien recht zu haben. Eine gewisse Angst ging herum, die ein paar von ihnen paranoid werden ließ. Als ich mir die Sitze nun etwas näher beschaute, sah ich, dass der Rest der Plätze von ihnen blau war.

„ Sie war gerade eben hier und meinte, es dürfte sich noch keiner setzen."

„ Worauf warten wir denn? Auf gutes Wetter?", fragte Vicky mit einem Mal völlig genervt. Obwohl sie so aussah wie immer, war sie heute nicht sie selbst. Sie war gereizt, fast so, als würde sie unter Strom stehen.

„ Und das wo Claire doch sonst immer so perfektionistisch ist", mischte sich nun auch Nathalie ein.

Vicky zog bloß die Brauen hoch und schaute auf ihr Handy. Ich wollte nochmal wegen gestern mit ihr reden, aber ich fand einfach keinen Anfang.

„ Was meint ihr mit perfektionistisch?", fragte ich und sah Nathalie verwirrt an.

„ Naja. Wenn Claire oder irgendein andere beliebiger Lehrer den Raum betritt, haben wir auf unseren Plätzen zu sitzen. Und im übrigen passt Rot nicht zu blau, oder?"

„ Also ehrlich, Madison. Dass du das nicht gesehen hast", witzelte Vicky und grinste, ohne mich dabei anzusehen. „ Tut mir leid, dass ich gestern so schnell wieder abgehauen bin. Wir müssen unser Lernen wohl nochmal wiederholen", entschuldigte sie sich plötzlich. Ich drehte meinen Kopf zu ihr und musterte sie. Auf ihren Lippen lag bloß ein bitteres Lächeln und auch ihre Augen wirkten trüb.

„ Warum hast du es mir nicht schon eher gesagt?", fragte ich sie.

„ Ich konnte einfach nicht."

Tira hatte sie es erzählt, das hatte man anhand ihrer Sprüche gemerkt. Vielleicht nicht unbedingt, dass Riley mit ihr Schluss gemacht hatte, aber das war ja auch gar nicht wichtig. Also für mich war es das mittlerweile schon, aber das wusste Vicky ja nicht. Warum also hatte sie es mir nicht von sich aus erzählt?

Da fasste sie mich auf einmal an meinem Arm, sodass ich erschrak, und sah, wie sie mit großen Augen in mein Gesicht schaute. „ Aber das ist unwichtig. Madison, ich wollte dich warnen ..."

„ Also um ehrlich zu sein, habe ich keine Lust länger zu stehen", sagte Annabelle und unterbrach Vicky somit. Irritiert sah ich zu ihr, bis ich aus dem Augenwinkel vernahm, wie sie hervortrat und gerade nach einer der blauen Stuhllehnen fassen wollte, als eine Stimme sie daran hinderte.

„ Halt." Sofort zog sie die Hand wieder zurück, als wäre die Lehne eine heiße Herdplatte, und machte einen Satz nach hinten.

„ Ich habe euch doch gesagt, dass sich noch niemand hinsetzen soll." Claire war eingetreten und schloss langsam die Tür hinter sich. Es wirkte irgendwie bedrohlich. Ihr Blick schweifte über die Köpfe der Schüler, ehe sie langsam nach vorne lief und sich hinter ihr Pult stellte. Sie trug einen durchgehend weißen Anzug, der locker um ihre Ärmel und Knöchel saß. Eine lange Reihe schwarzer Knöpfe zog sich über ihre Brust und ihre Lippen waren knallrot angemalt. Ihr Haar war wieder zu einem ordentlichen Dutt nach oben gebunden. Wieder einmal glich sie einem Model, wie man sie aus Film und Fernsehen kannte.

„ Missachtung der Befehle." Sie senkte den Blick und blätterte in einem Aktenordner, ehe sich ihre Miene erhellte und sie etwas ausheftete. Mit einem Blatt in der Hand ging sie auf die Schülerin zu und gab es ihr. „ Befolgung von Befehlen. Schreib es bitte zehnmal ab. Sollte ich einen Rechtschreibfehler entdecken, musst du es zwanzig Mal abschreiben und das immer so weiter, bis es perfekt ist."

Perfektionismus. Da war er wieder. Und es war eine unglaublich gemeine Aufgabe. Vielleicht war etwas abzuschreiben besser als sich einen eigenen Text zu überlegen, aber wenn man bedachte, dass wir dabei noch Hausaufgaben erledigen und für Klausuren lernen mussten und irgendwann die Konzentration nachließ, wenn man zum zehnten Mal den selben Text abschrieb, konnte diese Aufgabe doch härter sein, als man dachte.

„ Erst einmal wünsche ich euch allen einen wunderschönen guten Morgen. Ihr wundert euch sicher, weshalb ich heute Morgen nicht zur täglichen Zimmervisite erschienen bin und weshalb ihr euch heute noch nicht sofort setzen durftet. Alles ein bisschen viel für einen Morgen, ich weiß, aber dies hat einen bestimmten Grund. Ich wollte ganz gerne die Sitzordnung ändern." Die Klasse gab keinen Ton von sich. Alle schienen sehr verwundert darüber, was hier gerade passierte. „ Mrs Mars und Mr Petersson sind heute leider verhindert, sodass ich euch vier Stunden unterrichten werde. Nur für das Protokoll." Sie tippte sich kurz gegen die Stirn, als wären wir nicht die hellsten Kerzen auf der Torte. „ Doch bevor wir beginnen, werde ich euch jemanden vorstellen. Wir bekommen Zuwachs. Jemanden, der dieser Klasse beitreten wird."

Bekamen wir tatsächlich eine neue Mitschülerin? Ich hätte mich sehr gefreut, dann hätten Vicky und ich ihr alles zeigen können. Vielleicht hatte aber auch nur jemand eine Klasse übersprungen und kannte sich längst aus.

„ Bitte seid nett, ich denke diese Situation ist für jeden anfangs etwas schwer."

Sie lief auf die Tür zu und öffnete sie. Dann trat sie heraus.

„ Vielleicht ist sie weggelaufen", kicherten schon ein paar Mädchen.

„ Na, so einen Aufriss hat sie wirklich noch nie betrieben, wenn wir jemand Neues in die Klasse beklommen haben."

Da hatte Vicky wohl recht, denn wenn ich daran dachte, wie unspektakulär ich dagegen in die Klasse gekommen war.

„ Würdest du bitte jetzt hierherkommen?"

Die Mädchen lachten bereits. „ Scheint ja ein schwieriger Fall zu sein", grinste Vicky, obwohl sie genervt wirkte. Ich lächelte sie an, ehe sich wieder ein schlechtes Gefühl in mir ausbreitete. Ich hatte vergangenen Abend mit ihrem Ex-Freund geschlafen. Ich erschrak selbst bei diesem Gedanken und drehte mich weg von ihr, um mich wieder zu beruhigen.

„ So", hörte ich Claire sagen. Das Lachen der Mädchen verstummte mit einem Mal. „ Begrüßt bitte alle euren neuen Mitschüler."

Ich schaute auf und auch mir blieb die Luft zum atmen weg.

„ Riley?", flüsterte Vicky. „ Was macht der denn hier?"

Meine Stimme war verschwunden, nicht mehr auffindbar. Ich verlor mich in seinem Anblick und das nicht aus guten Gründen. Dieser Anblick war einfach zu grotesk.

„ Ich dachte, dass es das Beste für ihn wäre, sich in einer Klasse voller Mädchen zu befinden. Er sieht gut aus und kann hervorragend mit seinem Charme spielen. Wie sehr müssen ihm dann schwärmende Mädchen schmeicheln? Das lässt das Ego doch nochmal um ein Vielfaches wachsen!"

Vicky und ich blickten uns verstört an. Von was sprach Claire da gerade? Warum stellte sie ihn nur so vor der kompletten Klasse bloß? Erlaubte sie sich gerade etwa einen mehr als schlechten Scherz oder meinte sie das tatsächlich ernst?

„ Und schließlich hat auch er Gefallen an der ein oder anderen von euch gefunden. Deshalb wollte ich etwas behilflich sein und sie nicht länger voneinander trennen." Sie lief um ihn herum und ließ ihre Hand an seinem Rücken entlangfahren. Es war furchtbar das mitanzusehen. „ Wie ich meine Schülerinnen kenne, sind auch sie immer für ein Geheimnis zu haben. Schließlich passiert während eines langen Schulalltages nicht all zu viel spannendes. Ich bringe also auch euch einen hübschen Kerl und lüfte vor euch noch ein großes Geheimnis!"

Rileys Blick traf auf meinen, doch so schnell wie wir uns angesehen hatten, schauten wir auch schon wieder weg.

Sprach Claire da gerade etwa von uns? Hatte sie etwa mitbekommen, dass Riley und ich uns zueinander hingezogen fühlten? Doch was war, wenn sie Vicky damit meinte? Sie war die längere Zeit mit ihm zusammen gewesen.

So unmerklich wie es nur ging, drehte ich mich zu ihr, als sie mit starrem Blick nach vorne schaute. Sie tat mir so schrecklich Leid, aber ich konnte ihr noch nicht einmal gut zureden, da es mucksmäuschen still in der Klasse war und man eine Stecknadel hätte fallen hören können.

„ Es ist ganz normal das, wenn so viele Mädchen und Jungs aufeinandertreffen, Gefühle entstehen können. Da habe ich auch wirklich nichts gegen. Es ist nur natürlich. Alle folgen ihrem Ruf, sich fortzupflanzen. Verstehe ich. Ich bin die Letzte, die nicht an der Erhaltung der Menschheit interessiert ist, allerdings nicht hier. An unserer Schule."

Mit einem Mal, als ich Rileys riesige Augen erkannte, setzte mein Herz aus. Dann begann es so schnell weiterzurasen, dass ich Angst bekam, es würde mir aus der Brust springen. Claire wusste Bescheid. Sie wusste, dass Riley mit einer von uns geschlafen hatte.

Die Chance, dass es Vicky war, war größer, aber ... Riley hatte laut eigener Aussage nie mit ihr geschlafen, obwohl sie mir immer etwas anderes erzählt hatte. Ich drehte mich zu ihr und ihre Miene wirkte beinahe ertappt, erleichtert und unfassbar fassungslos zugleich. Ihr wurden einige Dinge klar. Sie konnte nicht beschuldigt werden, weil sie sich nie so nah gekommen waren. Doch gleichzeitig wurde ihr auch bewusst, dass jemand anderes etwas mit ihrem Freund gehabt hatte, wobei er ihr dies immer verweigerte und es nun einem anderen Mädchen ermöglicht hatte. Und dieses Mädchen war ich.

Claire legte den Kopf schräg und wirkte noch immer sehr verständnisvoll und zuvorkommend, doch dies war nur eine schreckliche Fassade, worunter es bereits kräftig brodelte.

Riley wirkte, als würde er jeden Moment in Ohnmacht fallen. Er hatte keine Chance sich da vorne gegen diese zierliche, furchtbar hinterhältige Frau zu wehren.

„ Mh? Isabell?" Ihre Augen wanderten zu dem Mädchen, welches vor mir stand.

Ich konnte nicht glauben, was Claire da gerade eben gesagt hatte. Mit zitternden Händen fasste sie sich an die Lippen. Ihre langen blonden Haare fielen ihr wie bei einer Meerjungfrau über die gestrafften Schultern und auch sonst war Isabell wirklich sehr hübsch. Sie fiel nicht wirklich auf, da sie immer sehr ruhig war, aber ihre Schönheit sprach für sich.

„ Claire, ich ..."

Claire zog eine Braue hoch, während ein Arm in ihre Hüfte gestützt war. Fassungslos blickte ich zu Riley, aus dessen Gesicht ich gar nichts mehr lesen konnte. Er wirkte wie versteinert, seine Mimik war erfroren und seine Augen trüb und gleichgültig.

„ Alles in Ordnung, meine Liebe. Ich weiß, dass du es nicht warst. Deine Eltern haben ein wirklich anständiges Mädchen aus dir gemacht. Hut ab. Richte ihnen bitte meine besten Grüße aus."

Ich kam kaum noch hinterher. Gerade noch hatte ich gedacht, dass Riley auch was mit Isabell hatte, dabei wollte Claire nur alle in den Wahnsinn treiben.

„ Oder was ist mit dir, Paris?"

„ Ich habe einen Freund", wehrte sie sich sofort. „ Also, Zuhause. Nicht hier in der Schule."

„ So ist das also."

Sicher vermuteten alle, dass es Vicky war. Keiner konnte schließlich ahnen, dass Riley ihr dies immer verwehrt hatte, weil er Angst hatte, dass sie es nicht ehrlich mit ihm meinte. Und damit hatte er letztendlich auch recht gehabt.

„ Ich hatte nichts mit ihm." Ihr schwarzer Bob wehte wie leichte Wellen um ihr Gesicht, als sie sich gegen Claire wehrte.

Claire nickte ein paar Mal, als ihr Blick zu den anderen Mädchen etwas weiter links schweifte. „ Vielleicht eine von euch?"

Sofort schüttelten sie auch schon ihre Köpfe und verneinten es laut und dennoch ängstlich.

„ Was für brave Mädchen nur in der Klasse sind. Eine allerdings hat mich schwer enttäuscht." Sie drehte sich auf dem Absatz um und kam genau in unsere Richtung. Ihr Lächeln schien nicht mehr von ihren Lippen weichen zu wollen.

„ Ich muss schon sagen, dass ich es von dir, liebe Victoria am wenigsten erwartet hätte."

Alle Augen richteten sich auf sie. Claire war zum Stehen gekommen und legte die Hände ineinander. Vicky blickte starr in ihr Gesicht und wusste nicht mehr wohin mit sich. Was hatte Riley mir da bloß erzählt? Warum hatte er mich angelogen?

Nun erst setzte sich Claire wieder in Bewegung und bahnte sich einen Weg zwischen den Schülern, die sofort ängstlich zur Seite wichen, hindurch, um Vicky zu erreichen.

„ Meine liebe Victoria, dass du tatsächlich so keusch leben würdest, hätte ich bei meinem ersten Eindruck nicht von dir gedacht." Bei ihr angekommen, legte sie ihr einen Arm um die Schultern und drückte sie fest an sich. „ Ich muss sagen, ich bin wirklich erstaunt."

Mein Herz setzte aus. Das hatte sie nicht gesagt. Nun war die Katze aus dem Sack. Vickys Lügen waren aufgeflogen. Und obwohl ich davon gewusst hatte, war es doch ein herber

Schlag zu wissen, dass sie mich die ganze Zeit über belogen hatte.

„ Dafür bin ich umso enttäuschter, wenn ich meinen Blick hinüber zu deiner guten Freundin, Madison schweifen lasse. Von dir habe ich einst so viel gehalten. Ich dachte, es ist alles in Ordnung." Sie sah mich eindringlich an. „ Aber da habe ich mich wohl getäuscht. Sieh am besten nicht so dahin, Vicky. Wer weiß, inwiefern Sodom und Gumora auf solche keuschen Mädchen wie dich abfärben." Sie grinste.

Woher wusste sie das verdammt nochmal?

Alle schauten mich nacheinander an, wie Vickys Gesichtsausdruck sich verändert. Ich ahnte es nur, da ich es nicht sehen konnte. Trotzdem gab ich mich dem Ganzen noch nicht geschlagen.

„ Das ist nicht wahr", bestritt ich die Wahrheit.

Nun erst, wanderte ihr Blick auf mich und wirkte siegessicher. „ Ach, ist es das nicht? Ein Vergehen reicht anscheinend nicht, denn jetzt beginnst du gleich auch noch zu lügen. Ich frage mich oftmals wirklich, weshalb ich Regeln aufstelle und sie mit neuen Schülern durchgehe, wenn sie doch hinterher gar nicht eingehalten werden und sie sowieso tun und lassen was auch immer sie wollen. Ist meine Arbeit nicht gut genug für euch? Denkt ihr, ich wäre keine Person, die es zu respektieren gilt?" Sie war ein reißendes Tier, kurz vor dem Sprung, als sie in die geschockten und verängstigten Gesichter der Mädchen schaute.

„ Doch", sagte ich und ließ sie dadurch kurz überrascht schauen. „ Aber du gehst immer zu weit." Rileys Blick lag nun auf mir und so schnell nahm er ihn auch nicht mehr von mir. Ich hatte wieder das Falsche gesagt, aber ich hatte mir eines vorgenommen und zwar mich gegen sie zu stellen.

„ Ich gehe immer zu weit? Ich denke, du kennst mich wirklich sehr schlecht, denn ich kann noch viel, viel weiter gehen. Wie wäre es, wenn ich jetzt zu weit gehen würde und eine Münze bestimmen lassen würde, ob ihr beiden euch nicht Mal vor der ganzen Klasse küssen und Zärtlichkeiten austauschen könntet?"

Sie war vollkommen gestört. Mit einem triumphierendem Lächeln hielt sie eine Münze in die Höhe, als wäre sie der heilige Gral.

„ Komm hierher und stell dich neben deinen Schatz." Ich rührte mich nicht. „ Hast du etwa Angst davor zu verlieren? Du kannst gewinnen, es wäre reiner Zufall, wenn ich gewinnen würde."

Sie drehte die Münze zwischen Daumen und Zeigefinger. Meine Knie waren weich wie Butter und mein Herz schlug schmerzend in meiner Brust. Mittlerweile traute sich keiner mehr mich anzusehen, was auch besser so war, jedoch hörte ich ihre empörten Gedanken.

Als Claire vorne auf mich wartete und mich beobachtete wie eine Schlange eine Maus, setzte ich mich allmählich in Bewegung, stellte mich neben Riley und versuchte den Blick von der Menge abzuwenden, doch ich erhaschte Vickys Gesicht nun trotzdem. Ihr standen die Tränen in den Augen, sie war kalkweiß und sah aus, als hätte ihr jemand das Herz aus der Brust gerissen.

Ich hätte auch drauf los weinen wollen, weil mir alles so schrecklich Leid tat, weil Claire Riley und mich vor der ganzen Klasse und somit vor der kompletten Schule bloßstellte, weil ich Angst vor der Strafe hatte, die uns ereilen würde. Doch am allermeisten, weil das Münzspiel schrecklich enden konnte.

„ Sind sie nicht ein schönes Paar?", fragte Claire eher rhetorisch, da ihr keiner antwortete und es ihr auch nicht missfiel. „ Ihr hättet es schon viel eher tun sollen, dann hätten wir dieses Spielchen schon früher spielen können!"

Diese Vorstellung schien ihr auf eine morbide Art zu gefallen. Sie lachte für sich selbst, musterte uns, als wären wir ein berühmtes Paar auf dem roten Teppich und wirbelte aufgeregt umher.

„ Kopf für Ja. Zahl für Nein."

„ Claire, du musst das nicht tun", flüsterte ich und bedeutet ihr mit meinem Blick, dass ich ihr doch verziehen hatte und wir nochmal neu anfangen wollten, aber anscheinend hatte sie dieses Vorhaben längst verworfen. Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, stellte sie sich in Position und warf die Münze gekonnt in die Luft hinein. Ich befürchtete, dass sie das nicht zum ersten Mal machte und schon viele Entscheidungen auf diese Art und Weise getroffen hatte. Ängstlich sah ich dem Stückchen Metall dabei zu, wie es einige Umdrehungen machte, ehe es auf ihrem Handrücken landete und sie die andere Handfläche daraufpresste. Mit einem hämischen Lächeln schaute sie auf. „ Wollen wir noch ein wenig Spannung erzeugen? Starten wir doch eine kleine Umfrage. Wer von euch ist für Zahl? Mh? Na los, traut euch. Wer von euch denkt, dass die Münze mit dem Kopf nach unten gelandet ist?" Sie schaute in die Runde hinein und wartete ungeduldig auf ihre Hände, die sich nur ganz langsam und vorsichtig hoben. Noch einmal schweifte mein Blick zu Vicky, die ebenfalls ihre Hand hob. Perplex sah ich ihr dabei zu und wusste noch nicht, wie ich es deuten sollte. Mit ihr waren es vielleicht ungefähr zehn Hände. „ Das wäre aber zu schade", schmollte sie und grinste gleich darauf wieder. „ Das bedeutet die anderen sind alle für Kopf. Also für die Verschonung unserer beiden Liebenden. Seht her, was für eine wunderbar gütige Klasse ihr doch habt. Genau hier, an diesem Menschen, erkennt ihr unser System. Gemeinschaft. Es bedeutet so viel und vor allem in dieser Situation stärkt es eure verängstigten Gehirne. Ihr solltet mir dankbar sein. Dies ist mein Werk." Sie schien so stolz auf sich selbst zu sein, dass ich ihr am liebsten vor die Füße gekotzt hätte. „ Zurück zu meiner kleinen Umfrage. Gibt es auch jemanden, der sich der ganzen Sache enthält?"

Niemand zeigte auf. Das hätte sich keine von ihnen gewagt. Claire schien es zu gefallen, ehe sie ihre Faust nach vorne streckte und langsam die Hand von ihrem Handrücken hob. „ Der Unterrichtet wartet nicht auf uns und ich denke, ich habe die Entscheidung etwas zu sehr in die Länge gezogen. Also. Trommelwirbel bitte!" Sie lugte unter ihren Fingern hervor und setzte ein Pokerface auf. Nichts war in ihrem Gesicht zu lesen, was zumindest einen Hinweis auf das Symbol geben konnte.

„ Tja. Pech gehabt."

Mir stockte das Herz.

„ Für die Klasse und mich zumindest." Am liebsten wäre ich vor lauter Erleichterung zusammengebrochen, doch ich musste Stärke beweisen, obwohl ich nicht wusste, wie. Sie entblößte Zahl und steckte die Münze wieder ein. „ Zahl. Ihr Glückspilze. Vielleicht beim nächsten Mal. Und jetzt setzt euch." Sie zwinkerte mir zu, als sie an mir vorbeilief. Am liebsten hätte ich ihr ein Messer in den Rücken gerammt.

„ Wir haben genug wertvolle Unterrichtszeit wegen eurem Vergehen verloren. Ich hoffe, euch ist bewusst, dass eine Strafe auf euch wartet, die nicht sehr klein ausfallen wird."

Wir schwiegen, doch Claire wertete es als pure Angst, und das erfreute sie sehr.

„ Setzt euch und nehmt die roten Plätze ein, damit jeder sehen kann, was für einen Schmutz ihr an euren Hand kleben habt und was weiß ich wo noch."

Wie die geprügelten Hunde nahmen Riley und ich auf den roten Stühlen Platz. Er saß hinter mir und ich zwei Sitze gegenüber von ihm ganz vorne. Die Blicke von Claire, die ihre Augen gar nicht mehr von uns abnehmen wollte und die der Schüler, waren so schrecklich, dass ich am liebsten gestorben wäre.

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