19. Kapitel

Als die Luft zu warm wurde und sich allmählich alles begann zu drehen, verabschiedete ich mich für einen Moment nach draußen. Brian verstand es sofort und tanzte mit einem anderen Mädchen weiter. Ich lächelte ihnen zu. Den anderen schien noch nicht die Puste ausgegangen zu sein. Sie tanzten alleine oder mit Partner auf der großen Tanzfläche, lachten und neckten sich.

Ich steuerte auf die Tür zu und verschwand in der kühlen, klaren Nacht, sog wertvolle Luft in meine Lungen, und lehnte mich gegen die Hauswand.

Ich war froh, dass mich keiner nach draußen begleitete. Für diesen einen Moment wollte ich die Ruhe um mich herum genießen. Einmal in mich gehen, um zu fühlen, was heute Abend geschehen war. Ich hatte so viel Schönes zu verarbeiten und ich freute mich schon jetzt auf jeden Moment, an den ich mich zurückerinnern dürfte.

Erst das Gelächter und die freudigen Stimmen wundervoller Menschen rissen mich aus meinen Gedanken. Man hörte sie sogar noch bis hier draußen. Ich lachte und nippte an meinem Sektglas. Mit einem Mal fühlte ich mich gar nicht mehr wie eine Schülerin, gefangen in irgendeinem sonderbaren System, sondern wie ein völlig freies Mädchen, mit Freunden, die sich um sie bemühten und einer Zukunft, die mir gehörte. Die Welt stand mir offen, zumindest tat ich für einen Moment so, und es war ein unfassbar schönes Gefühl.

„ Schscht."

Es zischte von links, weshalb meine ganze Aufmerksamkeit sofort auf den dunklen Büschen neben der Holzhütte lag. Eine große Silhouette tauchte im Licht des Mondes auf und kam mit langsamen Schritten auf mich zu. Die Hände in den Hosentaschen vergraben, eine Fliege um den Hals gebunden und einen Hut auf den Kopf gesetzt. Es war Jack, der dort auf mich zugelaufen kam. Ich konnte meinen Augen kaum trauen.

„ Hi", begrüßte ich ihn etwas überrascht.

Er grinste bloß schief und sparte sich eine Begrüßung. Es war schließlich noch nicht all zu lange her, dass wir uns gesehen hatten. „ Und wieder hätte ich beinahe kaum erkannt. Du bist wirklich sehr wandelbar."

„ Dasselbe muss ich auch dir unterstellen. Was für ein prachtvolles Kleid." Etwas unsicher schaute ich an dem schneeweißen, wallenden Stoff hinunter. Ich fühlte mich unheimlich wohl in den zarten sich überlappenden Stoffen.

„ Das hast du wohl recht", lächelte ich und strich mit einer Strähne hinter mein Ohr. Es ging ein milder Wind. Er zerzauste nicht nur mein Haar, sondern ließ auch die Blätter der großen Bäume in der Ferne laut und beruhigend rauschen.

Jack kam sicher einen guten Meter vor mir zum Stehen und beschaute sich die Holzhütte im Hintergrund etwas genauer. „ Was für eine Party. Und das alles nur für dich." Er wirkte nicht wirklich beeindruckt von der Kulisse, doch die Tatsache, dass Menschen sich für mich ins Zeug gelegt hatten, schien ihn zu bewegen. Dabei fragte ich mich, woher er überhaupt davon wusste.

„ Wer hat dir davon erzählt?"

„ Ich höre auch so alles."

Er sprach immer etwas in Rätseln, doch dieses Mal verstand ich. Ihn brauchte niemand in ein Geheimnis einweihen, er wusste auch so Bescheid, da er die Menschen kannte und durchschaute. Für ihn zählte so viel mehr, als bloße Worte.

„ Es ist der Wahnsinn", erwiderte ich etwas beschämt. „ Ich kann es ja selbst nicht glauben."

„ Das kann ich mir denken. Ich sagte dir bereits, ich weiß mit welchen Menschen ich rede."

„ Das verstehe ich immer noch nicht so ganz."

„ Vielleicht wirst du das noch. Ich bin jedoch nicht hier, um große Reden zu schwingen, oder mir den unangenehmen Bass der Musik, der durch die Wände dieser Holzhütte dröhnt, anzuhören, sondern, um dir Bescheid zu geben, dass ich deinen Auftrag letzte Nacht ausgeführt habe."

Beinahe fassungslos starrte ich ihn an. Ich konnte es kaum glauben. Hilfe nahte. Bald würden sie meinen Freunden helfen können und ich würde diese Schule für immer verlassen können. Dieser Gedanke war erleichternd und ein klein wenig beängstigend, doch damit musste ich nun klarkommen. Ich hatte es ja so gewollt.

„ Du weißt nicht, wie dankbar ich dir bin."

„ Niemand da, der es je so sagte", faselte er, als würde er irgendjemanden zitieren. Wieder konnte ich damit nichts anfangen.

„ Ich dachte, du liegst krank im Bett. Zumindest habe ich das gehört. Dabei ging es dir heute Morgen doch noch bestens."

„ Ich brauche auch mal Urlaub", sagte er und zwinkerte mir zu. Also alles nur Show. Wahrscheinlich wusste er nicht, wie er sich die Leute sonst vom Hals halten sollte.

„ Meine letzte Runde habe ich heute gemacht und dabei alles erledigt. Entschuldige wegen der Girlande, aber ich konnte mich schließlich nicht selbst aufliegen lassen."

„ Der Ersatz gefällt mir sehr gut."

Er kniff kurz die Augen zu. „ Das dachte ich mir."

„ Also ist es wirklich wahr?" Glücklich sah ich zu ihm.

„ Ich muss gestehen, ich musste nichts besorgen. Dein Brief hat also volle Aufmerksamkeit von mir bekommen."

„ Vielen Dank. Ohne dich, hätte ich niemals diese Möglichkeit bekommen."

„ Dann hoffen wir mal das Beste."

„ Ich hoffe, das euch geholfen werden kann."

„ Ich hoffe, dass du damit durchkommen wirst. Aber ich brauche keine Hilfe, wirklich nicht, doch es gibt genug Schüler und Schülerinnen, für die Rettung kommen müsste."

Er wusste mehr. Er sagte nichts, bloß, weil er es sich dachte. Er wusste mehr. Und dieser Gedanke, dass es vielen hier so schlecht ging, betrübte und schockierte mich zutiefst.

„ Willst du vielleicht noch einen Drink? Die anderen müssen es ja nicht mitbekommen, dass du hier bist. Ich könnte dir eben ein Getränk holen." Ich zwinkerte ihm zu. „ Ähnlich wie du, nur in kleiner."

„ Danke, aber ich möchte nichts. So war ich nie. Und selbst wenn. Ich würde ihnen etwas von Spontanheilung erzählen, aber ich habe nun nicht die Zeit, um von ihnen bombadiert zu werden."

„ Du weißt, dass es so kommen würde, nicht?"

Er nickte bloß. Ganz still und besonnen. „ Sie sollen mich treffen, wenn sie einen Termin vereinbart haben. Dann führe ich aus und sage ihnen Bescheid, wenn ich fertig bin. Danach gehe ich wieder neue Geschäfte ein. Das ist der ganze Ablauf. Dazwischen möchte ich nichts."

„ Man lernt zwar viele Leute kennen, aber niemanden auf Dauer", überlegte ich. Mein Finger fuhr nachdenklich über den Rand meines Glases. „ Macht dich das unzufrieden?"

„ Es sind bloß geschäftliche Beziehungen."
„ Hast du dich jemals einer nicht entziehen können?"

Er stockte für einen Moment und druckste herum. „ Es muss immer weitergehen, egal wie man fühlt, nicht?" Mit einem Mal hatte ich das Gefühl, dass er genau wusste, weshalb ich ihn das alles fragte. Ich wollte wissen, wie er damit umging, um neue Kraft zu schöpfen. Ich hatte das schon so oft durchgekaut.

„ Da hast du wohl recht", sagte ich und senkte den Blick. „ Danke nochmal."

„ Mädchen, es war nur ein Brief", beschwichtigte er mich.

„ Der mir aber sehr viel bedeutet und du hast ermöglicht, dass er jemanden erreichen wird."

Er sah mich eine zeitlang an, ehe er wieder dabei war sich zurückziehen.

„ Wahrscheinlich wirst du dich auch nicht auf einen kleinen Spaziergang am Steg dort drüben überreden lassen, oder?"

„ Leider nein, dennoch entgeht mir deine Gastfreundschaftlichkeit in keinster Weise. Dafür will ich dir danken." Ich lächelte ihm entschuldigend entgegen. „ Ich wünsche dir ein schönes Leben, Madison."

„ Wir werden uns bestimmt nochmal sehen."

„ Ich denke nicht, dass du nochmal in mein Zimmer kommen wirst. So bist du einfach nicht. Du willst Gerechtigkeit und keine Lebensmittel." Er lächelte schief. „ Vielleicht sehen wir uns nochmal auf dem Schulhof, doch ich spreche mit niemandem auf dem Schulhof, deswegen wird daraus wohl nichts werden."

„ Okay", hauchte ich. Er hatte vollkommen recht mit dem, was er gesagt hatte.

Er grinste schräg und lief mit erhobener Hand wieder der Dunkelheit entgegen. Ich sah ihm nach, bis er nicht mehr zu sehen war, und schüttelte lächelnd mit dem Kopf.

Es war ein merkwürdiger Abschied. Wir hatten so wenig miteinander zu tun gehabt, dass es nun gar nicht emotional hätte sein dürfen, doch das war es. Irgendwie zumindest. In dieser kurzen Zeit hatte er mir so viel von sich preisgegeben, dass ich das Gefühl hatte, ihn genauestens zu kennen, obwohl er immer beinahe nur in Rätseln gesprochen hatte. Und er hatte auch mich schnell gekannt. Er wusste wie ich war und wie ich fühlte, obwohl ich ihm kaum etwas von mir erzählt hatte. Jack war ein unheimlich feinfühliger und zurückgezogener Mann, der vom Leben oft betrogen worden zu sein schien. Dieser Gedanke machte mich traurig, doch er war nun mal so und ich wünschte ihm alles Glück dieser Welt, dass er nicht für immer allein lieb und wieder begann richtig zu vertrauen. Anstatt mit ihm gemeinsam über den Steg zu laufen, nahm ich meinen Weg alleine auf mich und schlenderte leise über das knartschende Holz, das Sektglas in der Hand und den Blick gen Himmel gerichtet. Der pechschwarze Himmel war kaum mehr zu erkennen, da sich jeder Stern, der existierte, uns heute in seiner vollsten Pracht präsentierte. Sie blinkten in den schillerndsten Farben und schienen teilweise zu schweben, sich einen neuen Platz suchten, da es ihn schnell langweilig wurde.

„ Ach, hier bist du." Vicky kicherte und tauchte wie aus dem Nichts hinter mir auf.

Ich lächelte und freute mich über ihre Gesellschaft.

„ Ich musste ein bisschen frische Luft schnappen."

„ Verständlich", grinste sie und legte den Kopf schief. „ Es ist wirklich sehr warm da drin. Wir haben schon drei Fenster geöffnet."

Ich nickte und sah hinab auf mein Glas. „ Vicky ..."

„ Madison, bitte sag jetzt einfach nichts, okay? Wir vergessen einfach alles was war. Zumindest möchte ich es vergessen."

Ich schaute auf. „ Ich auch! Wirklich! Und das alles hat auch überhaupt nichts mit dir zu tun!"

„ Ich weiß", lächelte sie und fasste nach meinem Arm. „ Es ist alles in Ordnung, aber weißt du was? Ich möchte nicht, dass es so bleibt. Ich will wieder Kontakt zu dir."

Ich sah unüberwindbare Hürden auf mich zukommen. „ Aber dann habe ich Angst um dich."

„ Ich aber nicht um mich. Das passt doch, oder?"

„ Du bist verrückt."

„ Das ist mir egal. Ich weiß nur, dass du meine beste Freundin bist, die ich in dieser Form zuvor nie hatte und nun auch nicht mehr auf sie verzichten kann."

Ich war also ihre beste Freundin? Es war schwer ihren Worten Glauben zu schenken, nachdem was wir durch hatten. „ Ich hoffe, du siehst es ähnlich."

„ Ja", erwiderte ich verblüfft. „ Aber ich weiß nicht, ob das eine Freundschaft aushält. Das alles. Ich kann nicht mehr mit dir über alles reden. Was vorgefallen ist ... ich kann's dir einfach nicht erzählen."

Vicky nahm meine Hände in ihre und umschloss sie ganz fest. „ Das ist kein Problem für mich. Dann reden wir halt ... über andere Dinge, wie zum Beispiel ... Mode ... und Jungs. Das sind doch die Themen, die die Welt wirklich bewegen!" Ich musste beinahe kichern, doch ihr Blick wirkte so hoffnungsvoll. Ich wusste nicht, ob es einen Zweck hatte, wenn wir es so handhaben wollten, dabei wollte ich Vicky auch nicht enttäuschen. Sie gab mir mit ihren Worten immer so viel.

„ Ich denke, dass es niemandem gut tut mit mir befreundet zu sein. Dafür ist in letzter Zeit einfach zu viel um uns herum geschehen und ich möchte nicht ..."

Sie verneinte schon mit ihrem Zeigefinger. „ Nichts da. Das ist jetzt vorbei und ich sehe sogar über den Flirt zwischen dir und Brian hinweg." Streng schaute sich nach vorne, als ich sie auch schon ertappt musterte. Sie hielt es nicht lange aus mich zappeln zu lassen, ehe es schon um ihre Lippen zu zucken begann und sie in ein plötzliches Gelächter verfiel.

Irritiert sah ich sie an, fühlte mich jedoch sofort etwas leichter ums Herz.

„ Das war ein Scherz! Offensichtlich mag er dich mehr als mich und das ist vollkommen in Ordnung. Du bist meine Freundin und wer weiß, vielleicht wird aus euch ja noch mal was."

„ Vicky." Ich lachte. „ Er ist nicht mein Typ."

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „ Jaja, das würde ich jetzt auch sagen." Kurz darauf lachte sie sich schon wieder halb schlapp. Im Affekt griff sie plötzlich in die kleine Tasche hinein, welche um ihr Handgelenk gebunden war, ehe sie auch schon betrübt seufzte und die Augen verdrehte.

„ Was ist?", fragte ich sofort, da mir ihr Blick ganz und gar nicht gefiel.

Vicky seufzte erneut und lehnte sich gegen die Wand. „ Ich vermisse mein Handy."

Bestürzt musterte ich sie ein paar Augenblicke, bis auch ich meine Stimme wiedergefunden hatte. „ Du auch?"

„ Ja", erwiderte sie verwundert. „ Du deins etwa auch?"

„ Und Rileys auch."

„ Verdammt."

„ Das ist alles meine Schuld."

„ Nein, nein, nein, nein, mach dir darum keine Sorgen! Ich weiß nicht, wieso das alles geschehen ist, warum du so spät erst wieder zurück warst, aber es wird seine Gründe haben. Riley und ich haben einfach Pech gehabt, als wir versucht haben, dich zu erreichen. Ich hätte nicht im Unterricht damit schreiben müssen und Riley befehlen dürfen, dass er dich davor auch noch versucht zu erreichen. Es ist einfach alles blöd gelaufen! Aber was soll's? So etwas passiert nun mal."

„ Und jetzt schiebst du alles auf dich. Du bist wirklich die beste Freundin, die man sich vorstellen kann", flüsterte ich gerührt und konnte kaum fassen, wie gelassen sie das alles sah.

„ Ach, Maddy", flüsterte sie und griff nach meiner Hand

„ Ich glaube, ich sehe es nie wieder."

„ Dass man nicht mehr erreichbar ist oder sich nicht mehr über die neuesten Veränderungen des Stundenplans informieren kann, ist ja nicht mal das Schlimmste. Ich vermisse diese Schnecken-App."

Für einen Moment war alles ruhig, die Situation eigentlich bedrückend, doch mit einem Mal verfielen Vicky und ich in ein lautes Gelächter, während wir uns in die Arme nahmen und fest drückten. Am liebsten hätte ich sie gar nicht mehr losgelassen. Ihre Wärme gab mir so unendlich viel.

„ Wann hat sie dir es weggenommen?", fragte sie dann, als sie langsam wieder von mir ließ.

„ Als wir spät abends hier an der Schule angekommen sind."

„ Also hat sie dich irgendwo aufgegabelt."

Ich nickte, die Lippen aufeinandergepresst.

„ Und vorher warst du Mikey, richtig?" Vicky fragte nur ganz vorsichtig. Sie passte mit jedem Wort auf, da es für mich hätte zu viel sein können. Sie wollte es nicht riskieren, dass ich mit einem Mal doch noch umdrehte und unsere Freundschaft zerbrechen ließ.

„ Wie war es in Rockville?"

„ Es war wunderschön. Seine Eltern waren so liebevoll. Und Mikey ist ein wirklich toller Junge, mit den Ansichten eines Erwachsenen. Wir haben viel erlebt, waren viel unterwegs. Ich habe eine Menge vom Leben gesehen, doch ich habs gegen die Wand gefahren mit meiner Aktion."

„ Ist etwas Schlimmes passiert?"

Ich zuckte mit den Schultern und war schon wieder den Tränen nah. „ Das weiß ich nicht." Ich wischte mir hastig eine Träne fort. „ Aber Mikey und seinen Eltern geht es gut. Es sind meine Schatten, die mich wieder eingeholt haben. Mikey hasst mich, weil ich in jener Nacht fortgegangen bin, aber Hauptsache ist, dass ihm nichts geschieht. Mehr will ich gar nicht." Anstatt Vicky noch weiter bohrte, zog sich mich ohne einen weiteren Kommentar in ihre Arme und hielt mich ganz fest. Sie wusste, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte und jegliche Fragen ins Leere verlaufen wären. Sie wollte es bei meinen kargen Erzählungen belassen, um unsere Freundschaft aufrecht zu erhalten, und ich wollte ihr diesen Wunsch erfüllen.

Die Nacht wurde sehr lang.

Es wurde weiter getanzt, getrunken und gegessen. Am allermeisten getrunken! Doch jeder achtete darauf, nicht als Bierleiche zu enden. Schließlich waren wir nicht einfache Jugendliche. Die Regeln standen riesengroß hinter uns und sahen auf uns hinab, als wären wir nichts im Vergleich zu ihnen. Immer wieder drehte ich mich im Kreis, feierte das Licht, das Leben und die vielen Menschen um mich herum. Ja, ich unterhielt mich sogar mit ein paar von ihnen über Mikey. Es hatte sich herumgesprochen, dass ich die Ferien bei ihm verbracht hatte. Wie sie an diese Informationen gekommen waren, war mir ein Rätsel. Vielleicht hatte mich jemand von ihnen in ihr Auto einsteigen sehen, oder unsere Gespräche auf dem Schulhof belauscht, aber das war mir eigentlich auch egal. Ich stand zu Mikey, obwohl wir nichts mehr miteinander zu tun hatten. Sie wollten wissen, wie er als Mensch war. Ich erzählte ihnen wie wunderbar er war und dass es sich lohnte, mit ihm in Kontakt zu treten und er es sich in keinster Weise verdient hatte, allein zu sein. Ich hoffte inständig, dass sie meine Worte beherzigten und ihn bald schon besser behandelten, ihn sogar richtig in ihre Gemeinschaft aufnehmen konnten, genauso wie diese Schule es sich insgeheim wünschte. Auch wenn es in der Vergangenheit nicht immer so klappen mochte.

Vielleicht würde mein Brief auch alles verändern, aber es war mir wichtig, trotzdem allen von ihm zu erzählen und seinen Ruf wieder in ein gutes Licht zu rücken. Das hatte er einfach verdient, egal wie die ganze Sache hier ausging.

Als es bereits nach zwei Uhr war, entschieden wir uns dafür zu gehen. Nun gut. Riley brauchte schon etwas Überzeugungskraft, um mich wieder auf mein Zimmer zu bringen. Ich hätte noch tausend Jahre bleiben können, aber es wäre zu heikel gewesen und ich sollte auch noch ein wenig Schlaf bekommen, sagte er zumindest.

„ Natürlich", sagte Vicky und stemmte die Hände in die Hüften. „ Riley, gut ausgedacht. Dann brauchst du wenigstens nicht beim Aufräumen helfen."

„ Ich kann danach wiederkommen", bot er an.

Vicky spitzte die Lippen, kniff die Augen zusammen, bis sie ausatmete und mit einer Hand in die Luft schlug. „ Lass gut sein. Geh du auch schlafen. Hast schließlich auch ne harte Woche hinter dir."

„ Du bist zu gütig", bedankte er sich und verbeugte sich vor ihr.

Sie jedoch schlug nach ihm, wobei er schneller war als sie, und grinsend zurückwich.

„ Ich danke dir tausendmal", flüsterte ich ihr ins Ohr und umarmte sie nun fester als je zuvor, vor allem auch deswegen, da ich es vorhin vor lauter Schreck nicht erwidern hatte können.

„ Nicht dafür, Madison", antwortete sie und drückte mich ebenso stark. Als wir uns losließen, strich sie mir nochmal liebevoll über die Arme und lächelte mich an. „ Also, wir sehen uns morgen?"

Ich nickte kräftig. „ Ja."

„ Und dann wird der ganze Abend nochmal Revue passiert. Das wird ein Spaß!"

Auch von den anderen verabschiedete ich mich mit einer Umarmung und drückte jeden Einzelnen von ihnen nochmals ganz fest und dankte jedem für sein oder ihr Erscheinen. Für mich war es in keinster Weise selbstverständlich.

Als ich alles hinter mir ließ und es ruhig um uns herum wurde, fand ich es beinahe merkwürdig hier mit ihm zusammen zu sein. Ich erinnerte mich an unseren langen, intensiven Blick und fragte mich, nach dem warum. Mehr konnte ich in diesem Moment nicht fragen, und noch weniger wissen. Das Einzige was ich wirklich verspürte, war tiefste Dankbarkeit und unfassbares Glück. Ich hatte wunderschöne Stunden in diesem Haus verbracht und fühlte mich traurig und erfüllt zugleich.

„ Ich bin glücklich", sagte ich.

„ Das war unser Ziel."

„ Und das habt ihr so was von geschafft." Er lief weiter, doch ich blieb stehen und fasste ihn bei der Hand. Irritiert drehte er sich herum und schaute mich mit zusammengezogenen Brauen an. „ Und das war alles verdammt gefährlich. Wunderschön, aber für euch alle verdammt gefährlich. Ich habe den Kontakt zu euch allen abgebrochen, damit ihr nicht in Gefahr geratet!"

„ Und wir haben diesen Kontakt wieder zu dir aufgebaut."

„ Aber genau das wollte ich nicht!"

„ Aber wir wollten es! Und das musst du akzeptieren. Wir gehen hier zusammen zur Schule und sitzen somit auch alle im selben Boot."

„ Ach, Riley. Ich möchte nicht, dass du oder Vicky da noch weiter mit reingezogen werdet! Ich habe solche Angst um euch!" Leidend schaute er zu mir. „ Wenn ich mir das mal so überlege, wir hatten dich so gut da raus bekommen, aus einfach allem! Dann rufst du mich an, kommst zu spät in den Unterricht und musst im Eiswasser baden. Es hätte für dich genauso enden können, wie für Austin." Ich atmete schwer. „ Vielleicht wäre das auch alles nicht passiert, wenn ich pünktlich wieder hier an der Schule gewesen wäre. Dann würde er vielleicht auch noch leben ..."

„ Hey, rede dir jetzt nicht wieder so einen Quatsch ein, okay?" Er hatte eine Hand auf meinen Arm gelegt und war ein Stück näher auf mich zugetreten.

Ohne auf ihn zu hören, senkte ich den Blick und redete weiter. „ Aber ich hatte keine andere Wahl. Ich musste gehen."

„ Claire und Rosemarie hätten ihn sowieso da drin baden lassen, weil auch er ein Vergehen begleichen musste. Du bist nicht daran schuld, okay? Und ich wusste, was ich auf mich nehme, als ich dich angerufen habe. Vicky hat mir zwar den Auftrag erteilt, aber ich habe für mich beschlossen, es zu tun, egal was passiert."

Es war der Moment, in dem ich zu ihm hinaufschaute und meine Augen nicht mehr von ihm nehmen konnte.

„ Kannst du mir nicht erzählen, was passiert ist?"

Ich schüttelte schon mit meinem Kopf und machte kehrt. Ich rieb mir die Arme und sah hinauf in den klaren Himmel. „ Ich schweige wie ein Grab, ich verspreche es dir."

„ Das würde zu lange dauern."

„ Ich habe Zeit."

Ich zog die Brauen zusammen und drehte mich auf dem Absatz wieder zu ihm herum. „ Garantiert nicht. Claire könnte jeden Moment aus unerfindlichen Gründen hier auftauchen. Und außerdem will es mich für mich behalten. Es soll euch nicht belasten, okay?"

Ich lief weiter. Riley holte mich sofort wieder ein

„ Aber es belastet dich."

Ich seufzte. „ Ich komme schon klar. Je mehr ich von euch fernhalten kann, desto besser. Und was dieses Thema angeht, halte ich meine Hand drüber. Ich kann dafür sorgen, dass ihr verschont davor bleibt, nicht noch mehr zu wissen, als euch gut tut, okay? Bitte, Riley. Dränge mich nicht dazu, dir etwas darüber zu erzählen. Vicky hat es auch akzeptiert."

„ Jetzt kriege ich es wohl zurück", seufzte er schulterzuckend.

„ Wie meinst du das?"

„ Wir machen das nur, weil wir uns beschützen wollen."

„ So ist es. Du hast mich schließlich auch letztens wieder hineinbefördert, damit mich keiner in Joggingklamotten sieht. Wir müssen einfach besser aufpassen, um nicht noch mehr heraufzubeschwören, was jemanden von uns umbringen könnte."

„ Du darfst dir nicht so viele Gedanken machen, Madison. Hier wird keiner mutwillig umgebracht."

„ Ich passe mein ganzes Leben schon alleine auf mich auf. Und hier muss ich noch so viele Menschen berücksichtigen, das überfordert mich etwas und macht mir große Angst."

„ Wir können auch auf uns aufpassen, das musst du nicht tun."

„ Aber ihr seid Menschen, die ich liebe."

Sofort spürte ich Rileys Blick auf mir. Ich war nicht imstande ihn nun anzuschauen. Wenn ich in dieses traurige Gesicht blickte, bekam ich nur noch mehr Angst, es irgendwann nicht mehr zu sehen. Riley schien in meinen Augen so gefährdet. Ich konnte den Gedanken, ihn zu verlieren, nicht ertragen.

„ Wir werden nicht einfach verschwinden."

„ Und was, wenn doch?"

„ Weißt du mehr als wir?"

Nun musste ich ihn anschauen und er wirkte von Leid gequält. Irgendetwas ging in ihm vor, was ich nicht richtig deuten konnte. War es Angst vor dem, was ich hätte wissen können, oder Angst vor dem, was ihm andauernd entgegnete. Zweifelte er bereits an meiner Zurechnungsfähigkeit? Dabei gab es etwas, was Anlass zur Sorge bereitete und worüber ich mit ihm sprechen musste.

„ Ich habe vorhin mit Pam und Logan gesprochen. Sie ... haben nochmal mit mir über diesen einen Abend gesprochen, wo Steven von uns gegangen ist. Sie haben da so eine Bemerkung gemacht ... Ich konnte sie nicht richtig deuten."

Er runzelte die Stirn. „ Eine Bemerkung?"

„ Ja. Vielleicht habe ich es auch bloß falsch interpretiert, aber es hörte sich beinahe so an, als glauben sie nicht an einen Unfall."

„ Du meinst ... sie denken, dass es jemand beabsichtigt hat, Steven zu töten?"

Ich zuckte mit den Schultern. „ Das ist ihre Version, ja. Denkst du, dass das möglich wäre?"

Riley schaute ab von mir und richtete seinen Blick nach vorn. Er wurde nachdenklich und brauchte seine Zeit, ehe er antwortete. „ Das kann auch ich nicht mit Gewissheit sagen."

„ Du auch nicht?" Ich fuhr zu ihm herum. „ Gibt es etwas, was ich nicht weiß?"

„ Nein, um Gottes Willen. Es sind nur Spekulationen auf die du mich jetzt gebracht hast. Und wie ich höre, ist es den beiden auch bei dir gelungen."

Ich beruhigte mich wieder und atmete einmal tief ein und wieder aus. „ Diese Vorstellung wäre schrecklich. Darüber möchte ich gar nicht nachdenken. Die Frage, die sich mir stellt ist natürlich auch, wer so eine Absicht gehabt hätte. Er war doch recht beliebt, oder?"

„ Ja, er hatte mit niemandem Probleme, soweit ich weiß."

Wir kamen wieder vorbei an dem Brunnen. Beim Vorbeigehen, hielt ich meine Hand ins Wasser und erfrischte mich etwas an dem kühlen Nass.

„ Ich hoffe, du bist nicht böse", murmelte ich.

„ Warum sollte ich böse sein?"

„ Wenn wir zusammen sind, rede ich immer nur über diesen ganzen negativen Kram. Jetzt organisiert ihr sogar eine Party für mich, wobei ich noch nicht einmal mehr Kontakt zu euch halten wollte! Ich erzähle dir nicht, was in Minnesota passiert ist, als ich dort war und bin nicht so fröhlich, wie ihr es vielleicht erwartet habt. Ich habe deine und auch Vickys Gegenwart wirklich nicht verdient, aber ich mache das nicht, um euch zu ärgern. Wirklich nicht."

Das Wasser vor mir plätscherte wunderschön im Takt, während ich auf eine Antwort von ihm wartete.

„ Die Umstände lassen nichts anderes zu. So ist das nun mal. Früher war es eine andere Welt. Jetzt ist alles anders."

„ Du hast dir immer einen Kopf um mich gemacht. Eigentlich machst du das, seit ich hier bin."

„ Für irgendetwas muss ich ja gut sein," lächelte er schulterzuckend, doch sein Lächeln hatte einen faden Beigeschmack, was mir überhaupt nicht passte. Hatte er das gerade etwa ernst gemeint?

„ Ich werde auch dieser Sache versuchen nachzugehen. Die zuständige Polizei ist nicht von einem Fremdverschulden ausgegangen, sondern von Stevens eigener Schuld. Ob sie irgendetwas übersehen haben?"

„ Meinst du, Pam und Logan wissen vielleicht auch mehr, als sie zugeben?"

„ Gute Frage. Vielleicht sollte man sie noch einmal ansprechen deswegen."

„ Bitte, Riley, lass es. Lass die ganze Sache auf sich beruhen, bevor dir etwas passiert."

Er lächelte dankbar in meine Richtung. Ob er sein Vorhaben nun fallen lassen würde, wusste ich nicht. Riley konnte seinen eigenen Kopf haben, gegen den selbst ich nicht ankam, aber er wusste, wie sehr ich mich um ihn sorgte und das war im Moment meine einzige Hoffnung.

„ Schau mal, die Sterne", sagte ich und blickte empor.

„ Die sind echt schön", stimmte er mir zu.

„ Sie bedeuten mir eine Menge." Ich spürte, wie er hinter mich trat, woraufhin ich meinen Kopf ganz leicht an seiner Schulter anlehnte, um besser in den Himmel zu schauen. „ In schlechten Zeiten helfen sie drüber hinwegzukommen."

„ Wie wäre es mit einem kleinen Tanz?"

Beinahe entblößt blickte ich zu ihm auf. „ Was ist mit den Punkten, die ich dir gerade aufgezählt habe?"

„ Ich versuche es geflissentlich zu ignorieren und eine schöne Zeit zu haben. So kann ich schließlich auch nicht böse auf dich werden." Er zwinkerte mir zu. „ Also. Wie sieht es aus?"

„ Ich soll mit dir tanzen?", fragte ich skeptisch.

„ Ist das so abwegig?"

„ Nein, eigentlich nicht." Ich lächelte. „ Ein kleiner Dankeschön-Tanz", erklärte ich. „ Und du kannst tanzen. Ich habe dich und Vicky vorhin gesehen." Er lachte beschämt. „ Aber danach gehen wir."

„ Nun gut", setzte er an, sprach jedoch nicht weiter, obwohl ich darauf gehofft hatte. Seine Stimme konnte so etwas tröstliches haben. Ich war etwas verblüfft, als er mir seine Hand um die Taille legte und die andere mit meiner verschränkte. Wir blickte uns einen Moment an, ehe wir begannen in großen Schritten durch den wunderschönen Garten zu tanzen. Wir lachten uns die ganze Zeit über an und witzelten hin und wieder über ein paar der Partygäste, die auf der Tanzfläche keine Hemmungen gezeigt hatten und tanzten als würde es keinen Morgen geben. In seinem Übermut, führte mich Riley extra so nah an den Brunnen heran, da er dachte, ich hätte Angst nass zu werden, dabei streckte ich meinen Arm freiwillig nach einer der Fontänen aus und ließ das Wasser kurz über meinen Arm laufen, ehe ich ihm meine nasse Hand an die Wange legte. Er verzog die Miene und lachte wenig später empört. Es dauerte nur wenige Sekunden als wir schon an dem Brunnen vorbeigetanzt waren und langsamer wurden. Mit einer letzten Umdrehung um meine eigene Achse kamen wir zum Stehen und lächelten uns zufrieden an. Riley verbeugte sich vor mir, wie er es vorhin auch schon bei Vicky getan hatte, während ich einen leichten Knicks vor ihm machte.

„ Es war mir eine Ehre, Mylady."

„ Danke, dass auch Ihr mir diese Ehre zuteil werden lassen habt, und über Euren kleinen Schabernack am Brunnenwasser, werde ich nochmal hinwegsehen."

„ Ihr seid zu gütig, Ma'am. Einst lachten die anderen Hofdamen noch über meine kleinen Scherze, da sie ihnen ihren Tag versüßten."

„ Wie ich höre, scheine ich nicht die Einzige zu sein, wenn sie bereits von Hofdamen sprechen."

„ Ich schwöre euch, Mylady. In meinem Leben gibt es nur Euch. Ihr seid die Einzige." Theatralisch legte er die Hand auf seine Brust und verbeugte sich erneut. Nach unserer wirklich lustigen und etwas merkwürdigen Unterhaltung verfielen wir beide in Gelächter. Da war er wieder, der Wahnsinn, der in uns losbrach, wenn wir ausgelassen waren.

„ Komm", lachte er, hielt mir seinen Arm entgegen, unter dem ich mich einharkte und wir weiter voranliefen.

„ Sie würden uns definitiv wegsperren", grinste er noch immer.

„ Ja, sie würden denken, wir sind nicht ganz dicht."

„ Also wenn ich mir so meine Wange und meinen Hals fühle, glaube ich das tatsächlich."

„ Verzeihung, der Herr. Das musste sein." Ich lachte hoch.

„ Um ehrlich zu sein, riecht es etwas alt."

„ Was meinst du? Das Wasser?" Ich roch an seiner Wange und berührte ihn nur ganz eben mit meiner Nasenspitze. Ein elektrisierendes Gefühl rauschte ohne jegliche Vorwarnung durch meinen Körper. Abrupt wich ich zurück und schaute ihn an.

„ So schlimm?", fragte er.

Ich schaltete nicht sofort, ehe ich verstand und nickte. „ Du darfst dich gern noch kurz bei mir waschen. Wobei, vielleicht besser nicht. Ich will nicht riskieren, dass man dich dort erwischt."

„ Aber ich bestehe darauf", erwiderte er mit fester Stimme. Er blickte mich so intensiv an, dass ich nicht mehr kontern konnte und einfach nur nickte, ehe wir wieder in die Realität aufbrachen. In die nach Farbe riechenden Flure und die Enge der Räume, wenn man bedachte, wie frei man sich hier draußen fühlen konnte.

„ Das heute hat jegliche Erwartungen, vollends übertroffen. Ich weiß nicht, wie ich das je wieder gut machen könnte. Mir fällt nichts ein."

„ Du musst uns nicht danken. Wir haben das gerne gemacht. Claire hat dich damals ziemlich unfair behandelt und Vicky wusste, wie gerne du auf einen Ball gegangen wärst. Ich hatte davon nicht so viel Ahnung, liegt vielleicht auch daran, dass ich ein Typ bin." Er schaute nach oben.

Ich musste kichern. „ Über so was spricht man nun mal mit seiner Freundin", ermutigte ich ihn. „ Mach dir darüber keine Gedanken." Riley verstaute seine Hände in den Hosentaschen, als ich schon nach dem Schlüssel suchte. Ich schob ihn ins Schloss und der Riegel fiel zurück.

„ Handtücher sind unter dem Waschbecken", teilte ich ihm mit. Wir lächelten uns kurz an. Er erwiderte meinen Blick und lief schon ins Bad hinein. Ich legte meine Handtasche auf meinem Bett ab. Das monotone Rauschen des Wassers beruhigte mich auf eine schöne Art und Weise. Generell war es schön zu wissen, nicht alleine in diesem Zimmer zu sein. Plötzlich hörte ich ihn auflachen.

„ Wie funktioniert das denn?"

Neugierig lugte ich um die Ecke und sah, dass er an dem Pumpspender der Flasche herumfummelte.

„ Wie wäre es mit drehen und dann herunterdrücken?", neckte ich ihn.

„ Da haben wir es wieder. Die Unbeholfenheit des Mannes", kicherte er.

„ Dafür habt ihr ja uns."

„ Oh!" Er hatte den Pumpspender betätigt und ein großer Schwall rosafarbener Schaum spritzte ihm mitten ins Gesicht. Er verzog die Miene und kniff die Augen zusammen.

Zuerst war ich schockiert, doch dann verfiel in ein rauschendes Gelächter.

„ Steht dir!", lachte ich und bekam mich kaum mehr ein. Auch er lachte, so weit der Schaum es denn zuließ. Er war hilflos und ich wollte ihm zur Rettung eilen. Hastig griff ich nach dem Handtuch über dem Halter und trat auf ihn zu. „ Warte. Lass die Augen zu. Ich mach dich wieder sauber." Sorgsam fuhr ich mit dem Handtuch über sein Gesicht, darauf bedacht, es sanft zu machen. Mit den letzten Schaumresten fuhr ich ihm noch über die Wange und den Hals, die Stellen, die das Wasser berührt hatte. „ Das kommt davon, wenn man so neugierig ist!" Ich lächelte in mich hinein und wischte ihm noch die letzten Reste aus dem Gesicht. „ Ich benutze es nur, weil Seife meine Hände austrocknet. So. Du kannst die Augen wieder aufmachen."

Langsam begannen seine Lider zu flattern, ehe er die Augen aufschlug. Wir schauten uns an. Zu lange.

Es war einfach zu lange.

Ich nahm das Handtuch und zerknüllte es in meinen Händen. „ Ich habe immer noch Angst, dass Claire gleich plötzlich mitten im Raum steht." Ich machte kehrt und lief zurück in mein Zimmer. Das Handtuch warf ich in die Wäschewanne und versuchte wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

„ Dann werde ich jetzt wohl mal gehen."

Seine Stimme ließ mich sofort in seine Richtung drehen und lächeln.

„ Ich habe dir für so vieles zu danken."

„ Nein. Nicht dafür, Madison. Wir haben das wirklich sehr gerne getan."

„ Trotzdem danke."

„ Wir wollten heute so viel reden", erinnerte er mich mit heiserer Stimme.

„ Wenn ich von mir spreche, zieht dich das sowieso nur runter." Ich lächelte bitter. „ Erzähl mir lieber von dir."

„ Das ist langweilig. Einschläfernd. Ich will etwas von dir hören."

Ich seufzte und senkte den Blick. Gerade eben waren wir uns noch so nah gewesen. Draußen in dem Garten, als wir tanzten oder vor ein paar Sekunden im Badezimmer. Nun war ein großer Abstand zwischen uns entstanden, den keiner von uns so recht minimieren wollte.

„ Was möchtest du denn wissen?"

„ Zum Beispiel haben wir noch gar keine Zeit gefunden, um über unseren Urlaub zu sprechen. Wie war es in Rockville?"

„ Es war fantastisch. Und wie war es bei deinem Freund?"

„ Auch schön. Wir haben einen Roadtrip gemacht."

„ Deine armen Eltern haben dich sicher sehr vermisst."

Riley lächelte. „ Bald bin ich ja wieder dort."

Wir blieben noch einige Minuten so stehen, sprachen nicht miteinander, ließen die gesprochenen Worte nachwirken, ehe ich auf die Uhr blickte und Riley sofort verstand.

„ Du willst ins Bett, natürlich. Geh ruhig schlafen, wir sehen uns morgen. Dann können wir weiterreden."

„ Ich würde unheimlich gerne sagen: Wir sehen uns, aber ..."

sein hoffnungsvolles Lächeln verschwand. „ Du willst das wirklich," wurde ihm mit einem Mal so richtig klar. Es tat weh ihn erneut von mir zu stoßen. Wenn er nur gewusst hätte, dass auch Vicky ihre Trennung in naher Zukunft plante. Er wäre wahrscheinlich zusammengebrochen.

Plötzlich fühlte es sich komisch an, in sein Gesicht zu schauen. Es war als wäre unser Blick ein unsichtbares Band, welches durchschnitten worden war, als er zu lange anhielt.

„ Ja", sagte ich.

„ Und mit Vicky bleibst du befreundet?" Er hatte unsere liebevolle Verabschiedung natürlich mitbekommen. Und er hatte auch gehört, wie wir uns für den nächsten Tag verabredet hatten.

„ Sie will es so."

„ Ja, und ich will es auch."

„ Aber das geht nicht."

„ Ich verstehe das nicht."

Schweigend stand ich vor ihm, brachte keinen weiteren Ton mehr hinaus. Ich verstand mich ja selbst kaum, dabei war das mit Vicky noch etwas anderes. Wir gingen in eine Klasse, wie hätte ich sie von mir fernhalten sollen? Hätte ich es irgendwie geschafft, hätte ich auch ihr heute dasselbe wie Riley gesagt. Dabei brach es mir das Herz, den Kontakt zu Riley erneut zu unterbinden. Ich war so gerne in seiner Nähe.

„ Ich werde das vermissen. Diese Konversationen zwischen uns", sagte er auf einmal so betrübt, dass es mich sofort in meiner Magengrube traf. „ Ich vermisse es ja jetzt schon." Mit einem bitteren Lächeln auf den Lippen, machte er schließlich kehrt und lief den Flur hinunter. Ich schaute ihm hinterher und betete, dass ihn keiner auf dem Weg in sein Zimmer erwischte.

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